Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 30.06.2004, Az.: 6 B 3071/04
Ausschluss eines Schülers vom Unterricht wegen Gewaltanwendung; Voraussetzungen der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehung einer gegen einen Schüler gerichteten Ordnungsmaßnahme; Nochmaliger Erlass eines Verwaltungsaktes nach dessen Aufhebung durch die übergeordnete Behörde; Ausschluss einer Schülerin vom Unterricht wegen Beteiligung an einer Schlägerei; Anspruch eines Schülers auf Teilnahme am Unterricht
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 30.06.2004
- Aktenzeichen
- 6 B 3071/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2004, 36124
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2004:0630.6B3071.04.0A
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs. 3 VwGO
- § 80 Abs. 4 S. 3 VwGO
- § 80 Abs. 5 VwGO
- § 61 Abs. 2 NSchG
- § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG
- § 61 Abs. 4 S. 1 NSchG
Fundstellen
- NJW 2004, 3732 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ-RR 2004, 852-854 (Volltext mit amtl. LS)
- SchuR 2005, 202-203 (Volltext)
- SchuR 2007, 116 (Kurzinformation)
Verfahrensgegenstand
Ausschluss vom Unterricht - Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gemäß § 80 Abs. 5 VwGO -
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein Prozesskostenhilfeantrag ist abzulehnen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolguhg keine ausreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
- 2.
In einem Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben, einerseits und dem Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes andererseits. Dabei sind die Erfolgsaussichten des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu bewerten, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind.
- 3.
Die Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO ist kein Verwaltungsakt. Als unselbständiger Teil der durch den Verwaltungsakt getroffenen Regelung beseitigt sie als bloße Verfahrenshandlung mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur ein Vollziehungshindernis. Ein rechtlich anerkannter Vertrauensschutz, zukünftig von der erneuten Anordnung der sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, kann schon vom Grundsatz her nicht eintreten.
- 4.
Die Beteiligung eines Schülers an einer verabredeten Schlägerei stellt eine Verletzung seiner Pflichten als Schüler dar. Dieser Pflichtverletzung darf mit einer Ordnungsmaßnahme nach § 61 Abs. 2 NSchG begegnet werden.
In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 6. Kammer -
am 30. Juni 2004
beschlossen:
Tenor:
Die Anträge, der Antragstellerin Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 in der Gestalt des Bescheides vom 4. Juni 2004 wiederherzustellen, werden abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen den von der Antragsgegnerin ihr gegenüber verfügten und für sofort vollziehbar erklärten Ausschluss vom Unterricht.
Die am 4. Januar 1986 geborene Antragstellerin ist Schülerin der Antragsgegnerin und besucht gegenwärtig die Klasse 1 der zweijährigen Berufsfachschule in der Fachrichtung Hauswirtschaft (Klasse BFH 21 A).
Am 20. April 2004 fertigte die bei der Antragsgegnerin beschäftigten Sozialarbeiterin D. einen Vermerk. Dem Vermerk zufolge hatte Frau E., die Lehrerin der Klasse NHO 01 B, am 19. April 2004 mitgeteilt, dass es an jenem Tag in der 3. Pause fast eine Schlägerei im Treppenhaus der Schule gegeben habe. F. G., eine Schülerin der Klasse NHO 01 B, sei auf dem Weg in ihren Klassenraum von mehreren Mädchen damit bedroht worden, am Busbahnhof in Stadthagen zusammengeschlagen zu werden. Ein Mitschüler habe F. G. daraufhin zum Busbahnhof begleiten wollen. Am nächsten Morgen habe sie, Frau D., gemeinsam mit Frau E. die Klasse NHO 01 B aufgesucht. F. G. und deren Freundin H. I. seien aber nicht zum Unterricht erschienen. Im weiteren Verlauf des Tages habe sich herausgestellt, dass F. G. am 19. April 2004 im Anschluss an den Unterricht zusammengeschlagen worden sei und sich im Krankenhaus befinde. Ihre Freundin H. I. sei morgens am Bus bedroht worden und deshalb ebenfalls nicht in der Schule erschienen. Eine weitere Befragung von Schülerinnen und Schülern habe ergeben, dass an der Schlägerei die Schülerin J. K., die eine andere Schule besuche, die Antragstellerin sowie die drei Mitschülerinnen L., M. und N. beteiligt gewesen seien.
Am 28. April 2004 beschloss die Klassenkonferenz der Klasse BFH 21 A, die Antragstellerin bis zum Ende des Schuljahres vom Unterricht auszuschließen. Dieselbe Ordnungsmaßnahme wurde von den zuständigen Klassenkonferenzen gegenüber den Mitschülerinnen L., M. und N. beschlossen. Diese Entscheidung wurde der Antragstellerin mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 bekannt gegeben. In dem Bescheid ordnete der Schulleiter der Antragsgegnerin die sofortige Vollziehung der Ordnungsmaßnahme an.
Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin mit Schreiben vom 5. Mai 2004 Widerspruch. Am 17. Mai 2004 beantragte sie im Verfahren 6 B 2526/04 vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung der Ordnungsmaßnahme. Die Antragsgegnerin hob mit schriftsätzlicher Erklärung ihrer Prozessbevollmächtigten vom 25. Mai 2004 die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Bescheid vom 29. April 2004 auf, und die Beteiligten erklärten im Verfahren 6 B 2526/04 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Am 2. Juni 2004 führte die Antragsgegnerin unter Beteiligung der Antragstellerin erneut eine Klassenkonferenz der Klasse BFH 21 A durch. Die Konferenz änderte dabei ihren Beschluss vom 28. April 2004 dahingehend, dass die Antragstellerin bis zum Schluss des Unterrichts dieses Schuljahres am 7. Juli 2004 vom Unterricht ausgeschlossen wird. Im Übrigen beschloss die Konferenz, dem Widerspruch nicht abzuhelfen und die sofortige Vollziehung des Unterrichtsausschlusses anzuordnen. Diesen Beschluss führte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 4. Juni 2004 aus. Zur Begründung des Unterrichtsausschlusses führte sie aus, die Antragstellerin habe am 19. April 2004 an einer verabredeten Schlägerei teilgenommen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ordnungsmaßnahme erscheine im Interesse der Mitschülerinnen und Mitschüler sowie im Interesse der Aufrechterhaltung des Schulbetriebs und der Disziplin in den Klassen dringend geboten. Außerdem seien die Angst des Opfers und die Bedrohung der Zeugen und von Mitschülern zu berücksichtigen.
Die Antragstellerin hat am 21. Juni 2004 erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Sie vertritt die Auffassung, dass die erneute Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die Antragsgegnerin rechtswidrig sei, weil die Bezirksregierung Hannover dieselbe Anordnung bereits am 24. Mai 2004 zurückgenommen habe. An der Sachlage habe sich seit dem Konferenzbeschluss vom 28. April 2004 nichts geändert. Zwar habe die als Hauptverantwortliche bezeichnete J. K. inzwischen ihre Schuld gegenüber der Polizei eingeräumt. Im Übrigen stünden sich aber zwei Sachverhaltsdarstellungen gegenüber. Sie, die Antragstellerin, habe zwar in der Konferenz am 2. Juni 2004 die Möglichkeit erhalten, den Sachverhalt aus ihrer Sicht zu schildern. Ihr sei aber nicht bekannt, was die Geschädigte vorgetragen habe und welche Zeugen und Beweise es für ihren Vortrag gebe. Da der angefochtene Bescheid insoweit lediglich Schlagwörter wiedergebe, dränge sich der Eindruck auf, dass eine unzulässige Kollektivmaßnahme ausgesprochen worden sei. Von der im Bescheid genannten Bedrohung könne nicht ausgegangen werden, weil sie und ihre Mitschülerinnen in keiner Weise als Gruppe aufgefallen seien, die die ganze Schule terrorisiere. Vielmehr habe es nur eine private Auseinandersetzung zwischen J. K. und der Geschädigten F. G. gegeben.
Im Übrigen nimmt die Antragstellerin auf die im Verfahren 6 B 2526/04 vorgelegten eidesstattliche Versicherung vom 10. Mai 2005 und die in demselben Verfahren vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Schülerinnen J. K. und M. sowie der Erziehungsberechtigten der Schülerinnen N. und L. Bezug. Mit diesen eidesstattlichen Versicherungen wird folgender Vortrag als der Wahrheit entsprechend versichert:
Die Schülerin F. G. sei am Vormittag des 19. April 2004 beim Weg in ihren Klassenraum über das Bein von J. K., die in einer Gruppe von 10 Schülerinnen am Treppenaufgang gestanden habe gestrauchelt, worauf es eine verbale Auseinandersetzung gegeben habe. F. habe vom oberen Ende der Treppe das Wort "Hurentöchter" in die Mädchengruppe gerufen. Daraufhin sei ihr N. bis zur Klasse gefolgt und habe sie in sehr aggressivem Ton gefragt, was das solle. Statt einer Antwort habe sie von F. G. eine Ohrfeige erhalten. Daraufhin sei die Mädchengruppe F. G. gefolgt. J. K. sei in den Klassenraum gegangen. Weil dort schon eine Lehrerin anwesend gewesen sei, habe es nur eine kurze verbale Auseinandersetzung gegeben. Nach der 6. Stunde sei es an der Bushaltestelle erneut zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen, in deren Verlauf F. J. einen Schlag mit der flachen Hand auf die Wange versetzt habe. Anschließend sei es zwischen den beiden Mädchen zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen, bei der irgendwann J.s Nase geblutet habe. Der Rest der Mädchengruppe sei nun dazwischen gegangen und habe die körperlich überlegene F. von J. herunter gezerrt.
Die Antragstellerin beantragt,
ihr unter Beiordnung von Rechtsanwalt Oliver Theiß, Bückeburg, Prozesskostenhilfe zu bewilligen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 29. April 2004 in der Gestalt des Bescheides vom 4. Juni 2004 wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz abzulehnen.
Die Antragstellerin verweist auf die in Vermerken niedergelegten Feststellungen ihrer pädagogischen Mitarbeiterin D. zum Hergang der Ereignisse am 19. April 2004. Diese habe am 25. Mai 2004 erneut ein Gespräch mit F. G. und H. I. geführt. Darin seien die Feststellungen der Schule bestätigt worden. Danach habe die Gruppe Mädchen am Busbahnhof bereits mit ausgezogenen Jacken gestanden. J. habe auf F. eingeschlagen und ihr Haare ausgerissen. Schnell habe F. am Boden gelegen. J. habe auf ihr gesessen und F. ins Gesicht geschlagen. Die anderen Mädchen hätten um die beiden herumgestanden und F. in das Gesicht und andere Köperteite getreten. Auch wenn der genaue Tatbeitrag der Antragstellerin zur Zeit offen und J. K. die Haupttäterin sei, habe die Antragstellerin durch ihre Anwesenheit und Unterstützung der Haupttäterin gezeigt, dass sie zur Gewaltanwendung bereit sei. Wahrscheinlich sei es nur wegen dieser Unterstützung zur Heftigkeit der Auseinandersetzung gekommen. Im Übrigen sei es nach den Aussagen von F. G. und ihrer Freundin H. wahrscheinlich, dass auch die Antragstellerin auf die am Boden liegende F. eingeschlagen habe. Darauf weise auch die Schwere der Verletzungen und die Notwendigkeit einer Behandlung von F. G. im Krankenhaus hin. Das besondere Vollzugsinteresse sei darin begründet, dass F. G. und ihre Freundin ohne Angst vor weiteren Auseinandersetzungen und Bedrohungen die Schule besuchen könnten. Auch andere Schüler hätten die Vorfälle wahrgenommen und seien verängstigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist die Kammer ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten 6 B 3071/04 und 6 B 2526/04 sowie der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (Beiakte A).
II.
Der Prozesskostenhilfeantrag der Antragstellerin ist nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolguhg keine ausreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Insoweit kann zur näheren Begründung auf die nachfolgenden Gründe für die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz verwiesen werden.
Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO zulässige Antrag ist nicht begründet.
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, vorläufig von den Wirkungen des angefochtenen Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aufschubinteresse), einerseits und dem Interesse an der sofortigen Vollziehung dieses Verwaltungsaktes (Sofortvollzugsinteresse) andererseits. Dabei sind die Erfolgsaussichten des von dem Antragsteller eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen, soweit diese bei summarischer Prüfung absehbar sind. Bestehen bereits bei dieser summarischen Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes, ist dem Antrag stattzugeben, da ein überwiegendes Interesse an der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht in Betracht kommt (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Bestehen solche Zweifel nicht, wird der Rechtsbehelf in der Hauptsache bei summarischer Prüfung also mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben, und ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des angegriffenen Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 3 VwGO ordnungsgemäß begründet worden, so ist der Antrag abzulehnen. So liegt es hier.
Entgegen der von der Antragstellerin vertretenen Auffassung war die Antragsgegnerin nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO berechtigt, die sofortige Vollziehung des Ausschlusses vom Unterricht in dem Bescheid vom 4. Juni 2004 erneut anzuordnen. Die mit Schriftsatz vom 24. Mai 2004 im Verfahren 6 B 2526/04 erklärte Rücknahme der Anordnung des Sofortvollzuges im Bescheid vom 29. April 2004 hinderte die Antragsgegnerin nicht, nach dem Nachholen des dafür notwendigen Beschlusses der Klassenkonferenz vom 2. Juni 2004 die Anordnung im Bescheid vom 4. Juni 2004 erneut zu treffen. Die Vollziehbarkeitsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist weder ein Verwaltungsakt, noch entfaltet sie materielle Wirkungen. Als unselbständiger Teil der durch den Verwaltungsakt getroffenen Regelung beseitigt sie als bloße Verfahrenshandlung mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung nur ein Vollziehungshindernis. Deshalb kann schon vom Grundsatz her ein rechtlich anerkannter Vertrauensschutz, zukünftig von der erneuten Anordnung der sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, nicht eintreten (Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung, § 80 Rdnr. 182 m.w.N.).
Im Übrigen bestehen bei summarischer Prüfung des Sachverhalts keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides der Antragsgegnerin vom 29. April 2004. Der Widerspruch der Antragsgegnerin gegen diesen Bescheid wird daher aller Voraussicht nach aus Rechtsgründen nicht erfolgreich sein.
Rechtsgrundlage für den Ausschluss der Antragstellerin vom Unterricht ist § 61 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 NSchG. Danach kann eine Schülerin im Wege einer Ordnungsmaßnahme für bis zu drei Monate vom Unterricht ausgeschlossen werden, wenn sie ihre Pflichten grob verletzt (Abs. 2) und durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Unterricht nachhaltig und schwer beeinträchtigt hat (Abs. 4 Satz 1).
In formeller Hinsicht hat die Antragsgegnerin die für die Anordnung dieser Maßnahme erforderliche Klassenkonferenz am 28. April 2004 durchgeführt und der Antragstellerin am 2. Juni 2004 erneut Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Die eingehende Niederschrift vom 2. Juni 2004 zeigt, dass die Konferenz die Äußerungen der Antragstellerin zur Kenntnis genommen und unter Berücksichtigung der von dem sozialen Dienst der Antragsgegnerin ermittelten Erkenntnisse bewertet und abgewogen hat. In formeller Hinsicht hat die Konferenz den Zeitraum des ursprünglich "bis zum Ende des Schuljahres" beschlossenen Unterrichtsausschlusses begrenzt und dessen Ende auf den 7. Juli 2003 bestimmt.
In materieller Hinsicht geht die Kammer mit der für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ausreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon aus, dass sich der Sachverhalt, den die Antragsgegnerin der Antragstellerin zur Last legt, tatsächlich im Wesentlichen so zugetragen hat, wie dieses von der Antragsgegnerin ermittelt worden ist. Danach haben die Antragstellerin und ihre Mitschülerinnen L., M. und N. gemeinsam mit der nunmehr auch von ihr als "Hauptverantwortliche" bezeichneten J. K. verabredet, die am Vormittag im Schulgebäude bereits begonnene Auseinandersetzung mit der Schülerin F. G. am Busbahnhof in Stadthagen gewalttätig fortzusetzen. Dieses folgt aus den Feststellungen der pädagogischen Mitarbeiterin der Antragsgegnerin, die ausweislich ihres Vermerks vom 20. April 2004 (Bl. 24 f. Beiakte A) bereits im Verlauf des Schultages am 19. April 2004 von der Lehrerin E. erfahren hatte, dass mehrere Mädchen der Schülerin F. G. damit gedroht hatten, sie am Busbahnhof zusammenzuschlagen und dass daraufhin ein Schüler F. G. zum Busbahnhof begleitet hätte. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der dienstlich gefertigten Vermerke der Sozialarbeiterin D. zu zweifeln. Es gäbe keine vernünftige Erklärung dafür, warum Schüler im Laufe des Schulvormittags des 19. April 2004 bei der Mitteilung eines angekündigten "Zusammenschlagens" der Schülerin F. G. am Busbahnhof die Unwahrheit hätten sagen sollen, zumal sich später tatsächlich am Busbahnhof eine Schlägerei entwickelt hat. Anders ist es auch nicht zu erklären, dass die Schülerin F. G. schon vor dem Vorfall am Busbahnhof, nämlich vormittags in ihrer Klasse nach den Beobachtungen der Lehrerin E. aus Angst vor den Mädchen zitterte und aus diesem Grund von ihrer Freundin H. I. nach Schulschluss auf dem Heimweg begleitet wurde (Vermerk der Sozialarbeiterin D. vom 25.5.2004; Bl. 50 Beiakte A).
Für die Kammer ist nach dem bisher bekannten Sachverhalt auch überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin an der verabredeten Schlägerei aktiv beteiligt war. Die Schülerinnen F. G. und H. I. haben auf nachmalige Befragung durch die Sozialarbeiterin D. am 25. Mai 2004 (Bl. 50 Beiakte A) erklärt, dass die Gruppe um J. K. schon ihre Jakken ausgezogen hatten, als sich F. und H. dem Busbahnhof näherten. Bei dem Versuch zu schlichten, sei H. vom J. beiseite gestoßen worden. J. habe auf F. eingeschlagen und so an ihren Haaren gerissen, dass kahle Stellen zurückgeblieben seien. F. habe sehr schnell auf dem Boden gelegen, sei von J. geschlagen und von anderen Mädchen getreten worden. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Ermittlungen der Antragsgegnerin zu zweifeln. Denn der dem entgegenstehende Sachvortrag der Antragstellerin ist teilweise nicht nachvollziehbar. Die Antragstellerin bezieht sich unter Hinweis auf ihr Vorbringen im Verfahren 6 B 2526/04 auf ihre eigene Sachdarstellung in der Widerspruchsbegründung. Die darin aufgestellte Behauptung, der "Rest der Gruppe" sei dazwischen gegangen, als die körperlich überlegene F. auf der aus der Nase blutenden J. gesessen habe, lässt sich mit den erlittenen Verletzungen der Schülerin F. G. nicht vereinbaren. Unstreitig hat sich F. G. im Anschluss an die Schlägerei in Krankenhausbehandlung begeben. Die Sozialarbeiterin D. hat auf fernmündliche Nachfrage des Berichterstatters am 30. Juni 2004 bestätigt, dass die Schülerin sich zunächst zur Beobachtung im Krankenhaus aufgehalten und später beim Erscheinen in der Schule deutliche Verletzungsspuren in Gestalt ausgerissener Haarpartien und von Blutergüssen im Bereich des Gesichts gezeigt hat. Diese Art der sichtbaren Verletzungen lassen sich mit der Sachverhaltsschilderung der Schülerinnen F. G. und H. I. vereinbaren. Nicht vereinbar mit den erlittenen Verletzungen ist dagegen die Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin in der Antragsbegründung (Widerspruchsbegründung vom 5. Mai 2004) zur körperlichen Überlegenheit von F. G. und dem Anlass ihres Einschreitens, nämlich der behaupteten Verletzung der am Boden liegenden J. K.. Im Übrigen hat die Antragstellerin die Richtigkeit ihrer ursprünglichen Sachverhaltsdarstellung aus dem Verfahren 6 B 2526/04 mit der Antragsbegründung vom 17. Juni 2004 selbst relativiert, indem sie jetzt F. G. als "Geschädigte" und J. K. als "Hauptverantwortliche" bezeichnet und dazu vorträgt, J. K. habe ihre "Schuld" gegenüber der Polizei eingeräumt. Schon aus diesem Grund kann die Kammer den im Verfahren 6 B 2526/04 vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen der Antragstellerin und der Schülerinnen J. K. und M. keine entscheidende Bedeutung für die Glaubhaftmachung des Geschehensablaufs am 19. April 2004 beimessen. Schließlich spricht auch gegen die Glaubhaftmachung des von der Antragstellerin behaupteten Hergangs der Schlägerei am 19. April 2004, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin sich für diese ausweislich der Konferenzniederschrift vom 2. Juni 2004 (Bl. 43 ff. Beiakte A) mit einem Täter-Opfer-Ausgleich einverstanden erklärt hat. Auch der Sinngehalt dieser Erklärung spricht dagegen, dass sich die Antragstellerin am 19. Juni 2004 nicht an der Schlägerei beteiligt, sondern diese vielmehr - wie behauptet - durch ein Trennen der Kontrahentinnen beendet hätte.
Die Beteiligung der Antragstellerin an der verabredeten Schlägerei vom 19. April 2004 und der dadurch bedingten gefährlichen Körperverletzung (vgl. § 223 a StGB) stellt eine Verletzung ihrer Pflichten als Schülerin dar. Dieser durfte die Antragsgegnerin mit einer Ordnungsmaßnahme nach § 61 Abs. 2 NSchG begegnen. Dass die Schlägerei nicht auf dem Schulgelände, sondern an einem öffentlichen Platz in Stadthagen stattfand, steht der Anwendung einer Ordnungsmaßnahme nicht entgegen. Fehlverhalten von Schülerinnen oder Schülern außerhalb des Schulgeländes kann auch dann eine Pflichtverletzung im Sinne von § 61 Abs. 2 NSchG beinhalten, wenn es sich nicht während einer Schulveranstaltung ereignet. Der nach dieser Regelung erforderlich schulische Bezug ist auch dann gegeben, wenn sich Fehlverhalten außerhalb der Schule auf die Unterrichts- oder Erziehungsarbeit in der Schule auswirkt. Entscheidend für die Zulässigkeit eines Unterrichtsausschlusses ist insoweit nach § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG allein, dass das Fehlverhalten auf dem Schulweg entweder die Sicherheit von Lehrkräften, Mitschülerinnen oder Mitschülern ernstlich gefährdet oder die Unterrichts- oder Erziehungsarbeit nachhaltig beeinträchtigt. Das ist ohne Weiteres dann gegeben, wenn wie im vorliegenden Fall Auseinandersetzungen zwischen Schülerinnen oder Schüler auf dem Schulgelände beginnen und auf dem Schulweg fortgesetzt werden.
Dass die Antragsgegnerin auch im Fall der Antragstellerin deren Beteiligung an der Schlägerei vom 19. April 2004 zum Anlass genommen hat, einen insgesamt 10-wöchigen Unterrichtsausschluss anzuordnen und damit den rechtlichen Rahmen des § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG weitgehend auszuschöpfen, ist nicht ermessensfehlerhaft. Insbesondere verstößt die Ordnungsmaßnahme nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel. Vielmehr hat die Antragsgegnerin von dem ihr eingeräumten Ermessen, eine bestimmte Ordnungsmaßnahme aus dem Katalog des § 61 Abs. 3 NSchG auszuwählen, in einer der gesetzlichen Ermächtigung des § 61 Abs. 2 NSchG entsprechenden Weise Gebrauch gemacht (§ 40 VwVfG). Dass die Antragstellerin durch den Unterrichtsausschluss Unterricht versäumt und das Versäumte in Eigeninitiative nachholen muss, ist für sich gesehen noch nicht unverhältnismäßig, sondern liegt in der Natur dieser Ordnungsmaßnahme und wird von dem Gesetzgeber in Kauf genommen. Dasselbe gilt für das der Antragstellerin für die Dauer des Unterrichts erteilte Verbot des Betretens des Schulgeländes; auch dieses ist keine unverhältnismäßige Maßnahme, sondern eine Rechtsfolge des Unterrichtssausschlusses, § 61 Abs. 4 Satz 3 NSchG.
Schließlich war es angesichts der Schwere der Pflichtverletzung der Antragstellerin nicht erforderlich, ihr die streitige Maßnahme nach § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG zuvor nach § 61 Abs. 3 Nr. 3 NSchG anzudrohen. Zwar mag eine solche vorherige Androhung in der Regel dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit am ehesten Rechnung tragen. Das gilt insbesondere bei erstmaligen Schlägereien in der Schule, die weitgehend folgenlos bleiben.
Allerdings können die Schulen nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. Beschlüsse vom 22.1.2002, NdsVBl. 2002 S. 274, vom 11.4. 2002 - 6 B 947/02 - und vom 18.3.2004 - 6 B 1104/04 -) einem exzessiven und ungehemmten Verhalten von Schülerinnen und Schülern konsequent mit den Mitteln des Unterrichtsausschlusses begegnen. Das gilt für die Reaktion auf körperliche Gewalt insbesondere dann, wenn von ihr jugendliche oder erwachsene Schülerinnen und Schüler betroffen sind. Entscheidend für die Reaktion der Schule ist insoweit nicht die Tatsache der Gewaltanwendung selbst, sondern das Maß der Gemeinschädlichkeit und Störung des Schulfriedens, das von ihr hervorgerufen wird.
Das gilt auch im Fall der Antragstellerin. Entscheidend ist nicht, in welchem Maße sie sich an dem Eintreten auf die am Boden liegende Mitschülerin F. G. beteiligt hat und welche konkreten Handlungsbeiträge ihr an der gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung (§ 223 a StGB) strafrechtlich zuzurechen sind. Eine Ordnungsmaßnahme dient nämlich im Unterschied zu Erziehungsmitteln der Schule (§ 61 Abs. 1 NSchG) und zu Maßnahmen der Jugendgerichte nach dem Jugendgerichtsgesetz nicht vorrangig dazu, den Einzelnen erzieherisch zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten. Vielmehr sollen Ordnungsmaßnahmen in erster Linie die durch sein persönliches Fehlverhalten und das daraus möglicherweise resultierende Verhalten anderer Schülerinnen und Schüler gefährdete Sicherheit und Ordnung des Schulbetriebs gewährleisten. Die Auswahl der Ordnungsmaßnahme darf sich deshalb an der pädagogischen Prognose dessen, was zur Beseitigung des gestörten Schulfriedens erforderlich ist, orientieren.
Hat eine Schlägerei für Verunsicherung und Angst in der Schule gesorgt, kann folglich die Ordnungsmaßnahme gewählt werden, die voraussichtlich am Besten einen ungestörten Schulbetrieb wiederherstellt. Dazu kann regelmäßig auch der nicht nur kurzfristige Unterrichtsausschluss zählen, weil er im Unterschied zu den weniger einschneidenden Ordnungsmaßnahmen seiner Androhung oder der Überweisung in eine Parallelklasse die Verantwortlichen zumindest vorübergehend aus dem Blickfeld der verunsicherten Schülerschaft nimmt und darüber hinaus deutlich macht, dass der an exzessiver Gewalt Beteiligte mit zusätzlichen Belastungen in der Gestalt der Aufarbeitung des versäumten Unterrichts zu rechnen hat. Auch im Fall der Antragstellerin liegen Umstände vor, welche die Erziehungs- und Unterrichtsarbeit der Schule in besonderem Maße gefährden. Die Antragstellerin gehört ebenso wie ihre beteiligten Mitschülerinnen zu der Gruppe älterer Jugendlicher bzw. junger Erwachsener. Von einer massiven Schlägerei zwischen erwachsenen oder fast erwachsenen Schülerinnen und Schülern an einer berufsbildenden Schule gehen wesentlich andere Gefahren für das Schulleben aus, als von den üblichen Auseinandersetzungen von Kindern und Jugendlichen in der Regelschule (Beschluss der Kammer vom 22.1.2002, a.a.O.). Sie können erfahrungsgemäß weitaus mehr zur Störung der Unterrichtsarbeit - z.B. durch Verunsicherung und Verängstigung anderer Schülerinnen und Schüler - beitragen, als dieses in anderen Altersstufen der Fall ist. Angesichts des Alters der Beteiligten und der Art der Verletzungen der geschlagenen Mitschülerin F. G. ist es danach nachvollziehbar, dass das Fernbleiben dieser Schülerin und ihrer Freundin H. I. vom Unterricht bei den befragten Mitschülerinnen und Mitschülern auf Verständnis gestoßen ist (Vermerk vom 20.4.2004, Bl. 24 Beiakte A).
Schließlich darf bei der Auswahl einer Ordnungsmaßnahme auch berücksichtigt werden, dass die Schule bei der Erfüllung ihres staatlichen Auftrags auch im Hinblick auf die von den Lehrkräften zu leistende Beaufsichtigung der ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler (§ 62 Abs. 1 NSchG) darauf angewiesen ist, dass Schülerinnen und Schüler die Regeln des Schullebens akzeptieren und umsetzen. Dazu zählt auch der Respekt vor den durch die Rechtsordnung vorgegebenen Regeln, insbesondere vor der Einhaltung der durch die Strafgesetze vorgegebenen Verbote.
Abgesehen davon, dass die Ordnungsmaßnahme danach offensichtlich rechtmäßig ist, besteht schließlich auch ein überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung des Unterrichtsausschlusses. Angesichts der Gefahr, dass enthemmte Gewalt und das Verbreiten von Angst in der Schule leicht zu Nachahmungen führen kann, lässt sich bei derartigen Vorfällen ein sofortiges Handeln der Schule rechtfertigen und das Rechtsschutzinteresse des betroffenen Schülers einstweilen zurücktreten. Liegt wie hier ein Fall vor, der schulintern große Aufmerksamkeit auf sich zieht und deshalb Präzedenzwirkung erzeugt, spricht Überwiegendes dafür, dass die angewandte Ordnungsmaßnahme nur im Fall ihrer sofortigen Vollziehung effektiv etwas bewirken kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. [...].
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 2.000,00 Euro festgesetzt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des festgesetzten Streitwertes orientiert sich gemäß §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG am gesetzlichen Auffangwert, der wegen der nur vorübergehenden Wirkung des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.
Heidmann
Kärst