Landgericht Stade
Urt. v. 22.06.2021, Az.: 3 O 31/21

unzulässige Abschalteinrichtung; Thermofenster; Motor Typ EA 288

Bibliographie

Gericht
LG Stade
Datum
22.06.2021
Aktenzeichen
3 O 31/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 72317
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Keine hinreichende Darlegung einer unzulässigen Abschalteinrichtung beim Motor EA 288.

In dem Rechtsstreit
des Herrn XXX,
Kläger
Prozessbevollmächtigte: XXX
Geschäftszeichen: 34714-21/CR
gegen
XXX,
Beklagte
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanw. XXX,
Geschäftszeichen: 2119/21 MS 30
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Stade auf die mündliche Verhandlung vom 03.06.2021 durch den Richter am Landgericht XXX als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Der Streitwert wird auf 18.391,50 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über ein Fahrzeug im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal des VW-Konzerns.

Der Kläger erwarb am 20.10.2015 bei einem Kfz-Händler in 21244 Buchholz das streitgegenständliche Fahrzeug des Typs Skoda Octavia Combi Eleganz 2.0 TDI als Neufahrzeug zu einem Kaufpreis von 22.875,00 € brutto (Anlage K1). Das Fahrzeug ist mit einem Motor des Typs EA 288, nach der Zulassungsbescheinigung Teil I Schadstoffklasse Euro 6, ausgerüstet. Herstellerin des Motors des Fahrzeugs ist die Beklagte. Das Fahrzeug verfügt über eine wirksame EG-Typengenehmigung. Es erfolgte kein Rückruf des Fahrzeugs durch das Kraftfahrtbundesamt (KBA). Dieses hat in zahlreichen Parallelverfahren mitgeteilt, dass bei Fahrzeugen mit dem Motor EA 288 auch nach umfassenden Untersuchungen keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei (Anlagen B6 bis B8). Am Tag vor der mündlichen Verhandlung wies das streitgegenständliche Fahrzeug einen Kilometerstand von 100.879 km auf. Die Klageschrift vom 09.02.2021 wurde der Beklagten am 05.03.2021 zugestellt.

Der Kläger behauptet,

in der Steuerelektronik seines Fahrzeugs kämen zwei sog. Thermofenster zum Einsatz, das erste Thermofenster ermittle die Temperatur, mit dem zweiten werde ermittelt, in welcher Höhe über dem Meeresspiegel sich das Fahrzeug befinde, um die Abgasrückführung zu erhöhen, wenn ein Test auf dem Rollenprüfstand durchgeführt werde. Darüber hinaus verfüge der Pkw noch über eine Kühlmittel-Sollwert-Temperaturregelung. Hierüber werde die Abgasreinigung gesteuert und zwischen dem Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr und im Prüfmodus unterschieden. Die Stickoxydemissionen würden im Prüfstand im Vergleich zum realen Fahrbetrieb optimiert, um die von der Euro-Abgasnorm vorgegebenen NOx-Grenzwerte einzuhalten, während im normalen Fahrbetrieb die NOx-Emissionen erheblich höher seien. Er habe das Fahrzeug in Unkenntnis dieser Abschalteinrichtungen erworben. Wenn er hierüber aufgeklärt worden wäre, hätte er von einem Erwerb abgesehen. Die Beklagte habe im eigenen Gewinnsinteresse das KBA bewusst und gewollt getäuscht. Ihm sei ein Schaden entstanden, da der Pkw einen geringeren Wert habe als erwartet und er außerdem mit einer Untersagung des weiteren Betriebs des Fahrzeugs rechnen müsse.

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.391,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf diesen Betrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen (hilfsweise: nach) Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Skoda Octavia mit der Fahrzeugidentifikationsnummer XXX nebst Fahrzeugschlüssel unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung in Euro pro mit diesem Fahrzeug gefahrenem Kilometer, welche sich nach folgender Formel berechnet: 22.875,00 € multipliziert mit der Summe der ab Kilometerstand 98.001 bis zur Rückgabe an die Beklagte gefahrenen Kilometern geteilt durch 500.000 km;

  2. 2.

    festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des unter Ziffer 1 genannten Fahrzeugs nebst Fahrzeugschlüssel in Annahmeverzug befindet;

  3. 3.

    festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte das unter Ziffer 1 genannte Fahrzeug dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge (hilfsweise: der Stickoxide) im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr, zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor,

dass in dem streitbefangenen Motor keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Das KBA habe den streitgegenständlichen Motorentyp geprüft und festgestellt, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz komme. Der Kläger habe vielmehr ein voll gebrauchstaugliches Fahrzeug erhalten, das alle gesetzlichen Vorgaben erfülle.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.) Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht Stade nach § 32 ZPO örtlich zuständig, da der Fahrzeughändler, bei dem der Kläger das Fahrzeug erworben hat, seinen Geschäftssitz im hiesigen Landgerichtsbezirk hat.

II.) In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg.

1.) Der Kläger hat gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrags gerichteten Schadensersatzanspruch. Ein kaufrechtlicher Gewährleistungsanspruch kommt in Ermangelung einer vertraglichen Verbindung der Parteien nicht in Betracht. Weiterhin kann der Anspruch auch nicht auf § 826 BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB gestützt werden (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 26.05.2021, Az.: 7 U 1278/20).

a) Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 826 BGB.

Denn der Kläger hat bereits nicht substantiiert dargelegt, dass der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs EA 288 über eine illegale Abschalteinrichtung verfügt, über deren Nichtvorliegen er sittenwidrig hätte getäuscht werden können.

aa) Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2020 - VIII ZR 57/19 -, juris). Danach dürfen zwar die Substantiierungsanforderungen an die Darlegung eines behaupteten Sachmangels wegen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht überspannt werden, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Kann sich eine Partei nur auf vermutete Tatsachen stützen, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -reduzierung keine sichere Kenntnis von einzelnen Details haben kann, ist es ihr grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält (vgl. BGH, a.a.O.).

Der Kläger hat hier behauptet, dass verschiedene Abschalteinrichtungen in seinem Fahrzeug zum Einsatz kämen und die Wirkungsweise dieser Einrichtungen auch näher beschrieben. Diese Behauptung ist allerdings durch die Untersuchungen des KBA als widerlegt anzusehen, die in den von der Beklagten vorgelegten Auskünften vom 08.10.2020, 13.11.2020 und 15.12.2020 (Anlagen B6 bis B8) veröffentlicht sind. Dem Gericht ist darüber hinaus eine entsprechende Auskunft vom 09.03.2021 bekannt. Danach hat das KBA den Motorentyp EA 288 umfassend überprüft und festgestellt, dass dort im Gegensatz zu Motoren des Typs EA 189 keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt. In den jeweils ähnlich lautenden Schreiben legt das KBA konkret dar, dass Schwerpunkt der Untersuchungen die Analyse des Abgasnachbehandlungssystems einschließlich der verschiedenen Komponenten sowie die Software der Motorsteuerung war. Explizit wird auf die Programmierung einer Fahrkurvenerkennung und eines Thermofensters eingegangen. Beide Funktionen hat das KBA als zulässig erachtet. Insoweit liegt dieser Sachverhalt anders als in dem vom BGH im oben dargestellten Beschluss entschiedenen Fall. Dort hat der BGH klargestellt, dass für die Annahme hinreichender Anhaltspunkte einer Manipulation der Abgasreinigung nicht zwangsläufig vorausgesetzt werden könne, dass bereits ein behördlicher Rückruf angeordnet ist. Vorliegend hat das KBA jedoch den betreffenden Motorentyp bereits untersucht, für unbedenklich befunden und bewusst von der Anordnung eines Rückrufs abgesehen. Ebenso sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass der Widerruf der Typengenehmigung drohen würde. Die Beklagte konnte und kann deshalb zum jetzigen Zeitpunkt durchaus davon ausgehen, dass sowohl die von ihr konzipierte Motorsteuerung als auch das Abgasnachbehandlungssystem dem Grunde nach nicht zu beanstanden sind. Mit diesem Umstand setzt sich der Kläger nicht detailliert auseinander, so dass sein Vortrag nach Überzeugung des Gerichts keine Veranlassung gibt, über bestimmte unter Beweis gestellt Tatsachen Beweis zu erheben (vgl. OLG Celle, a.a.O.).

bb) Weiterhin liegen nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand keine stichhaltigen Anhaltspunkte dahingehend vor, dass die Beklagte gegenüber dem KBA als zuständiger Genehmigungsbehörde eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Artikel 5 Abs. 2 VO715/2007/EG verschwiegen hat. Daraus folgt, dass der klägerische Vortrag, die Beklagte habe eine objektiv unzulässige und damit rechtswidrige Abschalteinrichtung installiert, auch aus einem weiteren Grund zur schlüssigen Darlegung eines deliktischen Handelns nicht ausreichen kann. Denn die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Abschalteinrichtung ist durch die Genehmigungsbehörde und nicht durch ein Zivilgericht zu prüfen. Erteilt diese die Typengenehmigung, ohne vom Hersteller über die Funktionsweise des Abgasreinigungssystems getäuscht worden zu sein, ist von der Rechtmäßigkeit der Abschalteinrichtung auszugehen. In einem solchen Fall ist es dem Zivilrichter von vornherein verwehrt, eine eigene und im Ergebnis abweichende Prüfung vorzunehmen (vgl. OLG Celle, a.a.O., m.w.N.; OLG Celle, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 7 U 511/18 -, juris). Denn eine durch Verwaltungsakt ausgesprochene Genehmigung ist grundsätzlich der Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2007 - I ZR 125/04 -, m.w.N., juris; Urteil vom 21. September 2006 - IX ZR 89/05 -, juris). Mit dieser aus Sicht des Gerichts wesentlichen Frage setzt sich das vom Kläger in Bezug genommene Urteil des OLG Naumburg vom 09.04.2021, Az.: 8 U 68/20, nicht auseinander. Der dort vertretenen Auffassung kann deshalb bereits aus diesem Grund nicht gefolgt werden.

cc) Daraus folgt für den hier geltend gemachten deliktischen Anspruch aus § 826 BGB, dass es an einer objektiv sittenwidrigen Schädigung seitens der Beklagten fehlt. Denn die Beklagte hat ihre Kunden gerade nicht bewusst getäuscht, um diese zum Kauf eines Fahrzeugs mit einem Motor des Typs EA 288 zu bewegen. Es ist kein betrügerisches und damit sittenwidriges Verhalten gegenüber dem Kläger feststellbar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 -, juris; OLG Celle, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 7 U 511/18 -, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 09. Dezember 2019 - 12 U 555/19 -, juris). Sein Fahrzeug verfügt im Gegenteil unstreitig nach wie vor über die erforderliche EG-Typengenehmigung. Das Erfordernis, dass nämlich die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der Steuerung des Abgasreinigungssystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 -, juris), ist nach alledem nicht gegeben.

b) Aus denselben Gründen scheidet auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 Abs. 1 StGB aus. Eine Haftung wegen Betrugs kommt darüber hinaus auch deshalb nicht in Betracht, weil es an der erforderlichen Stoffgleichheit im Sinne des Betrugstatbestands fehlt (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 -, juris).

c) Schließlich wird durch einen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 1, Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 und gegen die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV nicht der Rechtskreis des Fahrzeughalters betroffen. Diese Vorschrift dient nicht dem Interesse des Einzelnen und insbesondere nicht den Vermögensinteressen einzelner Fahrzeugkäufer (vgl. OLG Celle, Urteil vom 29.01.2020, Az.: 7 U 575/18, m.w.N.).

2.) Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger auch kein Feststellungsinteresse in Hinblick auf die beantragte Feststellung des Annahmeverzugs. Weiterhin kann er weder die geltend gemachten Zinsen noch die Erstattung der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen beanspruchen.

Die Klage ist insgesamt abzuweisen.

III.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO. Der Streitwert ist nach § 3 ZPO in Höhe der ursprünglich geltend gemachten Hauptforderung festzusetzen.