Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 30.05.2005, Az.: 11 A 2664/03
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 30.05.2005
- Aktenzeichen
- 11 A 2664/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 43281
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2005:0530.11A2664.03.0A
Verfahrensgang
Amtlicher Leitsatz
Ein auf zwei Jahre befristetes Schuldversprechen (§ 780 BGB) eines Dritten sichert den Lebensunterhalt eines nachziehenden Ehegatten nicht hinreichend. Dies gilt auch, wenn das Schuldversprechen von dem den Arbeitgeber des Ehemannes abgegeben worden ist.
Tatbestand:
Die am ... 1982 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige.
Ihr Ehemann, Herr S. (geboren am ... 1980), reiste am 5. August 1994 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte erfolglos seine Anerkennung als Asylberechtigter (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. April 1996). Da jedoch seine Eltern als Asylberechtigte anerkannt worden sind, erteilte die Beklagte ihm am 10. März 1998 erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis, die mehrfach, zuletzt am 13. März 2003 bis zum 11. März 2005, verlängert worden ist. Vor Ablauf dieser Aufenthaltserlaubnis hat der Ehemann der Klägerin bei der Beklagten deren Verlängerung beantragt. Hierüber ist noch nicht entschieden.
Die Klägerin und ihr Ehemann haben am 18. Januar 2000 in der Türkei geheiratet. Am 16. Mai 2000 beantragte die Klägerin bei der Deutschen Botschaft in Ankara vergeblich die Erteilung eines Visums, weil die Beklagte ihre hierzu erforderliche Zustimmung verweigert hat.
Am 18. Januar 2002 reiste die Klägerin dennoch in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte erfolglos ihre Anerkennung als Asylberechtigte (Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 30. Januar 2002). Vom 16. April 2002 bis zum 11. Dezember 2003 ist die Klägerin im Besitz einer Duldung gewesen. Inzwischen haben die Klägerin und ihr Ehemann zwei gemeinsame am 18. Juni 2003 und 9. Dezember 2004 geborene Kinder.
Am 16. April 2002 hat die Klägerin bei der Beklagten die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt. Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. April 2003 ab, forderte die Klägerin zur Ausreise bis zum 30. Mai 2003 auf und drohte ihr anderenfalls die Abschiebung in die Türkei an.
Der hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin ist mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 16. Juni 2003, zugestellt am 19. Juni 2003, zurückgewiesen worden.
Am 21. Juli 2003, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben.
Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor: Ihr Lebensunterhalt sei gesichert. Ihr Ehemann sei seit dem 1. März 2005 in einem Restaurant beschäftigt. Er sei dort wieder eingestellt worden, nachdem saisonbedingt ein höherer Arbeitskräftebedarf aufgetreten sei. Das Arbeitseinkommen betrage 1 100,- €, hinzu komme das Kindergeld in Höhe von etwa 300,- €. Bei einem Mietanteil von 350,- € seien 1 050,- € zum Lebensunterhalt vorhanden. Sozialhilfeleistungen seien bisher nicht in Anspruch genommen worden. Außerdem habe die Arbeitgeberin ihres Ehemannes am 2. Mai 2005 ein notariell beurkundetes für zwei Jahre geltendes Schuldversprechen abgegeben, so dass dessen Arbeitsplatz für diese Zeit gesichert sei. Die Vorläufige Nds. Verwaltungsvorschrift zum AufenthG sehe keine längere Frist vor. Die darüber hinaus gehende Forderung der Beklagte sei unverhältnismäßig und lebensfremd.
Die Einhaltung des Visumverfahrens sei unzumutbar. Das Nichtabsehen von dieser Voraussetzung sei daher ermessensfehlerhaft. Es käme zu einer Trennung der Familie. Sie, die Klägerin, müsse betreuungsbedürftige Kinder versorgen. Letztlich sei das Visumverfahren lediglich noch ein formaler Akt. Dies zeige sich auch daran, dass die Beklagte die Erteilung einer Vorabzustimmung signalisiert habe. Sie erhielte in der Türkei auch keine Unterstützung, insbesondere nicht von ihrem nach dorthin zurückgekehrten Schwiegervater, der sich von ihrer Schwiegermutter getrennt und gegen die gesamte Familie Drohungen ausgesprochen habe.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 4. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 16. Juni 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen: Der Lebensunterhalt der Klägerin sei nicht gesichert. Der erst vor kurzem geschlossene Arbeitsvertrag sei nicht hinreichend. Der Ehemann der Klägerin besitze zudem keine Berufsausbildung. Das auf zwei Jahre befristete Schuldversprechen sei ebenfalls nicht ausreichend. Nach der Vorläufigen Nds. Verwaltungsvorschrift zum AufenthG sei bei dem hier beabsichtigten Daueraufenthalt ein Zeitraum von fünf Jahren erforderlich. Nach dem Willen des Gesetzgebers müsse der Lebensunterhalt grds. durch eigenes Einkommen gesichert sein. Die Akzeptanz eines Schuldversprechens stehe daher in ihrem Ermessen. Dauerarbeitsverhältnisse bestünden in der Regel mindestens für fünf Jahre. § 9 AufenthG ermögliche nach fünf Jahren grds. einen Daueraufenthalt. Außerdem stehe der Erteilung eines Aufenthaltstitels der Visumsverstoß der Klägerin entgegen. Sie sehe von dessen Beachtung auch nicht nach Ermessen ab, weil die Klägerin nach der ausdrücklichen Versagung eines Visums eingereist sei und damit nachweislich vorsätzlich gegen die Einreisebestimmungen verstoßen habe. Zudem habe sie durch das Vorenthalten eines Nationalpasses die Durchsetzung ihrer Ausreisepflicht verhindert.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte ohne (weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen. Die Abschiebungsandrohung im Bescheid der Beklagten ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden.
Nach § 30 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ist dem Ehegatten zwar eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Ausländer - wie hier der Ehemann der Klägerin - seit fünf Jahren eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.
Indes steht der Erteilung des erstrebten Aufenthaltstitels § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG entgegen, wonach in der Regel der Lebensunterhalt gesichert sein muss. Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 3 AufenthG setzt dies voraus, dass hierfür eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel nicht erforderlich ist. Allerdings bleiben insoweit das Kindergeld und Erziehungsgeld sowie öffentliche Mittel außer Betracht, die auf Beitragsleistungen beruhen. Beiträge der Familienangehörigen zum Haushaltseinkommen werden bei der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug berücksichtigt.
Maßstab für die Höhe des Lebensbedarfs sind dabei die Regelsätze der §§ 19 ff. SGB II und der auf Grund des § 28 SGB XII erlassenen Rechtsverordnung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. November 1996 - 1 B 189.96 - NVwZ-RR 1997, 441442). Danach besteht für die Klägerin, ihren Ehemann und die beiden minderjährigen Kinder - wie im Wesentlichen unstreitig ist - ein monatlicher Bedarf in Höhe von etwa 1 396,-- Euro (Regelsätze zzgl. anteilige Mietkosten in Höhe von ca. 360,-- Euro).
Erforderlich ist eine prognostische Betrachtung (vgl. Funke-Kaiser in: GK-AufenthG, Stand: Dezember 2004, Rdnr. 41 zu § 2). In den Blick zu nehmen ist dabei die Dauer des voraussichtlichen Aufenthalts der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland. Hierbei ist nicht nur die anzunehmende Frist der konkret erstrebten Aufenthaltserlaubnis, sondern ggfs. auch eine darüber hinaus gehende Zeit in Betracht zu ziehen, wenn hiernach realistischerweise nicht mit einer Beendigung des Aufenthalts zu rechnen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 1998 - 1 C 33.97 - BVerwGE 108, 18 ff.). Zutreffend ist die Beklagte dabei davon ausgegangen, dass der von der Klägerin erstrebte Familiennachzug zu ihrem Ehemann auf Dauer angelegt ist (vgl. BVerwG a.a.O.S. 8; OVG Lüneburg, Beschluss vom 5. November 2003 - 1 ME 229/03 -S. 5). Dabei kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass nach § 30 Abs. 3 AufenthG bei einer Entscheidung über die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zum Ehegattennachzug eine fehlende Sicherung des Lebensunterhalts nur noch eingeschränkt entgegengehalten werden könnte.
Nicht entscheidend ist insoweit, dass die Familie der Klägerin auch in den Zeiten, in denen sie nicht über den erforderlichen Lebensbedarf verfügte, keine Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen hat. Wie der Gegenschluss aus § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG erhellt und im Hinblick darauf, dass selbst ein Verzicht mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden kann (§ 46 SGB I), ist vielmehr maßgeblich, ob sie diese verlangen könnten.
Der Lebensunterhalt der Klägerin ist nicht - wie nach den obigen Ausführungen erforderlich - dauerhaft durch das Arbeitseinkommen ihres Ehemannes (1 100,-- Euro) zzgl. des Kindergeldes in Höhe von 308,-- Euro gesichert. Es spricht Überwiegendes dafür, dass seine Beschäftigung nur vorübergehend erfolgen wird.
Der Ehemann der Klägerin steht erst seit dem 1. März 2005 wieder in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Im Schriftsatz vom 12. April 2004 ist insoweit sogar ausdrücklich von einem saisonbedingt höheren Arbeitskräftebedarf bei der Arbeitgeberin die Rede. Er hat dort zunächst von März bis Oktober 2004 gearbeitet. Das Einkommen ist mit dem Kindergeld zudem gerade ausreichend, um den aktuellen Lebensbedarf für ihn, die Klägerin und die beiden Kinder zu decken. Davor ist der Ehemann der Klägerin mehrfach arbeitslos gewesen und hatte daher kein ausreichendes Einkommen. Seine Arbeitsverhältnisse waren jedenfalls im Ergebnis stets vorübergehender Art. Zu Recht hat die Beklagte auch darauf hingewiesen, dass der Ehemann der Klägerin keine Berufsausbildung absolviert hat.
Dass die Arbeitgeberin des Ehemannes der Klägerin, Frau D., sich durch notariell beurkundetes Schuldversprechen vom 2. Mai 2005 verpflichtet hat, über die Dauer von zwei Jahren für den Unterhalt der Klägerin aufzukommen, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Zwar führt dies dazu, dass das Arbeitsverhältnis des Ehemannes der Klägerin mit gewisser Wahrscheinlichkeit über die genannte Frist bestehen wird. Nach den obigen Ausführungen ist angesichts der dort erwähnten Umstände für die Zeit danach aber nicht mit hinreichender Sicherheit von dessen Fortführung auszugehen. Auch ist zu beachten, dass der für die Absicherung des Lebensunterhalts maßgebliche Faktor nicht das Arbeitsverhältnis, sondern das erwähnte Schuldversprechen ist. Dieses ist jedoch hierfür - die hinreichende Bonität der Arbeitgeberin des Ehemannes der Klägerin unterstellt - nicht hinreichend.
Zwar besteht insoweit kein Ermessensspielraum der Beklagten, da die Frage der Sicherung des Lebensunterhalts eine der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegende Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist (vgl. Funke-Kaiser a.a.O., Rdnr. 41). Das Gericht kommt jedoch bei eigener Rechtsanwendung hier zu demselben Ergebnis wie die Beklagte.
Zunächst hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass in Anbetracht des erstrebten und - wie ausgeführt - in den Blick zu nehmenden Daueraufenthalts, jedenfalls ein lediglich zweijähriges Schuldversprechen die Gefahr hervorruft, dass die Klägerin nach Ablauf dieser Zeit, die zu einer erheblichen weiteren Verfestigung ihres Aufenthalts geführt haben wird, von der Gewährung öffentlicher nicht durch Beitragszahlungen gedeckter Transferleistungen abhängig wird. Auch ist der Beklagten darin zu folgen, dass die ausreichende Sicherung des Lebensunterhalts in erster Linie durch echtes Erwerbseinkommen erfolgen muss und Schuldversprechen Dritter eher die Ausnahme darstellen (vgl. Funke-Kaiser a.a.O., Rdnr. 55) und deshalb hieran hohe Anforderungen zu stellen sind. Es handelt sich um Ansprüche gegen Personen, deren dauerhafte persönliche Verbundenheit mit dem Ausländer tendenziell mit Unsicherheiten behaftet ist (vgl. auch OVG Berlin, Beschluss vom 4. März 2004 - 2 S 14.04 - InfAuslR 2004, 237 ff. [OVG Berlin 04.03.2004 - OVG 2 S 14/04]; Beschluss vom 12. Februar 2004 - 2 S 2.04 -S. 4 f., wonach bei der Familienzusammenführung nur unbefristete Schuldversprechen ausreichend sind).
Das Gericht vermag hier auch keinen atypischen Sonderfall zu erkennen, in dem die Sicherung des Lebensunterhaltes abweichend von der Regel ausnahmsweise nicht notwendig ist. Dies ergibt sich insbesondere nicht im Hinblick auf die vorrangige grundgesetzliche Wertung des Art. 6 GG.
Denn hierfür wäre Voraussetzung, dass die Herstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Heimatland zumutbar nicht möglich ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22. Dezember 2003 - 2 BvR 2108/00 - NVwZ 2004, 606; Beschluss vom 30. Januar 2002 - 2 BvR 231/00 - NVwZ 2002, 849850; OVG Lüneburg, Beschluss vom 15. März 2001 - 2 MA 522/01 und 2 MB 1050/01 - InfAuslR 2001, 333334). Davon ist hier aber nicht auszugehen. Sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann haben erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen. Es steht im Hinblick auf §§ 4, 42 AsylVfG deshalb für die Beklagte und das Verwaltungsgericht bindend fest, dass zielstaatsbezogene Gesichtspunkte eine Rückkehr in die Türkei nicht hindern. Der Ehemann der Klägerin lebt zwar seit seinem 14. Lebensjahr in Deutschland. Er beherrscht aber weiter die Sprache seines Heimatlandes und hat nach dorthin soziale Beziehungen. Die Eheschließung der Klägerin mit ihm ist in der Türkei vollzogen worden. Der Ehemann der Klägerin hat sie dort auch mehrfach besucht. Die Klägerin und ihr Ehemann stammen aus demselben Ort und kennen sich seit ihrer Kindheit. Die Familie der Klägerin, die einen landwirtschaftlichen Betrieb führt, hat sie vor ihrer Ausreise auch unterstützt. (vgl. Erklärung des Ehemannes der Klägerin vom 27. Juli 2000, Bl. 17 f. der Beiakte B; Protokoll der Anhörung der Klägerin beim Bundesamt, S. 4 und 6). Der Ehemann der Klägerin ist zudem arbeitsfähig. Dass der Vater des Ehemannes der Klägerin sich mit seiner Familie überworfen haben soll, steht angesichts der in der Türkei vorhandenen Schutz- und Ausweichmöglichkeiten einer gemeinsamen Rückkehr ebenfalls nicht entgegen.
Ob der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auch die Einreise ohne das erforderliche Visum entgegensteht (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) oder im Hinblick auf § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i.V.m. Nr. 5.2.2. und 5.2.3 der Vorläufigen Nds. Verwaltungsvorschrift zum AufenthG vom 31. März 2005 ein Anspruch der Klägerin hiervon abzusehen anzuerkennen ist, bedarf daher keiner gerichtlichen Beurteilung.