Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 08.05.2001, Az.: 4 A 158/99
Familiengerechte Hilfe; Nachranggrundsatz; Unterhaltsansprüche
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 08.05.2001
- Aktenzeichen
- 4 A 158/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40196
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 11 BSHG
- § 2 BSHG
- § 7 BSHG
Tatbestand:
Der Kläger begehrt (ergänzende ) Hilfe zum Lebensunterhalt. Er ist im 16. Oktober 1979 geboren und besuchte in dem hier maßgebenden Zeitraum die Fachoberschule Wirtschaft in U. . Bis zum 14. Juli 1997 lebte er in einem Haushalt mit seiner Mutter und seinem Stiefvater. Zum 15. Juli 1997 bezog er eine eigene Wohnung und beantragte am 29. Juli 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt. Zur Begründung gab er an, er erhalte keine Leistungen nach dem BAföG, weil er die Schule von der Wohnung seiner Mutter aus zumutbar erreichen könne. Die Wohnung habe er angemietet, weil seine Mutter nach H. ziehen wolle und er sich mit seinem Stiefvater nicht verstehe. Der Kläger bezog neben Kindergeld und Wohngeld auch Einkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung.
Mit Bescheid vom 3. August 1999 lehnte die Stadt U. den Antrag des Klägers ab. Es habe keine Notwendigkeit dafür bestanden, dass der Kläger eine eigene Wohnung anmiete. Sollte seine Mutter nach H. verziehen, könne der Kläger auch dort die Schulausbildung fortsetzen. Die Mutter des Klägers könne sich nicht durch einen Wegzug ihrer Unterhaltspflicht entziehen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den seine Mutter für ihn mit Schreiben vom 4. August 1999 begründete. Für den Kläger sei es notwendig gewesen, eine eigene Wohnung anzumieten, weil sie selbst eine unbefristete Beschäftigung in H. angenommen habe. Sie könne den volljährigen Kläger nicht gegen seinen Willen zu einem Ortswechsel zwingen. Der Kläger sei auch hyperaktiv und sei deswegen seit Jahren in ärztlicher Behandlung gewesen. Das Zusammenleben mit ihm sei sehr belastend und habe in der Vergangenheit zu ernsthaften Zerwürfnissen zwischen ihr und ihrem Ehemann geführt. Der Familie stehe lediglich Wohnraum von einer Größe von 55 qm zur Verfügung, drei Erwachsene könnten sich nicht aus dem Weg gehen. Sie sei psychisch nicht mehr in der Lage, mit ihrem Sohn in einer Wohnung zu leben. Sie beabsichtige nicht, sich ihrer Unterhaltspflicht zu entziehen, sie sei aber nicht leistungsfähig.
Mit Bescheid vom 17. August 1999 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte er im Wesentlichen die Gründe des Bescheides der Stadt U. .
Am 13. September 1999 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentliche vor: Da er volljährig sei, sei ihm nicht zumutbar, weiter bei seiner Mutter und seinem Stiefvater zu wohnen. Seine Mutter sei auch nicht barunterhaltspflichtig, weil sie nicht leistungsfähig sei. Insbesondere müsse sie auch ihren Ehemann unterhalten, der zur Zeit kein ausreichendes Einkommen beziehe.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Stadt U. vom 3. August 1999 in Form des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 17. August 1999 aufzuheben und den Beklagte zu verpflichten, ihm ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen die Gründe der angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat in dem hier maßgeblichen Zeitraum bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt auf der Grundlage der §§ 11, 12 BSHG. Ein derartiger Anspruch ist - wie der Beklagte zutreffend angenommen hat - nicht nach § 26 Abs. 1 BSHG ausgeschlossen, weil diese Regelung in der vorliegenden Fallgestaltung gemäß § 26 Abs. 2 Nr. 1 BSHG nicht anwendbar ist. Auch der Nachranggrundsatz, wonach Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen erhält, steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Der Kläger konnte zunächst nicht darauf verwiesen werden, weiterhin bei seiner Mutter und seinem Stiefvater zu wohnen. Zwar kann der Hilfesuchende Hilfe zum Lebensunterhalt nicht beanspruchen, wenn ihm von einem Unterhaltsverpflichteten Naturalunterhalt angeboten wird, durch den der Hilfebedarf gedeckt werden kann und dessen Annahme dem Hilfeempfänger zumutbar ist. Hier fehlt es aber bereits an einem entsprechenden Angebot der Mutter des Klägers; denn ihrem Schreiben vom 4. August 1999 lässt sich ersehen, dass sie einen weiteren Verbleib des Klägers in der gemeinsamen Wohnung gerade nicht mehr wünschte. Sie war auch nicht verpflichtet, dem volljährigen Kläger weiter Naturalunterhalt zu gewähren.
Der Kläger war auch nicht verpflichtet, vorrangig mit gerichtlicher Hilfe Barunterhalt von seiner Mutter zu verlangen. Grundsätzlich kann (mit Ausnahme der in § 91 Abs. 1 Satz 3 BSHG geregelten Fälle) ein Hilfeempfänger allerdings darauf verwiesen werden, zunächst Unterhaltsansprüche gegenüber Verwandten ersten Grades geltend zu machen und notfalls gerichtlich durchzusetzen, wenn dies eine geeignete, zumutbare und verhältnismäßige Möglichkeit ist, den Hilfebedarf zu beseitigen, wobei eine Eignung u.a. nur dann vorliegt, wenn der Anspruch rechtzeitig im Bedarfszeitraum realisierbar ist (vgl. Brühl in LPK - BSHG, § 2 Rn. 22 ff m.w.N.). Hier kann offen bleiben, inwieweit der Kläger gegenüber seiner Mutter einen Anspruch auf Barunterhalt hatte, insbesondere, ob die Mutter des Klägers finanziell hinreichend leistungsfähig war. Jedenfalls war es dem Kläger nicht zumutbar, gegen die Weigerung seiner Mutter, ihm Barunterhalt zu leisten, um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen. Bei der Frage, ob einem Hilfeempfänger zumutbar ist, gegen einen Unterhaltsverpflichteten vorzugehen, ist u.a. auch der Grundsatz der familiengerechten Hilfe zu beachten (§ 7 BSHG). Danach sollen bei der Gewährung der Sozialhilfe die besonderen Verhältnisse in der Familie des Hilfesuchenden berücksichtigt werden; die Sozialhilfe soll die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenhalt der Familie festigen. Berücksichtigt man diese Grundsätze, konnte von dem Kläger nicht verlangt werden, eine einstweilige Verfügung gegen seine Mutter auf Zahlung von Barunterhalt zu erwirken. Wie sich den Verwaltungsvorgängen ersehen lässt, hatte der Kläger keinen Kontakt zu seinem leiblichen Vater, andere familiäre Bindungen als diejenige zu seiner Mutter, waren nicht ersichtlich. Dabei war das Verhältnis zu seiner Mutter wegen der Probleme, die sich nach den unbestrittenen Darlegungen des Klägers beim Zusammenleben ergeben hatten, ohnehin belastet. Es war dem Kläger deswegen nicht zumutbar, gegen seine Mutter gerichtlich vorzugehen, und ein tiefergehendes Zerwürfnis zu riskieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.