Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 28.11.2008, Az.: L 11 AL 108/08 ER

Einstweiliger Rechtsschutz gegen die Abzweigung von Unterhaltsvorschussleistungen an den ehelichen Sohn vom Arbeitslosengeld; Anspruch auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Abzweigungsbescheid

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
28.11.2008
Aktenzeichen
L 11 AL 108/08 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 33585
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2008:1128.L11AL108.08ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 28.07.2008 - AZ: S 9 AL 154/08 ER

Hinweis

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:
LSG Niedersachsen-Bremen - 28.11.2008 - AZ: L 11 B 38/08

Tenor:

Die Beschlüsse des Sozialgerichts Braunschweig vom 28. Juli 2008 werden aufgehoben:

  1. 1.

    Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage S 9 AL 154/08 vor dem Sozialgericht Braunschweig wird festgestellt.

  2. 2.

    Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers beider Instanzen zu tragen.

  3. 3.

    Dem Antragsteller wird für das erstinstanzliche Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung in Höhe von 153,00 EUR (Höhe der vertraglichen Selbstbeteiligung bei der Rechtsschutzversicherung) unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., G., bewilligt.

  4. 4.

    Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren in Höhe von 153,00 EUR (Höhe der vertraglichen Selbstbeteiligung bei der Rechtsschutzversicherung) unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., G., bewilligt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller bezieht seit dem 14. Januar 2008 Arbeitslosengeld (Alg) von der Antragsgegnerin aufgrund eines Anspruchs für 360 Tage in Höhe von 34,80 EUR kalendertäglich. Aufgrund eines entsprechenden Ersuchens des Landkreises G. vom 18. April 2008 (Bl 17 Verwaltungsakte - VA ) zweigte die Antragsgegnerin mit Bescheid gegenüber dem Antragsteller vom 15. Mai 2008 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 12. Juni 2008 und des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 einen Betrag von 5,60 EUR täglich an den Landkreis G. ab, da dieser Unterhaltsvorschussleistungen an den ehelichen Sohn des Antragstellers H. I., geboren am J., in Höhe von monatlich 168,00 EUR leiste. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens trug der Antragsteller vor, dass ein Unterhaltstitel nicht vorläge und dass er nicht leistungsfähig sei. Dieses habe er sowohl gegenüber dem Landkreis G. als auch gegenüber der Kindesmutter ausführlich dargestellt.

2

Gegen den Widerspruchsbescheid hat der Antragsteller am 3. Juli 2008 sowohl Klage als auch einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben.

3

Mit Beschluss vom 28. Juli 2008 hat das SG Braunschweig den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zurückgewiesen, da im Rahmen der Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Interessen der Antragsgegnerin an der Vollziehung der erlassenen Bescheide mit dem Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung bzw. Aufhebung der Vollziehung abgewogen werden müssen. Der angefochtene Bescheid stelle sich voraussichtlich als nicht rechtswidrig dar, da die Antragsgegnerin unter Berücksichtigung der Voraussetzungen des § 48 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) die Abzweigung vorgenommen habe. Der notwendige Eigenbedarf sei berücksichtigt worden und der Eintritt von Hilfebedürftigkeit durch die Abzweigung sei nicht nachgewiesen worden. Soweit der Antragsteller auf ehebedingte Schulden hinweise, fehle es hierzu an einer Glaubhaftmachung.

4

Ebenfalls mit Beschluss vom 28. Juli 2008 hat das SG Braunschweig den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zurückgewiesen. Gegen die Beschlüsse hat der Antragsteller am 8. August 2008 Beschwerde eingelegt. Mit der Beschwerdeschrift hat der Antragsteller umfangreiche Unterlagen hinsichtlich seiner laufenden Aufwendungen für Versicherungen und auch für ehebedingte Schulden eingereicht, woraufhin die Antragsgegnerin den täglichen Abzweigungsbetrag mit Schriftsatz vom 22.09.08 auf 1,38 EUR reduziert hat. Zum Zeitpunkt des Abzweigungsersuchens, habe sie allerdings richtig gehandelt und entschieden.

5

Der Antragsteller begehrt PKH für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren insoweit, als er keine Kostendeckungszusage von seiner Rechtsschutzversicherung, nämlich in Höhe der vertraglich vereinbarten Selbstbeteiligung in Höhe von 153,00 EUR erhalten hat.

6

II.

Die Beschwerden sind gemäß § 172 Abs. 1 SGG zulässig. Ausschlussgründe gemäß § 172 Abs. 3 SGG liegen nicht vor. Die Beschwerden sind auch begründet.

7

1.

Das SG Braunschweig hat zu Unrecht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage war festzustellen. Der Antragsteller hat sein Antragsbegehren im Rahmen des am 3. Juli 2008 gestellten Antrages auf einstweiligen Rechtschutzes wie folgt formuliert: "Die Beklagte im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Kläger den vollen Leistungssatz von kalendertäglich 34,80 EUR auszuzahlen." Da Widerspruch und Anfechtungsklage gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG gegen Abzweigungsbescheide aufschiebende Wirkung haben, ist der Antrag des Klägers dahingehend auszulegen, dass er die Feststellung der aufschiebenden Wirkung begehrt. Rechtsgrundlage für das Antragsbegehren ist eine entsprechende Anwendung des § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG.

8

In Fällen, in denen wie hier durch die Auszahlung eines Teils der Leistungen an den Landkreis G. und nicht an den Antragsteller die behördliche Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes trotz der bestehenden aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs erfolgt (faktische Vollziehung) oder eine solche faktische Vollziehung droht, ist vorläufiger Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG statthaft, vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, FamRZ 2003, 1334 [LSG Niedersachsen 04.09.2002 - L 7 AL 283/02 ER], LSG NRW, Beschluss vom 10. März 2005 - L 1 B 46/04 AL ER, veröffentlicht in [...], Thüringer LSG, Beschluss vom 4. Februar 2005, L 3 AL 484/04 ER, veröffentlicht in [...]; Hessisches LSG, Beschluss vom 28. Dezember 2004 - L 6 AL 195/04 ER, veröffentlicht in [...]; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Oktober 2004, L 12 AL 4018/04 ER-B, NZS 2005, 335, LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 8. Juni 2004, L 3 ER 29/04 AL, NZS 2005, 279ff; Sächsisches LSG, Beschluss vom 19. Januar 2004, L 3 B 130/03 AL-ER, veröffentlicht in [...].

9

Da die Abzweigung eines Teilbetrages vom Alg keine Herabsetzung der Leistung, sondern eine Regelung der Auszahlungsmodalitäten darstellt und den Empfänger der Leistung bestimmt, liegt keine Herabsetzung laufender Leistungen i.S. des § 86a Abs. 2 Ziff.2 SGG vor. Auch eine entsprechende Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus, da die Abzweigung nicht die finanzielle Funktionsfähigkeit der Sozialversicherungsträger sicher stellen soll, sondern die abgezweigten Beträge vielmehr allein dem jeweiligen Unterhaltsgläubiger, aber nicht dem Haushalt der Antragsgegnerin zu gute kommen. Auch aus Sicht des Leistungsempfängers handelt es sich nicht um eine Herabsetzung, da bei einer Abzweigung nicht in erster Linie über die Frage entschieden wird, welcher Betrag dem Antragsteller zusteht, sondern, wie er darüber zu verfügen hat. Die möglicherweise im Einzelfall notwendige sofortige Vollziehung der Entscheidung rechtfertigt es ebenfalls nicht, den Rechtsbehelfen gegen sie pauschal die aufschiebende Wirkung zu versagen. Vielmehr hat die Antragsgegnerin ggfls. die Befugnis, gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG die sofortige Vollziehung "im überwiegenden Interesse eines Beteiligten, nämlich des Unterhaltsgläubigers" anzuordnen, vgl. für das Vorstehende LSG NRW a.a.O.).

10

Da damit die Anfechtungsklage gegen den Abzweigungsbescheid bereits aufschiebende Wirkung hat, bedürfte es eigentlich keines vorläufigen Rechtsschutzes. Da vorliegend aber die Antragsgegnerin die Abzweigung trotz Widerspruch und Anfechtungsklage vollzieht, war ein einstweiliger Rechtsschutz mit dem Ziel der Feststellung der aufschiebenden Wirkung geboten.

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2.

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

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3.

Zu Unrecht hat das SG Braunschweig die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren abgelehnt.

13

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet eine Rechtsverfolgung dann, wenn ein Erfolg bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage zwar nicht gewiss ist, aber doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH haben für das erstinstanzliche Verfahren im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses vorgelegen, da der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - wie oben ausgeführt- Erfolg hat. Die Rechtsverfolgung erschien auch nicht mutwillig und es lagen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von PKH vor.

14

4.

Aus den zu 1 und 3) aufgeführten Gründen war auch Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen. Das Beschwerdeverfahren hatte hinreichende Aussicht auf Erfolg und war nicht mutwillig. Es lagen die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für die Bewilligung von PKH vor.

15

Die Antragsgegnerin hat erst im Rahmen der Antragserwiderung im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 4. September 2008 mitgeteilt, dass bis auf Weiteres keine Abzweigung erfolge und im Nachgang dazu nach Vorlage diverser Unterlagen den täglichen Abzweigungsbetrag auf 1,38 EUR reduziert, da nunmehr im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Antragstellers die ehebedingten Schulden berücksichtigt werden. Soweit die Antragsgegnerin laufende Versicherungsbeiträge im Rahmen der Leistungsfähigkeit des Antragstellers nicht berücksichtigt, dürfte dies im Rahmen des Klageverfahrens zu überprüfen sein.

16

Dieser Beschluss ist für die Beteiligten mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).