Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 16.01.2015, Az.: 1 Ws 22/15
Darstellung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme im Nichtabhilfebeschluss zur Haftbeschwerde während laufender Hauptverhandlung wegen behaupteten fehlenden Tatverdachts
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 16.01.2015
- Aktenzeichen
- 1 Ws 22/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 23232
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2015:0116.1WS22.15.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Stade - 02.01.2015
Rechtsgrundlagen
- StPO § 112
- StPO § 117
- StPO §§ 117 ff.
- StPO § 304
- StPO § 306
- StPO § 309
Fundstellen
- StV 2015, 305-306
- StraFo 2015, 113-114
- wistra 2015, 158-159
Amtlicher Leitsatz
Wird eine Haftbeschwerde während laufender Hauptverhandlung damit begründet, dass nach der bisherigen Beweisaufnahme der dringende Tatverdacht entfallen sei, muss das erkennende Gericht, will es der Haftbeschwerde nicht abhelfen, sich mit dem Vortrag in seinem Nichtabhilfebeschluss auseinandersetzen, weil nur so dem Beschwerdegericht die per se nur eingeschränkte Überprüfung ermöglicht wird, ob das mitgeteilte Ergebnis auf einer vertretbaren Bewertung der zur Zeit für und gegen einen dringenden Tatverdacht sprechenden Umstände beruht.
Tenor:
Der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Stade vom 2. Januar 2015 wird aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung im Abhilfeverfahren an das Landgericht Stade zurückverwiesen.
Gründe
I.
Mit Anklagen der Staatsanwaltschaft Stade vom 24. September 2009, 16. August 2011, 27. April 2012, 8. Juni 2012, 18. Juni 2012 und 11. Juli 2013 werden dem Angeklagten mehrere Vergehen der Steuerhinterziehung, des Betrugs, der Beihilfe zur Steuerhinterziehung, der Insolvenzverschleppung, des Bankrotts und der Bedrohung vorgeworfen. Die Hauptverhandlung hat am 9. Oktober 2014 begonnen und wird seitdem laufend fortgesetzt.
Der Angeklagte befindet sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 8. Oktober 2014 (Az.: 236 Ds 5611 Js 52/11 [46/13]) seit dem 24. Oktober 2014 in Untersuchungshaft.
Im vorliegenden Verfahren wurde in der Sitzung vom 27. Oktober 2014 ein Haftbefehl gegen den Angeklagten verkündet. Nach Durchführung eines Haftprüfungstermins hat das Landgericht mit Beschluss vom 11. November 2014 den Haftbefehl aus den Gründen seines Erlasses aufrechterhalten. Auf die hiergegen erhobene Beschwerde des Angeklagten hat der Senat mit Beschluss vom 1. Dezember 2014 den Beschluss vom 11. November 2014 und den Haftbefehl vom 27. Oktober 2014 aufgehoben, weil beide nicht den formellen Anforderungen des § 114 StPO entsprachen.
Hierauf hat das Landgericht am 2. Dezember 2014 einen neuen Haftbefehl gegen den Angeklagten erlassen, der dem Angeklagten am 10. Dezember 2014 verkündet worden ist. Am Ende des Verkündungstermins, in dem der Angeklagte sich ausweislich des Protokolls zur Sache eingelassen hat, hat das Landgericht beschlossen, dass die Anordnung der Untersuchungshaft aufrechterhalten bleibe.
Mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 hat der Angeklagte Beschwerde gegen den Haftbefehl vom 2. Dezember 2014 erhoben. Neben dem Nichtbestehen einer Fluchtgefahr macht er geltend, dass kein hinreichender Tatverdacht vorliege, und trägt dazu umfangreich zu Zeugenaussagen und sonstigen Ergebnissen der Beweisaufnahme vor.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 2. Januar 2015 entschieden, dass der Beschwerde nicht abgeholfen werde. Zur Begründung hat es ausgeführt: "Der Beschwerde konnte aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen werden. Die weitere Beweisaufnahme der Kammer vom 10. und 16.12.2014 vermochte den dringenden Tatverdacht hinsichtlich der im Haftbefehl genannten Anklagevorwürfe nicht zu entkräften."
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses vom 2. Januar 2015 und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Entscheidung im Abhilfeverfahren.
Die Beschwerde richtet sich zwar nach ihrer Formulierung gegen den Haftbefehl vom 2. Dezember 2014. Anfechtbar ist aber immer nur die zuletzt ergangene, den Bestand des Haftbefehls betreffende Entscheidung (vgl. Senatsbeschluss vom 22. März 2007 - 1 Ws 205/07; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 117 StPO Rn. 8 mwN), hier also der Haftfortdauerbeschluss vom 10. Dezember 2014, welcher keine Begründung enthält.
Dieser Mangel ist auch nicht durch den Nichtabhilfebeschluss vom 2. Januar 2015 geheilt worden, weil dessen Begründung sich inhaltlich nicht mit dem umfangreichen Beschwerdevorbringen auseinandersetzt. Zwar bedarf die Entscheidung, dass der Beschwerde nicht abgeholfen wird, in der Regel keiner besonderen Begründung (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO. § 306 StPO Rn. 9). Das Beschwerdegericht hat nach § 309 Abs. 2 StPO grundsätzlich über eine erhobene Beschwerde unter Prüfung und Aufklärung aller für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen selbst zu befinden. Ergibt die Prüfung, dass der angefochtene Beschluss zutreffend ist, wird die Beschwerde als unbegründet verworfen. Ist sie begründet, muss das Beschwerdegericht eine eigene Sachentscheidung anstelle des Tatrichters treffen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt aaO. § 309 StPO Rn. 3 ff mwN). In Ausnahmefällen kann ein Begründungsmangel jedoch zur Aufhebung des Nichtabhilfebeschlusses führen (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Januar 2009 - 1 Ws 629/08, juris; ebenso BGH NJW 1992, 2169 [BGH 25.02.1992 - 1 StR 4/92]; NStZ 1987, 519; OLG Hamm NStZ-RR 2014, 154; StV 1996, 421; LR-Matt StPO 26. Aufl. § 306 Rn. 21). Ein solcher Fall liegt hier vor.
Wegen der verfahrensrechtlichen Besonderheit von Haftsachen während einer laufenden Hauptverhandlung ist dem Senat jedenfalls in der hier gegebenen Konstellation eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Der Senat kann mangels ausreichender Tatsachenkenntnis nicht bewerten, ob die Aufrechterhaltung des Haftbefehls zu Recht erfolgt ist. Die Beurteilung durch das Beschwerdegericht, ob dringender Tatverdacht vorliegt, unterliegt für Haftentscheidungen während laufender Hauptverhandlungen nach allgemeiner Auffassung nämlich Beschränkungen. Aufgrund der durch die Durchführung der Beweisaufnahme ständig neuen Beurteilungsgrundlagen unterworfenen Würdigung des Verhandlungsergebnisses, ist es originäre Aufgabe des Tatrichters, über die Annahme dringenden Tatverdachts zu befinden. Die Nachprüfung des Beschwerdegerichts beschränkt sich, da das Ergebnis der Beweisaufnahme diesem nicht zugänglich ist, darauf, ob das vom Tatrichter gewonnene Ergebnis auf Tatsachen gestützt ist, die diesem im Zeitpunkt seiner Entscheidung zur Verfügung standen und darauf, ob das mitgeteilte Ergebnis auf einer vertretbaren Bewertung dieser zur Zeit für und gegen einen dringenden Tatverdacht sprechenden Umstände beruht (vgl. Senat aaO.; ebenso BGH StV 1991, 525; StV 2004, 143; OLG Koblenz, StV 1994, 316; OLG Karlsruhe StV 1997, 312; OLG Kiel, SchlHA 2003, 188; OLG Jena, StV 2005, 559; KG Beschluss vom 3. April 2006, Az. 1 AR 631/04, bei juris; OLG Hamm, Beschluss vom 14. November 2007, 2 Ws 342/07, bei juris). Die vorläufige Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Tatgericht kann hingegen nicht auf Richtigkeit überprüft werden. In welchem Umfang die angefochtene Entscheidung das bisherige Beweisergebnis darlegen muss, hängt dabei von dem Zweck ab, es dem Beschwerdegericht zu ermöglichen, diese zu überprüfen.
Vor diesem Hintergrund reicht die Begründung des Nichtabhilfebeschluss vom 2. Januar 2015 nicht aus. Denn der Angeklagte hat in seiner Beschwerdeschrift umfangreiche Ausführungen dazu gemacht, was verschiedene Zeugen bislang ausgesagt hätten und welche Folgerungen sich daraus für den dringenden Tatverdacht ergäben. Der Senat kann mangels eigener Kenntnis schon nicht beurteilen, ob die Behauptungen zum Inhalt der Zeugenaussagen zutreffen und - wenn ja - wie diese vor dem Hintergrund etwaiger anderer Ergebnisse der Beweisaufnahme im Hinblick auf die Tatvorwürfe zu bewerten sind. Die Beschränkung auf den Hinweis, dass die weitere Beweisaufnahme vom 10. und 16.12.2014 den dringenden Tatverdacht hinsichtlich der im Haftbefehl genannten Anklagevorwürfe nicht zu entkräften vermochte, genügt angesichts des Beschwerdevorbringens nicht, um dem Senat die gebotene Prüfung zu ermöglich, ob das mitgeteilte Ergebnis auf einer vertretbaren Bewertung der zur Zeit für und gegen einen dringenden Tatverdacht sprechenden Umstände beruht.