Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 24.07.1986, Az.: 5 U 139/86
„Vollziehung des Berufungsurteils“

Antrag auf Aufhebung einer einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände; Fristbestimmung für die Zustellung einer einstweiligen Verfügung; Erfordernis der Zustellung einer durch zweitinstanzliches Urteil bestätigten einstweiligen Verfügung im Parteibetrieb; Ordnungsmittelandrohung als wesentlicher Bestandteil einer einstweiligen Verfügung

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.07.1986
Aktenzeichen
5 U 139/86
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1986, 19873
Entscheidungsname
Vollziehung des Berufungsurteils
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1986:0724.5U139.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 27.03.1986 - AZ: 3 O 281/85

Fundstellen

  • AfP 1986, 362
  • NJW-RR 1987, 64 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Aufhebung einer einstweiligen Verfügung

In dem Rechtsstreit
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juli 1986
durch
fürRecht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 27. März 1986 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Auf Antrag der Klägerin erließ das Landgericht mit Beschluß vom 18.07.1985, und zwar ohne mündliche Verhandlung, eine einstweilige Verfügung gegen die Beklagte. Es gab ihr auf, in dem von ihr bewohnten Hause in S. verschiedene Maßnahmen zu dulden, nämlich (1) den Einbau von Heizkostenmeßampullen durch die Firma I. H. GmbH und (2) das Betreten bestimmter Räume durch Mitarbeiter der Klägerin.

2

Durch einen weiteren Beschluß vom 24.07.1985 drohte das Landgericht der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehend genannten Anordnungen ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 500.000,- DM, ersatzweise Ordnungshaft, an.

3

Nachdem die Klägerin den Beschluß vom 18.07.1985 der Beklagten im Parteibetrieb zugestellt hatte, legte diese mit Schriftsatz vom 30.07.1985 Widerspruch ein. Das Landgericht hob daraufhin mit Urteil vom 30.08.1985 die Beschlüsse vom 18. und 24.07.1985 wieder auf und wies den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurück. Auf die Berufung der Klägerin änderte jedoch der Senat mit Urteil vom 19.12.1985 die Entscheidung des Landgerichts und bestätigte die einstweilige Verfügung samt ihrer Ergänzung durch den Beschluß vom 24.07.1985.

4

Das Urteil vom 19.12.1985 wurde den Parteien von Amts wegen zugestellt. Eine Zustellung im Parteibetrieb erfolgte dagegen nicht.

5

Die Beklagte vertritt nunmehr die Ansicht, zur Vollziehung der einstweiligen Verfügung hätte ihr das Urteil vom 19.12.1985 auch noch im Parteibetrieb zugestellt werden müssen, und zwar gemäß § 929 Abs. 2 ZPO binnen eines Monats ab Urteilsverkündung. Mangels einer Vollziehung sei sie daher berechtigt, gemäß § 927 ZPO die Aufhebung der einstweiligen Verfügung zu beantragen.

6

Das Landgericht ist der Beklagten nicht gefolgt und hat mit Urteil vom 27.03.1986 den Aufhebungsantrag zurückgewiesen.

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Mit der Berufung gegen dieses Urteil erstrebt die Beklagte weiterhin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung. Dabei stützt sie sich zusätzlich noch auf die Behauptung, auch der Beschluß vom 24.07.1985 sei ihr niemals durch die Klägerin zugestellt worden.

Entscheidungsgründe

8

I.

Die Berufung bleibt ohne Erfolg. Die Beklagte kann nicht verlangen, daß die gegen sie ergangene einstweilige Verfügung wegen Nichteinhaltens der Vollziehungsfrist und damit wegen veränderter Umstände (§ 927 ZPO) aufgehoben wird.

9

1.

Zur Vollziehung einer einstweiligen Verfügung, die ein Gebot oder Verbot enthält, ist nach herrschender Ansicht erforderlich, daß der Gläubiger sie dem Schuldner im Parteibetrieb zustellt. Dabei ist die in § 929 Abs. 2 ZPO festgelegte Monatsfrist einzuhalten.

10

2.

Wird eine einstweilige Verfügung ohne mündliche Verhandlung antragsgemäß erlassen, dann durch das erstinstanzliche Gericht aufgehoben, durch das Berufungsgericht jedoch bestätigt, so beginnt nach ebenfalls herrschender Ansicht für den Gläubiger die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO mit der Verkündung des Berufungsurteils neu zu laufen. Auch der Senat sieht keinen Anlaß, hiervon abzuweichen.

11

3.

Aus dem Umstand, daß diese Frist neu zu laufen beginnt, darf jedoch entgegen der Beklagten nicht der Schluß gezogen werden, auch das zweitinstanzliche Urteil, durch das die einstweilige Verfügung bestätigt worden ist, müsse dem Schuldner in jedem Falle noch einmal im Parteibetrieb zugestellt werden. Zwar ist dies wegen der insoweit vertretenen unterschiedlichen Rechtsansichten dringend zu empfehlen, eine Rechtspflicht hierzu kann aber jedenfalls dann nicht angenommen werden, wenn der Gläubiger - wie hier - bereits den Beschluß, mit dem die beantragte einstweilige Verfügung erstmals erlassen worden war, rechtzeitig und ordnungsgemäß dem Schuldner im Parteibetrieb zugestellt hatte.

12

Der Grund hierfür ist in Übereinstimmung mit dem Landgericht darin zu sehen, daß die ursprünglich erlassene einstweilige Verfügung durch das spätere Aufhebungsurteil nicht beseitigt worden ist, da dieses Urteil keine Rechtskraft erlangt hat. Durch das Senatsurteil vom 19.12.1985 ist dann aber keine neue einstweilige Verfügung geschaffen worden, sondern der Senat hat lediglich die volle Wirksamkeit der insoweit bereits vorhandenen erstinstanzlichen Entscheidung wieder hergestellt (wie ja auch darin zum Ausdruck kommt, daß er diese Entscheidung "bestätigt" hat). Fehlt es jedoch an einer neuen einstweiligen Verfügung, so besteht auch kein Grund für ihre erneute Vollziehung, wie bereits das OLG Düsseldorf in NJW 1950, 113 überzeugend dargelegt hat.

13

Diese formalen Erwägungen müßten freilich zurücktreten, wenn die erneute Vollziehung zum Schütze des Schuldners geboten wäre. Dafür gibt es indessen keine Anhaltspunkte. Mit der Vollziehung soll der Gläubiger dem Schuldner zeigen, daß es ihm mit der Verfolgung seiner Ansprüche ernst sei und daß er von der erlangten einstweiligen Verfügung Gebrauch machen wolle. Das ist insbesondere in den Fällen wichtig, in denen das Gericht dem Antrage des Gläubigers ohne mündliche Verhandlung und damit ohne Wissen des Schuldners entsprochen hat. Wird dagegen in zweiter Instanz eine bereits einmal vollzogene einstweilige Verfügung bestätigt, so ist nicht erkennbar, weshalb für den Schuldner noch eine besondere Warnung nötig sein sollte. Die ernsten Absichten des Gläubigers folgen hier schon daraus, daß er zur Durchsetzung seiner Ansprüche das Berufungsverfahren durchgeführt hat.

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4.

Ob die im Beschluß des Landgerichts vom 24.07.1985 enthaltene Ordnungsmittelandrohung der Beklagten zugestellt worden ist (was diese verneint), kann dahingestellt bleiben. Diese Androhung war kein wesentlicher Bestandteil der einstweiligen Verfügung. Sie hat daher auf deren Wirksamkeit keinen Einfluß. Die gegenteilige Auffassung Wedemeyers (NJW 1979, 293) überzeugt den Senat nicht, denn die Androhung ist jederzeit nachholbar (§ 890 Abs. 2 ZPO), und ihr Fehlen macht infolgedessen eine einstweilige Verfügung für den Gläubiger nicht wertlos.

15

II.

Da die Berufung erfolglos bleibt, fallen ihre Kosten gemäß § 97 ZPO der Beklagten zur Last.