Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.12.2010, Az.: 3 A 192/08
Bodenreform; Enteignung; Realgemeinde
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.12.2010
- Aktenzeichen
- 3 A 192/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 48015
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 21 EinigVtr
- Art 22 Abs 1 S 7 EinigVtr
- VZOG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Durch mecklenburgisches Gesetz von 1948 sind dort bestehende Realgemeinden aufgelöst worden. Eine Auflösung der Realgemeinden hat schon "mit Inkrafttreten dieses Gesetzes" stattgefunden.
Eine Erstreckung der Gesetzesregelungen auf Realgemeinden, die außerhalb des Landes Mecklenburg ihren Sitz haben und innerhalb des Landes Mecklenburg Teile ihres Grundbesitzes haben, kann nicht angenommen werden.
Eine irgendwie geartete "Enteignung" von Grundbesitz einer außerhalb von Mecklenburg bestehenden Realgemeinde ohne gleichzeitige Auflösung der Realgemeinde ist durch das Gesetz nicht gedeckt und wurde auch vom Gesetz nicht bezweckt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übertragung von Grundstücksflächen in einem Gesamtumfang von rund 144.000 m² auf sich.
Die Flächen liegen östlich der Elbe in der Gemarkung Pommau. Pommau gehörte vor dem 2. Weltkrieg zu Niedersachsen, nach dem 2. Weltkrieg zu Mecklenburg und zur DDR. Seit 1993 ist dieses Gebiet Teil der Gemeinde Amt Neuhaus und wieder niedersächsisches Gebiet.
Die Flächen standen ursprünglich im Eigentum der Realgemeinde Drethem. Drethem gehörte durchgehend zu Niedersachsen, die Ortschaft liegt westlich der Elbe und war deshalb auch niemals Teil von Mecklenburg oder der DDR. Die Realgemeinde Drethem beschloss am 1. August 1969 ihre Auflösung, nach dem schriftlichen Protokoll wurden die im Westen gelegenen Flächen zum Teil auf die Gemeinde Drethem, zum Teil auf die Realgemeindemitglieder übertragen. Hinsichtlich der Flächen in Pommau wurde eine schriftliche Vereinbarung nicht getroffen, ein früheres Realgemeindemitglied hat im August 2006 eine Erklärung abgegeben, wonach bei den Vertragsverhandlungen von allen Beteiligten ausdrücklich erklärt worden sei, dass bei der Verteilung die Flächen in Pommau nicht berührt werden sollten, jedes beteiligte Mitglied der Realgemeinde habe einen Anteil von diesem Grundstück erhalten sollen. Die Auflösung des Realverbandes wurde (erst) 1978 im Amtsblatt für den Landkreis Lüchow-Dannenberg veröffentlicht.
Im Grundbuch von Pommau war vor dem Krieg als Eigentümer des Grundbesitzes eingetragen „Heinrich Wilhelm Karstens und Miteigentümer zu Drethem, Realgemeinde“. Durch Gesetz des Landes Mecklenburg vom 29. April 1948 (die DDR wurde erst am 7. Oktober 1949 gegründet) wurden die im Land Mecklenburg bestehenden Realgemeinden aufgelöst, und das Vermögen ging auf die politische Gemeinde über. Zur Durchführung des Gesetzes wurde am 31. März 1949 eine Verordnung erlassen. Der Rat des Kreises Hagenow machte unter dem 20. Juli 1949 bekannt, dass die Gemeinde Vockfey Eigentümerin der Flächen der Realgemeinde Drethem werden solle. Die Absicht wurde jedoch grundbuchmäßig nicht vollzogen.
Nach dem Krieg und der Gründung der DDR war mit dem BGB zwar auch die Grundbuchordnung von 1935 und die gerichtliche Zuständigkeit zunächst in Kraft geblieben. Allerdings wurde 1952 zeitgleich mit der Gerichtsneuorganisation das Grundbuchwesen grundlegend verändert, nunmehr wurde die Führung der Bücher den Räten der Kreise übertragen. Bis 1959 wurden von den DDR-Behörden neue Katasterunterlagen geschaffen. Anfang der 50er Jahre wurde auch vom nunmehr zuständigen Katasteramt Hagenow eine Neuvermessung der Grundstücke durchgeführt, und es wurden neue Liegenschaftsbücher angelegt (die alten Katasterunterlagen waren in Lüneburg für die DDR-Behörden nicht zugänglich). So wurde das Flurstück 2 der Flur 2 von Pommau geschaffen, das mit den Altgrundstücken des Realverbandes nicht identisch, im Wesentlichen aber deckungsgleich ist. Die Altflächen des Verbandes haben eine Größe von 144.003 m², das neu geschaffene Flurstück 2 eine Fläche von 151.760 m². In den Katasterunterlagen wurde das Flurstück stets unter der Bezeichnung „nicht ermittelter Eigentümer“ geführt.
Auch aufgrund der gemeinsamen Anweisung der Regierung der DDR vom 24. Juli 1961, wonach für bestimmte Grundstücke als Eigentümer im Liegenschaftskataster „Eigentum des Volkes“ einzutragen war, hat sich an den Eintragungen in den Katasterunterlagen nichts geändert.
Im April 2005 beantragte die Gemeinde Neu Darchau (Beigeladene) gegenüber dem Grundbuchamt Lüneburg, hinsichtlich des Grundstückes Flurstück 2 der Flur 2 der Gemarkung Pommau als Eigentümerin eingetragen zu werden. Dem hat das Grundbuchamt letztlich entsprochen. Im Grundbuch von Neuhaus auf Blatt 4645 ist seit dem 28. September 2006 als Eigentümer des Grundstückes eingetragen die Gemeinde Neu Darchau. Allerdings findet sich im Grundbuch auch ein vorläufiger Widerspruch zugunsten der Gemeinde Amt Neuhaus gegen die Eigentumseintragung. Im Vorfeld der Eintragung war es zwischen der Gemeinde Neu Darchau, der Gemeinde Amt Neuhaus und den früheren Realgemeindemitgliedern zum Streit gekommen, nachdem das Grundbuchamt angeordnet hatte, die Gemeinde Neu Darchau einzutragen. Das Oberlandesgericht Celle führte in einem Beschluss vom 26. November 2007 aus (4 W 109/07), der Realverband existiere seit 1978 nicht mehr, auch nicht als „Restverband“. Das Landgericht Lüneburg wies mit Beschluss vom 21. November 2006 auf eine Beschwerde der Gemeinde Amt Neuhaus das Grundbuchamt an, den vorläufigen Widerspruch wegen der Eigentumsverhältnisse einzutragen. Weiter lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen (Landrat des Landkreises Ludwigslust) mit Bescheid vom 13. August 2004 den Antrag der früheren Realgemeindemitglieder auf Wiederherstellung von Eigentumsrechten an dem Grundstück ab. Das Amt führte aus, dass eine Enteignung des Grundbesitzes nicht erfolgt sei, der Grundbesitz sei weder in Volkseigentum überführt noch enteignet worden.
Die Klägerin stellte am 15. Juni 1995 einen Antrag auf Übertragung der Grundstücksflächen auf sich. Dabei ging sie zunächst von einer Fläche von 22.055 m² aus. Mit Schreiben vom 5. Mai 2004 konkretisierte sie die Fläche und begehrt seitdem die Übertragung von 14,4004 ha.
Mit angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für zentrale Dienst und offene Vermögensfragen Cottbus vom 23. Mai 2008 wurde die Restitution der Teilfläche von rund 144.000 m² zugunsten der Gemeinde Amt Neuhaus abgewiesen. Im Bescheid wurde ausgeführt, ein Vermögenswert sei nur dann zuordnungsfähig, wenn er im Volkseigentum gestanden habe. Die begehrten Flächen seien aber niemals in Volkseigentum gelangt. Das Mecklenburgische Gesetz von 1948 habe die im Westen belegene Realgemeinde nicht auflösen können. Diese habe bis 1978 fortexistiert. 1949 sei das Verfahren zur Eintragung der Gemeinde Vockfey als Eigentümerin nicht zu Ende geführt worden. Auch 1961 sei Volkseigentum nicht eingetragen worden. Dies sei schon im Bescheid vom 13. August 2004 gegenüber den früheren Realgemeindemitgliedern festgestellt worden.
Die Klägerin hat am 6. Juni 2008 Klage erhoben. Sie trägt vor: Die Fläche von 14 ha liege im Elbvorgelände. Rund 12 ha seien Grünland und Unland, ca. 2,8 ha Altwasser. Das Grundstück sei 1948 per Gesetz ohne weiter erforderliche Maßnahmen auf die damalige politische Gemeinde Vockfey übergegangen. Nach Ergehen der gemeinsamen Anweisung von 1961 sei nur versehentlich kein Rechtsträgernachweis ausgestellt worden, obwohl die Fläche nachweislich durch die ortsansässige LPG bewirtschaftet worden sei. Jedenfalls sei die Fläche bis zum Oktober 1990 faktisch als Volkseigentum betrachtet und auch so durch die LPG bewirtschaftet worden. Auch wenn das Grundstück versehentlich in keinem Volkseigentumsgrundbuch gebucht worden sei, habe es lediglich an diesem formellen Erfordernis gefehlt, was an der materiellen Einordnung als Volkseigentum nichts geändert habe. Sie - die Klägerin - sei Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Vockfey.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihr zu übertragen eine Teilfläche von 144.003 m² des Grundstückes Flurstück 2 der Flur 2 der Gemarkung Pommau, eingetragen im Grundbuch von Neuhaus Blatt 4645, soweit diese Teilflächen identisch sind mit den Altflurstücken 11/3, 13/1, 15/1, 16/1, 14/2, 17/2, und den Bescheid des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen Cottbus vom 23. Mai 2008 aufzuheben, soweit er dieser Verpflichtung entgegen steht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Die von der Klägerin begehrte Grundfläche habe niemals im öffentlichen Eigentum gestanden. Das Gesetz von 1948 habe die im Westen gelegene Realgemeinde nicht auflösen können, so dass an den Flächen im Osten auch weder Gemeindeeigentum noch später Volkseigentum habe begründet werden können. Demzufolge hätten die Mecklenburgischen Behörden in den Katasterunterlagen „nicht ermittelte Eigentümer“ eingetragen. Die Behörden seien offenbar zu dem Schluss gekommen, dass die Eintragung von Volkseigentum eine unzulässige Enteignung einer westdeutschen Personengesellschaft gewesen wäre.
Die beigeladene Gemeinde Neu Darchau beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: Die Erweiterung des Restitutionsantrages auf insgesamt rund 14 ha sei unzulässig, da außerhalb der Antragsfrist ergangen. Die Grundstücke seien zu Recht auf sie - die Gemeinde Neu Darchau - übertragen worden, da sie Rechtsnachfolgerin der Realgemeinde geworden sei.
Die beigeladenen Realgemeindemitglieder stellen keinen Antrag. Sie halten die Erweiterung des Restitutionsbegehrens von rund 2 ha auf rund 14 ha für verspätet. Im Übrigen sei der Grundbesitz niemals in Volkseigentum überführt worden.
Die übrigen Beigeladenen stellen keinen Antrag, sie halten den Anspruch aber nicht für gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber gem. § 113 Abs. 5 VwGO unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückgabe des Grundvermögens. Rechtsgrundlage für dieses Begehren ist Art. 21 Abs. 3 bzw. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 Einigungsvertrag (EV) in Verbindung mit den Regelungen des Vermögenszuordnungsgesetzes (VZOG). Nach diesen Vorschriften werden Vermögenswerte des Verwaltungs- oder Finanzvermögens, die dem Zentralstaat oder den Ländern und Gemeinden (Gemeindeverbänden) von einer anderen Körperschaft des öffentlichen Rechts unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden sind, an diese Körperschaft oder ihre Rechtsnachfolgerin unentgeltlich zurückübertragen.
In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, dass die Gemeinde Amt Neuhaus als Klägerin dem „Zentralstaat“ oder seinen Unterordnungen in der DDR nichts zur Verfügung gestellt haben konnte, da die Gemeinde Amt Neuhaus erst nach der Vereinigung Deutschlands gegründet worden ist. Rechtlich ist es auch nicht entscheidend, dass die Klägerin nicht direkte Rechtsnachfolgerin der Gemeinde Vockfey geworden ist, aus deren früheren Rechten die Klägerin ihre Ansprüche herleitet. Vockfey ist - wie alle übrigen Gemeinden auf dem Gebiet der DDR - als selbständige Körperschaft untergegangen. Denn spätestens mit Inkrafttreten des Gesetzes über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik vom 23. Juli 1952 (GBl. DDR S. 613) haben alle Gemeinden in der DDR als selbständige Körperschaften zu existieren aufgehört (BVerwG, Beschl. v. 9.3.2009 - BVerwG 3 B 8.09 -, Buchholz 111 Art. 21 EV Nr. 64), und die nach der Wende durch das Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR - Kommunalverfassung - vom 17. Mai 1990 (GBl. DDR I S. 255) neu begründeten Gebietskörperschaften sind mit den früheren Gemeinden weder identisch noch können sie - streng genommen - als Rechtsnachfolger qualifiziert werden (BVerwG, Urt. v. 15.7.1999 - BVerwG 3 C 12.98 -, unter Berufung auf BTDrucks 12/6228 S. 110). Wenn der Einigungsvertrag in Art. 21 Abs. 3 von der Rückübertragung "an die Körperschaft oder ihre Rechtsnachfolgerin" spricht, kann dies deshalb nur untechnisch im Sinne einer Funktionsnachfolge verstanden werden, will man die Restitution in diesen Fällen nicht entgegen der Intention des Gesetzgebers vollständig ausschließen. Dies nimmt § 11 Abs. 3 VZOG auf, indem diese Vorschrift anordnet, dass Rechtsnachfolger im Sinne des Art. 21 Abs. 3 EV die öffentlich-rechtliche Körperschaft ist, die oder deren Organe seit dem 3. Oktober 1990 die öffentlichen Aufgaben wahrnehmen, welche die Körperschaft des öffentlichen Rechts wahrgenommen hat, die den fraglichen Vermögenswert dem Zentralstaat zur Verfügung gestellt hat.
Sinn und Zweck der Regelungen in den Art. 21 und 22 EV i.V.m. dem Vermögenszuordnungsgesetz ist es, die Vermögenswerte, die dem Staat der DDR bis zur Einheit zustanden und infolge der Einigung diesen Bezug verloren haben, demjenigen Träger staatlicher Gewalt zuzuordnen, dem sie nunmehr zustehen. Durch die Restitution nach diesen Vorschriften soll zur Leistungsfähigkeit der Körperschaften durch Ausstattung „mit Altvermögen“ beigetragen werden. Die Restitution rechtfertigt sich besonders dann, wenn der Körperschaft das Vermögen bereits in der Vergangenheit gehörte. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Vermögen als Finanzvermögen oder als Verwaltungsvermögen anzusehen ist. Für die Rückübertragung eines Vermögensgegenstandes (Grundstücks) kommt es nicht auf dessen aktuelle Zweckbestimmung an, die Restitution knüpft vielmehr allein an die Rechtsstellung des früheren Eigentümers (an früheres Eigentum) - und die jetzt gegebene Funktionsnachfolge - an, an die entschädigungslose Entziehung eines Vermögenswerts durch den Zentralstaat, in der Überführung der im kommunalen Eigentum stehenden Grundstücke (BVerwG, Beschl. v. 04.12.1995 - 7 B 407.95 -, Buchholz 111 Art. 21 Nr. 13).
Die Voraussetzungen zur Anwendung des Art. 21 Abs. 3 bzw. Art. 22 Abs. 1 Satz 7 i.V.m. Art. 21 Abs. 3 EV liegen im vorliegenden Fall nicht vor, da die „Rechtsvorgängerin“ der Klägerin - die Gemeinde Vockfey - niemals Eigentümerin der umstrittenen Grundstücksflächen war. Die Flächen sind vielmehr stets (bis zu ihrer Auflösung) Eigentum der Realgemeinde Drethem gewesen, die Flächen sind niemals enteignet oder in Volkseigentum überführt worden. Nach Auflösung der Realgemeinde sind die Grundstücke in das Eigentum der politischen Gemeinde Drethem übergegangen, wobei die Gemeinde Neu Darchau jetzt Rechtsnachfolgerin der politischen Gemeinde Drethem ist.
Durch das Gesetz des Landes Mecklenburg über die Aufhebung von Sonderrechten an Gemeindevermögen vom 29. April 1948 (RBl. S. 77) ist der Realgemeinde Drethem das Grundeigentum nicht entzogen und ein Grundeigentum der politischen Gemeinde Vockfey nicht begründet worden.
§ 1 des Gesetzes bestimmt:
Die im Land Mecklenburg in einer Reihe von Gemeinden bestehenden Realgemeinden und sonstige Miteigentumsgemeinschaften am Gemeindeland und Grundeigentumsgemeinschaften öffentlich-rechtlicher Art werden mit Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der Wirkung aufgelöst, dass sämtliche Rechte aus der Mitgliedschaft an solchen Gemeinschaften erlöschen. Das Vermögen geht auf die politische Gemeinde als Gesamtrechtsnachfolgerin über.
Der Verlust des Vermögens nach § 1 des Gesetzes und der Verlust von Grundeigentum nach § 2 des Gesetzes war gleichsam sich automatisch ergebende Folge der Auflösung (zur inhaltlichen Rechtmäßigkeit dieses Gesetzes und zur Frage des Eigentumsverlustes vgl. im Einzelnen die grundlegenden Urteile der Kammer vom 17.11.1998 - 3 A 29/97 - und vom 20.02.2001 - 3 A 247/98 -; im gleichen Sinne auch BVerwG, Urteil vom 14.06.2006 - 3 C 4/06 -). Dabei geht die Kammer davon aus, dass eine Auflösung der Realgemeinden schon „mit Inkrafttreten dieses Gesetzes“ stattgefunden hat, so dass auch das Vermögen der Realgemeinden in diesem Zeitpunkt, spätestens aber mit Unanfechtbarkeit der Entscheidungen der Kommission (vgl. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Aufhebung... vom 31.3.1949, RBl. 1949 S. 59) auf die politische Gemeinde als Gesamtrechtsnachfolgerin übergegangen ist. Die entsprechenden Grundbucheintragungen, die noch eine Realgemeinde als Eigentümerin ausgewiesen haben mögen, sind mit dem gesetzlichen Eigentumsübergang fehlerhaft geworden und sie waren (lediglich) „zu berichtigen“ (vgl. § 5 des Gesetzes, aber auch § 6 der Verordnung). Die spätere Eintragung der Gemeinde in das Grundbuch hatte damit also keine konstitutive Wirkung für den Eigentumsübergang, der gesetzlich vorgesehene Eigentumsübergang im Jahre 1948 konnte durch spätere Grundbuchumtragung nur noch in deklaratorischer Weise nachvollzogen werden (so Kammer, Urt. v. 21.10.1999 - 3 A 17/98 -).
Dieses Gesetz hat ebenso wie die Verordnung vom 31. März 1949 zur Durchführung des genannten Gesetzes keinen Einfluss auf die Eigentümerstellung der Realgemeinde Drethem gehabt, diese Rechtsvorschriften haben die Existenz der damaligen Realgemeinde Drethem und ihr Eigentum an ihrem Grundbesitz in Pommau vielmehr unangetastet gelassen.
Schon das Verfahren zur Auflösung der Realgemeinden ist nicht eingehalten worden. Nach der Verordnung vom 31. März 1949 war für jede Gemeinde zu ermitteln, welche Grundstücke auf die politische Gemeinde übergegangen sind. Hierzu war nach § 2 der Verordnung eine besondere Kommission aus fünf Mitgliedern zu bilden, die die Feststellung zu treffen hatte. Für ortsabwesende Beteiligte konnte ein Pfleger bestellt werden, die abschließenden Beschlüsse der Kommission waren von den Mitgliedern zu unterschreiben, und die Beschlüsse mussten eine Rechtsmittelbelehrung enthalten (vgl. § 4 Abs. 2 der Verordnung). Im vorliegenden Fall hat hinsichtlich der Gemeinde Drethem ein solches Verfahren offenbar nicht stattgefunden.
Richtig ist allerdings, dass die Verordnung nur Verfahrensfragen regelt, der Übergang von Grundstückseigentum von der Realgemeinde auf die politische Gemeinde sich aber unmittelbar aufgrund des Gesetzes von 1948 ergeben hat (s.o). Gleichwohl hat das Gesetz von 1948 einen solchen Eigentumsübergang der Realgemeindegrundstücke auf die politische Gemeinde Vockfey nicht bewirken können.
Das Gesetz hat wegen seiner auf mecklenburgische Realgemeinden begrenzten Wirkung und der sich daraus ergebenden örtlichen Reichweite keine Realgemeinde auflösen können, die im damaligen Westen Deutschlands ihren Sitz hatte. Und ohne Auflösung konnte keine Vermögensverschiebung stattfinden. Denn nach § 1 des Gesetzes von 1948 sind (lediglich) „die im Land Mecklenburg … bestehenden Realgemeinden“ aufgelöst worden. Die im Land Niedersachsen bestehenden Realgemeinden konnten durch das Mecklenburgische Gesetz nicht aufgelöst werden. Schon nach dem Wortlaut hat es sich bei der Realgemeinde „Drethem“ um eine westliche Realgemeinde gehandelt, sie war nun mal keine Realgemeinde „Pommau“ oder eine andere bestehende Realgemeinde des Landes Mecklenburg. Da die im Westen gelegene Realgemeinde Drethem durch das mecklenburgische Gesetz nicht aufgelöst werden konnte, konnte auch das Vermögen der Realgemeinde nicht auf die politische Gemeinde übergehen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich die hier im Streit befindlichen Grundstücksteile einer „im Westen“ bestehenden Realgemeinde auf mecklenburgischem Gebiet („im Osten“) befunden haben. Eine Erstreckung der Gesetzesregelungen auf Realgemeinden, die außerhalb des Landes Mecklenburg ihren Sitz haben und innerhalb des Landes Mecklenburg Teile ihres Grundbesitzes haben, kann nicht angenommen werden. Eine irgendwie geartete „Enteignung“ von Grundbesitz einer außerhalb von Mecklenburg bestehenden Realgemeinde ohne gleichzeitige Auflösung der Realgemeinde ist durch das Gesetz nicht gedeckt und wurde auch vom Gesetz nicht bezweckt. Das Gesetz bezweckte eine Verschmelzung der altrechtlichen Gemeinschaften mit der politischen Gemeinde. So hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (Urt. v. 14.6.2006 - 3 C 4.06 -), dass mit der Realgemeinde und der politischen Gemeinde im Dorf zwei Selbstverwaltungseinheiten nebeneinander bestanden haben, die sich vor allem nach ihrem Mitgliederkreis unterschieden: Während die Mitgliedschaft in den altrechtlichen Gemeinschaften den Hofbauern im Dorf vorbehalten war, umfasste die Mitgliedschaft in der politischen Gemeinde auch andere Einwohner, also Familienangehörige, Gesinde, landlose Bauern und Angehörige anderer Berufe. Im 20. Jahrhundert erschienen die altrechtlichen Gemeinschaften zunehmend als überlebt. Die Aufhebung der altrechtlichen Gemeinschaften ist dabei durchgängig als Verschmelzung mit der politischen Gemeinde zu verstehen. An die Stelle der altrechtlichen Gemeinschaft trat die politische Gemeinde. - Dies zeigt, dass es mit dem Gesetz um die Auflösung der Gemeinschaften der Hofeigentümer ging, um den Entzug von Mitberechtigungen, die aber nicht an einzelnen Gegenständen des Gemeinschaftsvermögens bestanden - wie etwa einzelnen Grundstücken -, sondern an der Gemeinschaft als solcher (BVerwG, a.a.O.). Konnte das mecklenburgische Gesetz die Gemeinschaft der Hofeigentümer von Drethem als niedersächsische Realgemeinde nicht auflösen, konnte das Gesetz auch Mitberechtigungen an der Gemeinschaft als solcher nicht beeinflussen, insbesondere - da die Mitberechtigungen nicht am einzelnen Vermögensgegenstand bestanden - nicht einzelne Grundstücke aus der Gemeinschaft herauslösen und in Gemeindeeigentum überführen.
Ein Eigentumsverlust der Realgemeinde Drethem und ein Eigentumserwerb der Gemeinde Vockfey hat auch nicht außerhalb des Gesetzes von 1948 - und damit ohne gesetzliche Grundlage - stattgefunden.
Allerdings ist nach der Bekanntmachung des Rates des Kreises Hagenow vom 20. Juli 1949 beabsichtigt gewesen, die Flächen der Realgemeinde in Pommau auf die politische Gemeinde Vockfey zu übertragen. Jedoch hat es sich hierbei bloß um eine Absichtserklärung gehandelt mit der Aufforderung, dass Personen, die Rechte an dem Gemeindeland geltend machen wollen, sich innerhalb von zwei Wochen zu melden haben. Dass es sich um eine bloße Vorbereitungshandlung zur Eigentumsumschreibung handelt, wird durch die Worte in der Bekanntmachung deutlich, wonach die Gemeinde Vockfey als Eigentümerin eingetragen werden „soll“, was auf eine Absicht und eine in der Zukunft liegende Handlung hindeutet. Gerade der Umstand, dass der Rat des Kreises Hagenow diese Bekanntmachung erlassen hat, bestätigt, dass auch nach Auffassung der damals zuständigen Stelle ein Eigentumsübergang durch das Gesetz von 1948 noch nicht stattgefunden hat. Wäre der Rat damals davon ausgegangen, dass bereits durch das Gesetz von 1948 die Gemeinde Eigentum erworben hätte, hätte es der Absichtserklärung von 1949 nicht bedurft, vielmehr hätten nach § 5 des Gesetzes von 1948 die Grund- und Flurbücher sogleich von Amts wegen berichtigt werden müssen. Solches ist aber erkennbar nicht geschehen, vielmehr ist im Katasterbestand weiterhin - wie auch in der angefochtenen Verfügung ausgeführt - stets die Bemerkung „nicht ermittelter Eigentümer“ geführt worden.
Auch nach Ergehen der gemeinsamen Anweisung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 24. Juli 1961 ist das Grundstück nicht als volkseigenes Grundstück benannt worden. Nach dieser gemeinsamen Anweisung waren Grundstücke, die im Eigentum der Gemeinde standen, als Eigentum des Volkes in den Liegenschaftskatastern einzutragen, und hierfür waren auch die Grundbücher und Liegenschaftskataster umzutragen. Dies ist nicht geschehen.
Der Umstand, dass das Grundstück gleichsam wie ein volkseigenes Grundstück durch die LPG genutzt worden ist, zwingt nicht dazu, anzunehmen, es sei in das Eigentum der Gemeinde Vockfey übergegangen. Die Bewirtschaftung durch die LPG ist vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die im Westen gelegene Realgemeinde Drethem sich gegen diese (fremde) Nutzung nicht wirksam zur Wehr setzen konnte und im Osten davon ausgegangen worden ist, dass das Grundstück einem „nicht ermittelten Eigentümer“ gehöre. Aus alledem kann insbesondere nicht geschlossen werden, dass die Realgemeinde Drethem oder ein „unbekannter Eigentümer“ das Eigentum am Grundstück wirksam aufgegeben hätte und Volkseigentum wirksam begründet worden wäre. Auf die bloße Nutzung von Grundstücken und den Nutzungszweck, der sich im Laufe der Zeit auch wandeln mag, kann im Interesse einer Rechtsklarheit im Übrigen nicht abgestellt werden, wenn es um Restitutionsfragen im Sinne des Art. 21 Abs. 3 Einigungsvertrag geht. Denn es kommt es bei der Rückübertragung eines Vermögensgegenstandes (Grundstücks) nicht auf dessen Zweckbestimmung oder konkrete Nutzung an. Die Restitutionsberechtigung knüpft aufgrund der zwingenden Vorgaben des Art. 21 Abs. 3 EV an einen Eigentumsverlust an, der nach § 11 Abs. 3 VZOG gegenüber der Funktionsnachfolgerin der seinerzeit geschädigten und im Regelfall nicht mehr existenten Körperschaft wiedergutgemacht werden soll, so dass es um Eigentumsfragen und nicht um tatsächliche Nutzungsfragen geht (BVerwG, Urt. v. 25.2.2010 - 3 C 18.09 -).
Letztlich kann auch aufgrund der Vermutungskraft des Grundbuches entsprechend §§ 891, 892 BGB, aber auch aufgrund der Vermutungskraft der Bemerkung „nicht ermittelter Eigentümer“ im Katasterbestand der DDR nicht davon ausgegangen werden, dass der Grundbesitz jemals im Eigentum der Gemeinde Vockfey oder in Volkseigentum gestanden hat.
Hat das Grundstück niemals im Eigentum der Gemeinde Vockfey oder in Volkseigentum gestanden, ist davon auszugehen, dass das Grundstück bis zur Auflösung der Realgemeinde in ihrem Eigentum gestanden hat. Da die Gemeinde Neu Darchau jetzt Rechtsnachfolgerin der Realgemeinde geworden ist, ist sie auch zu Recht in das Grundbuch eingetragen worden. Die früheren Realgemeindemitglieder haben keinen Anspruch auf die Eigentumsübertragung der Grundstücksflächen, weil sich dies schon daraus ergibt, dass sich der Realverband aufgelöst hat und ihre Grundstücke und ihr Vermögen aufgeteilt worden ist. Der Vorbehalt der Realgemeindemitglieder, dass bei der Verteilung die Flächen in Pommau nicht berührt werden sollten, jedes beteiligte Mitglied der Realgemeinde einen Anteil an diesem Grundstück habe erhalten sollen, rechtfertigt nicht die Annahme, wegen dieser Flächen sei die Realgemeinde noch existent und könne wirksam Eigentumsansprüche geltend machen. Insoweit folgt die Kammer aufgrund eigener Rechtsprüfung uneingeschränkt den Ausführungen des OLG Celle im Beschluss vom 26. November 2007, wonach der Realverband auch nicht mehr - im Hinblick auf die Grundstücke in Pommau - als „Restverband“ existiert, vielmehr das Vermögen, soweit es nicht den einzelnen Mitgliedern zugefallen ist, auf die Gemeinde Neu Darchau als Rechtsnachfolgerin übergegangen ist. Auch das Landgericht Lüneburg hebt in seinem Beschluss vom 3. Mai 2006 (dort S. 6) hervor, (erst) mit der Auflösung des Verbandes sei der Eigentumsverlust am Grundstück eingetreten. Letztlich hat das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen (Landrat des Landkreises Ludwigslust) mit bestandskräftigem Bescheid vom 13. August 2004 den Antrag der früheren Realgemeindemitglieder auf Wiederherstellung von Eigentumsrechten an dem Grundstück abgelehnt, wobei es feststellt: „Eine Enteignung des Grundbesitzes ist nicht erfolgt“. Das Amt führt auf Seite 5 unten des Bescheides - nach Auffassung der Kammer völlig zutreffend - aus, dass die Flächen durch eine staatliche Enteignung nicht in Volkseigentum überführt worden sind.
Aus alledem folgt, dass der Klägerin der mit der Klage geltend gemachte Anspruch nicht zusteht. Sie hat keinen Anspruch auf „Rückübertragung“ des Grundstückes.
Gerichtskosten werden nach § 6 Abs. 3 VZOG nicht erhoben. Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren billigerweise für erstattungsfähig zu erklären, weil es sich nach dem Beschluss des Gerichtes vom 29. September 2008 um eine notwendige Beiladung gehandelt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung gegen dieses Urteil ist gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 VZOG ausgeschlossen. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.