Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.04.2012, Az.: 11 A 1369/11

Ausweisung; Schutz des Privatlebens; Privatleben

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
18.04.2012
Aktenzeichen
11 A 1369/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44401
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Auch eine gem. § 53 AufenthG zwingende Ausweisung ist auf ihre Vereinbarkeit mit der EMRK im Einzelfall zu überprüfen.
2. Die Ausweisung eines Ausländers der zweiten Generation verstößt vorliegend nicht gegen Art. 8 EMRK, weil der Betroffene serienmäßig schwere Gewaltdelikte (Raubüberfälle mit Anscheinswaffen) begangen hat und keine verlässlichen Anhaltspunkte vorliegen, die eine Wiederholung als ausgeschlossen und zumindest unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Ausweisung des Klägers und die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis.

Der Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger. Er wurde am 11. Juli 1988 in ……………. geboren. Seine Eltern waren Mitte der 1980er Jahre aus dem Libanon nach Deutschland eingereist und hatten als staatenlose Kurden erfolglos politisches Asyl beantragt. Mindestens seit dem 17. März 1993 erhielt der Kläger Aufenthaltsbefugnisse, die nach Inkrafttreten des AufenthG als Aufenthaltserlaubnisse nach § 23 Abs. 1 AufenthG fortgalten. Die bislang letzte Aufenthaltserlaubnis lief am 26. Oktober 2008 ab. Die Verlängerung wurde vom Kläger erst am 26. November 2008 nach entsprechender Aufforderung durch die Ausländerbehörde beantragt. Über den Antrag wurde zunächst nicht entschieden, da die Ausländerbehörde der Ansicht war, der den Aufenthaltstiteln des Klägers zugrunde liegende Erlass des Niedersächsischen Innenministerium sei mangels Einvernehmen des Bundesinnenministers nicht mehr anwendbar. Der Kläger erhielt Fiktionsbescheinigungen. Am 30. Dezember 2009 fand die Polizei im Rahmen einer gegen den Bruder des Klägers gerichteten Hausdurchsuchung einen Pass vor, der den Kläger als libanesischen Staatsangehörigen ausweist. Im Annschluss daran gelang es der Ausländerbehörde im April 2010 über die deutsche Botschaft in Beirut einen Registerauszug zu erlangen, demzufolge der Kläger und seine Familie 1995 im Libanon eingebürgert wurden.

Der Kläger ist ledig und kinderlos. Bis zu seiner Inhaftierung lebte er zusammen mit mehreren Geschwistern bei den Eltern. Seinen Hauptschulabschluss hat er 2007 nachgeholt. Eine Berufsausbildung hat er nicht absolviert. Seit dem Verlassen der Schule war er weit überwiegend arbeitslos, wobei zwischen dem Kläger einer- und dem Beklagten sowie dem Job-Center andererseits umstritten ist, ob dies auf gesundheitlichen Problemen (Bandscheibenvorfall) oder mangelndem Arbeitswillen beruhte. Der Kläger spielte außerdem aktiv Vereinsfußball. Seit dem 31. März 2010 ist er in Haft.

Der Kläger ist mehrfach strafrechtlich verurteilt worden:

- Am 6. Mai 2004 verurteilte ihn das AG Herzberg wegen Diebstahls zu Arbeitsleistungen, weil er auf dem Sportplatz aus einem Umkleideraum Geld und ein Handy gestohlen hatte.

- Am 10. Februar 2005 verurteilte ihn das AG Herzberg wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu Arbeitsleistungen, weil er ein mit einem Schloss gesichertes Fahrrad gestohlen hatte.

- Am 7. Juni 2005 verurteilte ihn das AG Herzberg wegen Körperverletzung und Unterschlagung, weil er einen Mitschüler mit der Faust ins Gesichts geschlagen und ein im Bus gefundenes Handy behalten hatte. Er erhielt die Weisung, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.

- Am 9. März 2006 verurteilte ihn das AG Herzberg wegen Beihilfe zum versuchten Betrug zu Arbeitsleistungen, weil er gegenüber einer Kfz-Haftpflichtversicherung vorsätzlich falsche Angaben zum Verlauf eines Verkehrsunfalls gemacht hatte.

- Am 29. März 2007 verurteilte ihn das AG Herzberg wegen Körperverletzung, weil er einen Fahrradfahrer, der auf dem Fußweg an ihm vorbeigefahren war, verprügelt hatte. Dem Kläger wurden Arbeitsleistungen auferlegt und die Verhängung einer Jugendstrafe wurde nach § 27 JGG zur Bewährung ausgesetzt. Nach Ablauf der Bewährungszeit wurde der Schuldspruch am 14. Januar 2010 getilgt.

- Am 17. September 2009 verurteilte ihn das AG Herzberg wegen Urkundenfälschung zu Arbeitsleistungen, weil er die Daten auf einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geändert hatte.

- Am 21. Oktober 2010 verurteilte das LG Göttingen den Kläger wegen schweren Raubes in vier Fällen, davon einmal in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schwerer räuberischer Erpressung in einem weiteren Fall sowie wegen Diebstahls und Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Der Kläger hatte zusammen mit verschiedenen Mittätern zwischen November 2009 und März 2010 drei Tankstellen, ein Schmuckgeschäft und eine Spielhalle überfallen. Dabei waren die Täter jeweils maskiert gewesen und hatten die Angestellten mit einer defekten "Gotcha-Pistole" bzw. Spielzeugpistolen bedroht; die Inhaberin des Schmuckgeschäfts wurde verletzt, als der Kläger ihr die "Gotcha-Waffe" auf das Auge drückte. Des Weiteren stahlen sie im vorgenannten Zeitraum zweimal Taschen, die auf den Beifahrersitzen von Autos lagen, indem sie die Beifahrertür öffneten und die Taschen an sich rissen, während die Fahrerinnen auf dem Fahrersitz saßen. Dabei führten sie in einem Fall die "Gotcha-Waffe" mit sich.

Im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Ausweisung verwies der damalige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 8. April 2011 auf dessen mangelnde Reife und das Fehlen nennenswerter persönlicher Kontakte zum Libanon. Die gesamte Familie lebe in Deutschland. Auf die Wiederaufnahme in diesen Familienverband sei der Kläger nach der Haftentlassung angewiesen.

Mit Bescheid vom 18. Mai 2011 wies der Beklagte den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus, befristete die Sperrwirkung der Ausweisung auf fünf Jahre, lehnte die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und drohte dem Kläger die Abschiebung in den Libanon an. Rechtsgrundlage der Ausweisung sei § 53 Nr. 1 AufenthG, dessen Tatbestandsvoraussetzung durch die Verurteilung vom 21. Oktober 2010 erfüllt sei. Obwohl fraglich sei, ob Fiktionsbescheinigungen in diesem Zusammenhang ausreichen, werde zugunsten des Klägers davon ausgegangen, dass er besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG genießt. Die Ausweisung sei daher nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit möglich, wobei die Ist-Ausweisung zur Regelausweisung herabgestuft werde. Angesichts des Umstandes, dass der Kläger in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, liege nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sogar ein Ausnahmefall vor, in dem nur nach Ermessen ausgewiesen werden kann. Die Ermessensausübung falle zulasten des Klägers aus. Der Kläger habe eine beachtliche Vielzahl von Straftaten begangen, wobei sich sein kriminelles Potential im Laufe der Zeit deutlich gesteigert habe. Auch während der vom Amtsgericht Herzberg 2007 verhängten Bewährungszeit sei er wieder straffällig geworden. Die Überfallsserie sei erst durch die Festnahme sechs Tage nach der letzten Tat unterbrochen worden. Anzahl und Kontinuität der Straftaten ließen auf erhebliche Wiederholungsgefahr schließen. Im Verhältnis zur Schwere und Vielzahl der Straftaten fielen die für den Kläger sprechenden Umstände nicht entscheidend ins Gewicht. Für ihn sprächen die Geburt in Deutschland und sein durchgängig rechtmäßiger Aufenthalt. Schulisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich sei ihm aber keine Integration gelungen. Zwar habe er den Hauptschulabschluss noch nachholen können, anschließend habe er aber keine Berufsausbildung absolviert, sondern sei arbeitslos gewesen. Das Jobcenter habe wegen mangelhafter Mitwirkung Sanktionen gegen ihn verhängt. Der Kläger sei ledig und kinderlos; eine besondere gegenseitige Abhängigkeit im Verhältnis zu seinen Eltern und Geschwistern sei nicht ersichtlich. Die Ausweisung sei bei dieser Sachlage auch unter Berücksichtigung der vom EGMR im Urteil "Boultif ./. Schweiz" entwickelten Kriterien mit Art. 8 EMRK vereinbar, zumal sie von vornherein auf 5 Jahre befristet werde. Die Aufenthaltserlaubnis könne wegen der entgegenstehenden Ausweisung nicht verlängert werden.

Der Kläger hat am 20. Juni 2011 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, es lägen keine schwerwiegenden Ausweisungsgründe im Sinne des § 56 Abs. 1 S. 2 AufenthG vor. Er sei in sechs Jahren lediglich acht Mal strafrechtlich in Erscheinung getreten und somit kein Intensivtäter. Bis auf den schweren Raub seien alle Delikte im Bereich der Klein- bzw. Bagatellkriminalität anzusiedeln. Den überwiegenden Teil der Straftaten habe er als Jugendlicher oder Heranwachsender begangen; es handle sich mit Diebstahls- und Körperverletzungsdelikten um typische "Jugendsünden". Er verbüße jetzt erstmals eine Haftstrafe, die ihn sehr beeindruckt und zu einer Auseinandersetzung mit seinen Taten veranlasst habe. Daher sei die Sozialprognose positiv. Vor diesem Hintergrund sei die Ausweisung unverhältnismäßig, denn er sei in Deutschland geboren und habe sich hier sein ganzes Leben lang rechtmäßig hier aufgehalten. Er habe hier Freunde und Familie und seiMitglied in einem Fußballverein. Auch spreche er hervorragend Deutsch. Nur ins Berufsleben habe er sich wegen eines schweren Bandscheibenvorfalls, der ihm die Arbeitssuche erschwerte, nicht integrieren können. Beziehungen zum Libanon habe er nicht. Er spreche eher schlecht Arabisch und sei mit der libanesischen Kultur nicht vertraut. Im Libanon wäre er voraussichtlich mittel- und obdachlos.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 18. Mai 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen im angefochtenen Bescheid. Ergänzend führt er aus, die früheren Straftaten des Klägers vor den Raubüberfällen dürften nicht verharmlost werden. Vielmehr seien sie in ihrer Gesamtheit aufschlussreich im Hinblick auf den Charakter des Klägers. Nach h.M. genieße der Kläger gar keinen besonderen Ausweisungsschutz gem. § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG, da seine Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sei und allein aufgrund der Fiktionswirkung nicht ausreiche. Dennoch habe man im angefochtenen Bescheid zu seinen Gunsten besonderen Ausweisungsschutz unterstellt. Die Behauptungen des Klägers zu den sprachlichen Hindernissen für eine Integration im Libanon seien lebensfremd, denn seine Eltern hätten den Kläger sicherlich nicht auf Deutsch erzogen. Er sei jung, arbeitsfähig und spreche arabisch; daher könne er sich im Libanon zurechtfinden. Es sei überdies nicht glaubhaft, dass er dort keine Verwandtschaft im weiteren Sinne habe. Aufgrund des in kurdischen Großfamilien sehr ausgeprägten Familiensinns werde er im Libanon von Verwandten unterstützt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Soweit sie sich als Anfechtungsklage gegen die im Bescheid vom 18. Mai 2011 verfügte Ausweisung richtet, ist die Klage unbegründet, da die Ausweisung rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist dabei die mündliche Verhandlung (BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 -, BVerwGE 130, 20 <22 ff.>).

Rechtsgrundlage der Ausweisung des Klägers ist § 53 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen vor. Der Kläger wurde vom LG Göttingen mit rechtskräftigem Urteil vom 21. Oktober 2010 wegen vorsätzlicher Straftaten - nämlich schweren Raubes in vier Fällen, davon einmal in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, schwerer räuberischer Erpressung in einem Fall, Diebstahls und Diebstahls mit Waffen - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens drei Jahren - nämlich drei Jahren und neun Monaten - verurteilt. "Eine Freiheitsstrafe" i.S.d. § 53 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG ist auch die wegen mehrerer tatmehrheitlich begangener Delikte verhängte Gesamtfreiheitsstrafe (vgl. Discher, in: GK-AufenthG, § 53 Rn. 136 f.).

Der Kläger genießt nicht nach § 56 AufenthG besonderen Ausweisungsschutz. In Betracht käme hier von vornherein nur die Schutznorm des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG. Deren Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt der Kläger aber nicht. Zwar wurde er im Bundesgebiet geboren und hielt sich mindestens fünf Jahre rechtmäßig hier auf. Er ist aber nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Dies gilt selbst dann, wenn man insoweit zugunsten des Klägers auf die Sachlage im Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung abstellt. Denn seine Aufenthaltserlaubnis ist am 26. Oktober 2008 abgelaufen. Die Frage, ob auch die Fortbestehensfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG genügt, um besonderen Ausweisungsschutz nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG auszulösen (so VG Oldenburg, Urteil vom 2. Juli 2008 - 11 A 1924/07 -, juris Rn. 20 m.w.N.; a.A. BayVGH, Urt. v. 4.7.2011 - 19 B 10.1631 -, InfAuslR 2011, 377 f. - zit. nach juris Rn. 39 ff.), kann hier dahinstehen. Denn der Kläger hat die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis erst am 26. November 2008 und somit einen Monat nach deren Ablauf beantragt. Ein solcher verspäteter Verlängerungsantrag löst keine Fortbestehensfiktion aus (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Juni 2011 - 1 C 5.10 - InfAuslR 2011, 373 ff. - zit. nach juris Rn. 15 f.; OVG Saarlouis, Beschluss vom 16. März 2011 - 2 A 25/10 -, juris Rn. 4). Dies gilt auch dann, wenn die Ausländerbehörde dem Ausländer - wie hier - irrtümlich Fiktionsbescheinigungen nach § 81 Abs. 5 AufenthG ausstellt, denn diese Bescheinigungen wirken nur deklaratorisch und können somit eine kraft Gesetzes nicht bestehende Fiktionswirkung nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2010 - 1 B 17.09 u.a., InfAuslR 2010, 150 f. - zit. nach juris Rn. 7; Urteil vom 3. Juni 1997 - 1 C 7.96 -, InfAuslR 1997, 391 ff. - zit. nach juris Rn. 27; OVG Saarlouis, Beschluss vom 16. März 2011 - 2 A 25/10 -, juris Rn. 4).

Mangels besonderen Ausweisungsschutzes ist der Kläger nach dem Wortlaut des § 53 AufenthG eigentlich zwingend auszuweisen. Es ist hier aber dennoch zu prüfen, ob die Ausweisung gegen den Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK verstößt. Denn nach seinem § 1 Abs. 1 Satz 5 lässt das AufenthG die Regelungen in anderen Gesetzen unberührt. "Andere Gesetze" in diesem Sinne sind auch völkerrechtliche Verträge, die - wie die EMRK - durch ein Zustimmungsgesetz nach § 59 Abs. 2 GG in der innerstaatlichen Rechtsordnung den Rang eines Bundesgesetzes erhalten haben und unmittelbar Rechte oder Pflichten für den Einzelnen begründen können (VGH Mannheim, Urteil vom 20. Oktober 2011 - 11 S 1929/11 -, InfAuslR 2012, 1 ff. - zit. nach juris Rn. 25; Funke-Kaiser, GK-AufenthG, § 1 Rn. 23.1; Discher, GK-AufenthG, Vor §§53 ff. Rn. 731). Durch eine solche Auslegung des AufenthG werden Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit dem verfassungsrechtlichen Auftrag gerecht, die Gewährleistungen der EMRK bei der Anwendung von Bundesgesetzen im Rahmen bestehender methodischer Spielräume soweit wie möglich zur Geltung zu bringen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307 ff. - zit. nach juris Rn. 47, 62). Denn sie verhindert es, dass eine Person nach § 53 AufenthG ausgewiesen werden muss, obwohl die Ausweisung im Einzelfall gegen Art. 8 EMRK verstößt.

Die Ausweisung des Klägers greift in den Schutzbereich des Privatlebens nach Art. 8 Abs. 1 EMRK ein. Dieser umfasst die Gesamtheit der sozialen Beziehungen eines Zuwanderers in dem Land, in dem er lebt (st. Rspr. des EGMR, vgl. Trabelsi ./. D, 41548/06, 13.10.2011, Ziff. 48 = EuGRZ 2012, 11; Abdul Waheed Khan ./. GB, 47486/06, 12.1.2010, Ziff. 31 = InfAuslR 2010, 369; Omojudi ./. GB, 182/08, 24.11.2009, Ziff. 37 = InfAuslR 2010, 178; Grant ./. GB, 10606/07, 8.1.2009, Ziff. 32 = InfAuslR 2010, 89; Maslov ./. A (GK), 1638/03, 23.6.2008, Ziff. 63; Üner ./. NL (GK), 46410/99, 18.10.2006, Ziff. 59 = NVwZ 2007, 1279). Der Kläger wurde in Deutschland geboren und hat sein gesamtes bisheriges Leben - fast 24 Jahre - hier verbracht. Davon besaß er mindestens sechzehn Jahre lang eine Aufenthaltsbefugnis bzw. Aufenthaltserlaubnis. Er hat in Deutschland die Schule besucht und einen Hauptschulabschluss erworben. Seine Eltern und Geschwister leben im Bundesgebiet. Daher hat er zwangsläufig soziale Beziehungen in Deutschland entwickelt, deren Fortführung durch eine Aufenthaltsbeendigung beeinträchtigt würde.

Ob die Ausweisung darüber hinaus auch in den Schutzbereich des Familienlebens eingreift, obwohl ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem volljährigen Kläger und seinen Eltern bzw. Geschwistern nicht erkennbar ist (verneinend EGMR, Abdul Waheed Khan ./. GB, 47486/06, 12.1.2010, Ziff. 32 = InfAuslR 2010, 369; Yilmaz ./. D, 52853/99, 17.4.2003, Ziff. 44 = NJW 2004, 2147; bejahend dagegen wohl EGMR, Maslov ./. A (GK), 1638/03, 23.6.2008, Ziff. 62 m.w.N.), bedarf keiner Entscheidung. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterscheidet in Fällen der vorliegenden Art in der Regel nicht strikt zwischen beiden Schutzbereichen, sondern stellt je nach dem Umständen des Einzelfalls mehr auf familienbezogene oder mehr auf sonstige soziale Aspekte ab (vgl. Trabelsi ./. D, 41548/06, 13.10.2011, Ziff. 48 = EuGRZ 2012, 11; Abdul Waheed Khan ./. GB, 47486/06, 12.1.2010, Ziff. 31 = InfAuslR 2010, 369; Omojudi ./. GB, 182/08, 24.11.2009, Ziff. 37 = InfAuslR 2010, 178; Grant ./. GB, 10606/07, 8.1.2009, Ziff. 32 = InfAuslR 2010, 89). Diesem Ansatz folgt das Gericht im vorliegenden Fall.

Da sie in den Schutzbereich von Art. 8 Abs. 1 EMRK eingreift, ist die Ausweisung des Klägers nur dann rechtmäßig, wenn sie gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (vgl. Art. 8 Abs. 2 EMRK).

Die Ausweisung des Klägers ist - wie dargelegt - in § 53 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG gesetzlich vorgesehen. Sie verfolgt das legitime Ziel, weitere Straftaten zu verhüten.

Näherer Prüfung bedarf allein die Frage, ob die Ausweisung zur Verfolgung ihres Ziels "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" - mit anderen Worten: verhältnismäßig (vgl. Grabenwarter/ Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Aufl., § 18 Rn. 14) - ist. Dabei berücksichtigt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in ständiger Rechtsprechung folgende Kriterien (vgl. z. B. Abdul Waheed Khan ./. UK, Urteil vom 12. Januar 2010 - 47486/06 -, Ziff. 39 m.w.N = InfAuslR 2010, 369; Omojudi ./. GB, 182/08, 24.11.2009, Ziff. 41 = InfAuslR 2010, 178; Chair u.a. ./. D, 69735/01, 6.12.2007, Ziff. 58 f. = InfAuslR 2008, 111; Üner ./. NL (GK), 46410/99, 18.10.2006, Ziff. 57 f. = NVwZ 2007, 1279; ähnl. schon Boultif ./. CH, 54273/00. 2.8.2001, Ziff. 48 = InfAuslR 2001, 476.):

1.) die Natur und Schwere der vom Ausländer begangenen Straftat;

2.) die Dauer des Aufenthaltes in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll;

3.) die seit der Begehung der Straftat verstrichene Zeit und das seitherige Verhalten des Ausländers;

4.) die Staatsangehörigkeit der betroffenen Personen;

5.) die familiäre Situation des Ausländers, etwa eine Ehe und andere Faktoren, aus denen ein wirksames Beziehungs- bzw. Familienleben hervorgeht;

6.) ob der Ehegatte im Zeitpunkt des Eingehens der familiären Beziehung von der Begehung der Straftat wusste;

7.) ob Kinder aus der Ehe hervorgegangen sind und welches Alter diese ggf. haben;

8.) die Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten, welchen der Ehegatte voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wäre, in den der Ausländer ausgewiesen werden soll;

9.) das Kindeswohl, insbesondere die Ernsthaftigkeit der Schwierigkeiten, welchen ein Kind des Ausländers voraussichtlich in dem Staat ausgesetzt wäre, in den er ausgewiesen werden soll, und

10.) die Stabilität der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen des Ausländers zum Aufnahmestaat und zum Zielstaat der Ausweisung.

Die Kriterien Nr. 6 bis 9 spielen im vorliegenden Fall keine Rolle, da der Kläger weder eine Ehefrau noch Kinder hat.

Bezüglich der auf das Gewicht des öffentlichen Ausweisungsinteresses bezogenen Kriterien Nr. 1 und 3 ist festzustellen: Der Kläger hat in nur fünf Monaten (November 2009 bis Ende März 2010) fünf Raubüberfälle auf Tankstellen, eine Spielhalle und ein Schmuckgeschäft begangen, d.h. im Durchschnitt einen Überfall pro Monat. Die Täter gingen bei der Tatausführung überaus massiv vor. Die Taten müssen für die Opfer daher traumatische Erlebnisse gewesen sein, auch wenn ihr Leben - wie das Landgericht zutreffend feststellte - objektiv nicht in Gefahr war, da nur Anscheinswaffen eingesetzt wurden. Der Kläger und seine Mittäter waren mit Sturmhauben maskiert, zielten mit echt aussehenden Gotcha- bzw. Spielzeugpistolen auf die Köpfe der Opfer und bedrohten sie mit Worten wie "Ich knall die ab", "Schieß' ihr mal ins Bein, dann merkt sie, dass wir es ernst meinen.", "Wenn Du etwas drückst, schieße ich Dich ab" oder "Mach' die Kasse auf, sonst bringe ich Dich um!". Die Angestellte der Spielhalle befand sich circa 20 Minuten lang in der Gewalt der Täter und wurde mit Klebeband gefesselt; sie musste wegen eines Schocks ambulant im Krankenhaus behandelt werden. Auch vor körperlicher Gewalt schreckte der Kläger nicht zurück: Die Inhaberin des Schmuckgeschäfts wurde von ihm so heftig umgestoßen, dass sie zu Boden ging. Anschließend fixierte er sie auf dem Boden, in dem er ihr die Gotcha-Pistole auf das Auge drückte, und dabei drohte, sie zu erschießen. Das Opfer erlitt nicht unerhebliche Verletzungen (Riss im Bindegewebe des linken Auges, Prellung des Augapfels, Unterblutung der Konjunktiva, Monokelhämatom) und musste ambulant in einer Augenklinik behandelt werden. Der Kläger wurde von der Strafkammer als treibende Kraft hinter der Raubserie identifiziert (vgl. S. 107 des Urteils des Landgerichts). Auch wenn die Strafkammer vier der fünf Taten wegen des Zusammentreffens mehrerer mildernder Umstände - insbesondere der geistigen Unreife des Klägers, seiner Geständigkeit und Aussagebereitschaft zulasten der Mittäter, seiner Entschuldigung bei den Opfern sowie seiner Haftempfindlichkeit - als "minder schwere Fälle" im Sinne des § 250 Abs. 3 StGB einstufte, sind die Taten nach Auffassung des Verwaltungsgerichts in ihrer Gesamtheit wegen der serienmäßigen Begehung und des massiven Vorgehens der Täter ausweisungsrechtlich äußerst schwerwiegend. Dies entspricht der Rechtsprechung des EGMR, der bei Raubdelikten ebenfalls von einem hohen Ausweisungsinteresse ausgeht (vgl. z.B. Boujlifa ./. F, 25404/94, 21.10.1997, Ziff.44). Erschwerend treten hier zu der Raubserie noch die zwei im selben Zeitraum begangenen Diebstähle hinzu, die nach den konkreten Umständen der Tatausführung einem Raubüberfall sehr nahe kamen. Der Kläger riss dabei jeweils die rechte Tür eines PKW auf, während die Fahrerin auf dem Fahrersitz saß, und entwendete die auf dem Beifahrersitz abgelegte Tasche. Im ersten Fall musste er die Tasche der Fahrerin aus der Hand reißen; im zweiten Fall waren er und seine Mittäter maskiert und führten die Gotcha-Pistole mit sich. Insgesamt wurde der Kläger trotz der erheblichen Milderungsgründe immer noch zu einer Strafe verurteilt, die neun Monate über der Grenze der "Ist-Ausweisung" nach § 53 Nr. 1 Alt. 1 AufenthG liegt.

Da die Ausweisung allerdings keinen Strafcharakter hat, sondern ein präventives Mittel zur Verhütung zukünftiger Straftaten ist, muss im Anschluss an die Feststellung der erheblichen Schwere der begangenen Delikte noch geprüft werden, inwiefern Wiederholungsgefahr besteht. Dabei sind insbesondere die seit der Begehung der Taten verstrichene Zeit und das Nachtatverhalten des Ausländers zu berücksichtigen.

Für den Kläger sprechen dabei seine Geständigkeit und seine Bereitschaft, durch Aussagen gegen - teilweise noch unbekannte - Mittäter zur Aufklärung beizutragen. Außerdem hat er sich bei den Opfern entschuldigt und ihnen Schmerzensgeld angeboten. Er war im Zeitpunkt der Tatbegehung dem Heranwachsendenalter gerade eben entwachsen und nach den Feststellungen der Strafkammer für sein Alter geistig sehr unreif. Er verbüßt erstmals eine Freiheitsstrafe. Nach dem Urteil der Strafkammer hat ihn schon die Untersuchungshaft sehr beeindruckt. In der Haft führt er sich nach der Gefangenenpersonalakte und der Vollzugsplanung vom 19. März 2012 gut. Er besucht gewissenhaft die Schule, wird voraussichtlich in Kürze den Realschulabschluss erwerben, nimmt an verschiedenen Behandlungsmaßnahmen teil und verfügt über eine Ausbildungszusage für die Zeit nach der Entlassung. Allerdings kam es zu einigen kleineren disziplinarischen Verstößen. Insgesamt hält die JVA aus ihrer Sicht eine vorzeitige Entlassung für denkbar.

Trotz dieser positiven Entwicklungen spricht aber auch einiges dafür, dass vom Kläger nach der Haftentlassung erneut eine Gefahr ausgehen wird. Die Überfallserie wurde von ihm nicht aus eigenem Antrieb beendet, sondern erst durch die Festnahme sechs Tage nach der letzten Tat. Seither sind zwar schon etwas mehr als drei Jahre vergangen. Diese Zeitspanne ist aber angesichts des Umstandes, dass der Kläger sie vollständig in Haft verbracht hat, für die Beurteilung der Wiederholungsgefahr nur von geringer Relevanz (vgl. aus der Rspr. des EGMR auch Mutlag ./. D,40601/05, 25.3.2010, Ziff. 57 = InfAuslR 2010, 325; Chair u.a. ./. D, 69735/01, 6.12.2007, Ziff. 63 = InfAuslR 2008, 111; Üner ./. NL (GK), 46410/99, 18.10.2006, Ziff. 66 = NVwZ 2007, 1279). Ein längere Zeit straffreies Verhalten in Freiheit, das bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK besondere Bedeutung hat (vgl. EGMR, Abdul Waheed Khan ./. GB, 47486/06, 12.1.2010, Ziff. 41 = InfAuslR 2010, 369; Boultif ./. CH, 54273/00. 2.8.2001, Ziff. 51 f., 55 = InfAuslR 2001, 476), kann der Kläger weder vor noch nach den Straftaten, die der Ausweisung unmittelbar zugrunde liegen, vorweisen. Im Alter von fünfzehn bis einundzwanzig Jahren wurde er in nahezu jährlichem Rhythmus - insgesamt sechs Mal - strafgerichtlich verurteilt, darunter auch wegen Diebstahls und Körperverletzung, bevor es dann zu der Raubserie kam. Die früheren Verurteilungen - selbst die Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung nach § 27 JGG im Jahr 2007 - haben ihn nicht dauerhaft zum Umdenken veranlasst. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat er sich selbst in der Bewährungszeit an Schlägereien beteiligt und ein von der Bewährungshelferin vorgeschlagenes Aggressionstraining nicht absolviert (vgl. S. 25 des Urteils der Strafkammer). Trotz der Warnung, die die Verurteilung zur Bewährung für ihn hätte sein sollen, steigerte er seine kriminelle Energie noch und begann gegen Ende der Bewährungszeit mit der Begehung der Raubüberfälle. Dieser Werdegang deutet auf einen starken Hang zu Straftaten hin. Er weckt erhebliche Zweifel, ob der Kläger für die Warnfunktion strafrechtlicher Sanktionen dauerhaft empfänglich ist.

Auch das Motiv des Klägers für die Begehung der Raubüberfälle deutet auf eine Wiederholungsgefahr hin. Nach seiner Einlassung gegenüber dem Landgericht beging er die Taten nicht wegen finanziellen Bedürfnissen, Drogenproblemen oder aus irgendeinem anderen objektiv nachvollziehbaren Anlass, sondern wegen des "Kicks", den er dabei verspürte (vgl. S. 25 f. des Urteils der Strafkammer). Das Gericht kann keinen verlässlichen Anhaltspunkt dafür erkennen, dass der Kläger in Zukunft nicht wieder Lust auf einen solchen "Kick" verspüren wird. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach der Haftentlassung im Wesentlichen in dieselben sozialen und familiären Verhältnisse zurückkehren würde, die zur Zeit der Begehung seiner Straftaten bestanden. Gemäß seiner Einlassung im Ausweisungsverfahren will er wieder am selben Ort bei seinen Eltern und Geschwistern wohnen. Eine Ehefrau oder Kinder, die seinem Leben Stabilität verleihen und eine innere Umkehr bewirken könnten, hat der Kläger nach wie vor nicht. Positiv entwickelt hat er sich in beruflicher Hinsicht. Nach den Angaben der Justizvollzugsanstalt wird der Kläger dort voraussichtlich dieses Jahr den Realschulabschluss erwerben und hat für die Zeit nach der Haft bereits eine Ausbildungsplatzzusage. Da Tatmotiv aber - wie ausgeführt - nicht finanzielle Bedürftigkeit war, ist die positive berufliche Entwicklung hier nur von untergeordneter Bedeutung.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass für die Feststellung der Wiederholungsgefahr ein differenzierender, mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gilt (BVerwG, Urteil vom 2. September 2009 - 1 C 2.09 -, InfAuslR 2010, 3 ff. - zit. nach juris Rn. 17). Angesichts des besonders schweren Gewichts der vom Kläger begangenen Straftaten genügt es zur Begründung eines erheblichen Ausweisungsinteresses, dass bislang - trotz gewisser Indizien für eine Besserung - noch keine verlässlichen Anhaltspunkte vorliegen, die erneute Straftaten als ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Diesem erheblichen Ausweisungsinteresse ist das - anhand der Kriterien Nr. 2, 4, 5 und 10 aus dem Katalog des EGMR zu gewichtende - private Interesse des Klägers an einem Verbleib in Deutschland gegenüberzustellen. Hierzu ist festzustellen, dass die Verwurzelung des Klägers in Deutschland erheblich ist, auch wenn der Kläger noch keine eigene Familie gegründet hat und gewisse Defizite bei der beruflichen Integration bestehen. Der Kläger ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Er hat sein gesamtes bisheriges Leben lang in diesem Land gelebt; dabei war sein Aufenthalt nahezu durchgängig rechtmäßig. Er ist in Deutschland zur Schule gegangen und hat einen Hauptschulabschluss erworben. Daher ist davon auszugehen, dass er fließend Deutsch spricht. Er hat in Deutschland aktiv in verschiedenen Vereinen Fußball gespielt. Seine Eltern und Geschwister leben in Deutschland. Nichts deutet darauf hin, dass zum Libanon soziale oder kulturelle Beziehungen bestehen, deren Gewicht auch nur annährend mit den Beziehungen zu Deutschland vergleichbar ist. Daher ist der Kläger als ein "Ausländer der zweiten Generation" anzusehen.

Aber auch die Ausweisung solcher Ausländer ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht per se konventionswidrig (vgl. Üner ./. NL (GK), 46410/99, 18.10.2006, Ziff. 55 f. = NVwZ 2007, 1279; Emre ./. CH, 42034/04, 22.5.2008, Ziff. 66 = InfAuslR 2008, 336; Maslov ./. A (GK), 1638/03, 23.6.2008, Ziff. 74 f.; Trabelsi ./. D, 41548/06, 13.10.2011, Ziff. 54). Sie kann bei Vorliegen sehr gewichtiger Ausweisungsgründe gerechtfertigt sein (vgl. EGMR, Trabelsi ./. D, 41548/06, 13.10.2011, Ziff. 55; Maslov ./. A (GK), 1638/03, 23.6.2008, Ziff. 75). Straftaten, die ein Jugendlicher begangen hat, erfüllen diese Bedingung regelmäßig nur, wenn es sich um schwere Gewaltdelikte handelt (vgl. EGMR, Maslov ./. A (GK), 1638/03, 23.6.2008, Ziff. 84 f.). Beim Kläger liegen solche sehr schwerwiegenden Ausweisungsgründe vor, selbst wenn man ihn wegen seiner geistigen Unreife bei der Begehung der Raubüberfälle noch einem Jugendlichen gleichstellen würde. Fünf Raubüberfälle, die innerhalb weniger Monate aus reiner Lust am "Kick" begangenen wurden und bei denen die Opfer von den maskierten Tätern mit Scheinwaffen und verbalen Todesdrohungen bedroht sowie zum Teil sogar gefesselt und fast eine halbe Stunde gefangen gehalten bzw. verletzt wurden, sind jedenfalls bei einer Gesamtbetrachtung sehr schwerwiegende Gewaltdelikte. Da - wie oben dargelegt - keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Wiederholung ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich ist, liegt ein sehr gewichtiger Ausweisungsgrund vor.

Ferner ist festzuhalten: Der Kläger ist jung und hat in Deutschland eine abgeschlossene Schulausbildung erworben. Seit der Operation seines Bandscheibenleidens ist er weitestgehend gesund und grundsätzlich - wenn auch mit Einschränkungen - arbeitsfähig (vgl. auch das Ergebnis der Aufnahmeuntersuchung in der JVA vom 25. Januar 2011 - Gefangenenpersonalakte, Anlg. 44 - Seite 1/1). Es gibt keine Hinweise auf eine Suchterkrankung. Da seine Eltern bei seiner Geburt erst seit wenigen Jahren in Deutschland lebten, muss bei lebensnaher Betrachtung davon ausgegangen werden, dass ihm die heimatliche Sprache und Kultur im Elternhaus zumindest in Grundzügen vermittelt wurde. In seiner Personenbeschreibung in der Gefangenenpersonalakte (Anlg. 12 - Seite 1/1) wird als weitere Sprache neben Deutsch Arabisch genannt. Ein Leben im Libanon ist für ihn daher sicherlich sehr schwierig, aber durchaus möglich. Dadurch, dass er die Ausweisung von vornherein auf fünf Jahre befristet hat, hat der Beklagte dem Kläger außerdem eine Rückkehrperspektive eröffnet (vgl. zur Bedeutung einer solchen Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Ausweisung EGMR, Üner ./. NL (GK), 46410/99, 18.10.2006, Ziff. 65 = NVwZ 2007, 1279).

Bei einer Gesamtbetrachtung erscheint die Ausweisung daher als verhältnismäßige Maßnahme im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK, um die vom Kläger ausgehende Gefahr weiterer Straftaten abzuwehren. Art. 8 EMRK ist nicht verletzt.

Soweit die Klage als Verpflichtungsklage auf die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gerichtet ist, ist sie ebenfalls unbegründet (§ 113 Abs. 5 VwGO). Da der Kläger - wie oben dargelegt: zu recht - ausgewiesen wurde, darf ihm vor Ablauf der festgesetzten fünfjährigen Sperrfrist gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG kein Aufenthaltstitel erteilt werden.