Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 27.10.2017, Az.: 7 A 7349/17
Allgemeine Lage; Armenien; Gesundheit; Gesundheitliche Versorgung; Krankheit; Krebs; Krebserkrankung; Kriegsdienstverweigerer der Zeugen Jehovas; Medizinische Behandlung; Schutzfähig- und -willigkeit des Staates; Verbot der Zeugen Jehovas in Russland; Yeziden; Zeugen Jehovas; Zivildienst in Armenien
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 27.10.2017
- Aktenzeichen
- 7 A 7349/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53989
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 60 Abs 7 AufenthG
- AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Weitgehend alle Erkrankungen und insbesondere Krebserkrankungen sind in Armenien behandelbar und können grundsätzlich das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG nicht begründen.
Zeugen Jehovas können in Armenien unbehelligt auch von angeblichen Übergriffen Dritter, denen gegenüber sich der armenische Staat zudem schutzfähig und -willig zeigen würde, in Armenien leben. Dies gilt auch mit Blick auf das angespannte Verhältnis zwischen Yeziden und dieser Sekte.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Armenierin und nach eigenen Angaben Yezidin sowie Angehörige der Zeugen Jehovas.
Sie lebte in den letzten fünf Jahren vor ihrer Ausreise (gemeinsam mit ihrem Ehemann H., vgl. Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Oktober 2017, Geschäftszeichen …, Kläger im Verfahren 7 A 8006/17) in Russland. Von dort aus sei sie im Oktober 2016 zunächst nach Armenien gefahren, um sich medizinisch untersuchen zu lassen und um sodann mit einem in E. beantragten Visum der Italienischen Botschaft nach Deutschland einzureisen und Asylantrag zu stellen. Familienangehörige lebten weiterhin in Russland, Armenien und Deutschland sowie Frankreich.
Am 27. April 2017 wurde sie bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in M. persönlich angehört. Sie brachte insbesondere vor, seit Juni 2016 starke Rückenschmerzen gehabt zu haben. Die Ärzte hätten schließlich ein Hodgkin-Lymphom (Lymphdrüsenkrebs) diagnostiziert. Danach habe sie eine Chemotherapie mit acht Wiederholungen sowie eine Strahlentherapie durchführen lassen sollen. Nach Empfehlung der Ärzte hätte die Strahlentherapie besser in Georgien durchgeführt werden sollen. Der erste Arzt für eine Chemotherapie habe ihr nicht gefallen; sie habe sich von diesem nicht behandeln lassen, sondern sich in E. in einem speziellen Institut für Bluterkrankungen behandeln lassen. Sie habe aber kein Vertrauen zu den armenischen Ärzten. Daher habe sie in Armenien nur zwei Mal Chemotherapie erhalten. Sie sei nach Deutschland gekommen, um eine gute medizinische Versorgung für ihre lebensbedrohende Krankheit zu erhalten. Hier in Deutschland hätten die Ärzte die armenischen Befunde bestätigt und ihr weitere vier Einheiten der Chemotherapie verabreicht.
Sie sei seit 2013 Mitglied der Zeugen Jehovas und müsste wegen ihres Glaubens damit rechnen, in Russland benachteiligt zu werden. Kontakt insoweit habe sie in Armenien erhalten.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Münster, vom 16. August 2017 lehnte die Beklagte die Anträge der Klägerin auf Asylanerkennung, Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und subsidiären Schutz als offensichtlich unbegründet und die Feststellung von Abschiebungsverboten ab, forderte die Klägerin unter Abschiebungsandrohung nach Armenien zur Ausreise binnen Wochenfrist auf und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate.
Die Klägerin hat am 15. September 2017 Klage erhoben und verfolgt ihre Begehren weiter. Zur Begründung beruft sie sich darauf, als Angehörige der Zeugen Jehovas sowohl in Armenien als auch in Russland diskriminiert worden zu sein, und darauf, dass sie bei Rückkehr nach Armenien ihre weitere medizinische Behandlung, insbesondere die Chemotherapie, nicht finanzieren könne.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. August 2017 mit Ausnahme der Ziffer 2 des Tenors aufzuheben
und die Beklagte zu verpflichten,
der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
hilfsweise subsidiären Schutz zu gewähren,
hilfsweise Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG
festzustellen.
Die Beklagte tritt dem entgegen und beantragt (Blatt 66 Gerichtsakte),
die Klage abzuweisen.
Den Antrag der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat das Gericht mit Beschluss vom 19. September 2017, 7 B 7350/17, dokumentiert in juris, abgelehnt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 20. September 2017 durch den Einzelrichter entscheidet, ist unbegründet.
Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Münster, vom 16. August 2017 erweist sich insgesamt als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO. Die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche sind nicht erfüllt. Sie hat keinen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, auf subsidiären Schutz und auf die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG, § 113 Abs. 5 VwGO, und insoweit auch nicht auf einen weiteren Verbleib in Deutschland.
Es ist nichts dafür ersichtlich,
dass Leben oder Freiheit der Klägerin wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung in Armenien bedroht sind (§ 3 Abs. 1 AsylVfG),
ihr in Armenien ein ernsthafter Schaden gemäß § 4 Abs. 1 AsylVfG droht (Satz 2 Nr. 1: Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Satz 2 Nr. 2: Folter oder menschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder Satz 2 Nr. 3: eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts),
dass die Abschiebung unzulässig ist, weil sich dies aus der Anwendung der MRK ergibt (§ 60 Abs. 5 AufenthG),
der Klägerin Ansprüche auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 und 2 AufenthG zustehen könnten.
Die Ablehnung der Begehren ist gerechtfertigt. Der angegriffene Bescheid begründet dies im Einzelnen sachgerecht und zutreffend. Dem folgt das Gericht.
Die Annahmen und Wertungen der Beklagten im angegriffenen Bescheid sind gedeckt durch den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel (vgl. insbesondere: Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 22. März 2016). Danach ergibt sich:
Armenien ist ein Binnenstaat im Kaukasus im Bergland zwischen Georgien, Aserbaidschan, Iran und der Türkei und entspricht dem nordöstlichen Teil des früheren, ehemals viel größeren armenischen Siedlungsgebietes. Die Bevölkerungszahl beträgt etwa drei Millionen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 erlangte die vormalige Armenische Sozialistische Sowjetrepublik ihre Unabhängigkeit. Innerhalb der seitherigen demokratischen Verfassung nach westlichen Muster hat die Republik Armenien als Staatsoberhaupt einen Präsidenten (derzeit: Sersch Sargsjan) und als Regierungschef einen Premierminister (derzeit: Karen Karapetjan).
Nach den Verfassungsänderungen von 2005 ist die Gewaltenteilung in der Verfassung der Republik Armenien formell gestärkt. Insoweit lässt sich allerdings in der Realität auch anderes feststellen. Die Unabhängigkeit der Gerichte leidet noch unter Korruption und Nepotismus (sog. Vetternwirtschaft). Im Dezember 2015 kam es zur Billigung weitreichender Verfassungsänderungen durch ein Referendum und damit zur Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zur Umwandlung von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System und gleichzeitig auch zur Stärkung der Rechte der Opposition. Der Staatspräsident billigte im Februar 2015 den Strategieplan 2014 bis 2016 zur Umsetzung der internationalen Verpflichtungen Armeniens im Bereich der Menschenrechte durch die zuständigen Staatsorgane. Es kommt dennoch in Armenien zu politisch motivierten strafrechtlichen Verurteilungen und auch Haftstrafen. Friedensverhandlungen zur Beilegung des Bergkarabach-Konflikts mit Aserbaidschan werden geführt, eine Beilegung des Konfliktes ist aber derzeit nicht ersichtlich. Zuletzt kam es im Jahr 2016 zu Konflikten. Defizite sind im Bereich der Medien-und Informationsfreiheit weiterhin zu verzeichnen. Demonstrationen werden regelmäßig genehmigt; die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird allerdings durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz reglementiert. Auch im Laufe des Jahres 2015 ging die Polizei teilweise hart gegen verschiedene Demonstrationen vor. Die Proteste richteten sich beispielsweise gegen Strompreiserhöhungen oder gegen das Referendum zur Verfassungsreform (s.o.). Die Religionsfreiheit wird durch die Verfassung prinzipiell gewährt, unterliegt allerdings in der Praxis gewissen Einschränkungen. Die armenisch-apostolische Kirche genießt eine privilegierte Stellung, was in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften führen kann. Einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen sind seit 2003 nicht mehr strafbar. Männer und Frauen sind gleichberechtigt; eine rechtliche Diskriminierung von Frauen gibt es nicht; die Rolle der Frau ist durch die traditionelle patriarchalische Gesellschaftsstruktur geprägt. Es gibt nur wenige Frauen in wichtigen Ämtern, schlechtere Bezahlung und mangelnde Aufstiegschancen sind die Regel. Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich gewährleistet.
Die Erkenntnisse, die Grundlage der voranstehenden Einschätzung der Lage in Armenien sind, werden bestätigt durch den aktuellen
„Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der
Republik Armenien (Stand: Februar 2017)“
des Auswärtigen Amtes vom 21. Juni 2017,
dessen ‚Zusammenfassung‘ (S. 5 ebd.) wörtlich wie folgt lautet:
Die im Dezember 2015 durch Referendum gebilligten weitreichenden Verfassungsänderungen sehen zum einen die Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zum anderen die Umwandlung von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System bei gleichzeitiger Stärkung der Rechte der Opposition vor.
Die Menschenrechtslage bleibt jedoch trotz Fortschritten in einigen Teilbereichen weiterhin unbefriedigend.
Grundsätzlich ist keine staatliche Beschränkung der Aktivitäten von Vertretern der Zivilgesellschaft oder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit festzustellen. Gleichwohl sind Defizite im Bereich der Medien- und Informationsfreiheit zu verzeichnen. Die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit ist in der Praxis durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz eingeschränkt. Auch geht die Polizei weiterhin gelegentlich unangemessen hart gegen Demonstranten vor.
Obwohl in der armenischen Verfassung das Verbot von Folter sowie von unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung festgeschrieben ist, kommen körperliche Misshandlungen in Polizeigewahrsam weiter vereinzelt vor. Das armenische Strafgesetzbuch steht weiterhin nicht in Übereinstimmung mit der VN Konvention gegen Folter. Die Situation in den Strafanstalten des Landes entspricht größtenteils nicht den internationalen Mindeststandards der Häftlingsbetreuung.
Die Verfassung gewährt prinzipiell Religionsfreiheit. Diese unterliegt in der Praxis jedoch gewissen Einschränkungen. Die privilegierte Stellung der armenisch-apostolischen Kirche führt in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften.
Vor diesem Hintergrund beurteilt der angegriffene Bescheid die Lage in Armenien und die Situation der Klägerin zutreffend. Er würdigt dazu zutreffend, dass ihr gegenüber keine Maßnahmen ergriffen worden sind, die relevant sein könnten, soweit es die geltend gemachten Ansprüche anbelangt. Verfolgungshandlungen im Sinne von § 3a AsylG lagen nicht vor und drohen auch bei gedachter Rückkehr nicht. Solches macht sie neben ihren gesundheitlichen Gründen auch überhaupt nicht erst geltend. Entsprechendes gilt auch mit Blick auf § 4 AsylG; ihr droht kein ernsthafter Schaden in Armenien.
Dies gilt insgesamt auch unter Berücksichtigung der behaupteten Religionszugehörigkeit der Klägerin. Sie ist zwar nach eigenen Angaben Yezidin (so schon: Seite 3 der elektr. Beiakte 1) und daneben möglicherweise auch Zeugin Jehovas. Es kann im vorliegenden Einzelfall offen bleiben, ob das nebeneinander überhaupt möglich ist. Mit dem Eintritt in eine andere Glaubensgemeinschaft erlischt an sich das Yezidentum automatisch. So bekundet auch der Ehemann der Klägerin, nunmehr von der yezidischen Familie in E. verstoßen zu werden.
Allerdings beurteilt das Gericht die Situation der Zeugen Jehovas in Armenien durchaus nicht als völlig problemlos, auch wenn dies der Klage hier im Ergebnis nicht zum Erfolg verhelfen kann. In Armenien sind protestantisch-evangelikale Gruppen und Zeugen Jehovas, im Unterschied etwa zur alteingesessenen Evangelischen oder Römisch-Katholischen Kirche gelegentlichen Anfeindungen ausgesetzt. Denn sie gelten für die Vertreter der herrschenden Armenisch-Apostolischen Kirche aber auch für zahlreiche Medien als anti-armenisch und als vom Ausland finanzierte Sekten, die sich des Proselytismus, d. h. des Abwerbens von Gläubigen, bedienten. Dennoch werden aber missonarisch aktive Glaubensgemeinschaften wie die der Zeugen Jehovas oder der Mormonen staatlicherseits nicht darin behindert. Auch sind aus dem Jahre 2014 zwei Übergriffe auf evangelische Kirchen in Armenien berichtet, die allerdings nicht vollständig aufgeklärt wurden (vgl. zum Ganzen die Gründe des den Beteiligten bekannte Bescheids des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. Oktober 2017 zum Geschäftszeichen … betreffend den Ehemann der Klägerin H., denen das erkennende Gericht insoweit folgt). Jedenfalls ist nichts dafür ersichtlich, dass es aktuell in Armenien zu Beeinträchtigungen von Yeziden und/oder insbesondere Zeugen Jehovas kommen könnte, die das Maß allgemein hinzunehmender Diskriminierung von privaten Dritten überschreiten. Daneben kann sich die Klägerin auch nicht etwa darauf berufen, dass sie nunmehr in Armenien von ihrer yezidischen Familie wegen des Übertritts zu einem anderen Glauben, insbesondere des Übertritts zur Sekte der Zeugen Jehovas, verstoßen werde. Diese Folge, die zudem nicht verifiziert ist, sondern - in Abhängigkeit vom Inhalt des Begriffes des Verstoßenseins - eine schlichte Behauptung ohne Tatsachenhintergrund darstellt, stellt für sich genommen keine relevante Handlung oder Tatsache im Sinne der hier maßgeblichen Vorschriften dar. Selbst wenn sie dann doch tatsächlich von ihrer bisherigen Familie verstoßen worden sein sollte oder bei Kenntnis vom Übertritt zur Sekte der Zeugen Jehovas verstoßen würde, so ändert dies nichts daran, dass sie frei von Verfolgung in Armenien leben könnte, zumal hier gedanklich eine Ausreise gemeinsam mit ihrem Ehemann zu prüfen ist und sich die Klägerin insoweit auf dessen Unterstützung in Armenien gedanklich zu verlassen hätte. Zutreffend verweist die Klägerin auf die Schwierigkeiten der Sekte der Zeugen Jehovas, die in Russland nunmehr vollständig verboten ist; so berichtet die taz in ihrem Artikel vom 19. Juli 2017 (http://www.taz.de/!5428447/) wörtlich wie folgt:
„Moskaus oberstes Gericht hatte kein Einsehen mit den Zeugen Jehovas. Auch in der Berufungsverhandlung am Montag kam es zu keinem anderen Urteil. Im April hatte das Gericht die Glaubensgemeinschaft zur extremistischen Vereinigung erklärt. Das Schicksal der Zeugen in Russland ist damit besiegelt.
Das Eigentum der 395 Gemeinden geht in den Besitz des Staats über. Die Organisation muss ab sofort aufgelöst werden. Noch hofft der russische Anwalt der Zeugen, die Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anfechten zu können. Straßburg wird den Einwänden der Religionsgemeinschaft auch folgen. Nur dürfte sich Moskau dem nicht anschließen.
Der Ausgang der Verhandlung war absehbar. Eingaben der Verteidigung wurde nicht stattgegeben. Selbst die Bitte wurde abgewiesen, einen Religionswissenschaftler heranziehen zu dürfen. Auch die nochmalige Überprüfung vermeintlich extremistisch religiöser Literatur wurde nicht gestattet.
Die Härte im Umgang mit den christlichen Sektierern erklärt sich aus der Radikalisierung der politischen Elite. Außer der russisch-orthodoxen Kirche duldet sie keine andere christliche Glaubensgemeinschaft. Russe zu sein, bedeutet, dem russisch-orthodoxen Glauben anzugehören. Kreml und Kirche fürchten, durch Konkurrenz christlicher Glaubensbrüder das Monopol einzubüßen. Ein Monopol, das sich in Russland auch in den weltlichen Herrschaftsbereich erstreckt.
Der Staat übt daher keine Milde. Das zeigte bereits der erste Prozess nach dem April-Urteil. Es traf den Dänen Denis Kristensen, der in Russland mit einer Russin verheiratet ist und in der Stadt Orel lebt. Seit Mai sitzt er in Untersuchungshaft, weil er nach dem Extremismusverdikt die Arbeit in der Gemeinde fortsetzte.
Die Staatsanwältin Jelena Tschernikowa ließ den U-Häftling wegen Fluchtgefahr auch nicht zu Hause auf den Prozess warten. Wem zehn Jahre Freiheitsentzug drohten, der könnte versucht sein, abzutauchen, sagte die Staatsanwältin. Das Verbrechen, das Kristensen zur Last gelegt wird, „gehört zu jener Kategorie von Verbrechen, die sich gegen die staatliche Macht richten“, warnte Tschernikowa das Gericht. Hafterleichterungen lehnte sie für den „Extremisten“ Kristensen daher ab.
Das Eigentum der 395 Gemeinden geht in den Besitz des Staates über.
Die Sekte wirbt seit mehr als einem Jahrhundert in Russland um neue Glaubensgeschwister. Russland war schon immer ein besonders fruchtbares Feld für Sekten und Häretiker. Selbst der verordnete Atheismus des kommunistischen Sowjetreiches konnte dies nicht ganz unterbinden. Während der Sowjetunion tauchten Zeugen Jehovas in den Untergrund ab.
Nach dem Ende des Kommunismus wurde die Glaubensgemeinschaft Anfang der 1990er Jahre rehabilitiert. 175.000 Mitglieder gehören nach eigenen Angaben der Sekte in Russland an. Den Verbotsantrag stellte Moskaus Justizministerium.
Das Ministerium hält die Zeugen für extremistisch, da sie für „Ordnung“, „öffentliche Sicherheit“ und „Rechte der Bürger eine Gefahr“ darstellten, hieß es in einer Stellungnahme des Ministeriums. Auch die Ablehnung von Bluttransfusionen wertete die Behörde als Verstoß gegen die Menschenrechte. Nicht weniger gefährlich sei die Zeitschrift Der Wachturm. Sie werde trotz Verbots weiter verteilt. Zur extremistischen Literatur zählt auch die Broschüre „Wir lernen in der Schule des theokratischen Dienens“. Das Ministerium sieht darin wohl eine Herausforderung für das gegenwärtige Herrschaftsmodell.
In der patriotischen Hypnose Russlands fällt auch unangenehm auf, dass die Zeugen den Dienst an der Waffe ablehnen.
Russische Menschenrechtler sehen in dem Urteil einen weiteren Schritt, die Gesellschaft gleichzuschalten. „Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass im modernen Russland, das freie Religionsausübung garantiert, so etwas noch möglich ist“, sagte ein Vertreter der Zeugen.“
Darauf kann sich die Klägerin hier aber nicht erfolgreich berufen, denn das Gericht hat insoweit die Lage in Armenien, nicht in Russland, in den Blick zu nehmen. Dort aber - in Armenien - kann diese Sekte frei agieren, ohne staatliche Repression gewärtigen zu müssen. Im Übrigen ist der armenische Staat willens und in der Lage, insoweit Schutz vor etwaigen Übergriffen Dritter zu bieten, von denen aber nichts bekannt geworden ist. In Armenien scheinen Zeugen Jehovas im Vergleich zu anderen Staaten sehr frei leben zu können, sogar die Kriegsdienstverweigerung ist ihnen (wie aber auch anderen) möglich. Ihr eigener Internet-Auftritt führt dazu wörtlich (https://www.jw.org/finder? docid=802016714&wtlocale=X&srcid=share) aus:
„9. AUGUST 2016
ARMENIEN
In Armenien haben die ersten Zeugen Jehovas Zivildienst abgeleistet
Viele Jahre lang wurden junge Zeugen Jehovas in Armenien zu Haftstrafen verurteilt, weil sie den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert hatten. Im Jahr 2013 wurde dann durch eine neue Gesetzgebung der Zivildienst eingeführt. Jetzt leisten die ersten Zeugen Jehovas in Armenien engagiert diesen Dienst ab und kommen so ihrer Verantwortung gegenüber dem Staat nach. Bis heute haben über 200 Zeugen Jehovas einen Antrag auf Zivildienst gestellt; 16 von ihnen haben Ende Juni 2016 ihren Zivildienst abgeleistet.
1. Zivildienst in Armenien ein voller Erfolg
Die jungen Männer, die ihren Dienst im Juni beendet haben, waren aufgrund ihrer Wehrdienstverweigerung noch inhaftiert worden. Nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung wurden sie entlassen und haben den Zivildienst angetreten. Im Januar 2014 begannen sie ihre Arbeit, beispielsweise als Landschaftsgärtner, Straßenreiniger oder als Hilfskraft in medizinischen Einrichtungen.
Die Zeugen Jehovas, die ihren Zivildienst beendet haben, sind dankbar, dass ihnen die Regierung ermöglicht hat, einen sinnvollen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten — unter anderem dadurch, dass sie ihre Umgebung verschönern und Bedürftigen helfen. Durch den Zivildienst bleiben junge Männer wertvolle Mitglieder der Gesellschaft und gelten nicht als vorbestraft.
Davit Arakelyan (22) war Zivildienstleistender als Pflegekraft im Altersheim. Er berichtete: „Durch den Zivildienst bin ich gewissenhafter, verantwortungsbewusster und fleißiger geworden. Ich bin froh, dass ich meiner staatlichen Pflicht nachkommen und anderen wirklich weiterhelfen konnte. Die Heimleitung, das Personal und sogar einige Bewohner haben sich positiv über unsere Arbeit geäußert.“ Mikhail Manasyan (22) hat seinen Zivildienst beim Katastrophenschutzministerium abgeleistet. Er sagte: „Durch meine Arbeit habe ich mir neue Fähigkeiten angeeignet, die ich jetzt beruflich nutzen kann. Ich konnte ohne Gewissensbisse meiner Verantwortung dem Staat gegenüber nachkommen.“
2. Kann das Beispiel Armeniens andere Länder zum Umdenken bewegen?
Vor Kurzem hat Armenien den nächsten wichtigen Schritt unternommen. In der Verfassung wurde festgeschrieben, dass die Bürger das Recht auf Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen haben. Im Artikel 41.3 der geänderten Verfassung — sie trat im Dezember 2015 in Kraft — heißt es: „Jeder Bürger, für den der Wehrdienst unvereinbar ist mit seiner Religion oder Weltanschauung, sollte das Recht haben, stattdessen einen alternativen Dienst zu leisten, wie er vom Gesetz vorgesehen ist.“ Die Venedig-Kommission des Europarates lobte Armenien für diese Verfassungsänderung und bezeichnete sie als „eine herausragende Art und Weise, die Umsetzung des Urteils im Fall Bajatjan gegen Armenien * sicherzustellen, und [das] ist sehr zu würdigen.“
Durch die Einführung des Zivildienstes richtet sich Armenien nach internationalen Standards. Armenien hat einen Wandel vollzogen — wurden in der Vergangenheit Wehrdienstverweigerer bestraft, so wird heute ihre Gewissensfreiheit respektiert. Die Vorteile dieser Gesetzgebung sind ein Beispiel für andere Länder, die Wehrdienstverweigerer bestrafen, denn die Erfahrungen Armeniens zeigen: Durch die Einführung eines Zivildienstes kann sowohl den Anforderungen der Regierung als auch den Bedürfnissen der Bürger entsprochen werden.
Ein Sprecher von Jehovas Zeugen in Armenien, Tigran Harutyunyan, stellt fest: „Wir sind dankbar, dass die Regierung Armeniens positive Schritte unternommen hat, um die grundlegenden Menschenrechte zu wahren, wie zum Beispiel die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Junge Zeugen Jehovas können jetzt ihrer Verpflichtung dem Staat gegenüber mit gutem Gewissen nachkommen und gleichzeitig anderen Gutes tun.“
Dies zeigt deutlich die weiter fortschreitende Liberalisierung Armeniens auf.
Insbesondere kann sich die Klägerin nicht erfolgreich auf das Verhalten der Yeziden in Armenien berufen. Das Verhältnis zwischen Yeziden und Zeugen Jehovas darf zwar durchaus als angespannt betrachtet werden. So berichtet der Internet-Auftritt der Yeziden „ÊzîdîPress“ über offensive oder womöglich in den dortigen Augen gar aggressive Missionierung durch diese Sekte und stellt insoweit (http://www.ezidipress.com/blog/ christliche-sekten-missionieren-eziden-in-armenien-video/) im Wortlaut (auszugsweise) folgendes klar:
„Christliche Sekten missionieren Êzîden in Armenien [Video]
27. Oktober 2013
Immer penetranter versuchen christliche Sekten die von Armut geplagte êzîdîsche Bevölkerung in Armenien zur Konvertierung zu drängen. Ihnen wird Hilfe angeboten – unter der Bedingung, dass sie zum christlichen Glauben konvertieren. In êzîdîschen Dörfern werden Missionierungs-Kindergärten und Begegnungsstätten errichtet, in denen sie vor allem Kinder mit ihrer Ideologie infiltrieren. So wie kürzlich im êzîdîschen Dorf Amrê-Taze in Armenien, wie in dem Video zu sehen ist. Die aus den USA finanzierte Missionierungsorganisation „Project Sparkle Armenia“ entsendet eigens ausgebildete Sozialpädagogen, die in englischer Sprache mit Hilfe armenischer Übersetzer die Kinder unterrichten.
Vor allem die Zeugen Jehovas nutzen die Armut der Êzîden aus, um sie zur Konvertierung zu bewegen. Mit Geld- sowie Sachspenden machen sie die Êzîden gefügig. Sie verteilen die Jehova-Bibel in kurdischer Sprache, in dessen Vorwort der êzîdîsche Glaube diffamiert und als schlecht dargestellt wird. Mindestens zweimal die Woche suchen sie die êzîdîschen Dörfer auf, wo sie Gottesdienste abhalten und so vor allem junge Êzîde indoktriniert werden. Während viele Êzîden aus wirtschaftlichen Gründen bereits aus Armenien ausgewandert sind bzw. auswandern, gibt es viele Familien, die sich eine Auswanderung nicht leisten können. Viele Êzîden konvertieren bereitwillig, um vor allem auf finanzielle Hilfe der Jehova und anderer christlicher Sekten zu hoffen. Neben den Zeugen Jehova sind andere Sekten noch erfolgreicher.
So sind bereits ganze êzîdîsche Dörfer konvertiert. Tausende Êzîden sind in den letzten Jahren von christlichen Sekten missioniert worden. Fehlende soziale Sicherungssysteme sowie das Fehlen einer starken Solidargemeinschaft unter den Êzîden in Armenien macht es den Missionaren einfach. Auch in Georgien und Russland lässt sich zunehmend eine derartige Entwicklung feststellen, jedoch in kleinerem Maßstab. Selbst in Deutschland suchen Zeugen Jehovas gezielt Asylheime auf, wo viele Êzîden aus dem Irak untergebracht sind, um sie zu missionieren.“
Daraus lässt sich allerdings kein Bedrohungsszenario gegenüber der Klägerin bei gedachter Rückkehr ableiten, die sich ggfls. insoweit wiederum auf die Schutzfähigkeit und -willigkeit des armenischen Staates und ferner darauf verweisen lassen müsste, dass sich an andere Orte begeben müsste, an denen sie sich unbehelligt aufhalten könnte (sog. inländische Fluchtalternative). Zudem ist auch von Übergriffen von Yeziden auf Zeugen Jehovas in Armenien schlicht nichts bekannt geworden.
Schließlich liegen auch Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufentG nicht vor.
Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese ist u.a. dann gegeben, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr ins Heimatland die wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung einer Krankheit zu erwarten ist (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG; vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997
- 9 C 58.97 - BVerwGE 105, 383 <387> juris), wobei in zeitlicher Hinsicht ein Prognosezeitraum von etwa einem Jahr angemessen ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. März 2006 - 10 LA 287/05 - <Seite 6>). Zu berücksichtigen ist dabei, ob dem Ausländer die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen individuell zugänglich sind, insbesondere finanziert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 - NVwZ-Beilage 2003, 53, juris). Es ist aber nicht erforderlich, dass die Versorgung
im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist
(§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Die Gefahr muss zudem nicht nur im Heimatort des Betroffenen, sondern landesweit
bestehen (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG; vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265 <267>). Diese Voraussetzungen decken sich insoweit mit der bisherigen ständigen Rechtsprechung in der Kammer (vgl. Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 3449/16 -, Vnb., Beschlüsse vom 9. April 2015 - 7 B 1548/15 -, vom 27. Januar 2016 - 7 B 283/16 -, vom 1. Juni 2016 - 7 B 1888/16 -, und Urteil vom 25. November 2016 - 7 A 5498/16 -, jeweils juris; siehe auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. August 2016 - 8 ME 87/16 - juris).
Selbst für den Fall, dass man auf eine Behandlung in Armenien länger warten müsste als in Deutschland und deren Standard hinter dem hiesigen zurückbleibt, genügt dies nicht, um von einer konkreten, d.h. alsbald eintretenden und erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation auszugehen, vgl. § 60 Abs. 7 AufenthG (n. F.). Zur Überbrückung der Zeit bis zum Beginn der Behandlung in Armenien ist es zudem möglich, die ggf. in Deutschland erhaltenen Medikamente zu gebrauchen. Denn die Gewährung von Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Schließlich könnte man eventuell benötigte Medikamente auch in Armenien erhalten. Die gesetzliche Pflichtversicherung umfasst auch die Versorgung mit den notwendigen Medikamenten.
Hinsichtlich der medizinischen Versorgung heißt es im o.a. „Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar 2017)“ des Auswärtigen Amtes vom 21. Juni 2017 im Wortlaut (Seite 18 - 19):
1.3. Medizinische Versorgung
Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet.
Die primäre medizinische Versorgung ist größtenteils noch immer wie zu Sowjet-Zeiten organisiert. Die Leistungen werden in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren/Feldscher-Stationen erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 (Stand: 2016) regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Eriwan vorbehalten ist.
Die primäre medizinische Versorgung ist wie früher grundsätzlich kostenfrei. Anders als zu Zeiten der UdSSR gilt dies allerdings nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre medizinische Versorgung. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem.
Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die nach wie vor bestehende Korruption auf allen Ebenen, ein weiteres Problem die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. 200,- Euro/ Monat). Dies führt dazu, dass die Qualität der medizinischen Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens in weiten Bereichen unzureichend ist. Denn hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind.
Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken - stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung.
Insulinabgabe und Dialysebehandlung erfolgen grundsätzlich kostenlos: Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist zwar beschränkt, aber gegen Zahlung ist eine Behandlung jederzeit möglich. Die Dialysebehandlung kostet ca. 35 USD pro Sitzung. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in 5 Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armawir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet.
Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos.
Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten: Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und zu einem Bruchteil der in Deutschland üblichen Preise verkauft werden. Importierte Medikamente (z.B. von Bayer, Gedeon Richter oder Solvay) sind dagegen überall erhältlich und ebenfalls billiger als in Deutschland; für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich.
Danach sind generell und bei grundsätzlicher Betrachtung weitgehend alle Krankheiten und Beschwerden bei gedachter Rückkehr nach Armenien dort behandelbar und erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz. Daran hält das Gericht im und als Grundsatz fest. Auch insoweit ist dem angegriffenen Bescheid zu folgen.
Allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die Annahmen des Auswärtigen Amtes zur Gesundheitsversorgung in Armenien insoweit kritisch zu betrachten sein sollen, wie es sich aus dem Gutachten von Savvidis, Tessa, ergibt [vom: 28.07.2011 an Hessen / Verwaltungsgericht <Gießen>, 18.02.2011, 7 K 5123/10.GI.A (Anfrage vom 18.02.2011 zu 7 K 5123/10.GI.A)], und außerdem, dass die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz angesichts einer Erkrankung bei dem jeweiligen Ausländer vorliegen, nur einer Beurteilung anhand der jeweiligen Fallumstände, insbesondere des konkreten Krankheitsbildes, der konkreten notwendigen medizinischen Behandlungen und deren individueller Verfügbarkeit im Herkunftsstaat zugänglich ist, die grundsätzlich nicht „abstrakt“ für eine Vielzahl von Fällen gleichsam vorab vorgenommen werden kann (Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 11. August 2015 - 8 LA 145/15 -, V.n.b., m.w.N.).
Die insoweit gebotene Einzelfallbetrachtung führt hier aber zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Krebserkrankung schon früher bestand und in Armenien bereits behandelt wurde (Chemotherapie). An sich ist die Klägerin sogar voraussichtlich weitgehend von der damaligen Krebserkrankung geheilt. Zwar mag sich neuerdings der Gesundheitszustand verschlechtert haben, da die Klägerin nach den Angaben in der Klageschrift erneut untersucht werden müsste, und weil nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung wegen des Verdachts auf einen weiteren oder neuen Krebspunkt an der Wirbelsäule die Routinenachsorgeuntersuchungen nicht mehr nur halbjährlich, sondern verkürzt vierteljährlich stattfinden müssen. Dies verhilft der Klage indes nicht zum Erfolg. Denn jedenfalls ist die Klägerin mit ihrer damaligen, aber auch etwa rezidivierenden oder andersartigen Krebs(neu)erkrankung in Armenien behandelbar und ist eine solche Behandlung auch für sie erreichbar (vgl. z.B. auch VG München, Urteil vom 16. Juni 2004 - M 16 K 03.50884 -, juris, oder VG Ansbach, Beschluss vom 15. Oktober 2013 – AN 4 S 13.30719 –, juris). Schließlich liegt insoweit auch nur ein Verdacht vor, der den Kriterien des § 60 Abs. 7 AufenthG nicht genügt. Sie hat im Übrigen auch nicht Anspruch auf eine Behandlung speziell in Deutschland oder auf deren Niveau.
Soweit sich die Klägerin gegen die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Anordnung bzw. Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes wendet, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg, § 77 Abs. 1, Abs. 2 AsylG.
Abschließend bezieht sich das Gericht zur weiteren Begründung des Urteils (erneut) entsprechend § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffenden Gründe des angegriffenen Bescheides, die es sich auch zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylG zu Eigen macht.