Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.07.2004, Az.: 16 K 116/01
Begriff des "Kindes" im Sinn des Steuerrechts; Erleichterung des Unterhalts und der Pflege eines Kindes auf Grund eines Kinderfreibetrags; Berücksichtigung von Pflegekindern bei der Erteilung eines Kinderfreibetrages; Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 01.07.2004
- Aktenzeichen
- 16 K 116/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29792
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0701.16K116.01.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: VIII R 74/04
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 EStG
- § 1592 Nr. 1 BGB a.F.
- § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO
Fundstellen
- DB 2005, 2102
- DStR 2005, X Heft 34 (Kurzinformation)
- DStRE 2005, 1133-1136 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Kind i.S.d. Steuerrechts ist das bürgerlich-rechtliche Kind
Tatbestand
Der Kläger wurde für die Streitjahre einzeln zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte aus Nichtselbstständiger Arbeit.
Der Kläger lebt seit September 1983 zusammen mit Frau Petra S. Frau S war zu diesem Zeitpunkt noch mit Herrn Dirk S verheiratet. Die Ehe wurde am 14.12.1985 durch Urteil des Amtsgerichts H geschieden. Der Kläger ist der leibliche Vater des am 24.08.1984 geborenen Kindes Kirsa S. Die Mutter des Kindes ist Frau Petra S. Das Kind Kirsa lebt seit seiner Geburt in dem gemeinsamen Haushalt des Klägers und ihrer Mutter. Kirsa wurde im Wesentlichen auf Kosten des Klägers und ihrer Mutter unterhalten.
Kirsa erhob im Jahr 2003 gegen Herrn Dirk S Klage beim Amtsgericht N wegen Anfechtung der Vaterschaft. Das Amtsgericht stellte durch Urteil vom 18.03.2003 fest, dass Kirsa nicht das Kind von Dirk S ist. Wegen der Einzelheiten wird auf das amtsgerichtliche Urteil und das Protokoll über die nicht öffentliche Sitzung des Amtsgerichts vom 18.03.2003 Bezug genommen. Der Kläger erkannte am 13.06.2003 an, der Vater von Kirsa S zu sein. Wegen der Einzelheiten wird auf Nr. 68 der Urkundenrolle für 2003 der Notarin I B mit dem Amtssitz in B verwiesen.
Der Kläger gab in seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre an, es habe zwischen ihm und Kirsa S als seinem leiblichen Kind ein Kindschaftsverhältnis bestanden. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer für die Streitjahre 1994 - 1997 im Wesentlichen erklärungsgemäß fest. Die Einkommensteuerbescheide für 1994 - 1997 wurden bestandskräftig. Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 1998 erfuhr der für die Veranlagung des Klägers zuständige Bedienstete des Beklagten erstmals, dass Kirsa S noch während des Bestehens der Ehe zwischen Frau Petra S und Herrn Dirk S geboren wurde. In dem Einkommensteuerbescheid für 1998 berücksichtigte der Beklagte Kirsa S steuerlich nicht mehr als Kind des Klägers. Ferner erließ der Beklagte für die Jahre 1994 - 1997 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (- AO -) geänderte Einkommensteuerbescheide, in denen er die dem Kläger bisher gewährten Steuervorteile für das Kind Kirsa S nicht mehr berücksichtigte. Der Kläger legte gegen dieÄnderungsbescheide für 1994 - 1997 sowie gegen den Einkommensteuerbescheid für 1998 Einspruch ein. Ferner beantragte der Kläger eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gem.§ 163 AO sowie einen Erlass nach § 227 AO. Der Beklagte wies den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Über die Anträge nach § 163 AO und § 227 AO hat der Beklagte bisher nicht entschieden.
Der Kläger hat am 19.12.2001 Klage erhoben.
Der Kläger trägt vor, es sei fraglich, ob das Tatbestandsmerkmal des § 32 Abs. 1 Einkommensteuergesetz "im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder" allein auf die Vaterschaft im Rechtssinne abstelle. Gemessen an der Zielsetzung des Gesetzgebers sei ein solches Ergebnis grob unbillig. Könnte § 32 Einkommensteuergesetz nur so ausgelegt werden, müsste die Bestimmung für verfassungswidrig erklärt werden. Steuerrechtlich könne die Anerkennung der Vaterschaft aber auch für die Vergangenheit Rechtswirkungen entfalten. Zu den Kindern im Sinne von § 32 Einkommensteuergesetz seien auch diejenigen zu rechnen, bei denen die Verwandtschaft nach den Vorschriften des Bürgerlichen Rechts auf Grund einer Vaterschaftsanfechtung erst nach Erlangung der Volljährigkeit des Kindes festgestellt werden könne. Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung für die Änderung der Einkommensteuerbescheide nicht erfüllt. Der Kläger habe in den Steuererklärungen bei der Angabe "leibliches Kind" Tatsachen erklärt, die damals wie heute zutreffend seien.
Der Kläger beantragt,
die Einkommensteuerbescheide 1994 - 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2001 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21. November 2001 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer auf 24.230,00 DM festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, die steuerliche Berücksichtigung von Kindern nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz setze zwingend voraus, dass diese mit dem Steuerpflichtigen im ersten Grade verwandt seien. Der Kläger sei mit Kirsa in den Streitjahren nicht verwandt gewesen, da ein Kindschaftsverhältnis noch nicht begründet worden sei. Die Anerkennung der Vaterschaft habe keine rückwirkende Kraft. Eine rückwirkende steuerliche Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses sei nicht möglich.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für 1994 - 1998 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1.
Der Kläger hat für die Streitjahre keinen Anspruch auf die Gewährung kindbedingter steuerlicher Vergünstigungen für Kirsa S, insbesondere nicht auf die Berücksichtigung eines Kinderfreibetrags. Denn Kirsa S ist in den Streitjahren steuerlich nicht als Kind des Klägers zu berücksichtigen.
a.
Nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (- EStG -) in den in den Streitjahren geltenden Fassungen sind Kinder "im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder". Nach allgemeiner Meinung sind für den Kindbegriff des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (- BGB -) über die Verwandtschaft maßgeblich (z.B. Pust in Littmann/Bitz/Pust, EStG § 32 Rz. 190; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG § 32 Anm. 35; Blümich/Heuermann, EStG § 32 Rz. 36; FG München Urteil vom 30.09.1997 16 K 2031/97, EFG 1998, 371; FG Düsseldorf Urteil vom 13.08.1998 8 K 9878/97 E, EFG 1998, 1448; Niedersächsisches FG Urteil vom 19.08.2003 13 K 323/03, EFG 2004, 164). Ein hiervon abweichender - rein steuerlicher - Kindbegriff wird demgegenüber - soweit ersichtlich - nicht vertreten. Insbesondere wird in Rechtsprechung und Literatur nicht die vom Kläger befürwortete Auslegung des Kindbegriffs dahin vertreten, dass Kind i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG ein von dem Steuerpflichtigen tatsächlich gezeugtes und von ihm auf eigene Kosten jedenfalls mit unterhaltenes Kind ist.
Die Auslegung des Kindbegriffs i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die die Vorschriften des BGB über die Verwandtschaft als maßgeblich erachtet, ist nach der Ansicht des erkennenden Senats zutreffend. Zum einen dient die Anknüpfung des Kindbegriffs an die Vorschriften des BGB über die Verwandtschaft der Rechtssicherheit. Das BGB enthält in einer Vielzahl von Vorschriften detaillierte Regelungen, unter welchen Voraussetzungen jemand Vater eines Kindes ist.Überzeugende Gründe, von diesem Regelungssystem für Zwecke der Einkommensbesteuerung abzuweichen, sind nicht erkennbar. Die Anknüpfung des Kindbegriffs i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG an die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften ist auch nach dem Zweck des Gesetzes sachgerecht. Zielsetzung des Kinderfreibetrags ist es, den Unterhalt und die Pflege des Kindes zu erleichtern (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts- BVerfG - vom 17.10.1973 1 BvL 20/72, BStBl II 1974, 92, 94). Durch den Kinderfreibetrag soll der Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die durch den Unterhalt von Kindern bedingt ist, Rechnung getragen werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl II 1990, 653, 657). Unter Beachtung dieses Gesetzeszwecks ist es sachgerecht, den Kindbegriff i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG auf Kinder zu beschränken, denen gegenüber der Steuerpflichtige gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist.
b.
Nach diesen Grundsätzen war Kirsa S in den Streitjahren kein Kind des Klägers i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Denn der Kläger war nach den Vorschriften des BGB nicht Vater des Kindes. Als Vater des Kindes galt nach § 1592 Nr. 1 BGB a.F ., der nach Art. 224 § 1 Abs. 1 EGBGB auf das vor dem 01.07.1998 geborene Kind Kirsa anzuwenden war, vielmehr Dirk S. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit.
Die Anerkennung der Vaterschaft durch den Kläger, die erst nach Ablauf der Streitjahre erfolgte und auch erst nach Ablauf der Streitjahre wirksam erfolgen konnte, wirkt nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften nicht zurück. Die Anknüpfung des Kindbegriffs in § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG an das BGB führt dazu, dass auch steuerrechtlich die Anerkennung der Vaterschaft nicht zurück wirkt.
Der Kläger weist allerdings zu Recht darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (- BSG -) zum Bundeskindergeldgesetz (- BKGG -) im Falle der Anerkennung der Vaterschaft eines nicht ehelichen Kindes der Vater unter bestimmten Voraussetzungen auch rückwirkend Anspruch auf Kindergeld hatte (BSG-Urteil vom 28.10.1982 10 RKg 51/81, BSGE 54, 153 = FamRZ 1983, 270). Diese Rechtsprechung des BSG kann auf den Streitfall jedoch nicht übertragen werden, da sich die entscheidungserheblichen Normen voneinander unterscheiden und der vom BSG seinerzeit zu beurteilende Sachverhalt vom Streitfall abweicht. Denn das BSG hatte den Fall eines nicht ehelichen Kindes zu beurteilen, während Kirsa S bis zur erfolgreichen Anfechtung der Vaterschaft als eheliches Kind des Herrn Dirk S galt und die Ehelichkeit erst durch das rechtsgestaltende Urteil des AG H vom 18.03.2003 (zivilrechtlich allerdings rückwirkend auf den Zeitpunkt der Geburt) beseitigt wurde. Ob die erfolgreiche Anfechtung der Vaterschaft steuerrechtlich rückwirkend die kindbedingten Vergünstigungen des Scheinvaters beseitigt, braucht hier nicht entschieden zu werden (dafür z.B. FG Düsseldorf Urteil vom 13.08.1998 8 K 9878/97 E, a.a.O., ; a.A. Schmidt/Glanegger, 23. Aufl., EStG § 32 Rz. 13 und FG Düsseldorf Urteil vom 17.02.1983 VII 300/31 EFG 1983, 504 für den Fall der Nichtigkeitserklärung einer Ehe).
c.
Kirsa S ist in den Streitjahren auch nicht gem. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG als Pflegekind des Klägers zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung als Pflegekind ist nach den in den Streitjahren geltenden Fassungen des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG nur möglich, wenn "das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht". Im Streitfall stand Kirsa jedoch nicht außerhalb der Obhut und Pflege ihrer Mutter. Denn Kirsa lebte in dem gemeinsamen Haushalt des Klägers und ihrer Mutter. Sie wurde im Wesentlichen auf Kosten des Klägers und ihrer Mutter unterhalten. Der Mutter stand das Personensorgerecht für Kirsa zu und sie konnte dieses Recht auf Grund der räumlichen Nähe auch grundsätzlich jederzeit ausüben. Frau Petra S war in der Lage, Pflege und Obhut für Kirsa zu gewähren und sich um Kirsa zu kümmern, was sie - unstreitig - auch tatsächlich getan hat.
d.
Eine andere Auslegung der Vorschriften des § 32 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG ist nicht von Verfassungswegen geboten.
Das BVerfG hat in einem das Jahr 1965 betreffenden Verfahren entschieden, dass nach dem System des § 32 Abs. 2 Nr. 3 EStG in der damals geltenden Fassung die Betreuung eines Kindes jedenfalls bei einem der in Betracht kommenden Steuerpflichtigen zur Gewährung des Kinderfreibetrags führen müsse und dass deshalb die Vorschrift verfassungsgemäß dahin auszulegen sei, dass dem Vater des nicht ehelichen Kindes ein Kinderfreibetrag zustehe, wenn er mit Mutter und Kind in einem gemeinsamen Haushalt lebe und die Mutter kein zu versteuerndes Einkommen habe (BVerfG-Beschluss vom 17.10.1973 1 BvL 20/72, a.a.O., S. 95). Das BVerfG hat des Weiteren entschieden, dass bei der Einkommensbesteuerung ein Betrag in Höhe des Existenzminimums der Familie steuerfrei bleiben müsse. Dem Gesetzgeber steht Gestaltungsfreiheit darüber zu, auf welche Weise er den ihm aus Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz (- GG -) aufgetragenen Schutz verwirklichen will (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29.05.1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, a.a.O., S. 656). Für die Streitjahre 1994 und 1995 wurde der Familienleistungsausgleich durch die Vorschriften des BKGG und des EStG bewirkt. Ab dem 01.01.1996 wurde auf Grund der einheitlichen steuerlichen Ausgestaltung des Familienleistungsausgleichs das Kindergeldrecht in das EStG verlagert. Kindergeld und Kinderfreibetrag (bis 31.12.1995 als duales System) können ab dem Jahr 1996 nur noch alternativ in Anspruch genommen werden (§§ 2 Abs. 5, Abs. 6; 31 EStG).
Für die Sicherstellung des Existenzminimums ist es im Streitfall nicht erforderlich, zu Gunsten des Klägers einen Kinderfreibetrag bzw. sonstige kindbedingte Steuerbegünstigungen zu gewähren. Denn die Kindesmutter hatte in den Streitjahren grundsätzlich Anspruch auf Kindergeld für Kirsa nach den Vorschriften des BKGG bzw. des EStG ab dem Streitjahr 1996. Selbst wenn sich bei der Kindesmutter ein Kinderfreibetrag steuerlich mangels zu versteuernden Einkommens nicht oder nicht voll ausgewirkt haben sollte, stand ihr in den Jahren 1994 und 1995 grundsätzlich ein Zuschlag zum Kindergeld zu und ab 1996 Kindergeld nach dem EStG, wodurch der Ausfall des Kinderfreibetrags aus verfassungsrechtlicher Sicht ausreichend anderweitig berücksichtigt wurde (vgl. dazu BFH-Urteil vom 09.03.1989 VI R 94/88, BStBl II 1989, 680, 682 rechte Spalte). Es entspricht der Rechtsprechung des BVerfG, bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Kinderlastenausgleichs nicht nur auf die steuerliche Entlastung abzustellen, sondern auch außersteuerliche Maßnahmen, insbesondere im Bereich der sozialrechtlichen Förderung in die Betrachtung einzubeziehen (BVerfG-Beschluss vom 23.11.1976 1 BvR 150/75, BStBl II 1977, 135 unter C. I. 2. d) der Gründe). Verfassungsrechtlich ist es auch nicht geboten, dem Kläger zusätzlich zu dem zu Gunsten der Kindesmutter grundsätzlich bestehenden Kindergeldanspruch kindbedingte Steuerbegünstigungen zu gewähren. Denn durch die Zubilligung eines Kinderfreibetrags neben dem Kindergeldanspruch würden der Kläger und die Kindesmutter sogar besser gestellt als verheiratete Eltern; die Zubilligung eines Kinderfreibetrags neben dem Anspruch auf Kindergeld wäre mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des Schutzes von Ehe und Familie unvereinbar (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17.10.1973 1 BvL 20/72, a.a.O., S. 95 rechte Spalte).
2.
Der Beklagte war auch berechtigt, die Einkommensteuerbescheide für 1994 - 1997 gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern. Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zuändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann; es kann sich handeln um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH-Urteil vom 18.12.1996 XI R 36/96, BStBl II 1997, 264 m.w.N.). Tatsachen können auch durch einfache deskriptive Begriffe bezeichnet werden, aber auch durch komplexe Begriffe, die eine Zusammenfassung von Tatsachen enthalten und auf einer bestimmten rechtlichen Wertung derselben beruhen (BFH-Urteil vom 27.10.1992 VIII R 41/89, BStBl II 1993, 569).
Im Streitfall ist Tatsache in dem vorgenannten Sinne, dass Kirsa S während der Ehe zwischen Petra und Dirk S geboren wurde und damit das eheliche Kind des Herrn Dirk S, nicht aber das Kind des Klägers war. "Kind" ist Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes des § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Diese Tatsache ist auch nachträglich bekannt geworden. Nachträgliches Bekanntwerden setzt voraus, dass die betreffende Tatsache bei Erlass des ursprünglichen Bescheids bereits vorhanden war (BFH-Urteil vom 02.04.1998 V R 34/97, BStBl II 1998, 695). Nachträglich werden Tatsachen bekannt, wenn die Willensbildung des für die Steuerfestsetzung zuständigen Bediensteten bereits abgeschlossen war (BFH-Urteil vom 26.11.1996 IX R 77/95, BStBl II 1997, 422). Das Finanzamt muss sich außer den hinsichtlich des jeweiligen Besteuerungsverfahrens aktenkundigen Tatsachen lediglich die Kenntnis des Vorstehers, des nach dem Geschäftsverteilungsplans zuständigen Sachgebietsleiters und des zuständigen Sachbearbeiters zurechnen lassen. Maßgeblich ist also die Kenntnis derjenigen Personen, die innerhalb der zuständigen Finanzbehörde dazu berufen sind, den betreffenden Steuerfall zu bearbeiten (Klein/Rüsken, 8. Aufl., AO § 173 Rz. 61 m.w.N.).
Es war bei der abschließenden Bearbeitung der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1994 - 1997 in der für den Kläger geführten Einkommensteuerakte des Beklagten nicht aktenkundig, dass Kirsa S nicht das Kind des Klägers war. Es ist auch nicht ersichtlich, dass den für die Bearbeitung des Steuerfalls des Klägers zuständigen Bediensteten des Beklagten dieser Umstand in den vorgenannten Zeitpunkten sonst bekannt war.
Die Tatsache, dass Kirsa nicht das Kind des Klägers war, führt im Streitfall auch zu einer höheren Steuer, da die dem Kläger gewährten kindbedingten steuerlichen Vergünstigungen ohne Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses - wie oben dargelegt wurde - nicht berücksichtigt werden können.
3.
Festsetzungsverjährung war im Streitfall auch für das Jahr 1994 bei Erlass desÄnderungsbescheids vom 13.10.2000 noch nicht eingetreten. Die Festsetzungsfrist beträgt vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Die Festsetzungsfrist begann gem.§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31.12.1996, da der Kläger die Steuererklärung für 1994 erst am 29.07.1996 beim Beklagten eingereicht hatte.
4.
Über eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen gem. § 163 AO kann im Streitfall noch nicht entschieden werden. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO erfolgt in einem eigenständigen Verfahren (BFH-Beschluss vom 08.07.1998 I B 111/97, BStBl II 1998, 702 unter II 1. d) und ist Gegenstand eines besonderen Verwaltungsaktes, der zwar mit der Steuerfestsetzung äußerlich verbunden werden kann (§ 163 Satz 3 AO), der jedoch gesondert anzufechten ist (BFH-Urteil vom 22.08.1990 I R 69/89, BStBl II 1991, 38 unter II. 5. m.w.N.). Im Streitfall hat der Beklagte indessen über den Antrag des Klägers nach § 163 AO ausweislich der Einspruchsentscheidung überhaupt noch nicht entschieden. Dieses Herausschieben der Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme könnte zwar rechtswidrig sein, da die Billigkeit der Steuerfestsetzung grundsätzlich sogleich bei der Festsetzung zu prüfen ist und nicht bis zum Abschluss eines Rechtsbehelfsverfahrens hinausgeschoben werden soll (vgl. Klein/Rüsken, 8. Aufl., AO § 163 Rz. 127). Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass nunmehr das Gericht sein Ermessen an die Stelle des vom Beklagten bisher möglicher Weise pflichtwidrig nicht ausgeübten Ermessens setzen kann. Der Kläger hat im Übrigen auch keinen Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) wegen der Nichtbescheidung seines Antrags auf abweichende Steuerfestsetzung erhoben.
5.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.