Verwaltungsgericht Oldenburg
v. 13.02.2018, Az.: 7 A 119/18

Asyl; Homosexualität; Marokko

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
13.02.2018
Aktenzeichen
7 A 119/18
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2018, 74419
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Derzeit noch kann Homosexualität eines Marokkaners grundsätzlich die Zuerkennung der
Flüchtlingseigenschaft erfordern (hier verneint), auch wenn in Marokko die Häufigkeit von
Bestrafungen Homosexueller und / oder von Übergriffen ihnen gegenüber bereits
abgenommen hat und Liberalisierungstendenzen erkennbar sind.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist der Gerichtsbescheid vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der Kläger ist Marokkaner, verließ nach eigenen Angaben Marokko im Oktober des Jahres 2013, reiste nach Italien, wo er sich für gut ein Jahr aufhielt, über die „Balkanroute“ (S. 13 Beiakte) und Österreich am 5. Januar 2015 nach Deutschland ein, um in Deutschland zu arbeiten, begehrt (u.a.) seine Flüchtlingsanerkennung und beruft sich dafür u.a. auf seine angegebene Homosexualität als Fluchtgrund, wozu in der Niederschrift seiner Anhörung bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Oldenburg vom 23. März 2016 Folgendes im Wortlaut auszugsweise festgehalten ist (S. 48ff. Beiakte):

„Wann haben Sie Marokko verlassen?

Antwort:

Vor zwei Jahren habe ich Marokko verlassen, das genaue Datum kann ich Ihnen nicht mehr

sagen.

Frage:

Wann sind Sie in Deutschland angekommen?

Antwort:

Vor einem Jahr und einem Monat.

Frage:

Und wo haben Sie sich in der Zwischenzeit aufgehalten?

Antwort:

Ich bin in Italien gewesen.

Auf weitere Nachfrage:

Ich habe dort keinen Asylantrag gestellt, aber ich hatte Papiere, die ich verloren habe.

Frage:

Was hatten Sie da für Papiere?

Antwort:

Ich hatte eine Aufenthaltserlaubnis für Italien. Ich hatte dort auch meinen Originalpass, meinen marokkanischen Reisepass.

Frage:

Und wo ist der Pass jetzt geblieben?

Antwort:

Ich habe dort meine Papiere verloren. Ich habe dort in einem Zimmer gewohnt mit anderen Jungs zusammen, mir wurde mein Pass geklaut.

Frage:

Haben Sie Verwandte in Deutschland?

Antwort:

Nein, habe ich nicht.

Frage:

Gibt es noch Verwandte in Marokko, Eltern oder Geschwister?

Antwort:

Ja, die sind alle noch in Marokko.

In Marokko leben noch ein Bruder, eine Schwester und meine Eltern. Der Name meines Vaters ist B., der Name meiner Mutter S. M.

Auf Nachfrage nach der letzten Anschrift im Heimatland:

...

Auf Nachfrage nach den Asylgründen:

Ich bin hier, ich will ehrlich gesagt hier arbeiten. Der zweite Grund ist, dass ich ein Homosexueller bin, und das wird bei uns Arabern nicht gut angesehen.

Frage:

Hatten Sie deswegen Probleme im Heimatland?

Antwort:

Ja, das war der Grund, warum ich mich gezwungen fühlte, das Land zu verlassen.

Frage:

Können Sie mir diese Probleme bitte etwas genauer beschreiben, waren das Probleme mit der Familie, mit dem Staat und wie sahen die genau aus, bitte erzählen Sie mir das ganz genau!

Antwort:

Mit der Polizei und dem Staat hatte ich keine Probleme, aber mit der Familie.

Frage:

Wie sahen diese Probleme so aus?

Antwort:

Mein Vater hat mich einmal erwischt mit jemandem, zusammen mit meinem Freund, mit dem ich zusammen war, hat mich mein Vater in dessen Wohnung erwischt und dann hat er mich bedroht und er hat meinen Freund auch bedroht. Mein Freund ist auch irgendwohin verschwunden.

Frage:

Möchten Sie zu meiner Frage noch mehr sagen?

Antwort:

Nein.

Frage:

Seit wann wissen Sie, dass Sie homosexuell sind?

Antwort:

Vor zweieinhalb Jahren, seitdem weiß ich das.

Frage:

Und was war vorher der Fall, waren Sie verheiratet?

Antwort:

Nein, ich war nicht verheiratet. Mein Leben war so halb gut.

Frage:

Was ist denn vor zweieinhalb Jahren passiert, wie haben Sie denn realisiert, dass Sie plötzlich eine andere sexuelle Orientierung hatten?

Antwort:

So, ich habe das so entdeckt.

Frage: Mehr können Sie nicht dazu sagen?

Antwort: Was gibt es dazu noch zu sagen?

Frage:

Diese Beziehung, die Sie in Marokko gehabt haben wollen, wie ist die so entstanden, wie haben Sie den Mann so kennengelernt, erzählen Sie mir das bitte möglichst genau.

Antwort:

Ich habe meinen Freund jeden Tag gesehen, überwiegend habe ich die Zeit mit ihm verbracht.

Frage:

Haben Sie meine Frage verstanden, ich habe gefragt, wie Sie Ihren Freund kennengelernt haben, wie es zu dieser Beziehung in Marokko gekommen ist?

Antwort:

Der war mein Arbeitskollege. Ich habe ja gesagt, dass ich als Automechaniker gearbeitet habe. Der wohnte zur Miete, wenn wir von der Arbeit fertig waren, gingen wir zu ihm.

Frage:

Wie ist es denn zu Ihrem homosexuellen Kontakt gekommen?

Ich stelle mir das jetzt so vor, Sie arbeiten mit mehreren Männern zusammen, haben Sie den gefragt oder wie war das?

Antwort:

Ich wollte mit ihm schlafen, so wie man mit einem Mädchen schläft.

Frage:

Woher wussten Sie denn, dass Ihr Arbeitskollege auch schwul war?

Antwort:

Ich habe gespürt, wenn ich dieses Thema erwähne, dass er nicht nein sagen wird. Dann bin ich zu ihm gegangen und habe ihm das direkt gesagt. Der eigentliche Grund ist auch, dass ich geflüchtet bin, war dieser Grund.

Frage:

Hat Ihre Familie von dieser Beziehung gewusst?

Antwort:

Meine Familie hat das gewusst, mein Vater war der Allererste.

Frage:

Warum haben Sie das Ihrer Familie erzählt?

Antwort:

Mein Vater hat das gewusst, weil er hat mich erwischt.

Frage:

Heißt das, bevor Ihr Vater Sie erwischt hat, Ihre Familie das nicht gewusst hat?

Antwort:

Nein, haben die nicht.

Frage:

Wie kann ich mir persönlich vorstellen, wie Ihr Vater Sie erwischt hat? Wie konnte der überhaupt in die Wohnung Ihres Freundes kommen?

Antwort:

Der ist zur Wohnung des Freundes gekommen.

Frage:

Das reicht mir nicht, können Sie das bitte noch etwas genauer erklären?

Antwort:

Manchmal kommt er da vorbei. Das ist nichts Neues.

Frage:

Wie kommt Ihr Vater in die Wohnung Ihres Freundes? Hat der einen Schlüssel oder was?

Antwort:

Wir wohnen in einem Gebäude, in dem mehrere Wohnungen sind, die erste Tür war auf und dann ist mein Vater nach oben gegangen, er kam zu der Wohnung, machte die Tür auf und ging rein.

Frage:

Und warum schließen Sie nicht ab, wenn Sie mit Ihrem Freund zusammen sind, das würde sich jawohl anbieten?

Antwort:

Die untere Wohnung ist vermietet.

Frage:

Und was soll mir das jetzt sagen, schließt man nicht, wenn die untere Wohnung vermietet ist, was ist das für ein Zusammenhang?

Antwort:

Wir haben nie abgeschlossen.

Frage:

Wie ist es denn dazu gekommen, dass Sie vor zweieinhalb Jahren gemerkt haben, dass Sie homosexuell sind? Das ist ja eher ungewöhnlich, normalerweise merkt man das als Mann in der Pubertät, also, würden Sie das bitte mal gefühlsmäßig beschreiben, was da mit Ihnen passiert ist?

Antwort:

Wenn ich mit einem Mädchen schlafen möchte, muss ich erst mit einem Mann schlafen, dass ich eine Erektion bekomme.

Frage:

Hatten Sie denn vorher schon Beziehungen zu Frauen?

Antwort:

Ich hatte nicht viele Beziehungen zu Frauen, zwei.

Auf weitere Nachfrage in welchem Alter die erste Beziehung zu einer Frau entstanden ist:

Ganz genau weiß ich das nicht mehr. Jedenfalls habe ich seit drei Jahren kein Mädchen mehr angefasst.

Frage:

In Ihrer Gesellschaft ist es ja so üblich, dass man als junger Mann heiratet und eine Familie gründet, hat Ihre Familie Sie dazu nicht animiert?

Antwort:

Nein, meine Familie hat das Thema nicht erwähnt.

Frage:

Meine Frage konzentriert sich jetzt noch mal auf das Ereignis mit Ihrem Vater, wann war das genau und wobei hat Ihr Vater Sie erwischt?

Antwort:

Wir beide waren im Bett und zugedeckt. Vor zwei Jahren habe ich das Land verlassen, davor war ich dann zwei, drei Monate von Jedida irgendwo verschwunden, es war ungefähr drei Monate, bevor ich das Land verlassen habe. Das war vielleicht 2014.

Frage:

Genauer geht es nicht?

Antwort:

Nein, genauer weiß ich das nicht.

Frage:

Wie hat Ihr Vater reagiert, was ist denn dann passiert, ich muss Ihnen ja auch diesbezüglich alles aus der Nase ziehen, erzählen Sie das doch von sich mal ein bisschen genauer?

Antwort:

Er hat uns erwischt, man stelle sich vor, ein Vater findet seinen Sohn in der Stellung. Unsere Beine hatten uns gerettet. Wir sind dann geflüchtet.

Frage:

Mehr wollen Sie da jetzt nicht zu sagen, oder fällt Ihnen dazu noch vielleicht was Sinnvolles ein?

Antwort:

Nein, mehr will ich dazu nicht sagen.

Frage:

Hatten Sie in Italien eine Beziehung oder hier jetzt in Deutschland?

Antwort:

Ich habe eine Beziehung in Italien aufgebaut, damit ich Aufenthaltspapiere kriegen kann.

Frage:

Mit wem hatten Sie denn da in Italien genau eine Beziehung, damit Sie Aufenthaltspapiere bekommen konnten?

Antwort:

Ich habe dort gearbeitet, da gibt es Zimmer, wo man Betten mieten kann, ich habe ein Bett gemietet und es mit den Jungs getrieben, es waren mehr Araber dort, selten Italiener.

Frage:

Und was hat das jetzt mit Ihren Ausweispapieren zu tun?

Antwort:

Nein, mit den Papieren hatte das nichts zu tun. Das ist nur, weil ich dieses Bedürfnis hatte.

Frage:

Und was ist hier in Deutschland, wie knüpften Sie Beziehungen, haben Sie eine Beziehung?

Antwort:

Noch nicht.

Frage:

Sie sind hier in Deutschland, Sie können Beziehungen voll ausleben, normalerweise wissen Homosexuelle, wo sie Gleichgesinnte treffen können.

Antwort:

Ich kann nur ein paar Wörter Deutsch, das ist mein Problem.

Frage:

Sie waren genau dieselbe Zeit in Italien wie in Deutschland, konnten Sie denn besser Italienisch?

Antwort:

In Italien kommt man leichter zu solchen Ecken, hier in Deutschland nicht.

Auf Vorhalt:

Ich denke mal, dass es in Deutschland für Homosexuelle leichter ist Partner zu finden als in Italien?

Antwort:

Mein Problem hier ist, dass ich nicht reden kann und ich nicht weiß, wo es so etwas wo gibt.

Frage:

Wissen Sie denn, wo sich Ihr Freund aus Marokko derzeit aufhält?

Antwort:

Nein.

Frage:

Hatten Sie danach noch Kontakt mit Ihrer Familie nach der spontanen Flucht aus der Wohnung?

Antwort:

Nein, seitdem ich dort geflüchtet bin, weiß nicht mal meine Mutter, wo ich bin.

Frage:

Was befürchten Sie bei einer Rückkehr nach Marokko?

Antwort:

Ich habe Angst vor vielen Sachen, wenn ich nach Marokko zurückkehren müsste, würde ich nicht zu meiner Familie zurückkehren. Ich habe Angst vor meiner Familie.

Frage:

Welche Befürchtungen haben Sie denn da?

Antwort:

Viele Sachen, ich habe Angst vor meinem Vater. Wenn er mich erwischen würde, er würde mich umbringen.

...“

Die Beklagte lehnte mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Bonn, vom 22. April 2016 seine Begehren ab und forderte ihn unter Abschiebungsandrohung nach Marokko zur Ausreise auf. In den Gründen heißt es u.a. sinngemäß, Homosexualität könne nicht begründend für die Flüchtlingseigenschaft sein.

Der Kläger hat am 11. Mai 2016 Klage erhoben und beantragt laut Klageschrift, Seite 2, wörtlich:

„1. den Bundesamtsbescheid vom 22.04.2016, zugestellt am 27.04.2016, aufzuheben,

2. die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft,

hilfsweise

3. den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

hilfsweise,

4. festzustellen, dass Abschiebungsverbote bestehen.“

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage, über die das Gericht nach Anhörung der Beteiligten vom 15. November 2017 durch Gerichtsbescheid und nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 13. Februar 2018 durch den Einzelrichter entscheidet, ist unbegründet.

Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, vom 22. April 2016, Bonn, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO.

Es spricht nichts dafür,

dass Leben oder Freiheit des Klägers wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung in Marokko bedroht sind (§ 3 Abs. 1 AsylVfG),

ihm in Marokko ein ernsthafter Schaden gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG droht (Satz 2 Nr. 1: Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Satz 2 Nr. 2: Folter oder menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder Satz 2 Nr. 3: eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts),

dass die Abschiebung unzulässig ist, weil sich dies aus der Anwendung der MRK ergibt (§ 60 Abs. 5 AufenthG),

ihm Ansprüche auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG zustehen könnten.

(Das Königreich) Marokko ist eine autokratische Monarchie mit Garantien der Gewaltenteilung und der demokratischen Regierungsführung sowie umfassenden bürgerlichen und politischen Rechten in seiner Verfassung. Allerdings lautet die unantastbare Staatsdevise „Allah, al-Watan, al-Malik“ (Gott, Vaterland, König). Dies bedeutet, dass Kernelemente der marokkanischen Politik mit Unveränderbarkeitscharakter der Islam als Staatsreligion, die territoriale Integrität einschließlich der Westsahara und die Monarchie als Staatsform sind. Verfassungsrechtlich besonders geschützt ist die Rolle des Königs und des Islam. Dabei ist der König zugleich oberste weltliche und oberste geistliche Autorität. Die Verfassung von 2011 enthält institutionelle und materielle Vorgaben, deren Umsetzung schrittweise vorankommt.

Das Justizsystem ist unvollständig. Seine Schwächen sind die Unabhängigkeit der Richter, die Korruptionsprävention und die Modernisierung der Justizverwaltung, an welchen gearbeitet wird. Die Exekutive will rechtsstaatliche Grundsätze achten. Es gibt staatliche und nichtstaatliche Organisationen, die die Einhaltung der rechtsstaatlichen Grundsätze prüfen.

Die Meinungs- und Pressefreiheit werden nicht in vollem Umfang garantiert, sind allerdings ausgeprägt und werden in Anspruch genommen. Lediglich hinsichtlich der roten Linien der marokkanischen Politik – der Islam als Staatsreligion, die territoriale Integrität einschließlich der Westsahara und die Monarchie – wird strafrechtlich geahndet. In diesem Bereich sind auch Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinsfreiheit zu gewärtigen.

Staatlich angeordnete und systematische Folter findet nicht statt, wohl wird von Einzelfällen berichtet. Die marokkanische Regierung indessen lehnt den Einsatz der Folter ab. Sie bemüht sich um Prävention und geht Vorwürfen von Misshandlungen nach.

Die Religionsfreiheit wird eng begrenzt gewährt – der Islam ist Staatsreligion und missionieren ist strafbewehrt. Konversion ist nicht vorgesehen, allerdings auch kein Strafrechtstatbestand.

Strafbewehrt ist jeder außereheliche Geschlechtsverkehr. Insoweit findet Strafverfolgung aber nur in wenigen Fällen statt. Die Homosexualität ist ebenfalls strafbewehrt. Aber sie wird nur bei öffentlichem Ausleben verfolgt. Die Fallzahlen für Strafverfolgung von außerehelichem einvernehmlichen Geschlechtsverkehr jeglicher Art sind nicht gesichert.

Die Situation in Gefängnissen entspricht nicht internationalen Standards, auch wenn im Juni ein Gesetzentwurf mit neuen Standardmindestregeln als Entwurf vorgelegt wurde.

Diese Beschreibung der allgemeinen Lage in Marokko fußt insbesondere auf dem „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko (Stand: März 2017)“, Auswärtiges Amt, Berlin, vom 10. März 2017.

Der Anspruch des Klägers auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft könnte angesichts seiner geltend gemachten Homosexualität zwar grundsätzlich aus § 3 AsylG folgen. Die Voraussetzungen sind aber hier im Einzelfall nicht erfüllt.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach Abs. 1 der Vorschrift ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling i.S. der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nr. 1 beschriebenen Weise betroffen ist. Als Verfolgungsgründe sind nach § 3b AsylG zu berücksichtigen die Rasse, die Religion, die Nationalität, einschließlich die Zugehörigkeit zu einer kulturellen und ethischen Gruppe, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, worunter auch die Zugehörigkeit aufgrund des Geschlechts gehört, sowie die politische Überzeugung. Eine Verfolgung kann nach § 3c AsylG ausgehen von dem Staat, Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder nicht staatlichen Akteuren, sofern die in den Nummern 1 und 2 genannten Akteure, einschließlich internationaler Organisationen, erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.

Für die Bedrohung im Sinne von § 3 AsylG ist unabhängig von der Frage, ob der schutzsuchende Ausländer in seinem Herkunftsstaat bereits vorverfolgt, also auf der Flucht vor eintretender oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat, oder ob er aber unverfolgt ausgereist ist, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 5.09 -, juris, Rn. 22). Dabei setzt die unmittelbar - d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit - drohende Verfolgung eine Gefährdung voraus, die sich schon soweit verdichtet hat, dass der Betroffene für seine Person ohne weiteres mit dem jederzeitigen Verfolgungseintritt rechnen muss (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 - 10 C 24/08 -, juris, Rn. 14). Soweit eine Verfolgung eines Schutzsuchenden i.S.v. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatangehörigen oder Staatenlosen als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie - festzustellen ist, kommt ihm sodann die Beweiserleichterung gemäß dieser Vorschrift zugute. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a.a.O., Rn. 18; BVerwG, Urt. v. 27. April 2010, a.a.O., Rn. 23). Außerdem kann eine Vorverfolgung nicht mehr wegen einer zum Zeitpunkt der Ausreise bestehenden Fluchtalternative in einen anderen Teil des Herkunftslands verneint werden. Folglich greift im Rahmen der Flüchtlingsanerkennung die Beweiserleichterung auch dann, wenn im Zeitpunkt der Ausreise keine landesweit ausweglose Lage bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009, a.a.O. Rn. 18).

Ist der Schutzsuchende dagegen unverfolgt ausgereist, muss er glaubhaft machen, dass ihm mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr der Verfolgung droht, wenn er in sein Heimatland zurückkehrt, ohne dass ihm eine Beweiserleichterung zu Gute käme.

Ob die Voraussetzungen des § 3 AsylG erfüllt können oder nicht, richtet sich nach den Umständen im Zeitpunkt der letzten Tatsachenentscheidung, § 77 Abs. 1 AsylG.

Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben sind die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung nach § 3 Abs. 1 AsylG bei homosexuellen Marokkanern grundsätzlich (unbeschadet der Prüfung des Einzelfalls) erfüllt sein.

So heißt es in o.a. Lagebericht wörtlich hinsichtlich der Frage der Homosexualität unter dem Punkt 1.8.2:

1.8.2 Situation für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle

(LGBTTI)

LGBTTI-Orientierung oder -Identität wird vom marokkanischen Staat nicht anerkannt. Die sexuelle Selbstbestimmung wird durch das generelle Verbot außerehelicher einvernehmlicher sexueller Beziehungen sowie durch die generelle Kriminalisierung der Homosexualität stark eingeschränkt.

Homosexualität muss im Verborgenen gelebt werden. Offen gelebte Homosexualität wird gesellschaftlich nicht toleriert. Art. 489 stellt homosexuelle Handlungen sowohl für Frauen als auch für Männer unter Strafe (Haftstrafen von 6 Monate bis 3 Jahren, Geldstrafen von 200 bis 1000 Dirham). Im Rahmen der Strafrechtsreform wurde diskutiert, die Strafbarkeit homosexueller Handlungen abzuschaffen, dies wird jedoch von der PJD und von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt. Wie außerehelicher Geschlechtsverkehr wird auch Homosexualität, die im Verborgenen gelebt wird, nur in Ausnahmefällen strafrechtlich verfolgt, in der Regel auf Anzeige von Familien oder Nachbarn.

Im Bereich Homosexualität gibt es keine offen und legal agierenden zivilgesellschaftlichen Initiativen. Eine bekannte, aber nicht als NRO registrierte Initiative ist „Aswat“.

Im April 2016 erregte der Fall eines homosexuellen Paares in Beni Mellal großes Aufsehen. Die Männer wurden zu vier Monaten Haft bzw. einer Bewährungsstrafe wegen homosexueller Handlungen verurteilt, nachdem sie von selbst ernannten Sittenwächtern in ihrem Haus zusammengeschlagen und dann der Polizei übergeben wurden. Zwei der fünf Angreifer wurden nach Revision ebenfalls zu vier und sechs Monaten Haft verurteilt.“

Es ist in der Rechtsprechung inzwischen anerkannt, dass in Fällen der Homosexualität die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft dem Grunde nach in Betracht kommen kann (vgl. statt vieler: Urteile des Verwaltungsgerichtes Hamburg vom 10. August 2017 – 2 A 7784/16 -, und des Verwaltungsgerichtes Köln vom 14. Juli 2017 – 3 K 1080/16.A –, jew. juris und mit weiteren Nachweisen).

Das Gericht folgt nicht den insoweit veralteten Gründen des angegriffenen Bescheides.

Homosexuelle gehören grundsätzlich aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu einer sozialen Gruppe i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Grundsätzlich – abgesehen von Fragen des Einzelfalls – kann ihr (der Gruppe der homosexuell Orientierten) in Marokko Verfolgung drohen (Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -, Vnb., mwN.).

Homosexuelle bilden in Marokko idR eine soziale Gruppe i.S.d. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Nach dieser Vorschrift gilt eine Gruppe insbesondere dann als bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemeinsam haben oder Merkmale, oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter. Diese gesetzlichen Vorgaben entsprechen Art. 10 Abs. 1 lit. d Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU (und auch Qualifikationsrichtlinie a.F. - 2004 -) Nach der Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Vierte Kammer, Urteil vom 7. November 2013 – C-199/12 bis C-201/12 –, juris) ist Art. 10 Abs. 1 lit. d Qualifikationsrichtlinie a.F. (Richtlinie 2004/83/EG) dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Zwar stelle allein der Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher noch keine Verfolgungshandlung i.S.d. Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. c Qualifikationsrichtlinie a.F. dar (vgl. auch §§ 3a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 AsylG). Seien hingegen homosexuelle Handlungen mit Freiheitsstrafe bedroht und würden im Herkunftsland, das eine entsprechende strafrechtliche Regelung erlassen hat, diese Strafen auch tatsächlich verhängt, so sei dies als unverhältnismäßige diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stelle somit eine Verfolgungshandlung dar. Nicht beanstandet hat der EuGH allerdings die Regelung, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie die homosexuellen Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten strafbar sind (vgl. z.B. pädophile Straftaten). Andererseits können bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die zuständigen nationalen Behörden nicht erwarten, dass der Schutzsuchende seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden (Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -).

Ausgehend davon, dass die Homosexualität als eine für die Identität einer Person ein so bedeutsames Merkmal darstellt, dass sie nicht zu einem Verzicht darauf gezwungen werden soll, erlaubt ferner das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen in Marokko, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung, dass diese Personen eine deutlich abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach den vorliegenden Erkenntnissen stehen homosexuelle Handlungen in Marokko unter Strafandrohung. Gemäß Art. 489 des Marokkanischen Strafgesetzbuches vom 26. November 1962 wird jede Person, die „schamlose oder widernatürliche“ Handlungen mit einer Person des gleichen Geschlechts vollzieht, mit einer Haftstrafe zwischen sechs Monaten und drei Jahren und einer Geldstrafe von 120 bis 1000 Dirham bestraft, es sei denn, es kommen erschwerende Umstände hinzu (Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 - dort z.B. Auskunft von amnesty international an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 1. April 2015 und Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko mit Stand Dezember 2015, S. 13, sowie Schweizer Flüchtlingshilfe, Auskunft Marokko, Homosexualität, S. 1).

Gemessen an den im o.a. Urteil des EuGH aufgestellten Maßstäben, drohte jedenfalls in der Vergangenheit einem Homosexuellen in Marokko dem Grunde nach staatliche Verfolgung. Art. 489 des Marokkanischen Strafgesetzbuches wurde in der Praxis angewendet und führte auch zu Verurteilungen (Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -). So wurden im Mai 2015 drei Männer zu je drei Jahren Haft, dem Maximalstrafmaß verurteilt. Zwei der drei Männer wurde der Vollzug homosexueller Handlungen vorgeworfen, der Dritte musste sich wegen Prostitution vor Gericht verantworten, da ihm vorgeworfen wurde, den Kontakt zwischen den beiden anderen Männern hergestellt zu haben (Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage im Königreich Marokko Stand: Dezember 2015 S. 13, Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -). Im Dezember 2014 wurden zwei Männer in Hoceima in einem beschleunigten Verfahren nach Art. 489 des Marokkanischen Gesetzbuches verurteilt, nachdem sie bei einer Polizeikontrolle im Dezember 2014 durch Sprechweise und Bewegung als homosexuell auffielen. Beide Männer gaben später zu, sexuelle Handlungen mit gleichgeschlechtlichen Partnern vollzogen zu haben (Auskunft amnesty international ans Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 1. April 2015, S. 2, zit. nach: Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -). Im Herbst 2014 wurden in Marrakesch ein britischer Tourist und dessen marokkanischer Freund festgenommen und, weil „homosexuelle Bilder“ auf dem Mobiltelefon des Touristen gefunden wurden, zu vier Monaten Haft verurteilt (Schweizer Flüchtlingshilfe Auskunft Marokko Homosexualität, S. 2 f; BBC News Gay Briton Ray Cole released from Moroccan jail vom 7. Oktober 2014, www.bbc.com/news/uk-england-29530341, Aufruf am 24. Februar 2016, Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 - . Im April 2014 wurden sechs Männer in der Kleinstadt Fqih Bensalah verhaftet und am 12. Mai 2014 wegen homosexueller Handlungen, Prostitution, Betrunkenheit in der Öffentlichkeit und Fahren unter Alkoholeinfluss verurteilt (Schweizer Flüchtlingshilfe Auskunft Marokko Homosexualität, S. 2). Auch in den Jahren 2013 und 2007 hatte es offenbar Verurteilungen wegen Homosexualität gegeben (Auskunft amnesty international ans Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 1. April 2015 S. 2 f.), vgl. zum Ganzen Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -. Inzwischen berichtet das Auswärtige Amt allerdings nur noch vom o.a. Einzelfall aus April 2016 und zudem von Liberalisierungstendenzen (Lagebericht 2017, aaO., S. 16), so dass die Fortentwicklung in Marokko abzuwarten bleibt.

Wenn einem Mann wegen seiner Homosexualität in Marokko eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure i.S.v. § 3c Nr. 3 AsylG droht, wird ihm von dem marokkanischen Staat ausreichend Schutz i.S.v. von 3d AsylG in der Regel nicht geboten. Es ist allerdings grundsätzlich nicht davon auszugehen, dass dem Betroffenen ausreichender staatlicher Schutz zur Verfügung steht, da angesichts der Tatsache, dass Homosexualität per Gesetz kriminalisiert ist, nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich Opfer von homosexueller Gewalt an die Behörden wenden könnten (so amnesty international Auskunft an VG Düsseldorf vom 1. April 2015 S. 3., Schweizer Flüchtlingshilfe Auskunft Marokko Homosexualität, S. 7, Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -). Insoweit kommt es mithin einzelfallweise darauf an, ob der Betroffene bereits vorverfolgt bzw. von einer Verfolgung unmittelbar bedroht i.S.v. Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU war (s.o.).

Schließlich stehen bzw. standen jedenfalls in der Vergangenheit innerstaatliche Fluchtalternativen gemäß § 3e AsylG nicht zur Verfügung. So kam es in den vergangenen Jahren in verschiedenen Landesteilen Marokkos zu Verhaftungen und Verurteilungen wegen homosexuellen Handlungen oder Homosexualität (s.o.). Auch waren die Handlungen der lokalen Polizei in Marrakesch gegenüber jungen marokkanischen Männern, die mit Touristen zusammen sind, oft nicht berechenbar (Schweizer Flüchtlingshilfe Auskunft Marokko Homosexualität, S. 3; Gay Times Magazine, Morocco Bound, März 2008). Es ist deshalb davon auszugehen, dass in Marrakesch lebende Marokkaner, die nicht mit Touristen zusammen sind, erst recht unberechenbare Handlungen der Polizei zu befürchten haben könnten, Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 24. Februar 2016 - 1 A 4022/14 -.

Dennoch verbleibt es hier im Ergebnis bei dem angegriffenen Bescheid vom 22. April 2016:

Die Flüchtlingseigenschaft ist hier im Einzelfall deshalb nicht zuzuerkennen, weil sich die Darstellung der Homosexualität durch den Kläger nur auf ein einziges Erleben homosexuellen Kontaktes beschränkt und im Übrigen auch unglaubhaft ist.

Das Geschilderte bewegt sich noch nicht im Bereich einer sexuellen Orientierung, sondern stellt insoweit nur selber eine erste Orientierung dar. Es handelt sich um ein Ausprobieren, eine Experimentierphase, das Erforschen der eigenen Möglichkeiten und Wünsche, nicht um eine gefestigte Präferenz. Derzeit ist und damals war beim Kläger alles disponibel. Schon der Umstand, seit Ausreise keinerlei Kontakt zum angeblichen Freund gehabt zu haben, zeigt deutlich auf, dass von einer Verfestigung hier nicht die Rede sein kann, die aber erforderlich ist. Mehr kann der Kläger auch nicht dartun. Mangels öffentlicher Wahrnehmung in Marokko gibt es auch keine eventuell relevante Zuschreibung des Merkmals der Homosexualität. Daher kann der Kläger unbehelligt in Marokko leben. Dies reicht aber zur Anwendung der aufgezeigten Grundsätze weder für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft noch für die ansonsten geltend gemachten Ansprüche aus. Das Gericht hält die vorgegebenen Gründe hinsichtlich der sexuellen Orientierung des Klägers mithin nicht für ausreichend und für zu unsubstantiiert, um die geltend gemachten Ansprüche begründen zu können.

Dies gilt erst Recht, weil die dargetanen Gründe insgesamt nicht glaubhaft sind. Der Vortrag des Klägers bleibt vage, detailarm und oberflächlich. Streckenweise wirkt er aufgesetzt. Nur auf Nachfrage(n) wird der Kläger etwas konkreter, verwickelt sich aber zugleich in weitere Unglaubhaftigkeiten, z. B. mit seiner Antwort zu der Frage, warum die Türe nicht abgeschlossen gewesen sei, wenn er Besuch vom angeblichen Freund gehabt haben will. Dementsprechend unglaubhaft ist die Schilderung der angeblichen Betroffenheit durch den Vater, die das Gericht dem Kläger nicht abnimmt. Unterstützt wird die Unglaubhaftigkeit durch die (im Übrigen stereotypen) Legenden über das Verlieren von Papieren und den Aufenthalt in Italien. Das Gericht glaubt dem Kläger nur, dass er nach Deutschland gekommen ist, um zu arbeiten, was allerdings hier rechtlich keine Rolle spielt.

Schließlich hat der Kläger im gerichtlichen Verfahren keine Gründe vorgetragen und ist die Frist nach § 74 Abs. 2 AsylG fruchtlos verstrichen, obwohl insoweit hinreichend Nachfrist gesetzt worden war und zudem der Kläger Akteneinsicht genommen hat. Daher bezieht sich das Gericht zur weiteren Begründung des vorliegenden Gerichtsbescheides auf die im Übrigen allerdings zutreffenden Gründe des Bescheides, § 77 Abs. 2 AsylG.