Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 21.01.2015, Az.: 32 Ss 190/14

Persönliche Untersuchung vor dem Ausstellen eines Attestes über eine Psychose durch den ausstellenden Arzt erforderlich; Unzulässigkeit eines Beweisantrags auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne Angabe einer konkreten Beweisbehauptung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
21.01.2015
Aktenzeichen
32 Ss 190/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 23234
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2015:0121.32SS190.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Verden - 16.06.2014

Fundstellen

  • NStZ-RR 2015, 112-113
  • RPsych (R&P) 2015, 119
  • medstra 2015, 383-384

Amtlicher Leitsatz

Für das Ausstellen eines ärztlichen Attestes mit der gesicherten Diagnose "paranoid-halluzinatorische Psychose mit einer depressiven Episode bei bestehenden Suizidgedanken" sowie die Fertigung eines Einweisungsscheins in eine psychiatrische Klinik ist eine vorherige tagesaktuelle, jedenfalls zeitnahe, persönliche, mit der erforderlichen Erfahrung und fachlich fundiertem Vorgehen vorgenommene Untersuchung des Patienten durch den das Attest ausstellenden Arzt erforderlich.

Redaktioneller Leitsatz

Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist unzulässig, wenn er keine konrekte Beweisbehauptung enthält.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 16.06.2014 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Teilfreispruch entfällt, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Das Landgericht Verden verurteilte den Angeklagten, der als niedergelassener Hausarzt tätig ist, am 16.06.2014 auf seine Berufung hin wegen Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses (§ 278 StGB) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 100,- €.

Die Kammer hat die Feststellungen getroffen, dass der Angeklagte am 17.06.2011 - aus Gefälligkeit gegenüber dem Vater der damals 12 Jahre alten S. B. - ein ärztliches Attest zur Vorlage beim Jugendamt ausstellte, wonach S. B. "an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose mit einer depressiven Episode bei bestehenden Suizidgedanken leide und dringend medizinische Betreuung in stationären Bedingungen brauche".

Darüber hinaus fertigte der Angeklagte einen sog. Einweisungsschein, in welchem diese Diagnose mit den dazugehörigen ICD-Codes versehen war und zusätzlich mit dem Buchstaben "G" als "gesichert" gekennzeichnet wurde. Der Angeklagte hatte S. B. vor Ausstellung des Attestes weder tagesaktuell noch zumindest zeitnah untersucht.

Mit seiner Revision erhebt der Angeklagte folgende Verfahrensrügen:

1.) Mit der Aufklärungsrüge macht er geltend, dass die Kammer sich zur Einholung eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Methodik und wissenschaftlich anerkannten Standards der Diagnostik einer paranoid-halluzinatorischen Psychose gemäß § 244 Abs. 2 StPO hätte gedrängt fühlen müssen.

2.) Insoweit sei sein entsprechender Beweisantrag unter Verstoß gegen § 244 Abs. 3 bis Abs. 6 StPO rechtsfehlerhaft zurückgewiesen worden.

3.) Das Sachverständigengutachten des Dr. med. Dipl.-Psych. P., Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, sei trotz zulässiger und begründeter Ablehnung des Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit verfahrensfehlerhaft verwertet worden.

Daneben erhebt der Angeklagte die allgemeine Sachrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision erweist sich als offensichtlich unbegründet, § 349 Abs. 2 StPO.

1.)

Die erhobenen Verfahrensrügen entsprechen nicht den Anforderungen an einen ordnungsgemäßen Revisionsvortrag gem. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Sie sind unzulässig.

So genügt es nicht, Aktenbestandteile und Ausschnitte aus dem Hauptverhandlungsprotokoll der Einfachheit halber in chronologischer Reihenfolge und nicht nach Rügen getrennt zu überreichen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 14.04.2010, Az.: 2 StR 42/10).

Unter dem Abschnitt "I. Verfahrenstatsachen" hat der Angeklagte in seiner Revisionsbegründungsschrift nahezu den gesamten Ablauf der Hauptverhandlung(en) bis zum Urteilsspruch durch das Landgericht Verden am 16.06.2014 durch chronologisch aufeinander folgende Ablichtungen aus den Akten dargestellt, so auch für die konkret erhobenen Verfahrensrügen bedeutungslose und überflüssige Ablichtungen (so etwa das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Stolzenau vom 10.12.2012, die Berufungsbegründungsschrift vom 18.03.2013, Ladungsverfügungen und Aufhebungsverfügungen von Berufungshauptverhandlungen, vollständige Berufungshauptverhandlungsprotokolle ausgesetzter Verhandlungen vom 28.08.2013 und 27.01.2014 mitsamt teilweise wieder zurückgenommenen Beweisanträgen). Insoweit ist es nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich aus dem Aktenkonvolut unter "I. Verfahrenstatsachen" denkbare Verfahrensfehler selbst herauszusuchen und den dazu möglicherweise passenden Verfahrenstatsachen zuzuordnen.

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Verfahrensrügen auch im Übrigen unzulässig waren. Bei dem Antrag auf Einholung eines forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens zur Methodik und wissenschaftlich anerkannten Standards der Diagnostik einer paranoid-halluzinatorischen Psychose handelte es sich schon nicht um einen Beweisantrag, da der Antrag keine konkrete Beweisbehauptung erkennen lässt.

Insoweit ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Kammer sich hinsichtlich dieses Beweisermittlungsantrages zur Einholung eines - weiteren - forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens gem. § 244 Abs. 2 StPO im Rahmen ihrer Amtsaufklärungspflicht hätte gedrängt sehen müssen. Die Kammer war bereits über die Methodik und wissenschaftlich einzuhaltende Standards zur Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Psychose auf der Grundlage des in der Berufungshauptverhandlung erstatteten Gutachtens des Sachverständigen Dr. P. informiert.

Hinsichtlich der Rüge einer verfahrensfehlerhaften Verwertung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. P. versäumt es der Revisionsführer vorzutragen, wie die Staatsanwaltschaft Verden zu dem Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit Stellung genommen hat, denn darauf nimmt der Sachverständige Dr. P. in seiner eigenen Stellungnahme vom 05.02.2014 Bezug.

2.)

Die Sachrüge ist unbegründet.

Insbesondere hat die Kammer rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte bei Ausstellen eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses "wider besseres Wissen" handelte.

III.

Der von der Kammer tenorierte Teilfreispruch im Übrigen entfällt.

Zwar ist - anders als im erstinstanzlichen Urteil des Amtsgerichts Stolzenau vom 10.12.2012 - eine Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges zum Nachteil der AOK nicht mehr erfolgt. Dieser Tatvorwurf ist jedoch im Verlaufe der Berufungshauptverhandlung gem. § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden, sodass ein Ausspruch im Urteil darüber nicht mehr erfolgen konnte.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.