Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 08.10.2018, Az.: 10 UF 91/18
Anforderungen an die Ausgestaltung begleiteten Umgangs fremd untergebrachter Kinder mit ihren Eltern
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 08.10.2018
- Aktenzeichen
- 10 UF 91/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 12058
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 13.04.2018 - AZ: 607 F 4588/17
Rechtsgrundlagen
- BGB § 1666
- BGB § 1666a
Fundstellen
- FuR 2019, 349-350
- Jugendhilfe 2019, 342
Amtlicher Leitsatz
Der begleitete Umgang von fremduntergebrachten Kindern mit deren Eltern hat sich an den individuellen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung der bei getrenntlebenden Eltern entwickelten Grundzüge zu orientieren. In der Regel genügt es wegen des kindlichen Zeitempfindens nicht, dass nur einmal monatlich Umgang zwischen einem Kleinstkind und seiner Mutter stattfindet.
Tenor:
Die Beschwerde der Kindesmutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Hannover vom 13. April 2018 wird mit folgender Berichtigung in Abs. 1 des Tenors, welcher künftig wie folgt lautet, zurückgewiesen:
Der Mutter wird die elterliche Sorge für Q. E., geboren am ... 2017, entzogen.
Gerichtskosten werden für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten trägt jeder Beteiligte selbst.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
In dem Verfahren geht es um einen Sorgerechtsentzug betreffend die einjährige Tochter der Beschwerdeführerin. Die langjährig unter einer schizoaffektiven Störung leidende Kindesmutter war vor der Entbindung des Kindes wegen einer verstärkten psychotischen Symptomatik in der Medizinischen Hochschule H. geschlossen untergebracht worden (Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 26. April 2018, Az. 674 XVII E 1051). Für den notwendigen Kaiserschnitt musste die zwangsweise Behandlung der Mutter und Fixierung gerichtlich genehmigt werden (vgl. Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 4. Mai 2018, Az. 674 XVII E 1051). Die Tochter ist gleich nach der Geburt in Obhut genommen worden. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf den angegriffenen amtsgerichtlichen Beschluss Bezug genommen.
Ergänzend ist anzumerken, dass der Kindesvater nach wie vor nicht bekannt ist. Die Kindesmutter lebt derzeit noch im Frauenhaus und gibt an, regelmäßig das Medikament Olanzapin einzunehmen. Ihr Betreuer bemüht sich darum, ihre Wohnsituation zu verbessern. Der Beschwerdeführerin ist nicht bekannt, in welcher Pflegefamilie ihre Tochter lebt, sie hat jedoch einmal monatlich begleitete Umgangskontakte, die vom Pflegekinderdienst organisiert werden. Die Kindesmutter wünscht sich häufigere Kontakte.
Auch im Beschwerdeverfahren ist der Kindesmutter, dem Verfahrensbeistand sowie dem Jugendamt Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Auf das Anhörungsprotokoll vom 27. September 2018 wird ergänzend verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg und ist damit zurückzuweisen. Der Senat schließt sich den Erwägungen des Amtsgerichts vollumfänglich an, wonach derzeit allein der Entzug der elterlichen Sorge gemäß §§ 1666, 1666a BGB die notwendige Gewähr zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung bietet. Aufgrund ihrer psychischen Erkrankung ist die Kindesmutter unverschuldet nicht dazu in der Lage, hinreichend die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und auf diese zu reagieren. Ebenso wenig kann sie das noch besonders schutzbedürftige Kleinkind vor den allgemeinen Gefahren hinreichend bewahren.
1. Der Senat geht ebenso wie das Amtsgericht angesichts der Erkenntnisse aus dem Betreuungsverfahren beim Amtsgericht Hannover zum Az.: 674 XVII E 1051 von einer chronischen psychischen Erkrankung der Kindesmutter aus, die danach an einer gemischten schizoaffektiven Störung leidet. Sie steht seit mehreren Jahren unter Betreuung und wird medikamentös behandelt. Insbesondere in psychotischen Phasen waren immer wieder Unterbringungen in geschlossenen Einrichtungen notwendig. Die Kindesmutter ist auch aus ärztlicher Sicht unterstützungsbedürftig, und im Falle der fehlenden Medikamenteneinnahme drohen immer wieder neue Dekompensationen (vgl. Stellungnahme Dr. C. vom 11. Juli 2016, Az.: 674 XVII E 1051).
Die Kindesmutter verfügt nur über eine eingeschränkte Krankheitseinsicht, wie sich auch in der mündlichen Anhörung vor dem Senat erneut bestätigt hat. Obgleich die Kindesmutter in der Anhörung durchaus ruhig und einigermaßen stabil gewirkt hat, waren ihre psychischen Auffälligkeiten evident. So kreisten ihre Gedanken allein um ihre eigene aktuelle Situation, ohne dass sie Fragen zum Kind beantworten konnte. Zugleich fehlte ihr die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und die geäußerten Zukunftspläne ließen jeglichen Realitätsbezug fehlen. Ihre aktuellen Probleme im Frauenhaus führte sie allein auf die dortigen Mitbewohnerinnen und das Fehlen von afrikanischen Bekannten zurück. Die Kindesmutter wünscht sich weiterhin, dass sie eine eigene Wohnung mit dem - nicht näher bekannten - Kindesvater sowie dem Kind beziehen kann. Ferner deutete der Vormund des Kindes an, dass die Mutter es in Erwägung gezogen habe, mit der Tochter zurück nach Afrika zu gehen.
Diese gesundheitliche Verfassung der Kindesmutter verhindert, dass sie mit dem Kind in eine kindgerechte Interaktion treten kann und Gefahren von diesem abwendet. So wurde auch im Rahmen der begleiteten Umgangskontakte deutlich, dass es für die Kindesmutter schwierig ist, die Bedürfnisse des Kindes überhaupt zu erkennen und angemessen auf dessen Wünsche zu reagieren. Ferner reichte die Kindesmutter wiederholt und entgegen der ausdrücklichen Bitte der Begleiter Bonbons an das Kind, obwohl dies aufgrund des Alters zu einer Erstickungsgefahr führen kann.
2. Aufgrund der Schwere der Erkrankung der Kindesmutter und der altersbedingt hohen Schutzbedürftigkeit des Kindes ist derzeit allein der vollständige Sorgerechtsentzug verbunden mit einer Fremdunterbringung des Kindes ein geeignetes Mittel, um die Kindeswohlgefährdung abzuwenden. Eine Aufnahme der Mutter mit ihrer Tochter in einer 24-Stunden-Betreuungseinrichtung ist angesichts der fehlenden Krankheitseinsicht und mangelnden Absprachefähigkeit der Kindesmutter jedenfalls derzeit kein geeignetes Mittel zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung. Sofern sich der Zustand der Kindesmutter weiter stabilisiert und sie im Rahmen von den begleiteten Umgangskontakten zugleich Fortschritte darin zeigen sollte, die Bedürfnisse des Kindes zu erkennen und hierauf einzugehen, kann diese Bewertung in der Zukunft anders ausfallen.
Der Senat weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass der nur einmal im Monat gewährte begleitete Umgang durch das Jugendamt keinesfalls als angemessen und verfassungsrechtlich sogar als bedenklich angesehen wird. Dies gilt jedenfalls so lange, als die Kindesmutter in einer psychisch recht stabilen Verfassung die Umgänge wahrnimmt und eine Beeinträchtigung des Kindeswohls durch unkontrollierbare Verhaltensweisen der Mutter nicht droht. Die Umgangsbegleiter können derzeit offensichtlich einen kindgerechten und gefahrlosen Umgang der Mutter mit dem Kind sicherstellen. Der als Argument für diesen seltenen Umgang genannte "Standard" nimmt offensichtlich keine Rücksicht auf individuelle Umstände. So ist unverständlich, weshalb die Häufigkeit der Kontakte im Falle einer Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie derart stark vom üblichen Umgangskontakt eines Elternteils bei getrenntlebenden Paaren abweicht. Angesichts des anderen kindlichen Zeitempfindens werden gerade bei kleineren Kindern häufigere, aber kürzere Besuche als wichtig erachtet. Dieser Umstand ist nicht nur bei getrenntlebenden Eltern, sondern ebenso bei fremduntergebrachten Kindern zu berücksichtigen. So ist im Streitfall nicht auszuschließen, dass bei häufigeren Umgangskontakten gerade die vom Jugendamt erwähnten Schlafstörungen des Kindes nach den Kontakten nachlassen, weil sich das Kind an die Situation gewöhnt und eine bessere Beziehung zur Mutter entwickeln kann.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81, 84 FamFG.
Eine Überprüfung der kinderschutzrechtlichen Maßnahme i. S. v. § 166 Abs. 2 FamFG ist spätestens bis zum 1. März 2020 geboten.