Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.01.2017, Az.: 5 U 126/16

Inanspruchnahme der privaten Unfallversicherung durch ein Kind des Versicherungsnehmers; Notwendiger Adressat eines Hinweises nach § 186 VVG

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
09.01.2017
Aktenzeichen
5 U 126/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 34572
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 22.07.2016 - AZ: 13 O 3355/15

Fundstelle

  • VersR 2018, 405

Amtlicher Leitsatz

Ist nach den AUB die Wahrnehmung der Rechte aus einer Fremdversicherung ausdrücklich und ausschließlich dem Versicherungsnehmer zugewiesen (hier § 12 Abs.1 AUB 2011), bedarf es eines Hinweises nach § 186 VVG gegenüber dem Versicherten nicht; der Versicherer genügt seiner Pflicht, wenn er den entsprechenden Hinweis dem Versicherungsnehmer erteilt.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das am 22. Juli 2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund der jeweiligen Entscheidung vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für die Berufungsinstanz auf 224.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten aus abgetretenem Recht Ansprüche aus einer privaten Unfallversicherung geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat den Standpunkt eingenommen, die formellen Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung, wie sie in § 2 Ziff. I Abs. 1 der hier maßgebenden Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen der Beklagten (AUB 2011) aufgeführt seien, lägen nicht vor. Die angebliche Invalidität sei nicht innerhalb von 24 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und bei der Beklagten geltend gemacht worden. Wegen der Begründung im Einzelnen und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).

Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie hält die Klausel des § 2 Ziff. I Abs. 1 AUB 2011 für unklar. Daneben vertritt sie die Ansicht, ihr Vater habe innerhalb der 24-monatigen Frist alle erforderlichen Unterlagen bei der Beklagten eingereicht, um einen Anspruch auf eine Invaliditätsleistung zu begründen. Die Beklagte habe den vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen entnehmen können, dass sie, die Klägerin, infolge des Verkehrsunfalls vom 18. Dezember 2011 an einer Rhinoliquorrhoe leide, die innerhalb der genannten Frist nicht zu kontrollieren gewesen sei. Bis heute sei unklar, ob es gelingen werde, das Liquorleck zu schließen, und ob durch diese Erkrankung inzwischen eine psychische Dauerstörung eingetreten sei. Wenn der Beklagten die eingereichten ärztlichen Stellungnahmen nicht ausgereicht hätten, um eine unfallbedingte Invalidität zu dokumentieren, hätte sie konkret darauf hinweisen können und müssen, dass ihr noch Informationen fehlten.

Abgesehen davon habe die Beklagte sie auch nicht gemäß § 186 VVG belehrt. Der Auffassung des Landgerichts, wonach allein ihr Vater als Versicherungsnehmer zu belehren gewesen sei, könne nicht gefolgt werden. Insbesondere überzeuge es nicht, wenn der Einzelrichter seine Argumentation auf § 12 Abs. 1 AUB 2011 stütze. Zwar bestimme § 12 Abs. 1 AUB 2011, dass bei einer Fremdversicherung die Ausübung der Rechte aus dem Vertrag nicht der versicherten Person, sondern ausschließlich dem Versicherungsnehmer zustehe. Doch sei diese Regelung "rechtswidrig", zumindest insoweit, als sie volljährige versicherte Personen betreffe.

Die Klägerin hat angekündigt, in dem vorliegenden Berufungsverfahren zu beantragen,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

1. an sie aus der Invaliditätsversicherung mit der Versicherungsnummer ... eine Leistung auf den Invaliditätsfall in Höhe von 224.000,00 € zu zahlen zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Januar 2015,

2. an sie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 5.861,82 € seit dem 10. Februar 2016 nebst 5 % Zinsen über dem Diskontsatz seit dem 10. Februar 2016 zu erstatten.

Die Beklagte hat den Antrag angekündigt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung ist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Zur Begründung verweist der Senat auf seinen Hinweisbeschluss vom 8. November 2016. An der dort niedergelegten rechtlichen Bewertung hält er auch unter Berücksichtigung der Stellungnahme der Klägerin vom 2. Dezember 2016 fest.

1. Nicht gefolgt werden kann der Klägerin, soweit sie ins Feld führt, der gesamte Schriftwechsel zwischen ihren Eltern und der Beklagten ergebe nur Sinn vor dem Hintergrund, dass ihre Eltern, für die Beklagte erkennbar, befürchtet hätten, die Liquorfistel ziehe eine dauerhafte Invalidität nach sich. Zum einen hat der Schriftverkehr zwischen dem Vater der Klägerin und der Beklagten keineswegs allein eine Invaliditätsleistung zum Gegenstand. Vielmehr hat der Vater der Klägerin auch Krankenhaustagegeld und Genesungsgeld beantragt; beides hat die Beklagte ausweislich ihrer Schreiben vom 4. Juni 2012 und 18. Februar 2013 bewilligt.

Zum anderen hängt ein Anspruch auf eine Invaliditätsleistung nicht davon ab, wie der Versicherungsnehmer oder die versicherte Person selbst die Folgen einer unfallbedingten Verletzung einschätzt. Gemäß § 2 Ziff. I Abs. 1 AUB 2011 muss die Invalidität innerhalb von 24 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt worden sein. Wie in den Gründen des angefochtenen Urteils und in dem Hinweisbeschluss des Senats im Einzelnen dargelegt, fehlt es in der vorliegenden Gestaltung an einer derartigen ärztlichen Feststellung.

2. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Klausel des § 2 Ziff. I Abs. 1 AUB 2011 intransparent und deshalb unwirksam sei. Der Bundesgerichtshof hat selbst für die Zeit vor Einführung der Hinweispflicht nach § 186 VVG den Standpunkt eingenommen, dass eine Regelung der in Rede stehenden Art in Allgemeinen Versicherungsbedingungen nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstoße. Ebenso wenig sind derartige Klauseln nach der Judikatur des Bundesgerichtshofs mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung unvereinbar oder schränken wesentliche, sich aus der Natur des Unfallversicherungsvertrags ergebende Rechte oder Pflichten so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet wäre (vgl. BGH, NJW 2012, S. 3184 f. [BGH 20.06.2012 - IV ZR 39/11][BGH 20.06.2012 - IV ZR 39/11]). Zwar bezieht sich die besagte Entscheidung des Bundesgerichtshofs auf die AUB 2002 und die entsprechenden Regelungen in den AUB 99, AUB 2000 und AUB 2008. Doch sind keinerlei Aspekte dargetan oder sonst ersichtlich, aus denen sich für die hier maßgebenden AUB 2011 etwas anderes ergeben könnte.

3. Entgegen der Auffassung der Klägerin hat die Beklagte den ihr obliegenden Hinweispflichten genügt. Insbesondere ist dem Landgericht darin beizupflichten, dass die Beklagte mit den Belehrungen in ihren Schreiben vom 4. Juni 2012 und 18. Februar 2013 den Anforderungen des § 186 Satz 1 VVG hinreichend Rechnung getragen hat. Die Klägerin als versicherte Person neben ihrem Vater zu belehren, war unter den konkreten Umständen selbst nach Eintritt ihrer Volljährigkeit im August 2012 nicht erforderlich.

a) Allerdings wird in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Hinweis gemäß § 186 Satz 1 VVG entgegen dem Gesetzeswortlaut in den Fällen der §§ 179, 44 VVG grundsätzlich auch dem Dritten gegenüber erfolgen müsse (so etwa Kloth, r+s 2007, S. 397, 398; Grimm, Unfallversicherung, 5. Aufl., 2 AUB 2010, Rn. 16 m. w. N.; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 187, Rn. 9 m. w. N.). Teilweise wird diese Hinweispflicht explizit auf Gestaltungen beschränkt, in denen bei einer Versicherung für fremde Rechnung die versicherte Person den Versicherungsfall anzeigt (so etwa Dörner, in: Münchener Kommentar zum VVG, 2. Aufl., § 186, Rn. 4 m. w. N.; Rüffer, in: Ders./Halbach/Schimikowski, VVG, 3. Aufl., § 186, Rn. 3 m. w. N.).

Unter Berücksichtigung der zuletzt genannten Einschränkung musste die Beklagte die Klägerin schon deshalb nicht belehren, weil die Klägerin im Zeitpunkt der Unfallschadenanzeige erst 17 Jahre und damit lediglich beschränkt geschäftsfähig gewesen ist; dementsprechend hat der Vater der Klägerin die Unfallschadenanzeige (mit-) unterzeichnet und im weiteren Verlauf die Korrespondenz mit der Beklagten geführt. Abgesehen davon ist eine der Klägerin gegenüber bestehende Hinweispflicht (auch) in Ansehung des § 12 Abs. 1 Satz 1 AUB 2011 zu verneinen. Dieser Bestimmung zufolge steht die Ausübung der Rechte aus einer - hier vorliegenden - Fremdversicherung nicht der versicherten Person, sondern allein dem Versicherungsnehmer zu. Ist aber ausschließlich der Versicherungsnehmer befugt, Rechte aus dem Vertrag gegenüber dem Versicherer geltend zu machen, besteht kein Anlass, Dritte auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen sowie einzuhaltende Fristen hinzuweisen (vgl. Leverenz, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Aufl., § 186, Rn. 20).

b) Anders als die Klägerin meint, ist die Klausel des § 12 Abs. 1 Satz 1 AUB 2011 wirksam. Insbesondere hält sie einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand. Denn der Versicherer hat aus vielerlei Gründen ein berechtigtes Interesse daran, vertragliche Angelegenheiten nur mit dem Versicherungsnehmer abzuwickeln (vgl. im Einzelnen Klimke, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl., § 44, Rn. 25 m. w. N.).

4. Schließlich kann die Klägerin der Beklagten auch nicht mit Erfolg entgegenhalten, es sei treuwidrig, dass sie, die Beklagte, sich auf den Ablauf der 24-monatigen Frist des § 2 Ziff. I Abs. 1 AUB 2011 berufe. Wie in dem Hinweisbeschluss des Senats dargelegt, geht aus den ärztlichen Stellungnahmen, die der Vater der Klägerin innerhalb der genannten Frist bei der Beklagten eingereicht hat, weder mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass es sich bei der geltend gemachten Liquorfistel um einen unveränderlichen Gesundheitsschaden handelt, noch lässt sich den Erklärungen der Ärzte entnehmen, ob und gegebenenfalls inwiefern die Klägerin durch die Liquorfistel dauerhaft in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Unter derartigen Umständen war die Beklagte nicht gehalten, die Voraussetzungen des § 2 Ziff. I Abs. 1 AUB 2011 durch gezielte Nachfragen bei der Klägerin oder ihrem Vater gleichsam selbst zu ermitteln oder deren Vorgehen durch detaillierte Hinweise im Einzelnen zu lenken. Abgesehen davon konnte die Klägerin beziehungsweise ihr Vater jedenfalls dem Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 18. Februar 2013, in dem die zweite Belehrung gemäß § 186 VVG enthalten ist, ohne weiteres entnehmen, dass die Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung aus Sicht der Beklagten bis dato noch nicht vorgelegen haben.

III.

Die Rechtssache besitzt keine grundsätzliche Bedeutung; sie erfordert keine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO). Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 709 Satz 2, 711 ZPO.