Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 04.05.2001, Az.: 4 B 39/01
Eingliederungshilfe; Nachranggrundsatz; Sozialhilfe
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 04.05.2001
- Aktenzeichen
- 4 B 39/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 39840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs 1 BSHG
- § 39 BSHG
Gründe
I.
Der Antragssteller begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Kosten für dreimal wöchentlich benötigte Injektionen eines Vitamin B Präparates zu übernehmen. Der Antragsteller ist schwerst pflege - und betreuungsbedürftig und lebt in einer vollstationären Wohngruppe der Leben mit Behinderung H. Sozialeinrichtungen GmbH. Hierfür gewährt der Antragsgegner dem Antragsteller Eingliederungshilfe. Der Antragsteller leidet unter anderem an einer Stoffwechselstörung und benötigt zur Behandlung derzeit dreimal wöchentlich Vitamin B - Spritzen, die ihm zweimal wöchentlich durch einen ambulanten Pflegedienst intramuskulär verabreicht werden. Einmal die Woche besucht der Hausarzt die Einrichtung, von dem der Antragsteller dann die Spritze erhält. Bis zum 1. Mai 2000 trug die AOK die Kosten des ambulanten Pflegedienstes. Danach beantragte der Antragsteller von dem Antragsgegner, ihm hierfür ebenfalls Eingliederungshilfe zu bewilligen. Der Antragsgegner lehnte dies ab. Er war und ist der Auffassung, der Einrichtungsträger sei verpflichtet sicherzustellen, dass der Antragsteller die notwendigen Injektionen erhalte. Dies folge vor allem aus der Leistungsbeschreibung für die Wohngruppen des Einrichtungsträgers, die Teil der mit der Freien und Hansestadt H. abgeschlossenen Vereinbarung nach § 93 Abs. 2 BSHG sei. Der Antragsteller wendet hiergegen ein, die Leistungsvereinbarung sehe nicht vor, dass die Einrichtung medizinische Maßnahmen durchführe, es seien insoweit lediglich unterstützende und begleitende Leistungen zu erbringen. Dies folge auch daraus, dass es sich bei der Wohngruppe um eine Einrichtung der Behindertenhilfe und nicht um eine solche der Pflege handele. Der Einrichtungsträger schulde lediglich eine pflegerische Grundversorgung, hierzu gehöre die Verabreichung von intramuskulären Injektionen aber nicht. Die Einrichtung beschäftige auch kein Fachpersonal, das ihn, den Antragsteller, mit derartigen Spritzen versorgen könne.
II.
Dem Antragsteller kann Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten lediglich in dem tenorierten Umfang bewilligt werden, weil sein Rechtsschutzbegehren nur insoweit hinreichende Erfolgsaussichten hat (§§ 166 VwGO, 114 ff ZPO).
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Soweit der Antragsteller weitere Eingliederungshilfe für den Zeitraum ab dem 1. Juni 2000 bis zum Eingang seines Antrages bei Gericht am 6. April 2001 begehrt, fehlt es an dem erforderlichen Anordnungsgrund. Eine gerichtliche Entscheidung ist nicht eilbedürftig, weil insoweit Leistungen für vergangene Zeiträume im Streit sind. Einstweilige Anordnungen können allein ergehen, um eine gegenwärtige Notlage zu beseitigen, bzw. eine zukünftige abzuwenden. Dem ist hier Rechnung getragen, wenn der Antragssteller künftig die begehrte Hilfe für die von ihm benötigten Spritzen erhält.
Ansonsten liegen die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung vor. Insbesondere hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass ihm ein Anspruch auf die begehrte Leistung nach §§ 39, 40 BSHG zusteht. Der Antragsteller gehört unstreitig zu dem Personenkreis des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG und hat deswegen Anspruch auf Leistungen für ärztliche oder ärztlich verordnete Maßnahmen zur Verhütung, Beseitigung oder Milderung der Behinderung (§ 40 Abs. Abs. 1 Nr. 1 BSHG). Zwischen den Beteiligten ist weiter unstreitig, dass der Antragsteller zur Behandlung seiner Stoffwechselkrankheit derzeit dreimal wöchentlich eine intramuskulär zu verabreichende Vitamin B- Spritze benötigt. Allerdings ergibt sich aus den Verwaltungsvorgängen, dass diese Spritzen einmal in der Woche vom Hausarzt verabreicht werden, wodurch dem Antragsteller zusätzliche Kosten nicht entstehen. Wie sich auch aus den von ihm vorgelegten Rechnungen ersehen lässt, benötigt der Antragsteller die Hilfe eines ambulanten Pflegedienstes lediglich zweimal wöchentlich. Nur insoweit ist mithin ein weiterer Hilfebedarf glaubhaft gemacht.
Dem Antragssteller kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, der Träger der stationären Einrichtung sei verpflichtet, die Versorgung mit den Spritzen sicherzustellen. Dies ergibt sich auch nicht aus dem Nachranggrundsatz, wonach Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält (§ 2 Abs. 1 BSHG). Zwar folgt hieraus auch die Verpflichtung des Hilfesuchenden, seine Ansprüche gegenüber Dritten geltend zu machen, um hierdurch seine Notlage zu beseitigen. Die Leistungsverpflichtung des Sozialhilfeträgers entfällt nach § 2 Abs. 1 BSHG aber nur dann, wenn ein möglicher Anspruch rechtzeitig realisierbar ist, um den Bedarf des Hilfe-suchenden zu decken (vgl. hierzu Brühl, in LPK - BSHG m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Es kann dabei offen bleiben, ob und inwieweit der Antragssteller auf der Grundlage des abgeschlossenen Heimvertrages einen Anspruch gegenüber dem Einrichtungsträger auf eine Versorgung mit den Vitamin B- Spritzen hat. Es ist unstreitig, dass der Antragsteller die benötigte Behandlung von der Einrichtung nicht erhält. Es kann dem Antragsteller auch nicht zugemutet werden, vor einer Inanspruchnahme des Antragsgegners zunächst zivilrechtlich gegen den Einrichtungsträger vorzugehen, denn der bestehende Behandlungsbedarf ist unaufschiebbar. Mithin ist der Antragsgegner verpflichtet, die Kosten für die von dem Antragsteller benötigten Injektionen in dem tenorierten Umfang vorerst zu übernehmen, wobei es ihm unbenommen bleibt, einen möglichen Anspruch des Antragsstellers gegenüber dem Einrichtungsträger auf sich überzuleiten (§ 90 BSHG).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.