Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 24.04.2015, Az.: 5 B 125/15

Pauschale Annahme eines Zweitantrages durch das Bundesamt ohne Prüfung des Ergebnisses des im Schengenraum geführten Erstverfahrens

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
24.04.2015
Aktenzeichen
5 B 125/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 16087
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2015:0424.5B125.15.0A

Fundstellen

  • AUAS 2015, 126-128
  • NdsVBl 2015, 6

Amtlicher Leitsatz

Die pauschale Annahme des Bundesamtes, eine Ausreise aus dem zunächst für die Behandlung des Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat (Eurodac-Treffer der Kategorie 1) indiziere stets den erfolglosen Abschluss des Asylerstverfahrens ist nicht tragfähig.

Gründe

1

Der gem. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes ist begründet.

2

Die mit dem angefochtenen Bescheid erlassene und auf § 71 a Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 30 Abs. 1 AsylVfG gestützte Abschiebungsandrohung mit einer Ausreisefrist von einer Woche ist nach der im Verfahren auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes allein durchzuführenden summarischen Prüfung voraussichtlich rechtswidrig.

3

Denn die Antragsgegnerin war nicht befugt, den Asylantrag des Asylbewerbers als Zweitantrag nach § 71 a AsylVfG zu werten und zu prüfen. Nach dieser Vorschrift ist dann, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist, und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen.

4

Dass das Asyl- (Erst-)verfahren - wie die Antragsgegnerin meint - in einem sicheren Drittstaat erfolglos abgeschlossen wurde, steht nicht fest. Die Antragsgegnerin schließt dies offensichtlich aus Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie; VRL), ohne dass es belastbare Hinweise darauf in ihren Verwaltungsvorgängen gibt. Der Umstand, dass ein sog. Eurodac - Treffer der Kategorie 1 im Sinne des Art. 1 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 407/2002 des Rates vom 28. Februar 2002 (Eurodac DurchführungsVO) vorliegt, belegt nur, dass ein Asylantrag in einem bestimmten sicheren Drittstaat gestellt wurde. Ob und wie das Asylverfahren beendet wurde, ergibt sich daraus nicht.

5

Die von der Antragsgegnerin aus Art. 28 der Richtlinie 2013/32/EU (VRL n.F.) gezogene Schlussfolgerung, mit der Ausreise aus dem sicheren Drittstaat ginge stets ein negativer Abschluss des Asylverfahrens einher, widerspricht den in der Dublin III VO und den in den Verfahrensrichtlinien alter (Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom erste Dezember 2005) und neuer (Richtlinie 2013/32/EU) Fassung gemachten Vorgaben.

6

Denn es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der Asylbewerber durch die Ausreise aus dem ersten für die Prüfung seines Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat seinen ersten Asylantrag konkludent zurückgenommen hat. Es ist eine andere Frage, ob das jeweilige nationale Verfahrensrecht Rechtsfolgen an ein regelmäßiges Nichtbetreiben des Verfahrens knüpft (vergleiche Art. 33 Abs. 1 RL 2005/85/EG - VRL a. F.- und Art. 28 Abs. 2 RL 2013/32/EU - VRL n.F.-).

7

Vielmehr ist der erste Mitgliedstaat im Falle einer erfolgten Überstellung nach Art. 18 Absatz 2 UA 2 VO EU 604/13 (Dublin III VO) auf Verlangen des Asylbewerbers verpflichtet, das Verfahren wieder zu eröffnen und dieses dann nicht als Folgeverfahren zu behandeln, sofern noch keine Sachentscheidung getroffen worden war (VGH Baden- Württemberg, Beschluss vom 19.01.2015 - A 11 S 2508/14 - , Rn. 8, unter Hinweis auf Art. 28 Abs. 2 VRL n.F.).

8

Dass die pauschale Annahme der Antragsgegnerin, eine Ausreise aus dem zunächst für die Behandlung des Asylbegehrens zuständigen Mitgliedstaat indiziere stets den erfolglosen Abschluss des Asylerstantrages, falsch ist, ergibt sich auch aus der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12.3.2015 an das Verwaltungsgericht Freiburg. Danach ist bei Personen, die anlässlich ihres ersten Aufenthalts in Ungarn - einem sicheren Drittstaat - bereits einen Asylantrag gestellt hatten (sog "take back" Fälle) wie folgt zu unterscheiden (Seiten 2 und 3 der Auskunft):

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Die ungarische Behörde hat, wenn sich jemand dem Asylverfahren wegen Verzugs ins Ausland entzogen hat, die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen oder aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen eine Entscheidung zu treffen. In den Fällen, in denen ein vorheriges Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt wurde, wird das neue Asylbegehren behandelt wie ein Erstverfahren, d.h. der Antragsteller kann seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen und erhält ein Aufenthaltsrecht in Ungarn während der Dauer des Asylverfahrens.

10

Dies zeigt, dass gerade nicht in jedem Fall bei einer Ausreise aus dem ersten Mitgliedstaat von einem in der Sache negativen Abschluss des Asylverfahrens ausgegangen werden kann.

11

Vielmehr ist davon auszugehen, dass auch die Möglichkeit besteht, dass der erste Asylantrag ruht, bis eine weitere Überprüfung des Asylbegehrens möglich ist. Wenn die Antragsgegnerin nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Prüfung des Asylbegehrens gem. Art. 29 Abs. 2 der Dublin III VO zuständig geworden ist, tritt sie in die Prüfung des Asylverfahrens ein. Es liegt dann an der Antragsgegnerin, zu ermitteln, ob dieses Asylverfahren bereits mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung abgeschlossen wurde, mit der Folge, dass der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte Asylantrag als Zweitantrag zu werten wäre; oder ob das Asylverfahren im Mitgliedstaat noch offen ist, mit der Folge, dass ein Erstantrag zu prüfen wäre.

12

Dabei berücksichtigt die Kammer auch, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 6.6.2013 C-648/11 -, Rn. 65) für die Prüfung eines Asylantrages immer nur ein Mitgliedstaat zuständig sein kann. Jedenfalls dann, wenn das Asylbegehren im ersten Mitgliedstaat erfolgreich war, ist deshalb ein weiterer Asylantrag im Bundesgebiet mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.06.2014 - 10 C 7/13 -).

13

Dies impliziert, dass ein noch offenes Asylbegehren nach Übergang der nationalen Zuständigkeit auf einen anderen Mitgliedstaat dort abschließend geprüft werden muss.

14

Anhaltspunkte dafür, dass das erste Asylbegehren in der Sache negativ beschieden wurde, hat die Kammer nicht.

15

Dann muss jedenfalls im Verfahren auf Gewährung vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutzes zu Gunsten des Asylbewerbers davon ausgegangen werden, dass eine negative Sachentscheidung bezüglich des Asylerstantrages bislang nicht getroffen wurde.

16

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG).

17

Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylVfG unanfechtbar.