Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 03.06.2004, Az.: 6 A 5608/03

Aufgabenübertragung: Schülerbeförderung; eigener Wirkungskreis; Gemeinde; Heranziehung: Schülerbeförderung; Passivlegitimation; Rechtsträgerschaft; Schülerbeförderung; Selbstverwaltungsaufgabe; Zuständigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
03.06.2004
Aktenzeichen
6 A 5608/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 50595
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Anspruch auf Schülerbeförderung richtet sich auch dann gegen den Landkreis als Träger der Schülerbeförderung, wenn dieser mit einer kreisangehörigen Gemeinde vereinbart hat, dass die ihm obliegende Aufgabe der Schülerbeförderung von dieser Gemeinde durchgeführt werden soll.

Gründe

1

Den Klägern kann die begehrte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO). Sie haben gegen die von ihnen beklagte Stadt Hildesheim keinen Anspruch auf Schülerbeförderung ihrer am E. 1990 geborenen Tochter F. nach Maßgabe des § 114 NSchG.

2

Nach § 114 Abs. 1 S. 2 NSchG haben die Landkreise und kreisfreien Städte als Träger der Schülerbeförderung unter anderem die in ihrem Gebiet wohnenden Schülerinnen und Schüler der 1. bis 10. Schuljahrgänge der allgemeinbildenden Schulen unter zumutbaren Bedingungen zur Schule zu befördern oder ihnen oder ihren Erziehungsberechtigten die notwendigen Aufwendungen für den Schulweg zu erstatten. Die Stadt Hildesheim ist keine kreisfreie Stadt (vgl. § 10 Abs. 3 NGO), der Anspruch auf Schülerbeförderung richtet sich mithin nach § 114 Abs. 1 S. 2 NSchG auch für die im Bereich der Stadt Hildesheim wohnenden Schüler gegen den Landkreis Hildesheim. § 11 Abs. 1 Satz 1 NGO ermächtigt die Stadt Hildesheim als große selbständige Stadt im Sinne von § 10 Abs. 2 NGO nur zur Wahrnehmung der dem Landkreis obliegenden Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises, soweit dies gesetzlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Die Schülerbeförderung gehört nach § 114 Abs. 1 S. 3 NSchG nicht zum übertragenen, sondern zum eigenen Wirkungskreis der Landkreise und kreisfreien Städte. Der Landkreis Hildesheim hat die Aufgaben der Schülerbeförderung auch nicht wirksam auf die Stadt Hildesheim übertragen.

3

Nach § 114 Abs. 5 S. 1 Nds. Schulgesetz können die Landkreise mit den kreisangehörigen Gemeinden und Samtgemeinden vereinbaren, dass von diesen die den Landkreisen als Träger der Schülerbeförderung obliegenden Aufgaben durchgeführt werden. Diese ursprünglich mit dem 2. Gesetz zur Änderung des Nds. Schulgesetzes vom 21.07.1980 (Nds. GVBl. S. 261, 272) - NSchG 1980 -  als § 94 Abs. 6 S. 1 in das NSchG eingefügte Regelung ermächtigt einen Landkreis nicht, die Aufgaben der Schülerbeförderung auf eine kreisangehörige Gemeinde - hier die Stadt Hildesheim - zu übertragen. Dies lässt nicht nur ein Vergleich mit der bis zum Inkrafttreten des § 94 Abs. 6 S. 1 NSchG 1980 geltenden Vorschrift des § 94 Abs. 3 Nds. Schulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18.08.1975 (Nds. GVBl. S. 255), sondern auch die Gesetzesbegründung zu § 94 Abs. 6 NSchG 1980 deutlich erkennen. Nach § 94 Abs. 3 NSchG 1975 konnte der Landkreis die damals staatliche Aufgabe der Schülerbeförderung durch Vereinbarung anderen Schulträgern übertragen, während § 94 Abs. 6 S. 1 NSchG 1980 und die jetzt geltende wortgleiche Vorschrift des § 114 Abs. 5 S. 1 NSchG den Landkreisen nur ermöglichen, die ihnen als Träger der Schülerbeförderung obliegenden Aufgaben von einer kreisangehörigen Gemeinde durchführen zu lassen. Dass mit der Änderung des Wortlauts der Vorschrift auch eine sachliche Änderung beabsichtigt gewesen ist, zeigt die Gesetzesbegründung zu § 94 Abs. 6 NSchG 1980 deutlich. Dazu heißt es in der Entwurfsbegründung zu § 94 Abs. 4 NSchG (= § 94 Abs. 6 des Gesetzes, Landtagsdrucksache 9/1085 S. 78):

4

„Nach Abs. 4 ist bei der Durchführung der Schülerbeförderung die Beteiligung der kreisangehörigen Gemeinden möglich. Diese Heranziehungsmöglichkeit gewährleistet besser als eine Aufgabenübertragung die für eine optimale Schülerbeförderung in einem Landkreis erforderliche überörtliche Abstimmung.“

5

Die Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde - hier die Stadt Hildesheim - ändert mithin nichts an der Rechtsträgerschaft des Landkreises, so dass sich der Anspruch auf Schülerbeförderung nach § 114 NSchG auch im Falle der Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde weiter gegen den Landkreis und damit im vorliegenden Fall gegen den Landkreis Hildesheim richtet (vgl. dazu auch Seyderhelm/Nagel/Brockmann, § 114 NSchG Rdnr. 6).

6

Dem steht entgegen der Auffassung der Stadt Hildesheim auch nicht die am 10.03.1975 mit dem Landkreis Hildesheim abgeschlossene Vereinbarung entgegen. Nach § 7 dieser Vereinbarung führt die Stadt Hildesheim den Schülertransport für Schüler aus ihrem Stadtgebiet durch und rechnet gegenüber den Anspruchsberechtigten ab. Diese Regelung ist nach dem Vorbringen der Stadt Hildesheim (Schriftsatz vom 08.10.2003 im Verfahren 6 A 3915/03) im Jahre 1995 geändert worden und kann schon deshalb keine Grundlage für eine eigenständige Befugnis der Stadt Hildesheim zur Entscheidung über den von den Klägern am 27.06.2003 gestellten Antrag auf Schülerbeförderung bieten. Im Übrigen haben die Stadt und der Landkreis Hildesheim mit der im März 1975 abgeschlossenen Vereinbarung von der damals bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, die staatliche Aufgabe der Schülerbeförderung der Stadt Hildesheim zu übertragen. Diese Möglichkeit hat – wie bereits dargelegt worden ist – nach dem Inkrafttreten des NSchG 1980, mit dem die Schülerbeförderung zu einer Selbstverwaltungsaufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte gemacht worden ist, nicht mehr bestanden. Diese Rechtsänderung hat unmittelbar zur Unwirksamkeit des im Jahre 1975 abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages über die Schülerbeförderung geführt, denn mit diesem Vertrag ist eine staatliche Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises und nicht eine eigene Aufgabe des Landkreises Hildesheim auf die Stadt Hildesheim übertragen worden (vgl. dazu auch OVG Münster, Urt. v. 16.10.2003, 9 A 3137/00 zit. nach juris; Schumacher, Intertemporaler Satzungserlaß versus Vertrag - Das Verhältnis einer nachträglich erlassenen kommunalen Norm zu einem dieser widersprechenden bestehenden Vertrag, Verwaltungsrundschau 1995, 484). Die Selbstverwaltungsaufgabe der Schülerbeförderung durfte der Landkreis Hildesheim nach der Gesetzesänderung im Jahre 1980 nicht mehr auf die kreisangehörigen Gemeinden übertragen. Soweit dies mit der 1995 abgeschlossenen Vereinbarung beabsichtigt gewesen sein sollte, ist diese Vereinbarung nach §§ 1 Abs. 1 Nds. VwVfG,  59 Abs. 1 VwVfG i. V. m. § 134 BGB nichtig. Im Übrigen lässt sich § 7 Abs. 1 der derzeit geltenden Vereinbarung mit dem Landkreis Hildesheim durchaus dahin auslegen, dass die Stadt Hildesheim ohne Änderung der Rechtsträgerschaft nur mit der Durchführung der Schülerbeförderung beauftragt worden ist. Nach § 7 Abs. 1 der Vereinbarung führt die Stadt Hildesheim den Schülertransport nach § 114 NSchG für die Schülerinnen und Schüler aus ihrem Gebiet für alle Schulformen durch bzw. lässt ihn durch andere Schulträger durchführen. Die Bezugnahme auf § 114 NSchG könnte den Schluss zulassen, dass die Vertragspartner bei Abschluss der Vereinbarung auch § 114 Abs. 5 Satz 1 NSchG beachten wollten. 

7

Die anwaltlich vertretenen Kläger haben trotz entsprechender Hinweise in den gerichtlichen Verfügungen vom 24.10.2003 und vom 25.11.2003 nicht den Landkreis Hildesheim, sondern weiterhin die Stadt Hildesheim auf Schülerbeförderung in Anspruch genommen. Dass die beklagte Stadt Hildesheim sich selbst als richtigen Anspruchsgegner ansieht und diese Ansicht auch nachdrücklich vertritt, ändert an der geltenden Rechtslage nichts und führt auch nicht dazu, dass den Klägern im vorliegenden Fall ein Anspruch auf Schülerbeförderung gegen die Stadt Hildesheim zusteht. Die von ihnen als Beklagte bezeichnete Stadt Hildesheim ist nicht Trägerin der Schülerbeförderung und deshalb auch nicht Anspruchsgegnerin eines aus § 114 Abs. 1 NSchG abgeleiteten Anspruches auf Schülerbeförderung.