Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 20.08.1997, Az.: 2 U 138/97

Falschangabe bei einer Schadenanzeige zur Kraftfahrtversicherung; Leistungsfreiheit des Versicherers bei einer folgenlos gebliebenen Falschangabe in einer Schadenanzeige; Folgen einer nicht umfassenden Belehrung über die Rechtsfolgen einer - auch vorsätzlichen - Obliegenheitsverletzung ; Anforderungen an die Belehrungen des Versicherers; Erstreckung einer sich auf die Fragen im Schadenanzeigeformular beziehenden Belehrung auf spätere, von diesen Fragen nicht umfasste Erklärungen; Notwendigkeit einer wiederholenden Belehrung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
20.08.1997
Aktenzeichen
2 U 138/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 21729
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1997:0820.2U138.97.0A

Fundstellen

  • NJW-RR 1998, 30-31 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1998, 449 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 1997, 460-461 (Volltext mit amtl. LS)

Gründe

1

Die Beklagte ist nicht gemäß §§ 6 Abs. 3 VVG, 7 I Nr. 2 Satz 3, V Nr. 4 AKB leistungsfrei.

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Das Landgericht hat allerdings in diesem Zusammenhang die Beweislast verkannt, indem es davon ausgegangen ist, dass die Beklagte ein vorsätzliches Handeln der Klägerin zu beweisen habe. Das hilft der Berufung aber im Ergebnis nicht weiter, weil hier dahinstehen kann, ob die Klägerin die zu Gunsten der Beklagten bestehende Vermutung, dass die Formulare der Beklagten vorsätzlich unvollständig bzw. falsch ausgefüllt worden sind, widerlegt hat.

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Entscheidend ist, dass die Beklagte die Klägerin nicht umfassend genug über die Rechtsfolgen einer - auch vorsätzlichen - Obliegenheitsverletzung belehrt hat.

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Folgenlos gebliebene Falschangaben in einer Schadenanzeige führen nur dann zur Leistungsfreiheit, wenn der Versicherungsnehmer vorher ausdrücklich und unmissverständlich darüber belehrt worden ist, dass er durch bewusst unwahre oder unvollständige Angaben auch dann den Versicherungsschutz verliert, wenn dem Versicherer dadurch kein

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Nachteil entsteht (vgl. BGH NJW 1967, 1226 [BGH 16.02.1967 - II ZR 73/65] und NJW 1967, 1756 in seither st.Rspr.; Prölss/Martin, VVG, 25. Aufl., § 34 Anm.3 C m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt auch in der Fahrzeugversicherung (vgl. BGH NJW 1973, 365 [BGH 20.12.1972 - IV ZR 57/71]; Bauer, aa0, Rdnrn. 518 f. m.w.N.).

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Das Formular der Beklagten "Schadenanzeige zur Kraftfahrtversicherung" genügt den Belehrungserfordernissen nicht. Zwar enthält es auf der letzten Seite den Satz: "Bewusst unwahre oder unvollständige Angaben führen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auch dann zum Verlust des Versicherungsanspruches, wenn diese Angaben die Schadensfeststellung nicht beeinflussen". Diese - schon sprachlich misslungene - Formulierung ist aber aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers - auf den insoweit abzustellen ist - nicht eindeutig. Er verfehlt die mit dem Belehrungszwang intendierte Warnfunktion schon deshalb, weil der Hinweis auf eine "Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes" nicht eindeutig klarstellt, dass der Versicherer generell, d.h. ohne Rücksicht auf die Lage des Einzelfalls, tatsächlich nicht leisten muss und wird. Der Hinweis auf mögliche Leistungsverweigerungsrechte und Rechtspositionen aber genügt für eine Rechtsbelehrung nach richtiger Auffassung nicht (vgl. BGH NJW 1973, 365, 366 [BGH 20.12.1972 - IV ZR 57/71]; Bauer, aa0, Rdnr. 518; Prölss/Martin, aa0). Im Übrigen ist es jedenfalls zweifelhaft, ob dieser Hinweis in der gebotenen, äußerlich hervorgehobenen Art und Weise (vgl. hierzu z.B. OLG Hamm NJW-RR 1997, 476 m.w.N.) gestaltet ist. Zwar ist der Text fett gedruckt. Andererseits wird die Aufmerksamkeit des durchschnittlichen Lesers viel eher auf den darunter stehenden Abschnitt, der sich zum Verfahren der Schadensregulierung verhält, konzentriert. Grund hierfür ist ein ebenfalls fett gedruckter Schwarzbalken, der dem von ihm begrenzten Text den Anschein hervorhebenswerter Bedeutung verleiht und die vorstehende "Belehrung" nicht nur optisch in den Hintergrund drängt.

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Das Formular "Fragen zur Totalentwendung" entbehrt jeglicher Rechtsbelehrung, sodass sich die Beklagte auch aus diesem Grunde nicht auf Leistungsfreiheit berufen kann.

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Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass sich eine auf die Fragen im Schadenanzeigeformular beziehende Belehrung nicht auf spätere, von diesen Fragen nicht umfasste Erklärungen erstreckt (vgl. zuletzt NJW-RR 1996, 1116 = VersR 1996, 1533). Der Senat hält an dieser Auffassung auch in Kenntnis von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte fest, die diesen Standpunkt nicht teilen (OLG Hamm ZfS 1997, 24 [OLG Hamm 25.09.1996 - 20 U 100/96]; OLG Düsseldorf r+s 1997, 227; OLG Köln r+s 1997, 227).

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Für das Erfordernis einer zu wiederholenden Belehrung sprechen vor allem die Gesichtspunkte, die den Bundesgerichtshof veranlasst haben, das Gebot der Erstbelehrung aufzustellen (vgl. hierzu z.B. BGH NJW 1967, 1226 [BGH 16.02.1967 - II ZR 73/65]; BGH NJW 1967, 1756; BGH NJW 1973, 365 [BGH 20.12.1972 - IV ZR 57/71]). Eine gerechte Abwägung der schutzwürdigen Interessen von Versicherungsnehmer und Versicherer ergibt nämlich, dass der Versicherer schon auf Grund seiner regelmäßig vorhandenen geschäftlichen und versicherungstechnischen Überlegenheit auf die Belange des Versicherungsnehmers immer dort so weit wie möglich Rücksicht zu nehmen hat, wo dieser wegen seiner geringen Vertrautheit mit dem Versicherungswesen erfahrungsgemäß Gefahr läuft, den Versicherungsschutz zu verlieren. Zu dieser Schutzbedürftigkeit auf Seiten des Versicherungsnehmers tritt hinzu, dass es für den Versicherer regelmäßig im eigenen Abwicklungsinteresse sinnvoll, wirtschaftlich zumutbar und technisch leicht möglich ist, jedes Anzeige- und Frageformular mit dem Belehrungstext auszustatten. Im Gegenteil gibt es keinen vernünftigen Grund, dies nicht zu tun. Das Fehlen einer solchen Belehrung auf Folgeformularen könnte sogar bei dem Versicherungsnehmer den Eindruck erwecken, dass es sich um Fragen von geringerer Bedeutung handelt. Eine solche Schlussfolgerung ist jedenfalls dann nahe liegend, wenn sich die ursprüngliche Belehrung nicht auch ausdrücklich auf etwaige, zukünftig noch zu stellende Fragen bezieht.

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Der Hinweis auf die Gründsätze von Treu und Glauben, die nach Meinung des OLG Düsseldorf (aa0) eine wiederholte Belehrung verzichtbar machen sollen, überzeugt schon deshalb nicht, weil sie gleichermaßen auch die Verhaltenspflichten des Versicherers prägen. Diesem aber ist, wie zuvor aufgezeigt, eine wiederholte Belehrung gerade problemlos möglich und zumutbar. Die Auffassung des OLG Köln (aa0), eine einmal erteilte Belehrung wirke fort, wodurch deren "Warnfunktion .. erfüllt" sei, wiederholt lediglich das gewünschte Ergebnis, anstatt es zu begründen.

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Das Belehrungsgebot war hier auch nicht ausnahmsweise entbehrlich. Insbesondere sind Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin arglistig falsche Angaben gemacht oder hartnäckig an solchen festgehalten hätte, nicht zu Tage getreten.