Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 09.01.2020, Az.: 2 U 116/19

Erleichterte Räumungsverfügung bei Geschäftsraummietverhältnissen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
09.01.2020
Aktenzeichen
2 U 116/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 10276
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Hannover - 15.11.2019 - AZ: 16 O 206/19

Fundstellen

  • MietRB 2020, 233-234
  • ZAP EN-Nr. 75/2020
  • ZAP 2020, 185
  • ZfIR 2020, 155

Amtlicher Leitsatz

Die in § 940 a ZPO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung kann nicht im Rahmen der Anwendung von § 940 ZPO auf Geschäftsraumietverhältnisse übertragen werden.

Tenor:

Die Berufung der Verfügungskläger gegen das am 15. November 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Verfügungskläger haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 27.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil die Darstellung etwaige Änderungen und Ergänzungen wird gemäß § 540 Abs. 2 in Verbindung mit §§ 313 a Abs. 1 Satz 1, 542 Abs. 2 ZPO abgesehen.

II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Verfügungskläger ist nicht begründet.

Die Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat die einstweilige Verfügung vom 27 September 2019 zu Recht aufgehoben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Der Einzelrichter der 16. Zivilkammer vom 27. September 2019 hat die einstweilige Verfügung, durch den die Verfügungsbeklagten verpflichtet worden ist, die streitgegenständlichen Räume zu räumen und an die Verfügungskläger herauszugeben, zu Unrecht erlassen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer Räumungsverfügung waren zum damaligen Zeitpunkt und sind auch jetzt nicht gegeben.

Die Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Hannover hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht ausgeführt, dass den Verfügungsklägern zwar ein Räumungs- und Herausgabeanspruch zusteht, es jedoch an dem für den Erlass einer einstweilen Verfügung erforderlichen Verfügungsgrund fehlt.

1. Die Einzelrichterin hat jedenfalls im Ergebnis mit Recht angenommen, dass ein Verfügungsgrund im Sinne von § 940a Abs. 2 ZPO nicht gegeben ist. Nach dieser Vorschrift darf die Räumung von Wohnraum durch eine einstweilige Verfügung auch gegen einen Dritten angeordnet werden, der im Besitz der Mietsache ist, wenn gegen den Mieter ein vollstreckbarer Räumungstitel vorliegt und der Vermieter vom Besitzerwerb des Dritten erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung Kenntnis erlangt hat. Sowohl die Überschrift dieser Norm als auch deren eindeutiger Wortlaut machen deutlich, dass diese Vorschrift ausschließlich auf Mietverhältnisse über Wohnraum anwendbar ist. Eine (auch analoge) Anwendung auf Geschäftsraummietverhältnisse scheidet aus (Senat, NJW-RR 2015, 711 [BGH 11.02.2015 - IV ZR 276/14], zitiert nach juris Rn. 4ff; siehe Huber, in: Musielak/Voit, ZPO, 15. Auflage, § 940a Rn. 1; vergleiche auch Zöller/G. Vollkommer, ZPO, 32. der Auflage, § 940 a Rn. 7).

2. Die in der Vorschrift des § 940a ZPO zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung kann auch nicht über die Vorschrift des § 940 ZPO als "Ankernorm" auf Geschäftsraummietverhältnisse übertragen werden.

Soweit das Kammergericht in einer Entscheidung vom 9. Mai 2019 sowie das Oberlandesgericht Frankfurt in einer Entscheidung vom 13. September 2019 dem Oberlandesgericht München folgend eine (mittelbare) Anwendbarkeit von § 940a ZPO über § 940 ZPO bejahen, vermag diese Auffassung den Senat nicht zu überzeugen.

Die Argumentation des Oberlandesgerichts München, des Kammergerichts sowie des Oberlandesgerichts Frankfurt laufen im Ergebnis auf eine dem Prinzip der Gewaltenteilung zuwiderlaufende und daher nicht statthafte Korrektur des Gesetzgebers hinaus.

Sowohl die Überschrift der Norm des § 940 a ZPO sowie dessen (unzweideutiger) Wortlaut machen - wie bereits ausgeführt - deutlich, dass es sich um eine Norm handelt, die ausschließlich für Wohnraum Anwendung findet. Sie ist daher nicht, auch nicht analog anwendbar, wenn es um die Räumung von Gewerberaum geht. Denn für einen "wenn schon, dann erst recht" -Schluss ist bei Spezialvorschriften dieser Art kein Raum, weil er auf eine der Gewaltenteilung zuwiderlaufende Korrektur des Gesetzgebers hinausliefe (Schuske, in: Schuske/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 6. Aufl., § 940 a ZPO Rn. 7). Eine solche nicht erlaubte Korrektur des Gesetzgebers liegt aber auch dann vor, wenn zwar nicht die Norm selbst unmittelbar analog herangezogen wird, wohl aber deren Wertungen (so zutreffend Schuske, a.a.O. Rn. 7 Fn. 25 unter Hinweis auf die Argumentation des LG Hamburg in NJW 2013, 3666 [LG Hamburg 27.06.2013 - 334 O 104/13]).

Die Argumentation des Oberlandesgerichts München und der ihm folgenden Oberlandesgerichte vermag überdies auch aus dogmatischen Erwägungen nicht zu überzeugen.

Wenn - wie bei § 940 ZPO - ein Werturteil erforderlich ist, weil ein Sachverhalt erst nach einem zu konkretisierenden "ausfüllungsbedürftigen" Maßstab zu beurteilen ist, kommt zwar maßgeblich die Methode der Fallvergleichung und Typisierung zur Anwendung (vergleiche Clarence/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. Seite 109 i.V.m S. 113), wobei es mit Rücksicht auf das Grundpostulat der Gerechtigkeit, "gleiche Fälle" gleich zu behandeln, der Herausarbeitung bedarf, welche Umstände im welchem Ausmaß für die geforderte Bewertung (nach einem allgemeinen Maßstab) von Bedeutung sind. Denn nur und alle solche Fälle, die sich hinsichtlich aller dieser Umstände gleichen, sind gleich zu beurteilen (Larenz/Canaris, aa Pro Seite 113).

Genau daran fehlt es aber im vorliegenden Fall. Es besteht ein signifikanter Unterschied in der rechtlichen Bewertung von Wohnraummietverhältnissen und Gewerberaummietverhältnisse. Dies verdeutlicht in aller Schärfe die Vorschrift des § 578 BGB, die enumerativ nur ganz bestimmte Vorschriften des bürgerlichen Rechts, die für Wohnraummietverhältnisse gelten, für das Recht der Gewerberaummiete für anwendbar erklärt. Gerade wenn aber eine Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers ausschließlich auf Wohnraummiete Anwendung findet, indiziert bereits dies, dass die dieser Norm zugrunde liegende Wertentscheidung des Gesetzgebers eben nicht auf die Gewerberaummiete übertragen werden kann. Es kann also entgegen der nicht näher begründeten Auffassung des Oberlandesgerichts München nicht davon gesprochen werden, dass der Gesetzgeber mit den Erwägungen, die der Vorschrift des § 940 a ZPO zugrunde liegen, eine typisierte Bewertung vorgenommen hat, die ohne Weiteres auf Gewerberaummietemietverhältnisse übertragen werden kann.

Indem das Oberlandesgericht München dem Regelungsgehalt von § 940 a ZPO über die Generalklausel des § 940 ZPO Geltung verschafft, liegt - jedenfalls dem Ergebnis nach - eine (nicht gerechtfertigte) gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung vor, die nur bei Vorliegen einer Regelungslücke im weiteren Sinne zulässig wäre.

Eine Regelungslücke im weiteren Sinne ist gegeben, wenn das Fehlen einer rechtlichen Regelung zwar nicht schon gemessen am Plan des Gesetzes selbst, wohl aber gemessen an den Erfordernissen der Gesamtrechtsordnung als behebungsbedürftige Unvollständigkeit erscheint (siehe Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. Seite 246). Dies setzt unter anderem voraus, dass die Rechtsfortbildung durch spezifisch rechtliche Kriterien, insbesondere durch allgemeine Rechtsprinzipien oder- Werte legitimiert wird (Larenz/Canaris, aaO). Genau daran fehlt es aber im vorliegenden Fall, weil das in § 940a ZPO zum Ausdruck kommende Wertungsprinzip eben nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur auf Gewerberaummietverhältnisse Anwendung findet. Es kann nicht davon gesprochen werden, dass in § 940 a ZPO ein allgemeines Rechtsprinzip ausformuliert worden ist.

3. Die Anordnung der Räumung von Gewerberaum durch eine einstweilige (Räumung-) Verfügung ist nach alledem nur in den Grenzen möglich, innerhalb derer ganz allgemein Befriedigungsverfügungen auf der Grundlage der §§ 935, 940 ZPO im Ausnahmefall möglich sind. Dazu gehören die Fälle einer umgehenden Rückgängigmachung verbotener Eigenmacht (siehe Schuske, a.a.O. Rn. 7) sowie die Fälle, in denen der unberechtigte Besitzer die Sache in einer vom Vertrag nicht mit der gedeckten Weise nutzt und der Sachsubstanz aus diesem Grunde konkrete Gefahr droht (siehe OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. 20 Februar 2009, Aktenzeichen I-10 W 14/0 9,10 B 14/09, zitiert nach juris Rn. 8). Nicht ausreichend ist demgegenüber, dass kein Nutzungsentgelt mehr bezahlt wird, obwohl die Räume uneingeschränkt weiter genutzt werden (Schuske, a.a.O.).

Der Erlass einer Leistungsverfügung kommt nämlich nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller auf die sofortige Erfüllung so dringend angewiesen ist, dass er ein ordentliches Verfahren nicht abwarten kann, ohne unverhältnismäßig großen oder gar irreparablen Schaden zu erleiden (Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 38 der Auflage § 940 Rn. 6; Hk-ZPO/Kemper, 7. Aufl., § 940 Rn. 9).

Die Einzelrichterin hat daher zu Recht angenommen, dass es an einer besonderen Dringlichkeit im Sinne von § 940 ZPO im vorliegenden Falle fehlt. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die zutreffenden Ausführungen der Einzelrichterin im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Gemessen an den vorstehend wiedergegebenen Grundsätzen lagen die Voraussetzungen für den Erlass einer Räumungsverfügung schon bei Antragstellung nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Verfügungskläger rechtfertigen die vorgetragenen Bedrohungen durch den Ehemann der Geschäftsführerin der Beklagten nicht den Erlass einer Räumungsverfügung. Die Kläger verkennen grundlegend, dass schon im Ausgangspunkt der Beklagten als juristischer Person nicht ohne Weiteres das Verhalten eines Dritten zugerechnet werden kann. Selbst wenn aber die Geschäftsführerin der Beklagten die Bedrohungen durch ihren Ehemann oder aber deren minderjährigen Sohn gebilligt haben sollte. würde dies allein niemals den Erlass einer Räumungsverfügung und damit die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen.

Die Verfügungskläger verkennen im Übrigen, dass sie sich gegen die behauptete Bedrohung jederzeit mit einer Unterlassungsverfügung gegen den minderjährigen Sohn der Geschäftsführerin oder deren Ehemann zur Wehr setzen können und insoweit kein sachlicher Zusammenhang zu der begehrten Räumungsverfügung besteht. Ungeachtet dessen ist der pauschale Hinweis auf ein nicht näher substantiiertes "Bedrohungsempfinden" schon generell nicht geeignet, einen Verfügungsgrund zu bilden.

Im vorliegenden Fall kann auch dahingestellt bleiben, ob der Erlass einer Räumungsverfügung zusätzlich auch in den Fällen zulässig ist, in den denen der Vermieter infolge einer besonderen (wirtschaftlichen) Notlage auf die sofortige Herausgabe der Räume angewiesen ist (bejahend Schuske, a.a.O. § 940a Rn. 7 sowie beispielsweise OLG Rostock OLGR 2001, 56; ablehnend OLG Düsseldorf, a.a.O. Rn. 9).

Selbst wenn derjenigen Rechtsprechung gefolgt würde, die den Erlass einer Räumungsverfügung im Falle einer ernsthaften existenziellen (wirtschaftlichen) Notlage des Vermieters für möglich erachtet, liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Denn soweit es die Fälle betrifft, in denen der Besitz der Sache für den Gläubiger existenz- notwendig ist, ist bei dem Erlass einer Räumungsverfügung grundsätzlich äußerste Zurückhaltung geboten (siehe Schuske, a.a.O. Vor § 935 Rn. 33). Alleine eine Bedrohung durch den Hauptmieter oder dessen Familienangehörigen führt noch nicht dazu, dass sich die Verfügungskläger in einer existenziellen Notlage befinden. Erst recht belegt eine Bedrohung nicht, dass die Besitzerlangung erforderlich ist, um wesentlichen Schaden von dem Mietobjekt abzuwenden.

Ebenfalls fehl geht der Hinweis der Verfügungskläger darauf, dass das Hauptmietverhältnis bereits seit dem 1. September 2017 (also mehr als 2 Jahre) beendet sei. Die anwaltlich beratenen Kläger übersehen in diesem Zusammenhang, dass erst mit dem Senatsbeschluss vom 28. Mai 2019 abschließend über den Räumungsanspruch der Kläger entschieden worden ist. Erst mit der Rechtskraft dieses Beschlusses stand fest, dass der Hauptmieter zur Räumung verpflichtet war. Demnach besteht erst seit Juni 2019 Klarheit darüber, dass die Hauptmieterin tatsächlich zur Räumung des Objektes nach Ausspruch der Kündigung verpflichtet war. Dem Argument des Zeitablaufes kommt vor diesem Hintergrund keine entscheidende Bedeutung zu.

Überdies verkennen die Verfügungskläger grundlegend, dass alleine der Zeitablauf niemals die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigen würde, weil allein der Zeitablauf weder eine existenzielle Notlage des Vermieters noch eine Gefährdung des Mietobjektes begründet.

4. Nichts Anderes würde im Übrigen gelten, wenn entgegen der Auffassung des Senats der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte gefolgt würde, die im Rahmen von § 940 ZPO auf die Wertung des § 940 a ZPO zurückgreifen.

Denn der vorliegende Fall erhält sein besonderes Gepräge dadurch, dass die Mietzahlungen unstreitig von Seiten der Untermieterin über einen Zeitraum von fast 3 Jahren an die Antragsteller geleistet worden sind, ohne dass diese in irgendeiner Weise zu erkennen gegeben haben, dass sie mit dieser Zahlung nicht einverstanden waren und nicht sich nicht einmal der Mühe unterzogen haben, die Hintergründe dieser Zahlung aufzuklären. Dazu hatten die Verfügungskläger aber hinreichend Veranlassung, nachdem sie keinerlei Zahlung von Seiten des Hauptmieters sondern von einer ihnen (angeblich) unbekannten dritten (juristischen) Person erhalten haben. Überdies ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die Verfügungskläger zum jetzigen Zeitpunkt die Miete weiter von dem gekündigten Hauptmieter erhalten. Damit steht aber fest, dass ein irgendwie gearteter erheblicher vermögensrechtlicher Nachteil überhaupt nicht besteht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO

Die Entscheidung über die vorherige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren beruht auf § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO. Der Senat hält insoweit den Betrag einer halben Jahresmiete (6 × 4.500 €) für angemessen.