Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.07.2004, Az.: 5 V 71/04

Besteuerungspflichtigkeit von Umsätzen aus Geldspielautomaten; Überprüfung der Steuerfreiheit von Umsätzen aus Geldspielautomaten im Rahmen einer Außenprüfung; Antrag auf Aufhebung der Vollziehung eines Umsatzsteuerbescheides wegen ernstlichen Zweifeln an dessen Rechtmäßigkeit; Festsetzung einer Mehrwertsteuerpflichtigkeit für die Veranstaltung von Glücksspiel durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union (EU); Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides wegen der Drohung eines Insolvenz

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
13.07.2004
Aktenzeichen
5 V 71/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 27706
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2004:0713.5V71.04.0A

Fundstellen

  • DStR 2005, VIII Heft 17 (Kurzinformation)
  • DStRE 2005, 725-726 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Umsatzsteuer 1997 - 2001
(Aussetzung der Vollziehung)

Amtlicher Leitsatz

Ernstliche Zweifel an der Steuerpflicht der Umsätze aus Geldspielautomaten

Gründe

1

I.

Streitig ist die Steuerpflicht von Umsätzen aus Geldspielautomaten.

2

Für die Streitjahre 1997 - 2000 gab die Antragstellerin - teilweise nach erfolgten Schätzungen - Umsatzsteuererklärungen ab, in der sie jeweils eine Umsatzsteuerschuld errechnete, die im wesentlichen der Summe der bereits zuvor festgesetzten Umsatzsteuervorauszahlungen entsprach. Zunächst wurde die Antragstellerin jeweils erklärungsgemäß veranlagt, wobei die Veranlagungen dieser Jahre unter Vorbehalt der Nachprüfung standen. Nach einer Außenprüfung erließ der Antragsgegner für die Streitjahre 1997 - 2000 am 04.08.2003 einen auf § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gestützten Änderungsbescheid, in dem er jeweils die steuerpflichtigen Umsätze zum Regelsteuersatz erhöhte und den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob.

3

Für das Streitjahr 2001 gab die Antragstellerin bisher keine Umsatzsteuererklärung ab. Daher schätzte der Antragsgegner die Umsatzsteuer durch Bescheid vom 21.08.2003, der unter Vorbehalt der Nachprüfung erging.

4

Während der Außenprüfung bei der Antragstellerin beantragte diese mit Schreiben vom 20.09.2002, ihre Umsätze aus Geldspielautomaten als umsatzsteuerfrei zu behandeln, da dies nach Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. EG-Richtlinie geboten sei. Der Antragsgegner nahm eine Prüfung der Umsatzsteuerfreiheit im Rahmen der Außenprüfung vor und kam dabei zu dem Ergebnis, Umsätze aus Geldspielautomaten seien steuerpflichtig. Deshalb hob er den Vorbehalt der Nachprüfung für die Streitjahre 1997 bis 2000 auf, ohne die von der Antragstellerin begehrte Herabsetzung der Umsatzsteuer vorzunehmen.

5

Gegen die Änderungsbescheide vom 04.08.2003 und den Umsatzsteuerbescheid 2001 legte die Antragstellerin Einspruch ein. Ihren Antrag auf Aufhebung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1997 - 2001 lehnte der Antragsgegner am 27.11.2003 ab. Der Einspruch wegen Umsatzsteuer 1997 bis 2000 wurde durch Einspruchsentscheidung vom 08.04.2004 zwischenzeitlich zurückgewiesen. Hiergegen erhob die Antragstellerin vor dem Niedersächsischen Finanzgericht Klage, über die noch nicht entschieden wurde. Über den Einspruch wegen Umsatzsteuer 2001 hat der Antragsgegner noch nicht entschieden.

6

Mit dem vorliegenden Antrag begehrt die Antragstellerin, die Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1997 bis 2001 insoweit aufzuheben, als hierin Umsätze aus Geldspielautomaten als steuerpflichtig behandelt werden. Die Antragstellerin ist der Ansicht, bei Behandlung der Umsätze aus Geldspielautomaten als steuerfrei seien folgende bereits gezahlte Umsatzsteuerbeträge zu erstatten: ... Wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnung der Antragstellerin ... verwiesen.

7

Die Antragstellerin macht geltend, eine Aufhebung der Vollziehung sei erforderlich zur Abwendung wesentlicher Nachteile, da sie akut von Insolvenzgefahr bedroht sei. Die Gesellschafter seien nicht in der Lage, der Antragstellerin weitere Kredite zu gewähren oder ihr Eigenkapital zuzuführen. Bisher habe die Antragstellerin bereits mehrere Insolvenzverfahren dadurch abwenden können, dass sie die fälligen Forderungen bezahlt habe. Wegen anderweitig fälliger Steuerschulden habe der Antragsgegner bereits Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt. Die Antragstellerin sei nicht in der Lage Sicherheit zu leisten.

8

Die Antragstellerin beantragt,

Umsatzsteuer 1997 in Höhe von ... DM,

Umsatzsteuer 1998 in Höhe von ... DM,

Umsatzsteuer 1999 in Höhe von ... DM,

Umsatzsteuer 2000 in Höhe von ... DM und

Umsatzsteuer 2001 in Höhe von ... DM

von der Vollziehung auszusetzen.

9

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzuweisen.

10

Der Antragsgegner weist darauf hin, dass eine Aufhebung einer Vollziehung grundsätzlich auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die festgesetzte Vorauszahlung beschränkt ist. Diese Beschränkung gilt nur dann nicht, wenn eine Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 69 Abs. 2 Satz 8 FGO). Er ist der Ansicht, diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Ein Insolvenzantrag der Stadt ... sei am 25.02.2004 zurückgenommen worden. Es sei der Antragstellerin möglich, im Rahmen ihrer laufenden Einnahmen ihre Verbindlichkeiten mit Zahlungsvereinbarungen zu tilgen. Auch sei davon auszugehen, dass die Antragstellerin die Möglichkeit zur Aufnahme eines Kredits habe. Solange der EuGH noch nicht über den Vorlagebeschluss des BFH vom 06.11.2002 (V R 7/02, BFH/NV 2003, 275) entschieden habe, müsse von einer Wirksamkeit der nationalen gesetzlichen Regelung im Umsatzsteuergesetz ausgegangen werden. Allenfalls könne eine Aufhebung der Vollziehung gegen Sicherheitsleistung erfolgen.

11

Ihren ursprünglichen Antrag, neben einer Aufhebung der Vollziehung der o.g. Steuerbeträge dem Antragsgegner auch Erstattungszinsen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes aufzuerlegen, nahm die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 09.07.2004 zurück.

12

II.

Der Antrag ist begründet.

13

1.

Grundsätzlich soll eine Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 zweiter Halbsatz Finanzgerichtsordnung (FGO) erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

14

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatsachen bewirken (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1984 III B 40/83, BStBl II 1984, 454 und vom 30. Dezember 1996 I B 61/96, BStBl II 1997, 466). Solche Umstände sind im vorliegenden Fall gegeben.

15

Nach nationalem Umsatzsteuerrecht erzielte die Antragstellerin in den Streitjahren steuerpflichtige Umsätze zum Regelsteuersatz, die vom Antragsgegner zutreffend besteuert wurden. Die Antragstellerin hat nämlich als Automatenaufstellerin Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) gegenüber den Spielern ausgeführt. Diese Umsätze waren nicht nach § 4 Nr. 9 b UStG steuerfrei, da sie nicht unter das Rennwett- und Lotteriesteuergesetz fielen und die Klägerin keine öffentliche Spielbank betrieb.

16

Allerdings ist fraglich, ob ein Mitgliedstaat der EU die Veranstaltung eines Glückspiels der Mehrwertsteuer unterwerfen darf, wenn die Veranstaltung eines solchen Glückspiels durch eine zugelassene öffentliche Spielbank - wie nach § 4 Nr. 9 b des deutschen Umsatz-steuergesetzes - von der Umsatzsteuer befreit ist (vgl. Vorlagebeschluss des BFH vom 06.11.2002 an den EuGH V R 7/02, BFH/NV 2003, 275). Andererseits ist allerdings auch zweifelhaft, ob sich ein Automatenaufsteller auf die mögliche Steuerfreiheit nach Art. 13 Teil B Buchstabe f der 6. EG-Richtlinie berufen kann (vgl. den o.g. Vorlagebeschluss des BFH an den EuGH). Wie der Vorlagebeschluss des BFH an den EuGH zeigt, ist die Rechtslage hinsichtlich der Steuerpflicht der von der Klägerin erzielten Umsätze aus Geldspielautomaten europarechtlich noch nicht abschließend geklärt. Diese europarechtlichen Zweifel begründen zugleich ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide im Sinne des § 69 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 FGO.

17

2.

Nach § 69 Abs. 2 Satz 8 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 FGO ist eine Aufhebung der Vollziehung eines Steuerbescheides auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt; dies gilt nicht, wenn die Aufhebung der Vollziehung zur Abwendung wesentlicher Nachteil nötig erscheint.

18

Im Streitfall begehrt die Antragstellerin eine Aufhebung der Vollziehung auch insoweit, als die festgesetzte Steuer bereits auf festgesetzten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen beruht. Insoweit ist eine Aufhebung der Vollziehung trotz der Einschränkung des § 69 Abs. 2 Satz 8 i.V.m. Abs. 3 Satz 4 FGO vorzunehmen, da sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.

19

Wesentliche Nachteile im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 8 Halbsatz 2 FGO sind dann gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde (BFH-Beschlüsse vom 22.11.2001 V B 100/01 BFH/NV 2002, 519; vom 22.12.2003 IX B 177/02, DB 2004, 463 m.w.N.). Ein solcher Nachteil liegt insbesondere vor bei greifbarer Insolvenzgefahr (Birkenfeld in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 69 FGO Rn. 623).

20

Die Antragstellerin hat eine derartige Insolvenzgefahr glaubhaft gemacht. Nach den glaubhaften Angaben der Antragstellerin stehen ihr weder liquide Mittel noch Kreditmöglichkeiten zur Begleichung fälliger Verbindlichkeiten zur Verfügung. Die Stadt ... hat angedroht, Insolvenzantrag zu stellen, wenn fällige Verbindlichkeiten nicht alsbald beglichen werden. Soweit die von der Antragstellerin erwarteten Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche anderweitig fällige Steuerschulden übersteigen, wurden sie von der Antragstellerin bereits an die Stadt ... abgetreten. Eine Aufhebung der Vollziehung ist daher geeignet, den drohenden Insolvenzantrag der Stadt zu vermeiden.

21

Darüber hinaus ist eine Aufhebung der Vollziehung auch insoweit geboten, als den erwarteten Umsatzsteuer-Erstattungsansprüchen anderweitige fällige Steuerforderungen gegenüberstehen. Mittel zur Abwendung der Insolvenzgefahr stehen der Antragstellerin erst nach vorheriger Aufrechnung mit den anderweitig fälligen Steuerforderungen des Antragsgegners zur Verfügung. Darüber hinaus ist die Aufrechnung dieser anderweitigen Steuerforderungen mit den aus der Aufhebung der Vollziehung folgenden Erstattungsansprüchen auch geeignet, wesentliche Nachteile für die Antragstellerin aus ansonsten drohenden Vollstreckungsmaßnahmen des Antragsgegners wegen der anderweitigen fälligen Steuerforderungen zu vermeiden.

22

3.

Die beantragte Aufhebung der Vollziehung war ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, da die Antragstellerin glaubhaft gemacht hat, dass sie nicht in der Lage ist, eine Sicherheit zu leisten.

23

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO i.V.m. Ziff. 3210 des Gerichtskostenverzeichnisses. Gemäß Ziff. 3210 des Gerichtskostenverzeichnisses (in der für Antragstellungen vor dem 01.07.2004 geltenden Fassung) entstehen bei einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung die Gerichtsgebühren - unabhängig von einer etwaigen späteren Rücknahme des Antrags - bereits mit Antragstellung in voller Höhe. Daher waren der Antragstellerin die Kosten insoweit aufzuerlegen, als sie ursprünglich auch eine Verzinsung ihres geltend gemachten Erstattungsanspruchs beantragt hat.