Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 27.02.2018, Az.: 15 A 883/17

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
27.02.2018
Aktenzeichen
15 A 883/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74462
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Derzeit ist nicht von einer Gruppenverfolgung der Yeziden aus dem Gebiet Shingal/ Sindjar/ Sindschar auszugehen.

Allein die Zugehörigkeit zur Sheikh-Kaste genügt nicht, um daraus im Falle der Rückkehr eine konkrete Verfolgungsgefahr herzuleiten.

Die Voraussetzungen für die Zuerkennung subsidiären Schutzes liegen vor. Im Einzelfall kann eine inländische Fluchtalternative in die Region Kurdistan-Irak angenommen werden (hier verneint).

Tenor:

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger subsidiären Schutz gem. § 4 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Januar 2017 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

Der am 23. Oktober 1994 geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volks- und yezidischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 21. Dezember 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 1. September 2016 einen Antrag auf Asyl, den er auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz beschränkte.

In seiner Anhörung gab er gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge an, er habe zuletzt mit seiner Familie bei Sindschar/ Shingal/ Sinjar gelebt. Sie hätten flüchten müssen, weil der IS gekommen sei. Die Yeziden seien im Irak nirgends sicher.

Mit Bescheid vom 23. Januar 2017 lehnte das Bundesamt die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und auf subsidiären Schutz ab, stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, drohte die Abschiebung in den Irak an und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung.

Die Behauptung des Klägers, er habe vor der Flucht vor dem IS mit seiner Familie in Sindschar sei nicht glaubhaft. Gemäß dem vorgelegten Personalausweis und dem vorgelegten am 21. April 2015 ausgestellten Führerschein sei er in der kurdischen Provinz Dohuk, Stadt Dohuk geboren und dort auch registriert. Dass der Personalausweis bereits am 24. Juli 2012 in Sumel (Provinz Dohuk) und damit vor dem vorgetragenen Einmarsch des IS in Sindschar, Provinz Ninive, im August 2014 ausgestellt worden sei, spreche gegen eine Herkunft aus der Provinz Ninive und für eine Herkunft aus dem kurdischen Autonomiegebiet. Auch seien keine Dokumente vorgelegt worden, die eine Herkunft aus Sindschar belegten. Außerdem lebten die Mutter und eine Schwester weiterhin in Kurdistan.

Der Kläger hat am 8. Februar 2017 Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen darauf, dass er aufgrund seiner yezidischen Glaubenszugehörigkeit der Gruppenverfolgung durch den IS unterliege. Zeugen könnten bestätigen, dass er mit seiner Familie bis zuletzt in Borek gelebt und gewohnt habe. Es sei richtig, dass er in dem jetzigen Gebiet Kurdistans zur Welt gekommen sei. Weil sich die Familie, wie viele Yeziden, nicht getraut habe, nach Mosul zu fahren, um entsprechende Ärzte und Krankenhäuser zu besuchen, sei die Geburt im Krankenhaus in Dohuk vollzogen worden. Bereits vor August 2014 sei die Situation in Mosul sehr unsicher gewesen. Deshalb müssten auch die Neuausstellungen bzw. Erneuerungen der Personenstandsurkunden dort erfolgen. Auch seine Familie lebe mittlerweile nicht mehr im Irak, sondern in der Türkei.

Gefahrerhöhend sei zu berücksichtigen, dass Sippenverfolgung drohe, weil seine Verwandten bereits in Deutschland lebten und ihnen mittlerweile auch die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt sei. Zudem sei er als junger Sheikh zuständig für die Jugend seiner Muridenkaste und dazu verpflichtet, seinen Muriden in den zurückeroberten Dörfern beizustehen. Im Rahmen dieser Reisetätigkeit sei er für muslimische Bewohner unschwer als yezidischer Würdenträger erkennbar und damit in besonderem Maße Repressionen und Schikanen ausgesetzt. Im Falle einer Rückkehr würden die kriminellen Gruppen davon ausgehen, dass er im Ausland zu Wohlstand gekommen sei oder reiche Verwandte im Ausland habe, was ihn zu einem bevorzugten Opfern für Überfälle oder Entführungen machen würde. Zudem habe das Bundesamt in vergleichbaren Fällen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, woran die Beklagte aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes gebunden sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 23. Januar 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise ihm subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzusprechen,

weiter hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf den Irak vorliegen.

Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren, in dem Parallelverfahren des Vaters des Klägers, 15 A 878/17, sowie dem bereits abgeschlossenen Verfahren der Schwester des Klägers, Frau R., 3 A 613/11, und die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Im Hauptantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist die Klage unbegründet. Hinsichtlich des Hilfsantrages ist die Klage jedoch begründet, weil die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG zuzuerkennen. Der Bescheid vom 23. Januar 2017 ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

a) Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.

Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3 a Abs. 1 AsylG Handlungen, die (Nr. 1) auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist, oder (Nr. 2) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgungsgründe sind nach § 3 b Abs. 1 AsylG zu berücksichtigen die Rasse, die Religion, die Nationalität einschließlich der Zugehörigkeit zu einer kulturellen und ethnischen Gruppe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, worunter auch die Zugehörigkeit aufgrund des Geschlechts gehört, sowie die politische Überzeugung. Eine Verfolgung kann nach § 3 c AsylG ausgehen von (Nr. 1) dem Staat, (Nr. 2) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (Nr. 3) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Der Prüfung der Bedrohung i.S.v. § 3 AsylG ist unabhängig von der Frage, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits vorverfolgt, also auf der Flucht vor eingetretener bzw. unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat, oder ob er unverfolgt ausgereist ist, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - juris, Rn. 22). Dabei setzt die unmittelbar - d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung eine Gefährdung voraus, die sich schon so weit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne Weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt aktuell rechnen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 - juris, Rn. 14). Soweit eine Vorverfolgung eines Schutzsuchenden im Sinne von Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes festzustellen ist, kommt ihm die Beweiserleichterung gemäß dieser Vorschrift zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a.a.O., Rn. 18). Die Vermutung nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, dass der Antragsteller „erneut von einem solchen Schaden bedroht wird“, setzt einen inneren Zusammenhang zwischen der Vorschädigung und dem befürchteten künftigen Schaden voraus (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 - juris, Rn. 31). Denn die der Vorschrift zu Grunde liegende Vermutung, erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht zu sein, beruht wesentlich auch auf der Vorstellung, dass eine Verfolgungs- oder Schadenswiederholung - bei gleichbleibender Ausgangssituation - aus tatsächlichen Gründen naheliegt (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 - Rn. 21 - juris). Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU erstreckt. Zu beachten ist, dass eine Vorverfolgung nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einem anderen Teil des Herkunftsstaates verneint werden kann. Folglich greift im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung die Beweiserleichterung auch dann, wenn im Zeitpunkt der Ausreise keine landesweit ausweglose Lage bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a.a.O., Rn. 18).

Ist der Schutzsuchende dagegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr von Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt.

Ob die Voraussetzungen des § 3 AsylG erfüllt sind oder nicht, richtet sich gem. § 77 Abs. 1 AsylG nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Kläger liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vor.

Der Kläger hat im Irak keine individuelle Verfolgung erlitten und auch nicht glaubhaft gemacht, dass er eine solche mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten hat. Als Grund für seine Ausreise hat der Kläger vorgetragen, dass er sein Heimatland aus Angst vor dem IS verlassen habe.

Die Gefahr eigener Verfolgung für einen Ausländer, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG begehrt, kann sich nicht nur aus gegen ihn selbst gerichteten Maßnahmen ergeben (anlassgeprägte Einzelverfolgung), sondern auch aus gegen Dritte gerichteten Maßnahmen, wenn diese Dritten wegen eines asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren Lage befindet (Gefahr der Gruppenverfolgung).

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 21. April 2009 - 10 C 11.08 - juris) setzt die Feststellung einer Gruppenverfolgung Folgendes voraus:

„Dabei ist je nach den tatsächlichen Gegebenheiten auch zu berücksichtigen, ob die Verfolgung allein an ein bestimmtes unverfügbares Merkmal wie die Religion anknüpft oder ob für die Bildung der verfolgten Gruppe und die Annahme einer individuellen Betroffenheit weitere Umstände oder Indizien hinzutreten müssen. Die Annahme einer alle Gruppenmitglieder erfassenden gruppengerichteten Verfolgung setzt - abgesehen von den Fällen eines (staatlichen) Verfolgungsprogramms (vgl. hierzu Urteil vom 5. Juli 1994 - BVerwG 9 C 158.94 - BVerwGE 96, 200 <204>) - ferner eine bestimmte "Verfolgungsdichte" voraus, welche die "Regelvermutung" eigener Verfolgung rechtfertigt (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 20). Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in flüchtlingsrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Voraussetzung für die Annahme einer Gruppenverfolgung ist ferner, dass die festgestellten Verfolgungsmaßnahmen die von ihnen Betroffenen gerade in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale treffen. Ob eine in dieser Weise spezifische Zielrichtung vorliegt, die Verfolgung mithin "wegen" eines der in § 60 Abs. 1 AufenthG genannten Merkmale erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 a.a.O. <204 f.>). Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie mit Rücksicht auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität des Flüchtlingsrechts den Betroffenen einen Schutzanspruch im Ausland nur vermittelt, wenn sie im Herkunftsland landesweit droht, d.h. wenn auch keine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die vom Zufluchtsland aus erreichbar sein muss.

Diese ursprünglich für die unmittelbare und die mittelbare staatliche Gruppenverfolgung entwickelten Grundsätze sind prinzipiell auch auf die private Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure übertragbar, wie sie nunmehr durch § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG (entsprechend Art. 6 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie -) ausdrücklich als schutzbegründend geregelt ist (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 21 f.).

Ob Verfolgungshandlungen gegen eine bestimmte Gruppe von Menschen in deren Herkunftsstaat die Voraussetzungen der Verfolgungsdichte erfüllen, ist von den Tatsachengerichten aufgrund einer wertenden Betrachtung im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung zu entscheiden. Dabei muss zunächst die Gesamtzahl der Angehörigen der von Verfolgungshandlungen betroffenen Gruppe ermittelt werden. Weiter müssen Anzahl und Intensität aller Verfolgungsmaßnahmen, gegen die Schutz weder von staatlichen Stellen noch von staatsähnlichen Herrschaftsorganisationen im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. a und b AufenthG einschließlich internationaler Organisationen zu erlangen ist, möglichst detailliert festgestellt und hinsichtlich der Anknüpfung an ein oder mehrere unverfügbare Merkmale im Sinne von § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG nach ihrer objektiven Gerichtetheit zugeordnet werden. Alle danach gleichgearteten, auf eine nach denselben Merkmalen zusammengesetzte Gruppe bezogenen Verfolgungsmaßnahmen müssen schließlich zur ermittelten Größe dieser Gruppe in Beziehung gesetzt werden, weil eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen kann (vgl. Urteil vom 18. Juli 2006 a.a.O. Rn. 24).“

Gemessen an diesen Grundsätzen droht dem Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Gruppenverfolgung.

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser Minderheiten durch staatliche Behörden findet im Irak nicht statt. Die irakische Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an (Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 12. Februar 2018, S. 10 f.; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - BFA - der Republik Österreich vom 24. August 2017/23. November 2017, S. 100; UK Home Office, Country Information and Guidance: Iraq: Religious minorities, 12.08.2016, S. 7 ff., 28 ff.).

Dem Kläger droht im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung auch keine Gruppenverfolgung durch nichtstaatliche Akteure, namentlich durch die Terrormiliz IS.

Zwar spricht einiges dafür, dass von einer Vorverfolgung des Klägers auszugehen ist. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, dass die Furcht vor zukünftiger Verfolgung begründet ist, wenn eine Verfolgung in der Vergangenheit bestanden hat, ist im vorliegenden Fall aber widerlegt.

aa) Als vorverfolgt gilt ein Schutzsuchender dann, wenn er aus einer durch eine eingetretene oder unmittelbar bevorstehende politische Verfolgung hervorgerufenen ausweglosen Lage geflohen ist. Die Ausreise muss das objektive äußere Erscheinungsbild einer unter dem Druck dieser Verfolgung stattfindenden Flucht aufweisen. Das auf dem Zufluchtsgedanken beruhende Asyl- und Flüchtlingsrecht setzt daher grundsätzlich einen nahen zeitlichen (Kausal-) Zusammenhang zwischen der Verfolgung und der Ausreise voraus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2008 - 2 BvR 2141/06 -, juris Rn. 20).

Das Gericht geht zunächst davon aus, dass die Geschehnisse im Nordirak in der Provinz Ninive im Sommer 2014, bei welchen der IS unter anderem die von den Yeziden bewohnten Ortschaften in der Region um Sindschar unter seine Kontrolle gebracht und die überwiegende Mehrheit der Einwohner vertrieben und eine erhebliche Anzahl an Yeziden getötet oder entführt hat, jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt den Anforderungen an eine Gruppenverfolgung entsprachen  (so auch VG Hannover, Urteil vom 15. August 2014 - 6 A 9853/14 - juris). Im Rahmen einer Offensive am 3. August 2014 eroberte der IS die Stadt Sindschar und das nördlich anschließende Gebirge. Da die Yeziden den Angriffen durch den IS nach dem Rückzug der dort stationierten Peschmerga schutzlos ausgeliefert waren, flohen etwa 300.000 bis 400.000 Yeziden aus der Region (die Zahlen schwanken je nach Quelle, vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2017, Seite 12 sowie ACCORD, Anfragebeantwortung: Siedlungsgebiete und Lage der JesidInnen vom 2. Februar 2017). Etwa 40.000 - 60.000 Yeziden begaben sich ins Sindschar-Gebirge, wo sie vom IS umzingelt wurden und erst durch das Eingreifen von PKK-Kämpfern und einen von diesen geschaffenen Korridor über Syrien in die Autonome Region Kurdistan fliehen konnten. Im Verlauf der Angriffe durch den IS wurden in Sindschar und den yezidischen Dörfern der Region zwischen 5000 und 7000 Yeziden vom IS ermordet, tausende junge Yezidinnen wurden entführt und befinden sich teilweise heute noch in der Gewalt des IS. Das Europäische Parlament hat die Übergriffe des IS auf die religiösen Minderheiten im Irak als Genozid bewertet (vgl. ausführlich Oehring, Christen und Jesiden im Irak: Aktuelle Lage und Perspektiven vom 14. Juni 2017, Seite 20 ff.; Zeit online vom 13. Juni 2016, abrufbar unter http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-06/jesiden-nordirak-islamischer-staat; Lagebericht vom 7. Februar 2017, Seite 12 sowie ACCORD, Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa, vom 2. Februar 2017). Angesichts der Tatsache, dass von den ursprünglich etwa 450.000 bis 500.000 in Ninive und Dohuk lebenden Yeziden etwa 75 % - also etwa 375.000 Personen - im traditionellen Siedlungsgebiet Sindschar (inkl. des Subdistrikts al-Khataniya) zwischen Mosul und der syrischen Grenze lebten (vgl. hierzu ausführlich Urteil vom 3. Juni 2014 - 3 A 4590/13 - V.n.b.) und sich nach dem Einmarsch des IS lediglich noch etwa 40.000 Yeziden (so Zeit online vom 13. Juni 2016) und damit nur ca. 10,7 % der ursprünglichen Bevölkerung in der Region Sindschar aufhalten sollen und die weit überwiegende Mehrheit der yezidischen Bevölkerung vertrieben, getötet oder entführt worden ist, ist von einer hinreichenden Verfolgungsdichte auszugehen. Eine Gruppenverfolgung der Yeziden aus Sindschar ist damit jedenfalls für den Sommer 2014 anzunehmen.

bb) Bei dem Kläger handelt es sich um einen Yeziden, der der Sheikh-Kaste zugehörig ist. Daran hat auch die Beklagte keinen Zweifel. Das Gericht ist - entgegen der Annahme der Beklagten, auch davon überzeugt, dass der Kläger, wie er selbst angegeben hat, aus dem bei Sindschar gelegenen Dorf Borek stammt.

Zur Begründung im Einzelnen wird auf die ausführliche Begründung im Urteil vom heutigen Tage betreffend den Vater des Klägers verwiesen (15 A 878/17). Die im gerichtlichen Verfahren vorgetragene Erklärung für die Angaben in Personalausweis und Führerschein des Klägers, der die Beklagte nicht entgegengetreten ist, nach der Neuausstellungen bzw. Erneuerungen der Urkunden durch die Generaldirektion für die Staatsangehörigkeit und das Zivilwesen in der Region Kurdistan  erfolgen müsse, weil er in dem jetzigen Gebiet Kurdistans zur Welt gekommen sei, ist für das Gericht auch nachvollziehbar.

cc) Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU, dass die Furcht des Klägers vor zukünftiger Verfolgung begründet ist, weil, wenn man eine Gruppenverfolgung zum Zeitpunkt der Ausreise bejaht, eine Verfolgung in der Vergangenheit bestand, ist im vorliegenden Fall aber widerlegt, da stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Sindschar erneut von einer Gruppenverfolgung bedroht sein wird. Denn der IS wurde zwischenzeitlich deutlich nach Süden bzw. Südwesten zurückgedrängt. Er hat einen Großteil des eroberten Territoriums und damit einhergehend wichtige Einnahmequellen aus Ölverkäufen wieder verloren (https://isis.liveuamap.com/en/time/27.02.2018). Die Städte Sindschar und Ramadi wurden bereits Ende 2015 zurückerobert (Auswärtiges Amt, Lagebericht Irak vom 7. Februar 2017, S. 12), Qaraqosh, Tal Kayf, Bashiqa und Bartalla wurden Ende 2016/ Anfang 2017 befreit (Lifos Thematic Report „The security situation in Iraq: July 2016 – November 2017“ vom 18. Dezember 2017, Seite 24), Mosul im Juli 2017 (vgl. nur http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-07/irak-mossul-befreiung-islamischer-staat-al-abadi?print; http://www.tagesschau.de/ausland/irak-mossul-121.html), und weite Teile der 70 km westlich von Mosul gelegenen Stadt Tal Afar konnten infolge der am 20. August 2017 begonnenen Offensive der irakischen Armee und der US-geführten Anti-IS-Koalition Ende August 2018 als vom IS befreit beschrieben werden (vgl. http://www.zeit.de/politik/ausland/2017-08/irak-islamischer-staat-tal-afar-befreit; http://www.zeit.de/politik/2017-08/islamischer-staat-irakische-armee-tal-afar-zurueckerobert; http://mobil.stern.de/news/irakische-armee-erobert-tal-afar-von-dschihadistenmiliz-is-zurueck-7595160.html?utm_campaign=alle-nachrichten&utm_medium=rss-feed&utm_source=standard,). Ab dem 3. November 2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 % jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welche er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte. Kleinere Wüstengebiete gehören nach wie vor noch zum IS-Terrain. Der IS befindet sich auch noch in Teilen der Provinzen Ninewa, Salah-Din und Anbar. Einzelne Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu den Gebieten, die für die Streitkräfte noch schwer zu halten sind. (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Irak des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - BFA - der Republik Österreich vom 24. August 2017/23. November 2017, S. 8, 18, 20, 48 ff.). Am 9. Dezember 2017 hat der irakische Premierminister al-Abadi die Niederlage des IS im gesamten Staatsgebiet verkündet und im Hinblick darauf, dass nationale Sicherheitskräfte das Staatsgebiet kontrollieren, den Krieg gegen die Gruppierung für beendet erklärt (ACCORD, 9. Dezember 2017, unter Hinweis auf BBC-News bzw. Radio Free Europe/ Radio Liberty). Die Front verläuft mittlerweile seit mehreren Monaten in rund 70 km Entfernung südlich von Sindschar (vgl. hierzu das täglich aktualisierte Kartenmaterial unter https://isis.liveuamap.com/en/time/27.02.2018).

Gegen eine fortbestehende Gefahr für Yeziden spricht auch, dass mittlerweile Yeziden wieder in das Gebiet von Sindschar zurückkehren. Der stellvertretende Bürgermeister von Sindschar berichtete im Dezember 2017, dass seit der Befreiung von Sindschar schätzungsweise 4.130 Familien in den Distrikt Sindschar zurückgekehrt seien, insbesondere yezidische Familien aus Sinune und Sindschar. Die humanitären Hilfsorganisationen beziffern die Zahl der Rückkehrer auf 2.000, teilweise ist auch von 15 % der früheren Bevölkerung die Rede. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) geht davon aus, dass im Januar 2018 8.152 Familien im Distrikt Sindschar einschließlich des Sindschar-Gebirges leben. Bei der weit überwiegenden Zahl der Rückkehrer handelt es sich um Yeziden (vgl. UNHCR, Iraq Protection Cluster: Ninewa Returnees Profile - Januar 2018; IOM Iraq, Displacement Tracking Matrix DTM Round 88, Januar 2018; Samaritan’s Purse, Post-Conflict Assessment Minority Communities in Ninewa, Januar 2018, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SP%20Post%20Conflict%20Assessment_Ninewa%202018_Report_010817_final%5B1%5D.pdf; Thomas Reuters Foundation, „Yazidis caught in ‚political football‘ between Baghdad, Iraqi Kurds“, vom 10. Dezember 2017, http://news.trust.org/item/20171210123241-prey1/).

Dass der IS wieder in Richtung Norden ziehen wird und damit erneute Übergriffe auf die religiösen Minderheiten in der Region zu befürchten sind, erscheint angesichts der zwischenzeitlichen Erfolge der Allianz nahezu ausgeschlossen (ebenso VG Augsburg, Urteile vom 15. Januar 2018 - Au 5 K 17.35594 -, juris Rn. 40, und vom 3. April 2017 - Au 5 K 17.30512 -, juris Rn. 22; VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juni 2017 - 3 A 3731/16 -, juris Rn. 37; VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Oktober 2017 - A 10 K 1508/17 -, juris Rn. 29).

dd) Daraus, dass Sindschar eine hohe Bedeutung für verschiedene rivalisierende Gruppen mit völlig unterschiedlichen Interessenlagen hat (vgl. dazu etwa mena-watch, Jesiden im Irak: Bittere Befreiung vom IS, vom 30. Mai 2017, https://www.mena-watch.com/sinjar-bittere-befreiung/; FAZ vom 25. November 2015, „Befreiung vom IS: Die Schmach von Sindschar sitzt tief“, http://www.faz.net/aktuell/politik/kampf-gegen-den-terror/keine-ruhe-in-sindschar-trotz-peschmerga-befreiung-vom-is-13928029.html?printPagedArticle=true#pageIndex_0) und dementsprechend nach wie vor um die Vorherrschaft über dieses Gebiet gekämpft wird, insbesondere durch Anhänger der offiziell der irakischen Regierung unterstehenden, aber iranisch unterstützten Einheiten der Volksmobilisierung al-Hashd al-Shaabi (PMU - Popular Mobilization Unit), eine aus 60 bis 70 Milizen bestehende paramilitärische Einheit, die zusammen etwa 140.000, teilweise auch yezidische Kämpfer befehligen und maßgeblichen Anteil an der Vertreibung des IS aus dem Gebiet hatte (vgl. insbesondere zu den politischen Zielen der PMU etwa C.A. Ohlers, Jamestown Foundation, „The Uncertain Future of Iraq’s Popular Mobilization Units“, Terrorism Monitor, In-depth analysis of the War on Terror, Vol. XVI, Issue 3, 8. Februar 2018, https://jamestown.org/wp-content/uploads/2018/02/TM_February-8-2018.pdf?x87069; vgl. auch Institute for the Study of War, Iraqi security forces and popular mobilization forces: orders of battle, Dezember 2017, http://www.understandingwar.org/report/iraqi-security-forces-and-popular-mobilization-forces-orders-battle-0; ACCORD: Anfragebeantwortung zum Irak: (Zwangs-)Rekrutierung durch schiitische Milizen: Sunniten, Schiiten, spezifische Gruppen; Konsequenzen bei Entziehung einer Rekrutierung [a-10079], 27. März 2017, https://www.ecoi.net/de/dokument/1396974.html), daneben aber auch durch irakische Söldner, das türkische Militär, Peschmerga und Guerilla der PKK lässt sich nicht herleiten, dass nach wie vor eine Verfolgung der aus diesem Gebiet stammenden Yesiden gerade aufgrund ihrer yezidischen Glaubenszugehörigkeit droht und damit ein für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erforderlicher Verfolgungsgrund i.S.d. § 3 b AsylG vorliegt. Vielmehr legen die dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel (u.a. auch der Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak (Stand: Dezember 2017) vom 12. Februar 2018 sowie ACCORD vom 2. Oktober 2017, Lage der JesidInnen, insbesondere in der Provinz Ninawa) nahe, dass für diese Gruppen mit ihren widerstreitenden Interessen die Glaubenszugehörigkeit der im Distrikt Sindschar lebenden Personen keine Rolle spielt.

ee) Das durch Spannungen geprägte Verhältnis von Yeziden zu Muslimen begründet ebenfalls nicht die Annahme einer Gruppenverfolgung. Zwar wird immer wieder von Belästigungen durch strenggläubige Muslime berichtet, die nicht mit Yeziden zusammen leben wollen und diese als Ungläubige schmähen. Auch kommt es zu Benachteiligungen am Arbeitsmarkt und andere Diskriminierungen (vgl. UK Home Office, Country Information and Guidance, Iraq: Religious minorities, August 2016, S. 19 f., 24 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche vom 20. Mai 2016 zum Irak). Hieraus ergibt sich aber nicht die nach § 3a AsylG erforderliche Eingriffsintensität bzw. die für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte (VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Oktober 2017 - A 10 K 1508/17 -, juris Rn. 30 m.w.N.). Denn als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG gelten Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 EMRK keine Abweichung zulässig ist, oder die nach Nr. 2 in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Daraus folgt, dass die Verfolgungshandlungen ein gewisses Maß an Schwere aufweisen müssen, um unter § 3a AsylG zu fallen. Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG müssen die begrifflichen Kriterien einer Foltermaßnahme oder einer unmenschlichen Behandlung oder Bestrafung erfüllen. Weniger schwerwiegende Beeinträchtigungen werden nicht erfasst (VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juni 2017 - 3 A 3731/16 -, juris Rn. 22 m.w.N.).

ff) Es sind auch keine beachtlichen Nachfluchtgründe gegeben, die die Rückkehr des Klä-gers in den Irak unzumutbar erscheinen lassen würden, weil sie mit beachtlicher Wahr-scheinlichkeit zu Verfolgungshandlungen im oben genannten Sinne führen würden.

Dabei ist eine „auf eine absehbare Zeit ausgerichtete Zukunftsprognose“ vorzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 1981 - 9 C 237.80 -, juris Rn. 14). Dieser Maßstab entspricht im Wesentlichen dem von der Richtlinie 2011/95/EU vorausgesetzten und auch in der Flüchtlingsdefinition („begründete Furcht vor Verfolgung“, Art. 2 Buchst. d) der Richtlinie) angelegten Maßstab (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. März 2007 - 1 C 21.06 - juris, Rn. 24). Beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung ist dann anzunehmen, wenn bei der vorzunehmenden „zusammenfassenden Bewertung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts“ die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Maßgebend ist damit letztlich der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit. Die Zumutbarkeit bildet das vorrangige qualitative Kriterium, das bei der Beurteilung anzulegen ist, ob die Wahrscheinlichkeit einer Gefahr „beachtlich“ ist. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Schutz suchenden Ausländers nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG, Vorlagebeschluss vom 7. Februar 2008 - 10 C 33.07 - juris, Rn. 37; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 13. August 1990 - 9 B 100.90 - juris, Rn. 6).

Bei dem Kläger handelt es sich um einen Yeziden, der der Sheikh-Kaste zugehörig ist. Daran hat auch die Beklagte keinen Zweifel. Allein diese Tatsache, genügt indes noch nicht, um daraus herzuleiten, dass ihm im Falle einer Rückkehr eine konkrete Verfolgung droht. Ihm wäre es zumutbar, soweit er eine Gefährdung während der Ausübung seiner Pflichten als Sheikhs befürchtet, diese in unauffälligerer Weise wahrzunehmen, also insbesondere ohne das Tragen der klassischen weißen Kleidung. Da die Wahrnehmung seiner Aufgaben auch ohne das traditionelle Gewand möglich ist, wäre darin keine Beschränkung seiner Religionsausübungsfreiheit (sofern diese davon überhaupt tangiert wäre) zu sehen. Dass es den yezidischen Sheikhs zum eigenen Schutz grundsätzlich möglich ist, die ihnen zugeordneten Muriden ohne religiöse Bekleidung zu besuchen, ergibt sich auch aus dem Gutachten des Europäischen Zentrums für kurdische Studien (EZKS) vom 21. Mai 2014. Danach ist es auch möglich, die Betreuung der Muriden zur eigenen Sicherheit regional weiter einzuschränken, ggf. auf weitere Reisen durch politisch instabile Gebiete zu verzichten und nur die in der Nähe wohnenden Muriden persönlich und im Übrigen, wie es der Vater des Klägers nach dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung auch derzeit handhabt, nur telefonisch zu betreuen. Mögliche finanzielle Einbußen, die ein Sheikh dadurch erleiden könnte, dass ggf. nicht mehr alle Muriden-Familien aufgesucht werden würden, führen als rein wirtschaftlicher Aspekt ebenfalls nicht zu einer Verfolgung im Sinne des § 3 a AsylG (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 21. Februar 2018 - 3 A 5773/16 -).

gg) Ein auf den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG gestützter Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil die Beklagte nach Aussage des Klägers anderen yezidischen Flüchtlingen in vergleichbaren Fällen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt habe, besteht nicht. Die Vorschriften über die Entscheidung über den Asylantrag im Sinne des § 13 AsylG eröffnen der Beklagten kein Ermessen, welches durch eine Selbstbindung der Verwaltung reduziert werden könnte.

2. Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf die hilfsweise begehrte Zuerkennung von subsidiärem Abschiebungsschutz. Nach § 4 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär Schutzberechtigter, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht.

Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG sind hier gegeben. Danach gilt als ernsthafter Schaden eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (entsprechend Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU). Vom Vorliegen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes auszugehen, wenn die regulären Streitkräfte eines Staates auf eine oder mehrere bewaffnete Gruppen treffen oder wenn zwei oder mehrere bewaffnete Gruppen aufeinandertreffen, ohne dass dieser Konflikt als bewaffneter Konflikt, der keinen internationalen Charakter aufweist, im Sinne des humanitären Völkerrechts eingestuft zu werden braucht und ohne dass die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der vorhandenen bewaffneten Streitkräfte oder die Dauer des Konflikts Gegenstand einer anderen Beurteilung als der des im betreffenden Gebiet herrschenden Grads an Gewalt ist (EuGH, Urteil vom 30. Januar 2014 - C-285/12 -, Leitsatz). Für die Frage, ob eine Person bei Rückkehr in den Irak einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben infolge willkürlicher Gewalt ausgesetzt ist, ist auf die tatsächlichen Verhältnisse in ihrer Herkunftsregion abzustellen (vgl. BVerwG, Urteile vom 17. November 2011 - 10 C 13.10 -, juris Rn. 16, und vom 14. Juli 2009 - 10 C 9.08 -, juris Rn. 17). Ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt liegt nicht schon bei inneren Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder ähnlichen Handlungen vor. Vielmehr muss ein Konflikt ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen, wie dies etwa bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen oder Guerillakämpfen der Fall ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 22).

Nach diesen Maßgaben ist hier davon auszugehen, dass für den Kläger im Falle einer Rückkehr in den Irak eine individuelle Bedrohung i.S.d. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG vorliegt. Wie bereits ausgeführt stehen sich aufgrund der großen symbolischen, strategischen und politischen Bedeutung Sindschars mit Einheiten der Volksmobilisierung al-Hashd al-Shaab, irakischen Söldnern, dem türkischen Militär, Peschmerga und Guerilla der PKK verschiedene rivalisierende und bewaffnete Gruppen mit gegenläufigen Interessen gegenüber, deren jeweiliges Ziels es ist, ohne Rücksicht auf die dort (noch) lebende Bevölkerung die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Hinzu kommt die Gefahr verstärkter terroristischer Anschläge durch den IS nach dessen territorialer Zurückdrängung (Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar 2018, Seite 15).

Zwar genügt es grundsätzlich nicht, dass im Herkunftsstaat des Ausländers ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt besteht, der zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und schweren Menschenrechtsverletzungen führt. Denn für die individuelle Betroffenheit bedarf es einer Feststellung zur Gefahrendichte, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung des Tötungs- und Verletzungsrisikos umfasst. Erst auf der Grundlage der quantitativen Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, ist eine wertende Gesamtbetrachtung zur individuellen Betroffenheit des Klägers möglich, für den keine individuellen gefahrerhöhenden Umstände festgestellt worden sind (BVerwG, Urteil vom 13. Februar 2014 - 10 C 6.13 -, juris Rn. 24).

Hier ist im Rahmen der wertenden Gesamtbetrachtung zur individuellen Betroffenheit allerdings zu berücksichtigen, dass es, wie ausführlich dargestellt, in jüngster Vergangenheit zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen gegen die im Bereich Sindschar lebende Bevölkerung, zu der auch der Kläger gehörte, gekommen ist. Es kam zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen, Menschenhandel, Rekrutierung von Kindersoldaten, Zwangsvertreibungen und Massenmord (vgl. UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016, S. 4; Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar 2018, S. 11). Zwar sind mittlerweile teilweise Bewohner in diese Region zurückgekehrt, große Teile der Bevölkerung, die nicht getötet worden sind oder sich noch immer in den Händen des IS befinden, lehnen eine Rückkehr aber derzeit ab, weil sie eine fortbestehende Gefahrenlage annehmen, der sie sich auszusetzen nicht bereit sind, weil eine Rückkehr von dritter Seite aus gezielt verhindert wird oder wesentliche Teile der Region völlig zerstört sind und ein Wiederaufbau noch nicht begonnen hat. Der IS hat sich nach der Vertreibung der Bevölkerung mehr als ein Jahr lang in der Stadt festgesetzt, bis die internationale Koalition begonnen hat, den IS aus der Luft zu bombardieren. Der Wiederaufbau der Stadt hat noch nicht begonnen (vgl. etwa Berichte aus Sindschar vom 25. Oktober und 29. November 2016, 10. Dezember 2017, https://www.schwaebische.de/ueberregional/politik_artikel,-ein-angriff-aus-der-ebene-_arid,10551663.html; https://www.schwaebische.de/ueberregional/politik_artikel,-verbrannte-erde-im-irak-_arid,10572511.html; https://www.schwaebische.de/ueberregional/politik_artikel,-der-br%C3%BCchige-frieden-im-nordirak-_arid,10784554.html; Bericht vom 7. September 2016 zu Sindschar, http://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/jesiden-im-nordirak-er-bricht-zusammen-als-wuerde-die-wirklichkeit-ueber-ihn-hereinbrechen/14020214-2.html; Bericht vom 21. August 2017 zum Sindschar-Gebirge, http://www.deutschlandfunk.de/sindschar-gebirge-im-nordirak-zoegerliche-rueckkehr-der.1773.de.html?dram:article_id=393957; Samaritan’s Purse, Post-Conflict Assessment Minority Communities in Ninewa, Januar 2018, S. 5; ACCORD vom 2. Oktober 2017, S. 9; vgl. auch Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 12. Februar 2018, S. 11).

Bei dieser Ausgangslage ist eine auch nur ansatzweise Einschätzung des Gefährdungsrisikos auf der Grundlage der bereits nicht valide erhobenen Gewalthandlungen der verschiedenen sich in Sindschar gegenüberstehenden Konfliktparteien (vgl. https://www.iraqbodycount.org/database/, die für die Provinz Ninewa keine aktuellen Daten enthält) gegen die bisher gegenüber der früheren Bevölkerungsdichte zudem nur in geringer Zahl zurückgekehrten Personen nicht möglich. Dies kann jedoch nicht zu Lasten des Klägers gehen.

Bei einer Schädigung durch nichtstaatliche Akteure ist Voraussetzung, dass der Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des § 3 d AsylG zu bieten. Der Schutz vor Verfolgung muss wirksam und darf nicht nur vorübergehend sein. Dies ist nach den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln derzeit anzunehmen.

Es besteht auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung für den Kläger keine zumutbare inländische Fluchtalternative (§ 3 e AsylG).

Nach § 3e Abs. 1 Nr. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er 1. in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und 2. sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.

Eine Rückkehr nach Sindschar ist für den Kläger nicht möglich, da die Stadt nach den vorliegenden Erkenntnismitteln zwar befreit, aber auch weitgehend zerstört ist.

Eine Fluchtalternative hält das Gericht für nicht gegeben (siehe allgemein zur Lage der Binnenvertriebenen und Rückkehrer UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016).

Hier kann von dem Kläger vernünftigerweise auch nicht erwartet werden, sich in die unter kurdischer Kontrolle stehenden Gebiete zu begeben. Nach Auswertung der in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel ist zwar nicht davon auszugehen, dass derzeit die Gefahr einer Gruppenverfolgung für die Angehörigen der Yeziden in den kurdisch verwalteten Provinzen des Irak, hier insbesondere in der Provinz Dohuk, anzunehmen ist.

Die Yeziden waren in ihren traditionellen Siedlungsgebieten des Nordirak seit Sommer 2014 wie bereits ausgeführt durch den Vormarsch der Terrororganisation IS systematischer Verfolgung ausgesetzt und ihnen drohten Zwangskonversion, Massenvertreibungen und Hinrichtungen sowie Verschleppungen und sexuelle Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Kinder (vgl. etwa ACCORD vom 2. Februar 2017). Viele Angehörige der Yeziden haben in den kurdischen Autonomiegebieten Zuflucht gefunden (Lagebericht vom 12. Februar 2018, S. 11 und 18; ACCORD vom 2. Februar 2017), der größte Teil in der Stadt Dohuk und im Distrikt Zakho. Die meisten von ihnen sind in Flüchtlingslagern untergebracht (ACCORD vom 2. Februar 2017). Yezidische Binnenvertriebene können auch weiterhin in die Autonome Region Kurdistan einreisen und haben dort generell weniger Probleme als arabische oder turkmenische Binnenvertriebene. Sie benötigen keine Aufenthaltsgenehmigung und dürfen ihre Ausweisdokumente behalten (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Anfragebeantwortung vom 5. Oktober 2016, S. 5 f). Die unter kurdischer Kontrolle stehenden Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaimaniyya sind nicht von Einheiten des IS unmittelbar bedroht bzw. besetzt, sodass eine Verfolgung der Yeziden durch Angehörige dieser Terrororganisation dort nicht erfolgt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Yeziden in Dohuk eine systematische Verfolgung durch die kurdische Regionalregierung bzw. nichtstaatliche Kräfte droht. In den Gebieten, die unter Kontrolle der kurdischen Regionalregierung stehen, sind Minderheiten vielmehr weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt (Lagebericht vom 12. Februar 2018, S. 11). Dass derartig viele Angehörige der Yeziden sich in die Provinz Dohuk geflüchtet haben, spricht überdies schon für sich genommen dafür, dass eine Verfolgungsgefahr allein aufgrund der Gruppenzugehörigkeit speziell für Dohuk nicht angenommen werden kann (ebenso Bay. VGH, Beschluss vom 9. Januar 2017 - 13a ZB 16.30689 -; VG Oldenburg, Urteil vom 6. Dezember 2017 - 3 A 4436/16 - m.w.N.).

Das Gericht geht auch davon aus, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die kurdischen Autonomiegebiete einreisen könnte. Grundsätzlich können Minderheiten wie die Yeziden wie bereits ausgeführt in die kurdische Autonomieregion einreisen. Zwar gelten teilweise Einreisebeschränkungen für Binnenflüchtlinge wie etwa das Vorweisen eines in der kurdischen Region sesshaften Bürgen (vgl. hierzu BFA vom 5. Oktober 2016, S. 4 f.), allerdings ist der Kläger in Dohuk registriert und gilt daher nicht als Binnenflüchtling, sondern als Einwohner der Provinz Dohuk.

Die Niederlassung in den kurdischen Autonomiegebieten ist in diesem konkreten Einzelfall für den Kläger jedoch nicht zumutbar.

Maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob die Niederlassung zumutbar ist, sind zum einen die am Ort der möglichen inländischen Fluchtalternative allgemeinen Gegebenheiten, zum anderen die individuellen Faktoren des Betroffenen (Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangener Aufenthalt in dem in Betracht kommenden Landesteil, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, gesundheitliche Situation, verfügbares Vermögen). Ergibt sich bei Auswertung dieser Faktoren, dass der Betroffene am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfinden wird, d.h. dort das wirtschaftliche und soziale Existenzminimum gewährleistet ist, ist die Niederlassung zumutbar (Marx, AsylVfG, 8. Auflage 2014, § 3e, Rn. 19 ff.).

Aus den vorliegenden Erkenntnismitteln ergibt sich aber, dass die humanitäre Lage auch in der Autonomen Region Kurdistan, hier in der Region Dohuk, teilweise schwierig ist. Die Region leidet zusätzlich zur herrschenden Wirtschaftskrise unter der großen Anzahl an aufgenommenen Binnenvertriebenen, welche sich überwiegend in einer schlechten ökonomischen Lage befinden (BFA vom 5. Oktober 2016, S. 2). Die Tatsache etwa, dass zahlreiche Flüchtlinge und Binnenvertriebene ohne bzw. mit geringen Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt drängen, bedeutet auch einen schlechteren Zugang für geringqualifizierte irakisch-kurdische Bürger zu vielen Jobs. Es halten sich derzeit über 1,2 Millionen Binnenvertriebene in der Region auf (vgl. Lagebericht 12. Februar 2018, S. 5).

Es kann angesichts der wirtschaftlichen Situation in der kurdischen Autonomieregion und der Vielzahl von anderen, ebenfalls nach Arbeit suchenden Binnenflüchtlingen nicht davon ausgegangen werden, dass es dem Kläger gelingen würde, sich dort ein menschenwürdiges Auskommen zu sichern. Der Kläger befindet sich zwar mit seinen 24 Jahren im arbeitsfähigen Alter und hat gesundheitliche Probleme nicht geltend gemacht. Allerdings verfügt er über keinerlei Ausbildung und hat bis zur Flucht vor dem IS im August 2014 nur seinen Vater in Borek in der Landwirtschaft unterstützt. In der Vergangenheit hat er, der zudem yezidischer Religionszugehöriger ist, nie als Tagelöhner gearbeitet. Die gesamte Familie des Klägers hat nach dessen Angaben, an denen das Gericht keinen Anlass zu Zweifeln hat, den Irak verlassen, so dass eine familiäre Unterstützung des Klägers nicht möglich erscheint.

Mangels vorhandenen Vermögens wäre der Kläger im Falle einer Ansiedelung in Dohuk aller Voraussicht nach gezwungen, in einem Flüchtlingslager um Aufnahme nachzusuchen. Die Rückkehr in ein Flüchtlingslager stellt jedoch zur Überzeugung des Gerichts keine zumutbare Unterbringungsalternative dar (vgl. zur Lage in den Flüchtlingslagern ACCORD, Anfragebeantwortung vom 17. November 2016: Lage von Binnenflüchtlingen, insbesondere in der Region Kurdistan). Das Gericht folgt hierbei der Einschätzung des UNHCR (UNHCR-Position zur Rückkehr in den Irak vom 14. November 2016, S. 25 f.), wonach es angesichts der massenhaften Binnenvertreibungen, der tiefgreifenden humanitären Krise und der zunehmenden Spannungen unter den Volksgruppen für Personen ohne tatsächlich mögliche Unterstützung durch Angehörige im angedachten Aufnahmegebiet nicht zumutbar erscheint, diese auf eine Flucht- oder Neuansiedlungsalternative zu verweisen.

3. Aufgrund der Verpflichtung der Beklagten zur Zuerkennung von Flüchtlingsschutz ist auch die an die Kläger gerichtete Abschiebungsandrohung unter Setzung einer Ausreisefrist rechtswidrig und unterliegt der Aufhebung, da diese nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG erfordert, dass dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird. Entsprechendes gilt für die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG.