Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 04.03.1999, Az.: Ss 40/99 (I/9)

Agent provocateur ist stets bei Ausführung der von ihm hervorgerufenen Straftat über den Versuch hinaus zu bestrafen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
04.03.1999
Aktenzeichen
Ss 40/99 (I/9)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 33031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1999:0304.SS40.99I.9.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 10.09.1998 - AZ: 5 Js 12573/95

Verfahrensgegenstand

Anstiftung zum Vergehen nach dem Arzneimittelgesetz

In dem Strafverfahren
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 04. März 1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx und
die Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx
gemäß § 349 Abs. 4 StPO
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 10. September 1998 aufgehoben.

Die Angeklagten werden freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

1

Das Amtsgericht hat beide Angeklagte wegen Anstiftung zur vorsätzlichen Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Vorlage der erforderlichen Verschreibung in jeweils sechs Fällen verurteilt, und zwar den Angeklagten xxx zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 60,- DM und den Angeklagten xxx zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 150,- DM.

2

Gegen dieses Urteil haben beide Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

3

Auf die Berufungen hat das Landgericht unter Verwerfung der Rechtsmittel im übrigen das Urteil des Amtsgerichts dahin geändert, daß die Angeklagten wegen mittelbarer Anstiftung zur vorsätzlichen Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne Verschreibung in drei Fällen verurteilt werden, und zwar der Angeklagte xxx zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30,- DM und der Angeklagte xxx zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 425,- DM. Im übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen.

4

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte xxx der in xxx eine Apotheke betreibt, im Jahre 1993 den Angeklagten xxx damit beauftragt, bei in xxx ansässigen konkurrierenden Apothekern Testkäufe durchzuführen, um u.a. herauszufinden, ob diese Apotheker rezeptpflichtige Medikamente ohne Rezept abgäben. Der Angeklagte xxx verfügt über vieljährige Erfahrungen in der Durchführung von Testkäufen in Apotheken. Dabei hat er Grundkenntnisse über Arzneimittel erworben. Dem Angeklagten Neuschäffer selbst bzw. von ihm beauftragten anderen Personen sind am 27.9., 30.9. und 4.11.1993 bei Testkäufen verschreibungspflichtige Medikamente ohne Verschreibung ausgehändigt worden. Die so erlangten Arzneien wurden von dem Angeklagten xxx - mit Aufklebern zur späteren Identifizierung und einem Testprotokoll versehen - an den Angeklagten xxx übersandt, der sie vernichtete und Strafanzeige gegen die betroffenen Kollegen stellte.

5

Das Landgericht hat in dem Verhalten der Angeklagten eine mittelbare (Ketten-)Anstiftung zur vorsätzlichen unerlaubten Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten ohne entsprechende ärztliche Verschreibung gemäß § 96 Ziff. 11 i.V.m. § 48 Abs. 1 AMG i.V.m. § 26 StGB gesehen. Es hat angenommen, die Grundsätze der Lockspitzelproblematik könnten hier keine Anwendung finden, weil die Angeklagten die Taten über einen Versuch hinaus zur Vollendung hätten kommen lassen. Im Rahmen der Strafzumessung hat es ausgeführt, bei der Vorgehensweise der Angeklagten sei eine abstrakte Gefährdung der Volksgesundheit nicht ausgeschlossen gewesen und der Schutzzweck des § 96 AMG deswegen berührt.

6

Die Revisionen der Angeklagten führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch der Angeklagten.

7

Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, daß in den o.g. Fällen Apotheker bewußt vorschriftswidrig Medikamente ohne eine entsprechende Verschreibung an die Testkäufer abgegeben und sich deshalb einer vollendeten vorsätzlichen Straftat gemäß §§ 96 Ziff. 11, 48 Abs. 1 AMG schuldig gemacht haben. Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch angenommen, die Angeklagten hätten in Kauf genommen, daß es im Rahmen der von ihnen initiierten Testkäufe zu vorsätzlichen Verstößen der Apotheker gegen das Arzneimittelgesetz gekommen ist. Der äußere Straftatbestand der den Angeklagten vorgeworfenen, ist somit verwirklicht worden. Eine Bestrafung der Angeklagten wegen Anstiftung kommt jedoch trotz Vollendung der Haupttat nicht in Betracht, weil der hinter der formellen Tatbestandserfüllung liegende eigentliche Unrechtserfolg - hier die Gefährdung des Rechtsguts der Volksgesundheit - von vornherein nicht beabsichtigt war und auch nicht eingetreten ist.

8

Die Annahme des Landgerichts, der agent provocateur sei stets zu bestrafen, wenn die von ihm hervorgerufene Straftat über den Versuch hinaus ausgeführt wird, ist in dieser allgemeinen Form rechtlich nicht zutreffend. Für die Tatprovokation eines Verdächtigen im Bereich des Betäubungsmittelrechts ist es anerkannt, daß derjenige bestraft wird, der die Verletzung des durch den Straftatbestand geschützten Rechtsguts will oder damit rechnet. Will der Provokateur dies nicht und kann er annehmen, daß die Gefährdung des Rechtsguts durch ein Eingreifen staatlicher Behörden verhindert wird, kann ihm ein strafbares Verhalten mangels Vorsatzes nicht zur Last gelegt werden, vgl. BGH StV 1981, 549. Diese Grundsätze auch auf von Selbstverwaltungskörperschaften wie Apothekerkammern zu Kontrollzwecken durchgeführte Testkäüfe anzuwenden; begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Vergleichbar damit kommt jedenfalls unter den hier vorliegenden Voraussetzungen der Ausschluß eines vorsätzlichen Verhaltens auch der Angeklagten in Betracht.

9

Das Landgericht hat im einzelnen festgestellt, daß die Angeklagten die Testkäufe zu dem Zweck durchgeführt haben, zu überprüfen, ob konkurrierende Apotheker bereit seien, verschreibungspflichtige Medikamente ohne Verschreibung abzugeben. Es ging den Angeklagten darum, etwaige Verstöße gegen das Arzneimittelgesetz beweissicher nachzuweisen. Die im Wege der Testkäufe erlangten Medikamente sind, nachdem sie für die Beweisführung nicht mehr erforderlich waren, von dem Angeklagten Wohlert als Apotheker vernichtet worden.

10

Die von dem Angeklagten xxx initiierten Testkäufe unterscheiden sich in der Art und Weise ihrer Durchführung nicht von denjenigen, die von den Apothekerkammern unter Einschaltung von Testkäufern durchgeführt werden. In beiden Fällen dienen die Testkäufe der Aufdeckung etwaiger Pflichtverletzungen von Apothekern. Entscheidend bei der Beurteilung des Verhaltens der Angeklagten ist, daß sie eine mögliche Gefährdung der Volksgesundheit nicht in Kauf genommen haben. Nach der unwiderlegten Einlassung des Angeklagten xxx war sichergestellt, daß die Arzneien an den Apotheker xxx und nicht unkontrolliert an Verbraucher gelangten. Zu einer Gefährdung des geschützten Rechtsguts Volksgesundheit ist es tatsächlich auch nicht gekommen. Da der mißbilligte Erfolg im Sinne der Strafbestimmungen des Arzneimittelgesetzes, - die unkontrollierte Abgabe von Medikamenten an Verbraucher -, mithin weder beabsichtigt war noch eingetreten ist und insoweit weitere Feststellungen in einer neuen Verhandlung auch nicht zu erwarten sind, kommt eine Bestrafung der Angeklagten als Anstifter zu einer Straftat nach dem Arzneimittelgesetz nicht in Betracht. Sie waren deswegen freizusprechen.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO.