Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.03.2024, Az.: 2 B 303/23

Alkohol; Alkoholmissbrauch; Aussetzung; Tauglichkeit; Tauglichkeitszeugnis; Widerruf; Aussetzung und Widerruf eines Tauglichkeitszeugnisses für Piloten bei Alkoholmissbrauch und sogenanntem privaten Alkoholkonsum nach VO (EU) Nr. 1178/2011

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
14.03.2024
Aktenzeichen
2 B 303/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 17715
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGBRAUN:2024:0314.2B303.23.00

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei der Aussetzung des Tauglichkeitszeugnisses handelt es sich um eine Maßnahme von nur befristeter Dauer, mit der die Gültigkeit des Tauglichkeitszeugnisses im Interesse der Abwehr von Gefahren für den Luftverkehr vorübergehend unterbrochen wird und die lediglich solange aufrechtzuerhalten ist, wie es erforderlich erscheint, um eine abschließende Feststellung treffen zu können.

  2. 2.

    Verfügt das Luftfahrt-Bundesamt die Aussetzung des Tauglichkeitszeugnisses, so hat es zum Ausdruck zu bringen, dass die Anordnung nur für einen begrenzten Zeitraum gilt; die Regelungen über die Aussetzung berechtigen nicht zu einem faktischen Widerruf.

  3. 3.

    Für den Widerruf des Tauglichkeitszeugnisses hat das Luftfahrt-Bundesamt im Hauptsacheverfahren zu beweisen und im Eilverfahren glaubhaft zu machen, dass der Pilot untauglich ist; die Formulierung von Zweifeln, Fragwürdigkeiten oder Ungereimtheiten reicht dafür nicht aus.

  4. 4.

    Die Feststellung, dass ein Pilot wegen Alkoholmissbrauchs untauglich ist, und ein darauf gestützter Widerruf des Tauglichkeitszeugnisses setzen jedenfalls auch die fachlich fundierte Prognose voraus, dass der Pilot die Teilnahme am Luftverkehr und einen die Bediensicherheit eines Luftfahrzeugs beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher trennen kann.

  5. 5.

    Auch ein sog. privater Alkoholkonsum, also ein Konsum, der (nur) zu alkoholbedingten Verhaltensauffälligkeiten außerhalb des Luftverkehrs geführt hat, kann im Einzelfall nach fachlicher Bewertung tauglichkeitsrelevant sein. Dazu ist individuell zu prüfen, inwieweit sich aufgrund der alkoholbedingten Verhaltensauffälligkeit außerhalb des Luftverkehrs mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass der Inhaber des Tauglichkeitszeugnisses sich bei seiner Teilnahme am Luftverkehr nicht mehr sicherheitsbewusst und rechtstreu verhalten wird.

Gründe

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung der seitens der Antragsgegnerin erklärten Aussetzung seines Flugtauglichkeitszeugnisses vom 23. Juni 2023.

Er stellte am 23. Juni 2023 einen Antrag auf Verlängerung seines Tauglichkeitszeugnisses für die Klasse 1 und unterzog sich bei dem flugmedizinischen Sachverständigen (Aeromedical Examiner, AME) Herr Dr. med A. einer entsprechenden Tauglichkeitsuntersuchung. Auf dem dazu erstellten und in den Verwaltungsvorgängen des Luftfahrt-Bundesamtes (im Folgenden: LBA) enthaltenen Antragsformular, welches weder die Unterschrift des AME noch des Antragstellers enthält, wurde die Frage nach einem Alkoholkonsum von dem Antragsteller verneint. Der AME B. stellte ihm nach der Untersuchung ein bis zum 28. Juni 2024 gültiges Tauglichkeitszeugnis Klasse 1 und 2 aus.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz teilte dem LBA im Rahmen eines dort gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Körperverletzung am 27. September 2023 mit, dass freiwillig erfolgte Atemalkoholtests bei dem Antragsteller am 19. März 2023 um 00:15 Uhr und am 17. August 2023 um 00:57 Uhr Werte von 1,21 und 1,64 Promille ergeben hätten. Es bestünden Anhaltspunkte für einen Alkoholmissbrauch.

Daraufhin bat das LBA mit Schreiben vom 2. Oktober und 13. November 2023 um Übersendung der vollständigen Akte zum Ermittlungsverfahren. Dem kam die Staatsanwaltschaft Koblenz nicht nach und forderte das LBA mit Schreiben vom 8. Dezember 2023 dazu auf, konkret darzulegen, welche Auskünfte genau begehrt würden und weshalb die gesamte Akte benötigt werde.

Mit Schreiben vom 2. Oktober und 13. November 2023 bat das LBA aufgrund der zuvor erfolgten Mitteilung um vollständige Akteneinsicht zu dem Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller, die die Staatsanwaltschaft Koblenz mit Schreiben vom 8. Dezember 2023 letztlich verweigerte.

Nach der verweigerten Akteneinsicht setzte das LBA mit Bescheid vom 12. Dezember 2023 das Tauglichkeitszeugnis des Antragstellers unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus und drohte ihm für den Fall, dass er dieses nicht innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheids dem LBA vorlegt, ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 EUR an. Das LBA begründete die Entscheidung unter Heranziehung von ARA.GEN.355 Buchst. a und b des Anhangs VI zur Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 mit den dort zur Kenntnis gelangten "Alkoholmissbrauchsvorfällen" des Antragstellers. Im Zuge der erfolgten Untersuchung sei festgestellt worden, dass der Antragsteller die Anforderungen gem. MED.B.055 ("Mentale Gesundheit") des Anhangs IV der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 an das fliegende Personal offensichtlich nicht (länger) erfülle. Er habe die "bekannten Grenzwerte" für den Konsum von Alkohol "erheblich überschritten". Durch dieses Verhalten habe er neben seiner eigenen Gesundheit auch die Gesundheit und das Wohlergehen Dritter gefährdet, mithin im Sinne von MED.A.010 eine psychoaktive Substanz missbraucht. Auch habe er "den Vorfall" und seinen damit verbundenen unsachgemäßen Alkoholkonsum im Rahmen der Antragstellung zur Tauglichkeitsuntersuchung nicht angegeben. Aufgrund dieser Sachlage habe gem. § 28 Abs. 2 VwVfG von einer vorherigen schriftlichen Anhörung abgesehen werden können, da eine sofortige Entscheidung zur Gewährleistung der Flugsicherheit als notwendig erscheine. Bis zum Nachweis, dass der Antragsteller die medizinischen Anforderungen an das fliegende Personal erfülle, sei dem LBA eine entsprechende Feststellung nicht möglich, zumal er bewusst falsche Angaben in den Antragsformularen gemacht habe. Die sofortige Vollziehung der Anordnung stützte das LBA auf ARA.GEN.355 Buchst. b Nr. 2 des Anhangs VI zur Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 und begründete diese im Wesentlichen damit, dass der Einsatz eines Piloten, dessen medizinische Tauglichkeit jedenfalls unklar sei, eine akute Gefahr für den Luftverkehr darstelle. Die Sicherheit des Luftverkehrs mache es erforderlich, das bestehende persönliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Gültigkeit des Tauglichkeitszeugnisses hinter dem vorrangigen Interesse der Luftverkehrsteilnehmer und der Allgemeinheit zurücktreten zu lassen. Der Antragsteller könne seine flugmedizinische Tauglichkeit durch die Vorlage einer zufriedenstellenden psychiatrischen Beurteilung nebst einer entsprechenden Empfehlung wiedererlangen. Hierzu solle er sich an den flugmedizinischen Sachverständigen oder einen AME seiner Wahl wenden.

Die Kreisverwaltung des Westerwaldkreises - Führerscheinstelle - legte dem LBA auf dessen entsprechenden Aufforderung vom 12. Dezember 2023 hin am 21. Dezember 2023 ihren dort zu dem Antragsteller geführten Verwaltungsvorgang vor. Dieser enthält u.a. eine Mitteilung der Polizeiinspektion C. vom 29. August 2023, in der die Empfehlung zur Zustellung einer "Gelben Karte" ausgesprochen wurde da bei ihm Anzeichen eines "Alkoholmissbrauchs" vorliegen würden. Nachdem seine Ehefrau am 16. August einen Notruf abgesetzt habe, sei er betrunken angetroffen worden. Seine Ehefrau habe im Rahmen der Sachverhaltsaufnahme mehrfach gesagt, dass er "Alkoholprobleme" habe. Bislang seien der Polizei aber weder Trunkenheitsfahrten noch ein Flug in alkoholisiertem Zustand bekannt.

Der von der Kreisverwaltung des Westerwaldkreises - Führerscheinstelle - übersandte Verwaltungsvorgang enthielt zudem auch eine Kopie der bei der Staatsanwaltschaft Koblenz geführten Ermittlungsakte gegen den Antragsteller. Aus dieser wird ersichtlich, dass die Ehefrau des Antragstellers am 17. August 2023 um 0:38 Uhr Strafanzeige gegen ihn erstattete. Die den Sachverhalt aufnehmende Polizeibeamtin hielt in dem insoweit angefertigten Protokoll (Bl. 47 ff. d. VV) fest, dass der Antragsteller von den Einsatzkräften am Einsatzort sitzend auf der Treppe vor seinem Wohnhaus angetroffen worden sei. Er habe sich zunächst ruhig verhalten. Seine Ehefrau habe angegeben, dass der Antragsteller nahezu täglich trinke und in den letzten Wochen und Monaten seine Gewaltausbrüche ihr gegenüber deutlich zugenommen hätten. Erst letzte Woche sei man in Koblenz beim Gericht gewesen und der Richter habe ihm erklärt, dass er sie nicht mehr schlagen dürfe. Zum Tathergang habe sie angegeben, dass der Antragsteller im Laufe des Abends erheblich viel Alkohol getrunken habe. Gegen ungefähr 23:00 Uhr habe sie ihn um ein Glas Wasser gebeten. Er habe ihr dann ein Glas hingehalten, aus dem sie getrunken habe. Dabei habe sie gemerkt, dass es sich nicht um Wasser, sondern um Alkohol gehandelt habe. Als sie ihn damit konfrontiert habe, sei sie von ihm immer wieder geschlagen worden. Damit habe er auch nicht aufgehört, als sie bereits auf dem Boden gelegen habe. Während dieses Gewaltausbruchs habe er sie auch am Hals gepackt und gewürgt. Irgendwann habe sie ihr Handy wieder an sich nehmen können und dann sei sie runter ins Erdgeschoss in das Schlafzimmer gelaufen und habe die Polizei verständigt. Sie klage über Kopfschmerzen und starke Schmerzen im linken Handgelenk und im linken Oberarm. Weiterhin habe sie einen ganz "heißen Hals". Einen Krankenwagen habe sie aber abgelehnt. Ein bei dem Antragsteller durchgeführter freiwilliger Atemalkoholtest habe um 0:57 Uhr einen AAK-Wert von 1,64 Promille ergeben.

In der am 18. August 2023 erfolgten polizeilichen Vernehmung erklärte die Ehefrau des Antragstellers ausweislich des diesbezüglich gefertigten Vernehmungsprotokolls, ihren Strafantrag zurücknehmen zu wollen. Am Vortag habe sie lange mit seinen Eltern gesprochen, die wiederum mit ihm gesprochen hätten. Der Antragsteller sei eigentlich ein guter Mensch und nur wenn er Alkohol trinke, sei er "ganz anders". Er könne sich auch nicht mehr daran erinnern, was vorgestern Abend passiert sei. Es sei gut, dass mittlerweile alle seine Arbeitskollegen davon erfahren hätten. Dies habe ihn zum Nachdenken gebracht. Er habe seinen Eltern und damit auch ihr versprochen, nie wieder Alkohol trinken zu wollen. Abschließend gab sie an, dass der Antragsteller niemals trinken würde, wenn er fliegen müsste oder mit dem Auto fahre. Das tue er auch dann nicht, wenn er am nächsten Tag fliege.

In dem Abschlussvermerk vom 29. August 2023 führte die die Ehefrau des Antragstellers vernehmende Polizeibeamtin aus, dass der Antragsteller seinen eigenen Angaben zufolge am Folgetag der Tat hätte arbeiten müssen, jedoch nur im Home Office. Es bestehe aufgrund der beiden freiwillig erfolgten Atemalkoholtests zumindest der Anfangsverdacht, dass er nicht nur gelegentlich trinke. Das LBA solle über diesen Anfangsverdacht informiert werden, um ggfs. notwendige Maßnahmen wie z.B. regelmäßige Alkoholkontrollen zu ergreifen.

Laut einem abschließenden Bericht der Gerichtshilfe bei der Staatsanwaltschaft Koblenz vom 5. Oktober 2023 wurde die Ehefrau des Antragstellers am 27. September 2023 telefonisch kontaktiert. In dem Gespräch teilte sie mit, dass der Antragsteller seit dem Vorfall vom 16. August keinen Alkohol mehr getrunken und sie seitdem auch keine Probleme mehr mit ihm habe. Angesprochen auf das zuvor bereits am 4. August 2023 geführte Gespräch und den erneuten Vorfall am 16. August 2023 habe sie erwidert, dass alles nun wieder in Ordnung sei zwischen ihr und ihrem Ehemann. Sie habe nun einen Anwalt mit der Angelegenheit betraut. Sie wolle sich nicht von ihrem Ehemann trennen. In der Auswertung kommt die Gerichtshilfe zu dem Schluss, dass die Geschädigte womöglich aufgrund existenzieller Gründe das Verfolgungsinteresse verneint.

Das gegen den Antragsteller anhängige Ermittlungsverfahren wurde am 6. Oktober 2023 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt.

Der Antragsteller legte am 28. Dezember 2023 gegen den Bescheid des LBA vom 12. Dezember 2023 Widerspruch ein und beantragte zugleich, die sofortige Vollziehung auszusetzen. Dies begründete er im Wesentlichen damit, dass für ihn völlig unklar sei, welche angeblichen Alkoholmissbrauchsvorfälle das LBA für seine Entscheidung herangezogen habe. Es fehle dem Bescheid an Angaben zu den näheren konkreten Umständen und auch dazu, wie das LBA überhaupt Kenntnis über etwaige Alkoholmissbrauchsvorfälle habe erlangen können. Die Nichteinhaltung der einschlägigen Anforderungen sei durch das LBA damit jedenfalls nicht nachgewiesen worden. Eine Gefahr durch den etwaig und ausschließlich während der Freizeit erfolgten Alkoholkonsum für sich selbst oder Dritte habe nie vorgelegen. Er sei nie unter Alkoholeinfluss ein KFZ gefahren oder gar ein Flugzeug geflogen. Welche "bekannten Grenzwerte" er überschritten haben solle, sei nicht nachvollziehbar. Bei seiner Tauglichkeitsuntersuchung habe er wahrheitsgemäß die Frage nach dem Alkoholkonsum mit "Ja, Menge" angekreuzt und ergänzt, dass er "selten" Alkohol konsumiere. Es liege in seinem Fall keine dokumentierte Krankengeschichte eines Missbrauchs einer psychoaktiven Substanz vor. Aufgrund des unterstellten und pauschal gehaltenen Vorwurfs hätte eine schriftliche Anhörung zwingend erfolgen müssen. Der hier völlig unbestimmte Sachverhalt könne nicht als Grundlage für die Aussetzungsentscheidung dienen. Er sei weiterhin als flugmedizinisch tauglich zu beurteilen. Seiner Nachweispflicht sei er insofern nachgekommen. Dennoch werde er zu einem späteren Zeitpunkt ergänzend noch einen Abstinenznachweis vorlegen.

Der Antragsteller hat am 29. Dezember 2023 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen im Widerspruchsverfahren. Ergänzend trägt er vor, dass sich der hier einschlägigen EU-Verordnung keine einschlägigen "Grenzwerte" für einen Alkoholkonsum entnehmen lasse. Der Alkoholkonsum habe nur während der Freizeit stattgefunden und nicht dazu geführt, dass berufliche, soziale, geistige oder körperliche Probleme oder Störungen verursacht worden seien, sodass bereits die Voraussetzungen eines Alkoholmissbrauchs im Sinne des MED.A.010 nicht erfüllt seien. Im Übrigen sei die Blutalkoholkonzentration bei ihm nicht mittels einer Blutentnahme gemessen worden. Die Atemalkoholtests hätten keine Beweiskraft im Hinblick auf den genauen BAK-Wert. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung werde lediglich damit begründet, dass seine Tauglichkeit "unklar" sei. Inwieweit aber gerade im vorliegenden Einzelfall das Interesse der Allgemeinheit am Sofortvollzug sein Aussetzungsinteresse überwiege, beispielsweise durch konkrete Verdachtsmomente, werde nicht näher begründet.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid des Luftfahrtbundesamtes vom 12. Dezember 2023 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin hat keinen Antrag gestellt und sich im gerichtlichen Verfahren nicht zur Sache geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des LBA verwiesen.

II.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.

Es bestehen zunächst aus formeller Sicht keine Bedenken gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Die Ausführungen in dem angegriffenen Bescheid lassen in hinreichender Weise erkennen, dass sich die Antragsgegnerin mit dem vorliegenden Einzelfall auseinandergesetzt und die aus ihrer Sicht für und gegen die Anordnung des Sofortvollzugs sprechenden Gründe berücksichtigt hat. Mithin wurden die formellen Begründungsanforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingehalten.

Allerdings ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung in materieller Hinsicht voraussichtlich rechtswidrig ergangen.

Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtbehelfs - hier des Widerspruchs - in den Fällen, in denen - wie vorliegend - die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet worden ist, wiederherstellen, wenn das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Letzteres ist jedenfalls dann der Fall, wenn der erlassene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da dann an dessen sofortiger Vollziehung ein öffentliches Interesse nicht bestehen kann. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das Privatinteresse des Antragstellers daran, von der Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist und - in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO - zusätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse hinzutritt. Wenn sich bei der im Rahmen eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens grundsätzlich nur möglichen summarischen Prüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verfügung feststellen lässt, hängt der Ausgang des Verfahrens von dem Ergebnis der vom Gericht durchzuführenden Interessenabwägung ab.

Die demnach vorzunehmende Interessenabwägung fällt hier zulasten der Antragsgegnerin aus. Nach der im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung erweist sich die in dem angegriffenen Bescheid der Antragsgegnerin getroffene Entscheidung als voraussichtlich rechtswidrig.

Soweit das LBA seine Entscheidung auf Anhang VI (Teil-ARA) ARA.GEN.355 der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 in der Fassung vom 30. Oktober 2022 gestützt hat, bestehen für die Kammer Zweifel, ob diese Bestimmung in Fällen wie dem vorliegenden, in denen unklar ist, ob das mögliche Vorliegen einer Erkrankung, die eventuell zur flugmedizinischen Fluguntauglichkeit führt, trotz der Regelungen in MED.A.046 Buchst. a des Anhangs IV der Verordnung über die Aussetzung und den Widerruf eines Tauglichkeitszeugnisses überhaupt einschlägig sein kann.

Diese Frage kann hier jedoch offenbleiben. Denn selbst bei einer unterstellten Anwendbarkeit würde das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse des LBA überwiegen. Das LBA hat das sich aus ARA.GEN.355 zwingend ergebende Verfahrensrecht verletzt, was zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung führt. Nach ARA.GEN.355 Buchst. a nimmt die zuständige Behörde, wenn sie im Rahmen ihrer Aufsicht oder auf anderem Wege Nachweise für eine Nichteinhaltung der einschlägigen Anforderungen durch eine Person, die Inhaberin einer Berechtigung ist, erhält, die Beanstandung auf, verzeichnet diese und teilt dies dem Inhaber der Lizenz, des Zeugnisses, der Berechtigung oder der Bescheinigung schriftlich mit. Bei Vorliegen einer Beanstandung führt sie anschließend eine Untersuchung durch (Buchst. b). Bestätigt sich dabei der Tatbestand eines Verstoßes, beschränkt oder widerruft sie die Lizenz, das Zeugnis, die Berechtigung oder die Bescheinigung bzw. setzt diese(s) aus, wenn ein Sicherheitsproblem festgestellt wird (Buchst. b Nr. 1). Die Aussetzung oder der Widerruf einer Lizenz, eines Zeugnisses oder einer Berechtigung bzw. Bescheinigung verlangt also nach ARA.GEN.355 Buchst. a zunächst die schriftliche Mitteilung der Beanstandung an den Betroffenen und die anschließende Feststellung des Verstoßes im Rahmen der erfolgten Untersuchung, was hier beides unterblieben ist. Da das Gemeinschaftsrecht zwingend eine schriftliche Mitteilung an den Betroffenen vor der Widerrufs- oder Aussetzungsentscheidung vorschreibt, kann die Missachtung dieses Erfordernisses voraussichtlich auch nicht unter Hinweis auf die für vergleichbare Verfahrensanforderungen des nationalen Rechts anerkannten Regelungen über die Heilung von Verfahrensfehlern als unbeachtlich angesehen werden (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 30.07.2014 -, 7 ME 42/14 -, juris).

Auch die Voraussetzungen der hier möglicherweise für die Entscheidung des LBA als speziellere Ermächtigungsgrundlage heranzuziehenden Vorschrift in Anhang IV (Teil-MED) MED.A.046 liegen hier voraussichtlich nicht vor.

Nach MED.A.046 Buchst. a kann die Genehmigungsbehörde ein Tauglichkeitszeugnis aussetzen oder widerrufen.

Auch wenn das LBA in dem hier angegriffenen Bescheid im Tenor ausdrücklich von einer Aussetzung des Tauglichkeitszeugnisses des Antragstellers spricht, ist in der letztlich getroffenen Entscheidung ein faktischer Widerruf des Tauglichkeitszeugnisses zu sehen. Ihrem Wesen nach handelt es sich bei einer Aussetzung im Vergleich zum Widerruf um eine Maßnahme von nur befristeter Dauer, mit der die Gültigkeit des Tauglichkeitszeugnisses im Interesse der Abwehr von Gefahren für den Luftverkehr vorübergehend unterbrochen wird und die lediglich solange aufrechtzuerhalten ist, wie es erforderlich erscheint, um eine abschließende Feststellung treffen zu können. Der Grund für eine Aussetzung liegt also in der Ungewissheit über die vorzunehmende endgültige Entscheidung, weil z.B. eine vollständige Aufklärung im Rahmen der Sachverhaltsermittlungspflicht (vgl. § 24 VwVfG) noch nicht möglich ist, und in der Notwendigkeit, zum Schutz des Luftverkehrs bereits vor Abschluss der Ermittlungen einzugreifen. Ist dagegen eine endgültige Entscheidung möglich und fällt diese zulasten des Betroffenen aus, scheidet eine Aussetzungsentscheidung aus und es kommt dann nur noch der Widerruf als dann zwingend zu ergreifende Maßnahme in Betracht.

Unter Berücksichtigung der Begründung des Bescheids vom 12. Dezember 2023 und der vom LBA konkret gewählten Rechtsfolge der Entscheidung ist hier für die Kammer nicht erkennbar, dass das LBA selbst von einer Anordnung mit einem nur vorübergehenden Charakter, mithin von einer Aussetzungsentscheidung, ausgegangen ist. Stattdessen lässt die konkret getroffene Entscheidung erkennen, dass der Widerruf des Tauglichkeitszeugnisses verfügt werden sollte. Das LBA geht in der Begründung seines Bescheids nämlich bereits von einer derzeitigen flugmedizinischen Untauglichkeit des Antragstellers aus. Ausgehend von dieser Feststellung wurde er aufgefordert, seinerseits nun seine flugmedizinische Tauglichkeit durch die Vorlage einer zufriedenstellenden psychiatrischen Beurteilung und Empfehlung zur "Wiedererteilung der Flugtauglichkeit" (erneut) nachzuweisen. Mithin liegt eine endgültige Entscheidung des LBA bereits vor. Das dieser Entscheidung zugrundeliegende Verfahren wurde bereits beendet, denn das LBA fordert den Antragsteller nunmehr dazu auf, seinerseits ein (neues) Verfahren einzuleiten, mit dem ihm die Möglichkeit eröffnet werden soll, seine flugmedizinische Tauglichkeit nachzuweisen. Dass das LBA selbst nicht von einer angeordneten Maßnahme mit lediglich vorübergehendem Charakter ausgeht, sondern bereits eine endgültige Entscheidung getroffen hat, geht auch aus den verwendeten Formulierungen in dem Bescheid hervor. So heißt es in der Begründung des Bescheids, dass der "rechtsgestaltende Verwaltungsakt in Form der Ungültigkeitserklärung des Tauglichkeitszeugnisses" nur durch den umgehenden Einzug des Tauglichkeitszeugnisses effektiv durchgesetzt werden könne. Dies ergebe sich auch aus MED.A.046 Buchst. c, wonach der Inhaber eines Tauglichkeitszeugnisses dieses unverzüglich "nach einem Widerruf" an die Genehmigungsbehörde zurückzugeben habe. Es sind im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Behörde selbst beabsichtigt, weitere (Ermittlungs-) Maßnahmen zu ergreifen, um eine Grundlage für eine abschließende Entscheidung zu schaffen. Weder wurde in dem Bescheid eine zeitliche noch eine an ein bestimmtes Ereignis geknüpfte Befristung der Anordnung oder eine konkrete Maßnahme zur Aufklärung des Sachverhalts verfügt. Dies wären aber zwingende Voraussetzungen für die Aussetzung eines Tauglichkeitszeugnisses.

Die Voraussetzungen für einen Widerruf des hier bereits ausgestellten und gültigen flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisses des Antragstellers nach MED.A.046 Buchst. a Alternative 2 sind nicht erfüllt.

Nach MED.A.030 Buchst. b muss ein Bewerber für eine Lizenz nach Anhang I (Teil-FCL) über ein Tauglichkeitszeugnis verfügen, das nach diesem Anhang (Teil-MED) erteilt wurde und für die Rechte geeignet ist, die mit der beantragten Lizenz verbunden sind. Das Tauglichkeitszeugnis darf erst erteilt, verlängert oder erneuert werden, wenn die erforderlichen flugmedizinischen Untersuchungen bzw. Beurteilungen abgeschlossen sind und der Bewerber als tauglich beurteilt wurde (MED.A.040 Buchst. a). Hierfür muss der Bewerber seine vollständige Krankengeschichte und - wenn zusätzlich gefordert - auch die Ergebnisse der medizinischen Untersuchungen und Tests vorlegen, die vom behandelnden Arzt des Bewerbers oder von sonstigen Fachärzten durchgeführt wurden (MED.A.040 Buchst. d Nr. 1). Das flugmedizinische Zentrum, der flugmedizinische Sachverständige oder der Arzt für Allgemeinmedizin hat die flugmedizinische Beurteilung auf Grundlage der medizinischen Untersuchungen und Tests durchzuführen, um zu bestätigen, dass der Bewerber sämtlichen relevanten Anforderungen des Anhangs IV (Teil-MED) genügt (MED.A.040 Buchst. d Nr. 2). Bewerber um die Tauglichkeitszeugnisse der Klasse 1 und Klasse 2 sind gemäß den in Unterabschnitt 2 des Anhangs IV im Einzelnen aufgeführten medizinischen Anforderungen zu beurteilen (MED.B.005).

Ausgehend von den Anforderungen an die Erteilung, Verlängerung oder Erneuerung eines Tauglichkeitszeugnisses setzt der Widerruf eines bereits ausgestellten Tauglichkeitszeugnisses voraus, dass die nachträgliche flugmedizinische Beurteilung die Untauglichkeit des Inhabers des gültigen Tauglichkeitszeugnisses ergibt.

Die flugmedizinische Untauglichkeit eines - wie hier - Inhabers eines Tauglichkeitszeugnisses für die Klasse 1 liegt nach MED.B.055 Buchst. d Nr. 5 dann vor, wenn aufgrund einer klinischen Diagnose oder einer dokumentierten Krankengeschichte ein "Missbrauch einer psychoaktiven Substanz" vorliegt. Der Missbrauch einer psychoaktiven Substanz bezeichnet den Konsum einer oder mehrerer psychoaktiver Substanzen durch fliegendes Personal in einer Weise, die eine direkte Gefahr für die Person, die die Substanz(en) konsumiert, darstellt oder das Leben, die Gesundheit oder das Wohlergehen Dritter gefährdet und/oder berufliche, soziale, geistige oder körperliche Probleme oder Störungen verursacht oder verstärkt, wobei unter die "psychoaktiven Substanzen" u.a. auch Alkohol fällt (MED.A.010 Stichworte "Missbrauch von Substanzen" und "psychoaktive Substanzen"). "Krankengeschichte" bezeichnet die Schilderung oder Aufzeichnung früherer Krankheiten, Verletzungen, Behandlungen oder sonstiger medizinischer Sachverhalte, darunter auch Untauglichkeitsbeurteilungen oder Einschränkungen in Tauglichkeitszeugnissen, die für den gegenwärtigen Gesundheitszustand oder die flugmedizinische Tauglichkeit des Bewerbers relevant sind oder sein können (MED.A.010 zu dem betreffenden Stichwort).

Sofern der Missbrauch einer psychoaktiven Substanz nach der klinischen Diagnose oder der dokumentierten Krankengeschichte vorliegt, muss sich die betroffene Person einer zufriedenstellenden psychiatrischen Beurteilung unterziehen, um wieder als flugmedizinisch tauglich beurteilt werden zu können (MED.B.055 Buchst. d Nr. 5).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Feststellung einer flugmedizinischen Untauglichkeit des Antragstellers wegen des Missbrauchs einer psychoaktiven Substanz liegen hier nach gegenwärtigem Sachstand nicht vor. Eine klinische Diagnose oder dokumentierte Krankengeschichte, die einen Missbrauch von Alkohol hätte belegen können, fehlt. Im klinischen Kontext wird ein Missbrauch von Alkohol dann diagnostiziert, wenn die Kriterien gemäß der Klassifikationssysteme ICD-10 oder DSM-5 vorliegen. Dabei unterscheidet die ICD-10 u.a. folgende alkoholbedingte Störungen:

- F10.0 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Akute Intoxikation [akuter Rausch]

- F10.1 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Schädlicher Gebrauch

- F10.2 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom

Unter F10.1 heißt es: "Konsum psychotroper Substanzen, der zu Gesundheitsschädigung führt. Diese kann als körperliche Störung auftreten, etwa in Form einer Hepatitis nach Selbstinjektion der Substanz oder als psychische Störung z.B. als depressive Episode durch massiven Alkoholkonsum."

Entsprechende ärztliche Berichte, die mittels einer der zuvor genannten Diagnosen einen Missbrauch einer psychoaktiven Substanz nachgewiesen hätten, liegen für den Antragsteller nicht vor, sodass die Antragsgegnerin die Untauglichkeit des Antragstellers nicht glaubhaft gemacht hat.

Es ist hier ferner zu berücksichtigen, dass im Hinblick auf fliegendes Personal seitens des Verordnungsgebers der Missbrauch von Substanzen wie Alkohol nicht nur an eine Krankheitsdiagnose geknüpft wurde. Insoweit ist vielmehr auch die Prognose künftigen Verhaltens entscheidend. Es geht insbesondere darum, Gefahren für Dritte abzuwehren, die durch die beeinträchtigte Fähigkeit des Betroffenen entstehen, die Teilnahme am Luftverkehr und einen die Bediensicherheit eines Luftfahrzeugs beeinträchtigenden Alkoholkonsum nicht (mehr) hinreichend sicher trennen zu können (vgl. MED.A.010 Stichworte "Missbrauch von Substanzen" Buchst a. "gefährdet"; s. auch Buchst. b "verursacht oder verstärkt").

Auch unter Ausklammerung des (zwingenden) Erfordernisses einer klinischen Diagnose oder einer dokumentierten Krankheitsgeschichte hat die Antragsgegnerin hier nicht einen Missbrauch von psychoaktiven Substanzen glaubhaft gemacht. Der insoweit bestehende Aufklärungsbedarf und die derzeit noch bestehenden Unsicherheiten in der Würdigung der bisher bekannten Umstände sprechen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Beweislastverteilung im Verwaltungsprozess im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotene Interessenabwägung derzeit für eine Wiederherstellung des Suspensiveffekts des Widerspruchs des Antragstellers.

Für die Rechtmäßigkeit ihres Widerrufs- bzw. Aussetzungsbescheides, d.h. für das Vorliegen der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen, trägt die Behörde die volle materielle Beweislast (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.1979 - IV C 52.76 -, juris Rn. 12); denn es geht hier nicht um den Erwerb eines Tauglichkeitszeugnisses, sondern um dessen Widerruf. Die Schwierigkeiten eines Negativbeweises ändern die Verteilung der Beweislast grundsätzlich nicht (BVerwG, Urteil vom 27.09.2006 - 3 C 34.05 -, juris Rn. 22 m.w.N.). Dabei gilt auch für die Ordnungsbehörde das gesetzliche Beweismaß der vollen Überzeugungsbildung, da es dem materiellen Recht zuzuordnen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 - 7 C 1.11 -, juris Rn. 37). Ein behördlicher Eingriffsakt kann daher nicht nur auf Vermutungen und einen (begründeten) Anfangsverdacht gestützt werden. Die Formulierung von Zweifeln, Fragwürdigkeiten oder Ungereimtheiten durch die Behörde im Widerrufs- bzw. Aussetzungsbescheid reicht für den im Hauptsacheverfahren zu führenden Vollbeweis und die im Eilverfahren erforderliche Glaubhaftmachung nicht aus (s. auch Nds. OVG, Beschluss vom 30.07.2014 - 7 ME 42/14 -, juris Rn 12).

Es ist Aufgabe der Verwaltungsgerichte, von Amts wegen aufzuklären, ob die behördliche Entscheidung auf einer ausreichenden Tatsachenbasis beruht (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O.). Die Aufklärung des entscheidungserheblichen Streitstoffs kann nicht durch richterliche Überzeugungsbildung ersetzt werden; die freie Überzeugungsbildung betrifft nicht die Feststellung des Sachverhalts, sondern die Würdigung der ermittelten Tatsachen (BVerwG, Urteil vom 22.03.2012, a.a.O.). Diese Grundsätze können nicht dadurch überspielt werden, dass die Folgen einer unzureichenden Amtsermittlung und Sachaufklärung der Behörde durch Beweiserleichterungen, etwa die Konstruktion eines Anscheinsbeweises, kompensiert werden und damit - faktisch - eine Umkehr der Beweisführungslast zulasten der nicht beweispflichtigen Partei eintritt. Eine dem Zivilprozess vergleichbare Behauptungslast und Beweisführungslast ist dem Verwaltungsprozess wegen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) fremd (BVerwG, Urteil vom 26.01.1979, a.a.O.). Für die Annahme von Beweiserleichterungen ist erst dann Raum, wenn die Möglichkeiten zur Aufklärung des maßgeblichen Sachverhaltes zuvor ausgeschöpft worden sind. Schwierigkeiten der Beweisführung ist bei der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen, wobei die prozessuale Mitwirkungspflicht und Mitwirkungslast der Beteiligten bedeutsam sein können (BVerwG, Urteil vom 27.09. 2006 - 3 C 34.05 -, juris Rn. 22 m.w.N.; Nds. OVG, Beschluss vom 30.07.2014, aaO Rn. 14).

Die sich derzeit nach Aktenlage ergebenden Erkenntnisse begründen allenfalls den möglicherweise bestehenden Verdacht eines beim Antragsteller vorliegenden Missbrauchs von psychoaktiven Substanzen im Sinne von MED.B.055 Buchst. d Nr. 5. Allerdings tragen die bisherigen Ermittlungen des LBA noch nicht den Schluss, der Antragsteller sei flugmedizinisch untauglich, sodass hier insoweit noch kein entsprechender Beweis geführt wurde.

Die Kammer verkennt nicht, dass ein "Missbrauch einer psychoaktiven Substanz" auch in Fällen, in denen der Konsum von Alkohol - wie hier - unabhängig von einer (drohenden) Teilnahme am Luftverkehr erfolgt ist, grundsätzlich im Einzelfall angenommen werden kann. Gerade wenn Straftaten unter Alkoholeinfluss begangen werden, kann dies auch als Beleg dafür herangezogen werden, dass die betroffene Person offenbar nicht in der Lage ist, das eigene Verhalten zu kontrollieren, sodass auch die Gefahr bestehen kann, in diesem Zustand ein Luftfahrzeug zu führen und damit sich und andere unzulässig zu gefährden.

Das Risiko, dass es zu einer Teilnahme am Luftverkehr unter Alkoholeinfluss kommt, muss aber in solchen Fällen individuell und unter Berücksichtigung etwaiger früherer Auffälligkeiten fachlich bewertet werden. Es muss im Einzelfall geprüft werden, inwieweit sich aufgrund einer alkoholbedingten Verhaltensauffälligkeit außerhalb des Luftverkehrs mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass der Inhaber eines flugmedizinischen Tauglichkeitszeugnisses bei seiner anschließend erneuten Teilnahme am Luftverkehr nicht mehr über ein sicherheitsbewusstes und rechtstreues Verhalten verfügen wird.

Hier liegen nach den Ermittlungen des LBA bislang aber keine hinreichend gewichtigen Tatsachen für eine entsprechende Annahme vor, die bereits einen Widerruf des Tauglichkeitszeugnisses wegen Missbrauch einer psychoaktiven Substanz hätten rechtfertigen können. Insoweit ist zu beachten, dass sich die Feststellung der flugmedizinischen Untauglichkeit auf konkrete Tatsachen stützen lassen muss. Eine entsprechende Feststellung darf nicht auf einen bloßen Verdacht hin "ins Blaue hinein" erfolgen.

Als hier heranzuziehende Tatsachen liegen bislang insbesondere die beiden durchgeführten Atemalkoholtests, die protokollierten Angaben seiner Ehefrau zu seinem Konsumverhalten und das gegen den Antragsteller geführte Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer unter Alkoholeinfluss begangenen Straftat (häusliche Gewalt) vor.

Die ermittelten AAK-Werte von 1,21 und 1,64 Promille bei dem Antragsteller lassen für sich gesehen noch keinen zwingenden Rückschluss auf einen Missbrauch von Alkohol zu. Der hier einschlägigen Verordnung des europäischen Gesetzgebers lässt sich keine entsprechende Vermutung bei einem Überschreiten von bestimmten Alkoholkonzentrationswerten entnehmen. Insbesondere legen die Vorschriften keine bestimmten Grenzwerte fest. Auch nach den Erkenntnissen der Alkoholforschung rechtfertigen die hier festgestellten AAK-Werte für sich genommen nicht die Annahme eines Alkoholmissbrauchs. Zwar kann danach in der Regel schon ab dem Erreichen eines Wertes von 1,3 Promille auf eine besondere Trinkfestigkeit geschlossen werden, die ihrerseits ein gesellschaftlich unübliches Trinkverhalten voraussetzt. Zudem werden Werte von 1,6 Promille und mehr von der durchschnittlich alkoholgewöhnten Bevölkerung in der Regel nicht erreicht, weil schon zuvor physiologische Prozesse - insbesondere Schläfrigkeit, Schwindel oder starke Übelkeit - auftreten, die einen Abbruch der Alkoholaufnahme erzwingen (vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29.07.2015 - 16 B 584/15 -, juris Rn. 11 ff. und vom 08.11.2011 - 16 A 1533/11 -, juris Rn. 8; Schubert/Schneider/Eisenmenger/Stephan, Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Kommentar, 2. Aufl., S. 132). Um jedoch allein einen Rückschluss auf einen etwaigen Alkoholmissbrauch ausgehend von einer festgestellten Menge Alkohol im Blut oder im Atem vornehmen zu können, sind zudem vergleichsweise geringe alkoholbedingte Auffälligkeiten bei der betroffenen Person erforderlich, die dann aber allenfalls den Verdacht einer Alkoholmissbrauchsproblematik begründen könnten. Denn selbst eine hohe Alkoholgewöhnung sagt für sich genommen noch nichts Hinreichendes über die Gefahr zukünftiger Teilnahmen am Luftverkehr als Luftfahrzeugführer aus. Vielmehr müssen weitere tatsächliche Umstände hinzukommen, die in der Gesamtschau mit der vermuteten Alkoholproblematik bei realistischer Betrachtung die Annahme rechtfertigen, dass das Führen von Luftfahrzeugen und ein die Bediensicherheit des Luftfahrzeugs beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können (vgl. zum Führen von Fahrzeugen: OVG NRW, Beschlüsse vom 29.07.2015 - 16 B 584/15 -, juris Rn. 9 f. und vom 14.11.2013 - 16 B 1146/13 -, juris Rn. 7 f. jeweils mit weiteren Nachweisen und unter Heranziehung der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung der Bundesanstalt für Straßenwesen).

Die Angaben seiner Ehefrau, dass er "Alkoholprobleme" und in den Wochen und Monaten vor dem 16. August 2023 nahezu täglich getrunken habe, sind zu unsubstantiiert, als dass darauf eine Feststellung eines Missbrauchs von Alkohol im Sinne von MED.B.055 Buchst. d hätte gestützt werden können. Sie hat im Übrigen ihre Angaben auch dahingehend relativiert, dass er niemals trinke, wenn er fliegen müsse. Auch das gegen den Antragsteller geführte und zwischenzeitlich eingestellte Ermittlungsverfahren begründet allenfalls den Verdacht, dass der Antragsteller möglicherweise eine fehlende Verhaltenskontrolle nach dem Konsum größerer Alkoholmengen aufweist, belegt diesen aber nicht. Laut Angaben der Polizeibeamten hat der Konsum des Antragstellers bislang auch immer - jedenfalls aus Sicht der Luftverkehrssicherheit - "kontrolliert", also von seiner Tätigkeit als Luftfahrzeugführer getrennt, stattgefunden.

Zusätzliche Gesichtspunkte zur Glaubhaftmachung der Untauglichkeit hat die Antragsgegnerin auch im gerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen. Das LBA hat sich trotz der Aufforderung des Gerichts zur Stellungnahme nicht zur Sache geäußert.

Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass im vorliegenden Einzelfall unter Berücksichtigung der bislang gewonnenen Erkenntnisse keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken gegen eine Anordnung von Maßnahmen zur Abklärung der vorliegenden Zweifel an der flugmedizinischen Tauglichkeit des Antragstellers bestehen.

Ob die gegenwärtig vorliegenden Feststellungen die Aussetzung, also eine vorübergehende Maßnahme im oben dargelegten Sinn rechtfertigen würden, muss die Kammer nicht entscheiden, weil das LBA eine rechtskonforme Aussetzung schon aus den dargelegten Gründen nicht verfügt hat.