Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 24.06.2005, Az.: 6 B 3306/05
Bachelor-Studiengang, Zurückstellung; Grundwehrdienst, Berufsausbildung; Studium, Zurückstellung; Wehrdienst, Berufsausbildung; Wehrdienst, Zurückstellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 24.06.2005
- Aktenzeichen
- 6 B 3306/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 50694
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs 4 S 2 Nr 3 WehrPflG
- § 6a BAKadG ND
- § 5 BAKadG ND
- § 3 Abs 2 Nr 1 BBiG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Gegenstand einer Bachelor-Ausbildung nach § 6a Nds. BAkadG ist nicht die Ausbildung in einem Beruf, sondern der Erwerb eines Abschlusses, der einem sonst nur an einer Hochschule zu erreichenden Abschluss gleich steht.
2. Es spricht im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz Überwiegendes dafür, diese Ausbildung wehrdienstrechtlich in den Kreis der den Hochschul- und Fachhochschulausbildungen gleichgestellten sonstigen Ausbildungen nach § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b) WPflG einzuordnen.
Gründe
I. Der am .... 1984 geborene Antragsteller wurde mit Musterungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Hannover vom 25. August 2004 als wehrdienstfähig und verwendungsfähig mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten gemustert. Im Hinblick auf den bevorstehenden Erwerb der allgemeinen Hochschulreife wurde er bis zum 30. Juni 2005 vom Wehrdienst zurückgestellt. Am 20. April 2005 schloss der Antragsteller mit der Firma D., E. GmbH & Co. in F. einen Studien- und Ausbildungsvertrag, der eine in der Zeit vom 1. August 2005 bis 31. Juli 2008 durchzuführende berufliche Bildung des Antragstellers bei der Berufsakademie Weserbergland e.V. mit dem Ziel des Abschlusses als Bachelor of Arts (BA) in Betriebswirtschaftslehre nach Maßgabe des Niedersächsischen Berufsakademiegesetzes (Nds. BAkadG) zum Gegenstand hat.
Unter Hinweis auf diesen Vertrag beantragte der Antragsteller am 27. April 2005 seine weitere Zurückstellung vom Wehrdienst, die das Kreiswehrersatzamt Hannover mit Bescheid vom 12. Mai 2005 ablehnte. Mit Einberufungsbescheid vom selben Tag berief das Kreiswehrersatzamt Hannover den Antragsteller unter Anordnung des Dienstantritts am 4. Juli 2005 zur Ableistung des Grundwehrdienstes beim Fernmeldebataillon 1 in Rotenburg (Wümme) ein. Den Widerspruch des Antragstellers gegen beide Bescheide wies die Wehrbereichsverwaltung Nord, Hannover, mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005 zurück.
Der Antragsteller hat am 7. Juni 2005 im Hauptsacheverfahren 6 A 3305/05 Klage gegen die Bescheide des Kreiswehrersatzamtes Hannover vom 12. Mai 2005 und den Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005 erhoben.
Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller am 7. Juni 2005 um vorläufigen Rechtsschutz gegen die sofortige Vollziehung des Einberufungsbescheides nachgesucht. Er macht geltend, dass es sich bei der mit der Firma D. vertraglich vereinbarten Ausbildung um eine einmalige berufliche Chance handele. Die Firma D. habe ihn aus dem Kreis der Bewerber ausgewählt, weil er in G. geboren sei, fließend die russische Sprache spreche und G. sehr gut kenne. Ausweislich der vorgelegten Bestätigung seines zukünftigen Arbeitgebers sei er für eine Tätigkeit in G. fest eingeplant und insoweit unersetzlich. Außerdem sei ihm bei der Musterung gesagt worden, dass er zurückgestellt werde, wenn er bis zum 30. Juni 2005 eine entsprechende Ausbildung nachweise. Schließlich liege auch eine Ungleichbehandlung mit einem ehemaligen Mitschüler vor, der eine normale Ausbildung beim H. beginne und deswegen zurückgestellt worden sei. Im Übrigen habe er für Juli 2005 eine zweiwöchige Reise gebucht, die er nur bei Zahlung des nahezu vollen Reisepreises stornieren könne.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Einberufungsbescheid des Kreiswehrersatzamtes Hannover vom 12. Mai 2005 und den Widerspruchsbescheid der Wehrbereichsverwaltung Nord, Hannover, vom 30. Mai 2005 anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass im Fall des Antragstellers ein Zurückstellungsgrund nicht vorliege. Seine Ausbildung bei der Berufsakademie Weserbergland e.V. sei keine vertraglich gesicherte Berufsausbildung im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Wehrpflichtgesetz (WPflG), sondern habe ein Studium an einer Berufsakademie zum Gegenstand. Es handele sich dabei mithin um eine sonstige Ausbildung im Sinne der speziellen Regelung des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b) WPflG. Bei einer solchen Ausbildung stelle die Heranziehung zum Wehrdienst erst dann eine besondere Härte dar, wenn sie zu einem Drittel absolviert worden sei. Im Übrigen liege eine besondere Härte auch nicht in Gestalt des Verlustes einer einmaligen Berufschance vor. Das Berufsausbildungsverhältnis des Antragstellers sei nach § 15 Arbeitsplatzschutzgesetz geschützt, es ruhe während des angeordneten Wehrdienstes. Aufgrund der ihm bei der Musterung erteilten Hinweise des Kreiswehrersatzamtes habe der Antragsteller nur davon ausgehen könne, dass er im Fall einer betrieblichen Ausbildung zurückgestellt werde, wie dieses im Fall seines ehemaligen Mitschülers geschehen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts verweist die Kammer auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und den Inhalt der für die Entscheidung beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin.
II. Der gem. § 80 Abs. 5, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 33 Abs. 4 Satz 2 WPflG zulässige Antrag ist nicht begründet.
Die im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz gegen den Sofortvollzug des Einberufungsbescheides vorzunehmende Interessenabwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers an der Abwehr der Vollzugsfolgen und dem Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Durchsetzung der Wehrpflicht geht zu Ungunsten des Antragstellers aus. Nach § 33 Abs. 4 Satz 2 WPflG hat der Widerspruch gegen den Einberufungsbescheid im vorliegenden Verfahren kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Der Antragsteller muss daher im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO seine Pflicht zur Ableistung des angeordneten Wehrdienstes mit überwiegender Aussicht auf Erfolg bestreiten können, wenn sein Rechtsschutzbegehren zum Ziel führen soll. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die form- und verfahrensfehlerfrei verfügte Einberufung des Antragstellers erweist sich nach dem gegenwärtigen Sachstand als rechtmäßig:
Der Antragsteller steht nach dem vollziehbaren Musterungsbescheid vom 25. August 2004 dem Wehrdienst zur Verfügung. Er hat nicht glaubhaft gemacht, dass seiner Einberufung zum Wehrdienst ab 1. Juli 2005 eine neu eingetretene Wehrdienstausnahme entgegen steht. Insbesondere hat er keine ausreichenden Tatsachen dargelegt, die darauf schließen lassen, dass er seine Zurückstellung vom Wehrdienst beanspruchen kann. Nach § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG setzt die Zurückstellung wegen persönlicher, wirtschaftlicher und beruflicher Gründe voraus, dass die Heranziehung zum Wehrdienst für den Wehrpflichtigen mit Blick auf den Dienstantrittstermin eine besondere Härte bedeutet.
Dass der Antragsteller im Monat Juli 2005 eine zweiwöchige Urlaubsreise gebucht hat und ihm im Fall des Dienstantritts durch die Stornierung der Reise Kosten entstehen, stellt keine besondere Härte in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht dar. Soweit die Rücktrittskosten nicht durch Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (USG) ausgeglichen werden können, liegt nach dem Willen des Gesetzgebers des die Folgen der Wehrpflicht ausgleichenden Unterhaltssicherungsgesetzes keine besondere Härte vor.
Eine besondere Härte stellt die mit Dienstantritt zum 4. Juli 2005 verfügte Heranziehung des Antragstellers zum Grundwehrdienst auch nicht in Bezug auf das mit Wirkung vom 1. August 2005 eingegangene Ausbildungsverhältnis mit der Firma D., E. GmbH & Co. dar.
Nach § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 WPflG liegt eine besondere Härte im oben genannten Sinne als Zurückstellungsgrund in der Regel vor, wenn die Einberufung des Wehrpflichtigen
a) eine zu einem schulischen Abschluss führende Ausbildung,
b) ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium, in dem zum vorgesehenen Diensteintritt das dritte Semester bereits erreicht ist, oder einen zu einem Drittel absolvierten sonstigen Ausbildungsabschnitt oder
c) eine bereits begonnene Berufsausbildung unterbrechen oder die Aufnahme einer rechtsverbindlich zugesagten oder vertraglich gesicherten Berufsausbildung verhindern würde.
Die Kammer teilt die Auffassung der Antragsgegnerin zur rechtlichen Einordnung des Studien- und Ausbildungsvertrages vom 20. April 2005 unter diese Zurückstellungsregelungen. Mit dem Studien- und Ausbildungsvertrag vom 20. April 2005 ist der Antragsteller nicht ein Berufsausbildungsverhältnis im Sinne des zuletzt genannten Regelbeispieles eingegangen. Denn Gegenstand seiner Ausbildung ist nicht die Ausbildung in einem Beruf, sondern der Erwerb eines Abschlusses, der einem ansonsten nur an einer Hochschule zu erreichenden Hochschulabschluss gleichsteht. Ob dieses auch für die duale Ausbildung an einer Berufsakademie zum Betriebswirt, Technischen Betriebswirt, Wirtschaftsinformatiker, Ingenieur oder Wirtschaftsingenieur nach § 5 Nds. BAkadG gilt, kann dahingestellt bleiben. Die Firma D. hat zwar dem Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in dem Schreiben vom 3. Juni 2005 (Anlage K9 zur Klageschrift, Bl. 49 GA) mitgeteilt, der Antragsteller werde ab 1. August 2005 zum Betriebswirt ausgebildet. Dieses findet aber in dem Ausbildungsvertrag keinen Anklang. Vielmehr handelt es sich bei der Ausbildung des Antragstellers um die in § 6a Nds. BAkadG vorgesehene Ausbildung im Bachelor-Ausbildungsgang, die mit der Abschlussbezeichnung Bachelor mit einem die Fachrichtung bezeichnenden Zusatz abgeschlossen werden kann. Auf diesen Ausbildungsgang finden die Vorschriften des Niedersächsischen Berufsakademiegesetzes über die an der Berufsakademie nach § 5 Nds. BAkadG zu erwerbenden Berufsabschlüsse keine Anwendung (§ 6a Abs. 4 Satz 1 Nds. BAkadG). Vielmehr vermittelt der Abschluss eines Bachelor-Ausbildungsgangs nach § 6a Abs. 5 BAkadG dieselben Berechtigungen wie der Bachelor-Abschluss einer Hochschule nach § 8 Abs. 1 Nds. Hochschulgesetz (NHG). Daraus folgt, dass die vereinbarte Ausbildung des Antragstellers einer Hochschul- oder Fachhochschulausbildung uneingeschränkt vergleichbar ist. Im Unterschied zu anderen Modellen der von einem künftigen Arbeitgeber finanzierten Fachhochschulausbildung (zum Beispiel das Studium im Praxisverbund bei der Volkswagen AG) erhält der Antragsteller nach dem vorliegenden Ausbildungsvertrag neben seinem Studium bei der Firma D. keine zusätzliche Berufsausbildung in einem Ausbildungsberuf. Vielmehr wird das Studium des Antragstellers an der Berufsakademie verbunden mit einer studien- und ausbildungsbezogenen Praxiszeit. Es spricht danach - mit Verbindlichkeit für das Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz - Überwiegendes dafür, die vereinbarte Ausbildung, auf die das Berufsbildungsgesetz (BBiG) nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 BBiG keine Anwendung findet, wehrdienstrechtlich in den Kreis der den Hochschul- und Fachhochschulausbildungen gleichgestellten sonstigen Ausbildungen nach § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b) WPflG einzuordnen. Die Vereinbarung seiner solchen, dem Hochschul- oder Fachhochschulstudium gleichgestellten Ausbildung rechtfertigt die Annahme einer besonderen Härte nach dem Willen des Gesetzgebers aber erst dann, wenn die Ausbildung nach Absolvieren eines zu einem Drittel absolvierten Ausbildungsabschnitts unterbrochen wird. Das ist vorliegend nicht der Fall.
Aus dem gesetzlichen Regelbeispiel des § 12 Abs. 4 Satz 2 Nr. 3 Buchst. b) WPflG folgt, dass bei einer solchen Sachlage im Einzelfall besondere Umstände hinzukommen müssen, die abweichend von der gesetzlichen Regel schon die Unterbrechung der Aufnahme einer Ausbildung in dem Bachelor-Studiengang als besondere Härte im Sinne von § 12 Abs. 4 Satz 1 WPflG kennzeichnen. Besondere Umstände sind im Fall des Antragstellers nicht ersichtlich.
Die dem Ausbildungsbetrieb mit der Einberufung des Antragstellers zum Wehrdienst aufgrund dessen besonderer Qualifikation für das Auslandsgeschäft in russischsprachigen Ländern entgehenden Vorteile sind im Wehrdienstverhältnis zwischen dem Wehrpflichtigen und der Bundesrepublik Deutschland ohne Belang.
Soweit der Antragsteller darauf hinweist, dass ihm das vereinbarte Ausbildungsverhältnis eine einmalige Chance zum Erlernen eines seinen Fähigkeiten entsprechenden Berufs biete, kann hierin zwar eine besondere Härte liegen. Das wäre dann der Fall, wenn dem Antragsteller mit der Ausbildung bei der Firma D. eine einmalige Chance eröffnet würde, einen herausragenden Beruf zu ergreifen, und wenn diese Situation ein Verschieben der Ausbildung nicht zuließe, weil es gewiss wäre, dass sie sich nach einer wehrdienstbedingten Unterbrechung nicht mehr böte (BVerwG, Beschl. vom 1.2.1996, Buchholz 448.0 § 12 WPflG Nr. 190 m.w.N.). Eine derartige besondere Härte des Wehrdienstes hat der Antragsteller aber nicht dargelegt. Die vorgelegte Stellungnahme der Firma D., E. GmbH & Co. vom 3. Juni 2005 lässt nicht erkennen, dass diese an der Ausbildung des Antragstellers nach Absolvierung seines Wehrdienstes nicht (mehr) interessiert wäre.
Im Übrigen weist die Antragsgegnerin zutreffend darauf hin, dass sich der Antragsteller nach der Ausgestaltung des von ihm abgeschlossenen Studien- und Ausbildungsvertrages nach Maßgabe der Nrn. 3. bis 7. der Vertragsvereinbarungen in einem seine Ausbildung bezweckenden Beschäftigungsverhältnis zu der Firma D., E. GmbH & Co. befindet. Nach § 16 Abs. 1 des Gesetzes über den Schutz des Arbeitsplatzes bei Einberufung zum Wehrdienst (ArbPlSchG) gilt er somit als während seiner Einberufung zum Wehrdienst geschützter Arbeitnehmer, dessen Ausbildungsverhältnis ruht (§ 1 Abs. 1 ArbPlSchG) und von der Zustellung des Einberufungsbescheides bis zur Beendigung des Grundwehrdienstes seitens des Arbeitgebers nicht gekündigt werden darf (§ 2 Abs. 1 ArbPlSchG). Die Schutzvorschriften des Arbeitsplatzschutzgesetzes dienen jedoch gerade dazu, den mit der Einberufung zum Wehrdienst verbundenen Gefahren für den Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu begegnen.