Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.07.2004, Az.: 10 K 654/98
Steuerliche Erfassung von Zinsen aus Lebensversicherungen; Außerrechnungsmäßige und rechnungsmäßige Zinsen aus Sparanteilen als Einkünfte aus Kapitalvermögen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 15.07.2004
- Aktenzeichen
- 10 K 654/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 20674
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2004:0715.10K654.98.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 06.07.2005 - AZ: VIII R 71/04
Rechtsgrundlagen
- § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG
- § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstaben b dd S. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2005, VIII Heft 1 (Kurzinformation)
- DStRE 2005, 75-77 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2005, 278-279 (Volltext mit red. LS)
- VP 2005, 74
Verfahrensgegenstand
Einkommensteuer 1996
Amtlicher Leitsatz
Zur Steuerpflicht von Zinsen aus Lebensversicherungen
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Ein Lebensversicherungsvertrag, der nachträglich verlängert wird, ist steuerrechtlich so zu behandeln, als sei ein neuer Vertrag abgeschlossen worden. Charakteristikum des Lebensversicherungsvertrages ist unter anderem seine Laufzeit, sodass deren Änderung zur Veränderung seines wirtschaftlichen Gehalts und rechtlich zum Abschluss eines neuen Vetrages führt.
- 2.
Eine andere Behandlung ist aber dann geboten, wenn die Laufzeitverlängerung bereits bei Abschluss des Vertrages vereinbart wurde. In einem solchen Fall wäre die Möglichkeit der Vertragsverlängerung bereits bei Vertragsschluss für beide Seiten verbindlich gewesen mit der Folge, dass die Laufzeitanpassung keine nachträgliche Vertragsänderung beinhaltet.
Tatbestand
Streitig ist die Erfassung von Zinsen aus Lebensversicherungen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Einkommensteuergesetz (EStG) und hierbei insbesondere die steuerrechtliche Behandlung der Verlängerung der Lebensversicherungsverträge des Klägers.
Der frühere Arbeitgeber des Klägers hatte für diesen zwei Lebensversicherungen (Direktversicherung) abgeschlossen. Die erste Versicherung hatte eine Laufzeit und Beitragszahlungsdauer von 16 Jahren, für die andere Versicherung betrugen Laufzeit und Beitragszahlungsdauer 13 Jahre. Nach den Versicherungsbestimmungen waren die Versicherungssummen spätestens beim Ablauf der Versicherungsdauer, also bei beiden Verträgen im Jahr 1993 fällig, längstens bis zu diesem Zeitpunkt waren auch die Beiträge zu zahlen.Änderungsmöglichkeiten hinsichtlich der Laufzeiten oder der Beitragszahlungsdauer waren nicht vorgesehen.
Auf Veranlassung des Klägers beantragte der Arbeitgeber im Jahr 1993 telefonisch über den Versicherungsagenten eine Verlängerung der Versicherungsverträge um jeweils 3 Jahre. Die Versicherung verlängerte die Laufzeit antragsgemäß, passte wegen der zusätzlichen Beitragsleistungen die Versicherungssummen an und führte die Versicherungsverträge nunmehr unter geänderten Vertragsnummern fort. Neue Versicherungsscheine mit den geänderten Lauf- und Beitragszahlungszeiten wurden nicht ausgestellt.
In 1996 erhielt der Kläger die Auszahlungsmitteilungen über die fällig werdenden Beträge, in denen auch einbehaltene Kapitalertragssteuer ausgewiesen war. Das beklagte Finanzamt erfasste diese Zinsen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen.
Im Einspruchsverfahren vertraten die Kläger die Ansicht, dass die im Jahr 1993 erfolgten Vertragsverlängerungen nicht wie neue Vertragsabschlüsse zu behandeln seien. Den von der Versicherung erteilten Auskünften zufolge handele es sich bei den 1996 ausgezahlten Versicherungssummen um die ursprünglich abgeschlossenen Lebensversicherungen. Die 1993 abgelaufenen Versicherungen seien im Rahmen der bestehenden Verträge mit den gleichen Versicherungsbedingungen und bedingt durch die 3 Jahre längere Laufzeit und die zusätzlichen Beitragsleistungen mit neuen Versicherungssummen verlängert worden.
Die Kläger begehren nach insoweit erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage weiterhin, die Zinsen von der Besteuerung auszunehmen. Sie tragen vor, der Kläger habe bei seinem Arbeitgeber die Verlängerungen veranlasst, da er 1993 noch nicht aus dem aktiven Dienst ausgeschieden sei und demzufolge keine Altersversorgungsbezüge benötigt habe. Sie sind der Ansicht, dass lediglich eine Anpassung an die aktive Dienstzeit des Klägers erfolgt und bei der gebotenen zivilrechtlichen Betrachtungsweise im Ergebnis von zwei Verträgen mit der Laufzeit 16 bzw. 19 Jahre auszugehen sei, mit der Folge, dass die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der Zinszahlungen erfüllt seien. Für die Annahme einer bloßen Verlängerung der Laufzeiten durch bloße Vertragsänderung spreche auch, dass darüber hinaus keine weiteren Vereinbarungen getroffen und keine neuen Versicherungsscheine ausgestellt worden seien. So sei auch der jährlich zu zahlende Versicherungsbeitrag unverändert geblieben. Darüber hinaus könne den Schreiben der Versicherung, in denen diese mitgeteilt habe, dass das letzte Versicherungsjahr zum 1. x 1995 beginne und zum Ablauftermin die Versicherungsleistung abgerechnet werde, ebenfalls entnommen werden, dass keine neuen Verträge abgeschlossen worden seien.
Der Sachverhalt sei, entgegen der Ansicht des Beklagten, auch nicht als Novation zu qualifizieren, da der Wille der Vertragsparteien eindeutig nicht auf Aufhebung und Ersetzung der bestehenden Verträge, sondern ausschließlich auf den Abschluss eines Abänderungsvertrages gerichtet gewesen sei. Die Vertragsverlängerung habe auch zu keiner relevanten Veränderung des wirtschaftlichen Gehalts der Versicherungsverträge geführt, da sich das versicherte Risiko aus der Sicht des Versicherers nicht verändert habe, die Fälligkeit der Versicherungsleistung für diesen ohne Belang gewesen sei. Die Vertragsverlängerung sei vergleichbar mit der Verlängerung eines sonstigen Dauerschuldverhältnisses, z.B. eines Arbeitsvertrages, die typischerweise als Fälle der Vertragsverlängerung und nicht als Fälle der Novation beurteilt würden.
Auch widerspreche die Annahme einer Novation Sinn und Zweck der steuerlichen Privilegierung. Dieser bestehe darin, die eigenverantwortliche Altersvorsorge zu unterstützen. Genau dieses Ziel habe der Kläger mit der Vertragsverlängerung verfolgt, bei einer Auszahlung im Jahr 1993 sei diese Zweckerreichung fraglich gewesen. Die Qualifizierung einer Laufzeitverlängerung in Anpassung an die tatsächliche Laufzeit des Arbeitsvertrages als neuen Vertrag laufe dem Gesetzeszweck zuwider.
Der Beklagte ist unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sowie der vom Bundesminister der Finanzen (BMF) erlassenen Verwaltungsanweisungen (BFH-Urteil vom 9. Mai 1974 VI R 137/72, BFHE 112, 484, BStBl II 1974, 633; BMF-Schreiben vom 19. April 1999 - IV - C4 - S 2221 - 132/99, DStR 1999, 1193; vom 22. August 2002 - IV C4 - S 2221 - 211/02, BStBl I 2002, 827) der Auffassung, dass bei nachträglichenÄnderungen eines Lebensversicherungsvertrages in seinen wesentlichen Bestandteilen (Versicherungslaufzeit, Versicherungssumme, Versicherungsbeitrag, Beitragszahlungsdauer) hinsichtlich der Vertragsänderungen vom Abschluss eines neuen Vertrages auszugehen sei, der seinerseits die Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung erfüllen müsse (BMF-Schreiben vom 22. August 2002 a.a.O., Rz. 31, 41, 50).
Im Streitfall seien drei wesentliche Vertragskomponenten, nämlich Laufzeit, Beitragszahlungsdauer und Versicherungssumme verändert worden. Diese veränderten Vertragsbestandteile seien steuerlich wie ein neuer Vertrag zu behandeln. Die im Verlängerungszeitraum angefallenen Zinsen seien steuerlich nicht begünstigt, da die Laufzeit ab der Verlängerung nicht 12 Jahre, sondern nur 3 Jahre betragen habe. In diesem Zusammenhang komme es weder auf den Zeitpunkt der Kenntnis des Klägers über die Erhöhung der Versicherungssummen noch auf die Ausstellung eines neuen Versicherungsscheines an, zumal die beantragte Verlängerung unstreitig von der Versicherung auch angenommen worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat die Zinsen zutreffend als Einkünfte aus Kapitalvermögen der Besteuerung unterworfen.
Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen außerrechnungsmäßige und rechnungsmäßige Zinsen aus Sparanteilen, die in den Beiträgen zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall enthaltenen sind, es sei denn, dass die Zinsen aus Versicherungen im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b EStG resultieren und (1) mit den Beiträgen verrechnet werden oder (2) im Versicherungsfall oder (3) im Fall des Rückkaufs des Vertrages erst nach Ablauf von 12 Jahren ausgezahlt worden sind (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG). Kapitallebensversicherungen, wie die hier zu beurteilenden Versicherungen müssen eine Mindestlaufzeit von 12 Jahren haben, § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstaben b dd Satz 1 EStG.
Die in den Jahren 1977 und 1980 abgeschlossenen und 1993 fälligen Versicherungsverträge hatten die insoweit erforderliche Laufzeit von mindestens 12 Jahren, sodass die in den ausgezahlten Versicherungssummen enthaltenen, bis zur ursprünglichen Fälligkeit im Erlebensfall am 1. Dezember 1993 aufgelaufenen Zinsen - wie geschehen - steuerfrei zu belassen waren.
Die außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den Sparanteilen, die in den im Zeitraum 1993 bis 1996 geleisteten Beiträgen enthalten sind, sind dagegen nicht gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG von der Besteuerung ausgenommen, da insoweit die Mindestvertragsdauer von 12 Jahren nicht erfüllt ist. Im Umfang der nicht im Ursprungsvertrag vereinbarten Erhöhung war ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses über die Verlängerung eine neue Mindestvertragsdauer von 12 Jahren in Gang gesetzt, die zum Zeitpunkt des Ablaufs in 1996 noch nicht abgelaufen war. Bei Ablauf des Vertrages zum ursprünglich vereinbarten Zeitpunkt im Jahr 1993 bestand die Leistungspflicht des Versicherers lediglich in Höhe der ursprünglich vereinbarten, nicht jedoch im Umfang der nachträglich vereinbarten Versicherungssumme.
Auch wenn sich die Abänderung der Verträge durch die Neufestlegung der Laufzeit bürgerlich-rechtlich als bloße Vertragsverlängerung darstellen sollte, beinhalten die im Jahr 1993 erfolgten Verlängerungen der Versicherungsdauer steuerrechtlich neue Vertragsabschlüsse.
Entscheidend ist, dass sich die Verträge durch die nachträglich vereinbarten Vertragsverlängerungen in ihrem Inhalt und ihrem wirtschaftlichen Gehalt und damit in entscheidenden, steuerlich relevanten Vertragsmerkmalen geändert haben. Entscheidende Merkmale eines Versicherungsvertrages sind Laufzeit, Versicherungssumme, Versicherungsprämie und Prämienzahlungsdauer; eine Änderung eines dieser Merkmale ist deshalb als Abschluss eines neuen Vertrages zu werten (BFH-Urteil vom 9. Mai 1974 VI R 137/72, a.a.O.; Herrmann/Heuer/Raupach-Harenberg EStG § 20 Rdnr. 756; Blümich-Stuhrmann EStG § 20 Rz. 288, Littmann/Bitz/Pust-Schlotter EStG § 20 Rdnr. 585). Die vereinbarte Verlängerung der Laufzeit in Verbindung mit der ebenfalls vereinbarten Verlängerung der Beitragszahlungen bewirkte im Ergebnis eine Aufstockung der ursprünglich vereinbarten Versicherungsleistung, so dass nicht nur die Laufzeit, sondern auch die Prämienzahlungsdauer und die Höhe der Versicherungssumme verändert worden sind. Auch wenn sich letzteres nach Ansicht der Kläger lediglich als Folge der Laufzeitverlängerungen darstellt, sind doch die für die steuerliche Beurteilung wesentlichen Grundlagen der Ursprungsverträge modifiziert worden, so dass die über die Erstverträge hinausgehenden Vertragsbestandteile und Auswirkungen steuerlich als Neuverträge zu würdigen sind.
Die Möglichkeit der Laufzeitverlängerung ist auch nicht schon als Option bei Vertragsschluss in den Jahren 1977 und 1980 vereinbart gewesen. In diesem Fall wäre die Möglichkeit der Vertragsverlängerung bereits bei Vertragsschluss für beide Seiten verbindlich gewesen mit der Folge, dass die Laufzeitanpassung keine nachträgliche Vertragsänderung beinhaltet hätte (vgl. BFH-Urteile vom 8. Februar 1974 VI R 325/70, BFHE 111, 485, BStBl II 1974, 354; VI R 327/70 BFHE 111, 488 BStBl II 1974, 356; Kirchhoff/Söhn-Söhn EStG § 10 Rdnr. E 67). Da bei Abschluss der streitigen Verträge jedoch keine entsprechenden Optionen eingeräumt gewesen sind, hat der Inhalt der Verträge nach den im Jahr 1993 vorgenommenen Änderungen nicht mehr dem Inhalt der Ursprungsverträge entsprochen, mit der Folge, dass bei der Änderung im Jahr 1993 steuerlich vom Abschluss neuer Verträge auszugehen ist.
Eine Steuerprivilegierung von Zinsen, die wie im Streitfall aus dem nachträglich erhöhten Versicherungsbetrag resultieren, kommt nur in Betracht, wenn auch in Bezug auf den Aufstockungsbetrag die Mindestvertragsdauer von 12 Jahren abgelaufen ist, d. h. der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Vertragsänderung und dem Ablauf der Versicherung muss mindestens 12 Jahre betragen.
Der Kläger ist somit den Steuerpflichtigen gleichzustellen, die beim ursprünglichen Ablauf der Verträge im Jahr 1993 die Lebensversicherungssumme ausgezahlt bekommen und für weitere 3 Jahre gegen Zahlung eines Einmalbetrages in Höhe der fälligen Versicherungsleistung und jährlicher Beitragsleistungen in einen neuen Versicherungsvertrag angelegt hätten. In diesem Fall wären die Zinsen steuerpflichtig gewesen, da die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG nicht erfüllt wären. Nach Auffassung des Senats erfordern Sinn und Zweck der Steuerbegünstigung, die Altersvorsorge zu fördern, keine unterschiedliche Behandlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision wird gemäß § 115 FGO zugelassen, da die Frage, welche Bestandteile eines Vertrages als wesentlich anzusehen sind und ob die Verlängerung des Versicherungsvertrages unter Fortführung der Beitragszahlungen wegen der hieraus resultierenden höheren Versicherungssumme grundsätzlich zur Annahme eines neuen Vertrages führt, von grundsätzlicher Bedeutung ist.