Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 24.10.2018, Az.: 9 U 35/18

Ansprüche des Geschäftsführers einer GmbH in deren Insolvenz

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.10.2018
Aktenzeichen
9 U 35/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 39866
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • EWiR 2019, 117
  • FA 2018, 411
  • GWR 2018, 474
  • GmbH-Stpr. 2019, 51
  • GmbH-Stpr. 2019, 190-191
  • GmbHR 2018, 1314-1315
  • InsbürO 2019, 99
  • MDR 2019, 250-251
  • NWB 2018, 3886
  • NWB 2018, 1386
  • NZI 2018, 946-947
  • ZIP 2018, 2281-2282
  • ZVI 2019, 69-70

Amtlicher Leitsatz

Ein Geschäftsführer einer GmbH, dessen zu diesem Zeitpunkt noch für gut zwei Jahre nicht ordentlich kündbar laufender Anstellungsvertrag durch den Insolvenzverwalter nach § 113 Satz 1 InsO gekündigt wird, kann seinen Ersatzanspruch für die restliche Vertragslaufzeit nach § 113 Satz 3 InsO ungekürzt zur Tabelle feststellen lassen.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 19. März 2018 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts H. wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das angefochtene und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert: bis 200.000 €.

Gründe

I.

Der Kläger, ehemaliger Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, begehrt Feststellung einer Forderung wegen vorzeitiger Beendigung seines Geschäftsführeranstellungsvertrags nach § 113 InsO in Höhe von (nach Teilanerkenntnis im ersten Rechtszug) restlichen rd. 220.000 € zur Insolvenztabelle.

Wegen des (unstreitigen) Sachverhalts und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf das Teil- und Schlussurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts H. vom 19. März 2018 (Bl. 110 ff. d. A.), das der Klage in dem nach einem Teil-Anerkenntnisurteil verbliebenen Umfang stattgegeben hat, verwiesen.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der sein nach dem Teilanerkenntnis erstinstanzlich zuletzt erstrebtes Prozessziel der Klagabweisung im Übrigen weiterverfolgt. Er macht geltend, das Landgericht habe verkannt, dass nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 16. Mai 2007, 8 AZR 772/06) der nach § 113 Satz 3 InsO geschuldete Schadensersatz auf die Höhe dessen zu begrenzen sei, was bei Anwendung gesetzlich geltender Kündigungsfristen zu zahlen sei. Anders könne der vom Gesetzgeber mit Einführung der genannten Vorschrift verfolgte Zweck, nämlich Sicherung der Befriedigungsaussichten von Gesellschaftsgläubigern, der mit den Interessen der Dienstverpflichteten in einen gerechten Ausgleich zu bringen sei, nicht erreicht werden. Es komme nicht darauf an, ob das Dienstverhältnis, wie in dem vom BAG entschiedenen Fall, vor Renteneintritt unkündbar oder ob lediglich eine längere vertragliche Kündigungsfrist als die gesetzliche vereinbart worden sei. Würde die Forderung des Klägers in dem verfolgten Umfang zur Insolvenztabelle festgestellt, so würde sich für die Insolvenzgläubiger (unter denen sich auch ein Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin befinde, der eine Forderung wegen ca. 600 € Reisekosten angemeldet habe) lediglich eine Befriedigungsquote von knapp 84 % statt ansonsten 100 % ergeben.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung. Die Rechtssätze der (ohnehin im Widerspruch zum Wortlaut des § 113 Satz 3 InsO stehenden) zitierten Entscheidung des BAG seien auf den vorliegenden Fall jedenfalls nicht übertragbar. Im Übrigen verstoße die Auffassung des Beklagten gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.

II.

Die Berufung des Beklagten erweist sich als unbegründet.

Das Landgericht hat mit auch gegenüber dem Berufungsvorbringen zutreffenden Erwägungen, denen sich der Senat anschließt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, die Forderung des Klägers auf Schadensersatz wegen vorzeitiger Beendigung seines Geschäftsführeranstellungsverhältnisses zur Insolvenztabelle festgestellt. Dabei hat es zu Recht auf den (rechnerisch unstreitigen) Betrag abgestellt, der sich ergibt, wenn man den nach § 113 Satz 3 InsO entstehenden Schadensersatzanspruch unter Zugrundelegung der Laufzeit des der Beurteilung im Streitfall zu Grunde liegenden Anstellungsvertrages bis zum Dezember 2018, dem nächstmöglichen vertraglich vereinbarten ordentlichen Beendigungszeitpunkt, ermittelt.

Zutreffend hat das Landgericht einen Schadensersatzanspruch des Klägers nach § 113 Satz 3 InsO bejaht. Der Beklagte als Insolvenzverwalter hat das Anstellungsverhältnis mit dem Kläger rund zwei Jahre vor dem Zeitpunkt gekündigt, zu welchem es vertragsgemäß ordentlich hätte gekündigt werden können. Der Anstellungsvertrag, der zunächst bis zum Ablauf des Jahres 2012 abgeschlossen worden war, sah eine Verlängerung um jeweils weitere drei Jahre vor, wenn er nicht ein Jahr vor Beendigung gekündigt wurde (§ 4 des Vertrags, Bl. 39 ff. im gesonderten Anlagenband). Schaden im Sinne der genannten Vorschrift ist derjenige, der sich daraus ergibt, dass der Insolvenzverwalter nach § 113 Satz 1 InsO kündigen durfte und nicht an die Vereinbarungen zur Vertragslaufzeit gebunden war.

Entgegen der Auffassung des Beklagten ist der (Verfrühungs-) Schadensersatzanspruch des Klägers im Streitfall nicht auf dasjenige zu beschränken, was sich bei der Anwendung der längsten gesetzlichen ordentlichen Kündigungsfrist ergäbe; der Kläger ist also nicht so zu stellen, als gäbe es die vereinbarte Vertragslaufzeit nicht. Ein derartiges Verständnis ist mit der Regelung des § 113 InsO, wie sie sich aus ihrem Wortlaut ergibt, nicht zu vereinbaren, denn die Norm stellt in Satz 1 auf eine Sonderkündigungsmöglichkeit "ohne Rücksicht auf eine vereinbarte Vertragsdauer" ab. Der Ersatzanspruch aus Satz 3 der genannten Bestimmung soll aber gerade die (in Ermangelung einer einschränkenden Formulierung: sämtlichen) Folgen der Kündigungsmöglichkeit aus Satz 1 kompensieren.

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des BAG gemäß dessen Entscheidung vom 16. Mai 2007 (8 AZR 772/06). Diese betrifft ausdrücklich eine (im Streitfall nicht vorliegende) Sonderkonstellation, nämlich den Fall "vereinbarter Unkündbarkeit" (BAG, a. a. O., Leitsatz sowie Rn. 22 f). Der genannten Entscheidung lag eine Fallgestaltung zu Grunde, in der das Anstellungsverhältnis des Geschäftsführers ohne die Sonderkündigungsmöglichkeit noch über 19 Jahre (ohne eine ordentliche Beendigungsmöglichkeit) fortgedauert hätte, so dass das BAG sich gehalten sah, die Kompensation der Sonderkündigungsmöglichkeit durch einen "Endlosschaden" (BAG, a. a. O, Rn 27) zu vermeiden. Im vorliegenden Streitfall liegt weder eine vereinbarte Unkündbarkeit des Anstellungsverhältnisses vor (sondern vielmehr eine maßvolle Verlängerung der Vertragslaufzeit um jeweils weitere drei Jahre, wenn nicht ein Jahr vor jeweiligem Ablauf gekündigt wurde) noch stellt der vom Kläger zur Tabelle angemeldete Schadensersatzanspruch für zwei Jahre und vier Monate einen "Endlosschaden" dar.

Dass ein Ersatzanspruch wie der vom Kläger vorliegend zur Tabelle angemeldete, nämlich für restliche gut zwei Jahre entgangenes Geschäftsführergehalt, keine Korrektur der Regelung des § 113 InsO (gegen deren Wortlaut) erfordert, erschließt sich auch aus einem Vergleich mit der Rechtslage betreffend den Vorstand einer Aktiengesellschaft. Dieser kann nach § 87 Abs. 3 AktG Ersatz für den Schaden, der ihm durch die Aufhebung des Dienstverhältnisses entsteht, für zwei Jahre seit dem Ablauf des Dienstverhältnisses verlangen. Auch wenn die genannte Vorschrift für Geschäftsführer einer GmbH nicht anwendbar ist, ist nicht nachzuvollziehen, warum der Gesetzgeber den (im Regelfall ohnehin schon eher besser vergüteten) Vorstand einer AG gegenüber dem Geschäftsführer einer GmbH hinsichtlich der zeitlichen Bemessung von Ersatzansprüchen aus § 113 InsO hätte besserstellen wollen.

Auch ist nicht einzusehen, warum ein gekündigter Geschäftsführer hinsichtlich seines Ersatzanspruchs gegenüber anderen Gläubigern der Insolvenzschuldnerin (etwa Banken oder Lieferanten) schlechter zu stellen sein soll, indem dieser seine Forderung gegen die Masse nur gekürzt verfolgen dürfen soll. Das verstieße, wie der Kläger zutreffend geltend macht, gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Soweit die Beklagte einwendet, dass durch die ungekürzte Berücksichtigung der Gehaltsforderung des Klägers als Insolvenzforderung im Streitfall (auch) ein bestimmter Arbeitnehmer eine geringere Quote auf seine (vergleichsweise niedrige) Forderung wegen Fahrtkosten zu erwarten habe, entspricht das gerade dem Grundsatz der - quotenmäßig - gleichen anteiligen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Der mit § 113 InsO bezweckte Interessenausgleich wird bereits dadurch hergestellt, dass ein nach dieser Vorschrift gekündigter Dienstberechtigter wegen seiner Ansprüche bis zum vereinbarten Vertragsablauf nicht mehr Massegläubiger, sondern nur noch Insolvenzgläubiger ist. Besonderen Interessen der Arbeitnehmer zu dienen, wäre im Übrigen Aufgabe eines Sozialplans (§ 123 InsO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) liegen nicht vor, insbesondere weicht der Senat nicht von der oben dargestellten Rechtsprechung des BAG, die lediglich den Fall eines Dienstvertrages mit vereinbarter Unkündbarkeit betrifft, ab.

Bei der Festsetzung des Gegenstandswerts hat der Senat die Höhe der restlichen Gehaltsforderung und die nach Mitteilung der Parteien voraussichtlich zu erwartende Insolvenzquote berücksichtigt.