Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 18.09.2019, Az.: S 25 AS 859/15

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
18.09.2019
Aktenzeichen
S 25 AS 859/15
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69531
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter Abänderung der Bescheide vom 26.01.2015 und 03.06.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2015 sowie der Änderungsbescheide vom 11.02.2015, 17.02.2015 und 22.05.2015 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.02.2015 bis 31.12.2015 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft iHv 442,20 Euro monatlich zu gewähren.

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter Abänderung der Bescheide vom 18.12.2015 und 22.01.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.03.2016 sowie der Änderungsbescheide 08.04.2016 und 13.05.2016 und 30.06.2016 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 30.06.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.09.2016 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.01.2016 bis 31.12.2016 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft iHv 496,- Euro monatlich zu gewähren.

Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern unter Abänderung der Bescheide vom 10.01.2017 und des Änderungsbescheides vom 01.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.05.2017 sowie des Änderungsbescheides vom 06.07.2017 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.01.2017 bis 28.02.2017 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft iHv 496,- Euro monatlich zu gewähren.

Der Beklagte hat den Klägern ihre notwendigen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) durch Übernahme von weiteren Kosten der Unterkunft für die Kläger.

Die 1971 geborene Klägerin zu 1.) und ihr 1997 geborener Sohn, der Kläger zu 2.), bewohnen seit 01.11.2014 aufgrund eines schriftlichen Mietvertrages vom 24.10.2014 eine ca. 75 qm große Wohnung in Celle. Hierfür haben sie eine monatliche Bruttokaltmiete in Höhe von 399,- € zzgl. Nebenkosten in Höhe von 91,- € (ab 01.01.2015: 97,- €) zu entrichten. Die Wohnung wird dezentral mit einer Gastherme beheizt; für die Belieferung mit Heizenergie sind regelmäßige Abschläge an die S. … Vertrieb GmbH als Energielieferantin zu zahlen.

Mit Bescheid vom 26.01.2015 und Änderungsbescheiden vom 11.02.2015, 17.02.2015 und 22.05.2015 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 01.01.2015 bis 30.06.2015 sowie mit Bescheid vom 03.06.2015 für den Zeitraum Juli 2015 bis Dezember 2015. Dabei wurden entsprechend der Bewilligung in dem vorangegangenen Zeitraum für Januar 2015 noch 442,50 € als Kosten der Unterkunft berücksichtigt, während für die Zeit ab 01.02.2015 bis 30.06.2015 nur noch Kosten der Unterkunft in Höhe von 405,- € (Grundmiete 322,71 € und Nebenkosten 82,29 €) und ab Juli 2015 in Höhe von 405,02 € (Grundmiete (322,72 € und Nebenkosten 82,30 €) monatlich berücksichtigt wurden. Zur Begründung wird ausgeführt, die Berücksichtigung von Unterkunftskosten könne nur nach Maßgabe der neuen Mietwerttabelle vorgenommen werden; danach seien in der Berechnung 405,- € für die Grundmiete inklusive der kalten Nebenkosten zu berücksichtigen. Hiergegen eingelegte Widersprüche vom 01.03.2015 und 26.03.2015 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2015 zurück.

Mit Bescheiden vom 18.12.2015 und 22.01.2016 sowie Änderungsbescheiden vom 08.04.2016, 13.05.2016 und 30.06.2016 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum Januar 2016 bis Juni 2016 und mit Bescheid vom 30.06.2016 für den Zeitraum Juli bis Dezember 2016. Dabei wurden Kosten der Unterkunft wiederum nur in Höhe von 405,02 € monatlich anerkannt. Einen mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 13.07.2016 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2016 als unbegründet zurück. Einen weiteren, mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 14.09.2016 erhobenen Widerspruch verwarf er mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2016 als unzulässig mit der Begründung, der Widerspruch sei durch einen vollmachtlosen Vertreter erhoben worden. Eine Vollmacht habe dem Schreiben vom 13.07.2016 nicht beigelegen und sei trotz Aufforderung innerhalb der hierfür gesetzten Frist nicht eingereicht worden.

Mit Bescheid vom 10.01.2017 und Änderungsbescheid vom 01.02.2017 bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für den Zeitraum Januar bis Dezember 2017, wobei er nunmehr Kosten der Unterkunft nur noch in Höhe von 375,72 € monatlich berücksichtigte. Die Kosten für Unterkunft und Heizung seien an die aktualisierte Mietwerttabelle angepasst worden. Einen hiergegen, mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 25.01.2017 erhobenen Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2017 als unzulässig wiederum mit der Begründung, die Bevollmächtigung sei nicht ordnungsgemäß nachgewiesen worden. Nach Aufnahme von Erwerbstätigkeiten hob der Beklagte zum 01.03.2017 seine Leistungsbewilligung mit Bescheid vom 15.06.2017 auf und bewilligte den Klägern mit Bescheid vom 16.06.2017 und Änderungsbescheid vom 06.07.2017 für den Zeitraum März bis August 2017 vorläufige Leistungen.

Am 06.09.2015, 05.04.2016, 04.10.2016 und 04.06.2017 haben die Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klagen erhoben, die das SG zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat. Die Kläger beanspruchen jeweils die Berücksichtigung von höheren Kosten der Unterkunft. Nach ihrer Auffassung leidet der Endbericht vom Oktober 2014, dessen Mietwerttabelle zur Festlegung der Angemessenheitsgrenzen angewendet wurde, unter erheblichen Mängeln und genügt er nicht den von der Rechtsprechung entwickelten, zwingend erforderlichen Anforderungen an ein schlüssiges Konzept. Insbesondere seien die kalten Betriebskosten nicht nachvollziehbar und prüfbar. Ferner sei hierbei die Anzahl der Bewohner nicht berücksichtigt worden, obwohl dies auf die Höhe der tatsächlichen Betriebskosten erhebliche Auswirkungen habe. So könnten die Betriebskosten einer berufstätigen Einzelperson in einer 75 qm großen Wohnung nicht für einen SGB II-Haushalt in einer 75 qm großen Wohnung mit 3 Personen herangezogen werden. Der Endbericht biete keine hinreichende Gewähr, die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Wohnungsmarktes zutreffend wiederzugeben.

Die Kläger beantragen,

den Beklagten unter Abänderung sämtlicher für den Zeitraum 01.02.2015 bis 31.12.2015 ergangenen Bescheide zu verurteilen, ihnen weitere Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 442,20 € zu gewähren,

sowie den Beklagten unter Aufhebung sämtlicher Bescheide für den Zeitraum 01. Januar 2016 bis 31. Dezember 2017 zu verurteilen, ihnen höhere Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 496 € monatlich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung waren die Widersprüche zurückzuweisen, soweit ihnen keine Vollmacht beigefügt war und auf Anforderung auch nicht übersandt wurde. Der Mangel der fehlenden Vollmacht könne durch Vorlage im Gerichtsverfahren nicht mehr geheilt werden. Zudem bestehe für die Klage kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Kläger der Aufforderung, das Verfahren im Hinblick auf andere anhängige Verfahren ruhend zu stellen, nicht nachgekommen sei. Im Übrigen seien zu ihren Gunsten die ab 01.01.2015 bzw. ab 01.01.2017 geltenden Wohnungsmarktgutachten angewandt worden. Diese in seinem Auftrag angefertigten Mietwerterhebungen entsprächen in jeder Hinsicht den gestellten rechtlichen Anforderungen. Die Mietwerttabelle sei auf Basis einer landkreisweiten Analyse des Wohnungsmarktes durchgeführt worden und biete einen aktuellen und fundierten Überblick über die zur Verfügung stehenden Wohnungen und deren angemessene Kosten. Die Klägerin habe zudem nicht nachgewiesen, dass sie eine angemessene Wohnung tatsächlich nicht habe finden können.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Streitgegenstand des Verfahrens sind aufgrund entsprechender Beschränkung durch die Beteiligten nur die Bedarfe für die Unterkunft und Heizung bei den Leistungen nach dem SGB II (vgl. zur Möglichkeit dieser Beschränkung: BSG, Urteil vom 17. Februar 2016, Az.: B 4 AS 12/15 R - juris). Dabei erstreckt sich der Streitzeitrum nur auf die Zeit vom 01.02.2015 bis 28.02.2017. Mit Aufhebung der Leistungsbewilligungen zum 01.03.2017 durch den Bescheid vom 15.06.2017, gegen den kein Rechtsbehelf eingelegt wurde und der auch nicht gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand dieses Verfahrens geworden ist, ist der Streitgegenstand auf den Zeitraum bis 28.02.2017 beschränkt. Für den Folgezeitraum ist eine endgültige Festsetzung noch nicht erfolgt; zudem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung erklärt, im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung in diesem Verfahren höhere Unterkunftskosten für die anschließende Zeit bis Ende 2017 anzuerkennen.

Die gemäß § 54 Abs. 1, Abs. 5 und § 56 SGG zulässige Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist begründet. Insbesondere besteht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis (vgl. dazu: Meyer-Ladewig, SGG, 12. Auflage 2017, Vorbemerkung vor § 51 Rn. 16ff). Es ist nicht erkennbar, dass die Kläger das Ziel einer Übernahme von höheren Unterkunftskosten auf einfachere Weise erreichen können. Es bestand für sie auch keine rechtliche Verpflichtung, anstelle der Anrufung des Gerichts einem Ruhen des Widerspruchsverfahrens zuzustimmen; angesichts der erheblichen Beschränkung der Unterkunftskosten in den angefochtenen Bescheiden ist es vielmehr durchaus nachvollziehbar, möglichst zeitnah eine gerichtliche Klärung für alle streitigen Zeiträume herbeiführen zu wollen.

Die angefochtenen, im Streitzeitraum 01.02.2015 bis 28.02.2017 ergangenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Kosten der Unterkunft sind im Streitzeitraum vom Beklagten in zu geringem Umfang berücksichtigt worden.

Die Zurückweisung der Widersprüche wegen fehlender Vollmacht durch die Widerspruchsbescheide vom 14.09.2016 und 10.05.2017 war rechtswidrig. Zwar ist ein Bevollmächtigter gemäß § 13 Abs. 1 Satz 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) dazu verpflichtet, seine Vollmacht auf Verlangen schriftlich nachzuweisen. Entsprechenden Aufforderungen zur Vorlage einer Vollmacht ist der im Widerspruchsverfahren tätige Rechtsanwalt vorliegend nicht nachgekommen. Allerdings hatte er seine Bevollmächtigung unmittelbar zuvor in einem für die Kläger geführten Verfahren schriftlich nachgewiesen. Die dort eingereichte Vollmacht erstreckte sich auf eine Vertretung der Kläger auf dem Gebiet des SGB II und war weder zeitlich noch auf ein bestimmtes Widerspruchsverfahren beschränkt. Vor diesem Hintergrund erweist sich das erneute Verlangen des Beklagten nach einer schriftlichen Vollmacht als ermessensfehlerhaft. Denn selbst im gerichtlichen Verfahren ist die ordnungsgemäße Bevollmächtigung von Rechtsanwälten nicht mehr von Amts wegen, sondern nur auf entsprechende Rüge des Prozessgegners zu prüfen (vgl. § 73 Abs. 6 Satz 5 SGG). Dieser Rechtsgedanke ist bei Ausübung ihres Verfahrensermessens durch die zuständige Behörde im Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen, so dass dort die Vorlage einer Originalvollmacht von einem Rechtsanwalt regelmäßig nur verlangt werden kann, wenn Anhaltspunkte für Bevollmächtigungsmängel vorliegen (ebenso: Pitz in Schlegel/Voelzke, juris PK-SGB X, 2. Auflage 2017 § 13 Rn. 9). Derartige Anhaltspunkte bestanden vorliegend aber nicht. Weder war vom Beklagten die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts zuvor angezweifelt worden noch erwies sich seine schriftliche Vollmacht als fehlerhaft. Auch der Umstand, dass die Kläger bzw. der Bevollmächtigte einem Ruhen der Widerspruchsverfahren nicht zugestimmt hatten, war nicht geeignet, um Zweifel an seiner ordnungsgemäßen Bevollmächtigung zu begründen.

Bei den Leistungen nach dem SGB II werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Bei dem Begriff der "Angemessenheit" handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) um einen unbestimmten Rechtsbegriff (BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 18/06 R – juris; Urteil vom 20.08.2009, Az.: B 14 AS 41/08 R – juris). Aufgrund der regionalen Schwankungen von Kosten für Mieten, Heizung und Betriebskosten kann die Angemessenheit nicht einheitlich bestimmt werden. Daher ist es Sache der Grundsicherungsträger, für die jeweiligen Regionen ein schlüssiges Konzept zu entwickeln, um die Angemessenheitsgrenze im Einzelfall bestimmen zu können (hierzu und zum Folgenden BSG, a. a. O. sowie Urteil vom 17.12.2009, Az.: B 4 AS 27/09 R - juris). In einem ersten Schritt ist die grundsätzlich (abstrakt) angemessene Wohnungsgröße zu ermitteln. In einem weiteren Schritt ist dann festzustellen, welcher räumliche Vergleichsmaßstab für die Beurteilung der Angemessenheit maßgebend ist. Angemessen ist eine Wohnung ferner nur, wenn sie nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entspricht und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Dabei genügt es, wenn unter Anwendung der Produkttheorie („Wohnungsgröße in qm multipliziert mit dem Quadratmeterpreis“) im Ergebnis das Produkt aus Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete (je Quadratmeter) niederschlägt, angemessen ist (BSG, Urteil vom 17.12.2009, a.a.O.; Urteil vom 30.01.2019, Az.: B 14 AS 24/18 R – juris Rn. 20, m.w.N.). Zu ermitteln ist insbesondere, wie viel für eine abstrakt angemessene Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden gewesen ist (Ermittlung der Angemessenheitsgrenze bzw. Vergleichsmiete auf Grund eines schlüssigen Konzepts des Grundsicherungsträgers). Abschließend ist zu prüfen, ob der Hilfesuchende eine solchermaßen abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte anmieten können, ob also eine konkrete Unterkunftsalternative bestanden hat.

Dementsprechend ist vorliegend zunächst die abstrakt angemessene Wohnungsgröße festzulegen. Die Bemessung der angemessenen Größe erfolgt nach den landesrechtlichen Durchführungsvorschriften zu § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13. September 2001 (WoFG, BGBl I, S. 2376). Die berücksichtigungsfähige Wohnfläche in Niedersachsen bestimmt sich nach den vom Sozialministerium erlassenen Richtlinien über die soziale Wohnraumförderung (Wohnraumförderungsbestimmungen - WFB 2011, Nds. Ministerialblatt 2011, 718 ff., zuletzt geändert durch Runderlass vom 5.4.2012, Nds. Ministerialblatt 2012, 335). Für Mietwohnungen bei einem 2-Personen-Haushalt, wie er hier vorliegt, gilt nach Ziffer 7.1 der WFB 2011 eine Wohnfläche bis 60 qm als angemessen.

Die von den Klägern bewohnte Wohnung überschreitet mit einer Wohnfläche von 75 qm diese Größe. Anhaltspunkte für einen aufgrund bestimmter (zB krankheitsbezogener) Umstände bedingten Mehrbedarf an Wohnraum sind nicht erkennbar und bestehen nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten im Klageverfahren nicht. Daher ist im streitigen Zeitraum von einer angemessenen Wohnfläche von 60 qm auszugehen.

Die Grundsätze der Produkttheorie gewährleisten aber zugleich, dass Leistungsberechtigte nicht zwangsweise auf eine bestimmte Wohnungsgröße oder Ausstattung festgelegt werden. Die abstrakt angemessene Wohnungsgröße geht zusammen mit einer abstrakt angemessenen Quadratmetermiete als Berechnungselement in die Berechnung der angemessenen Wohnkosten ein. Überschreitet dann im konkreten Fall eines dieser Elemente faktisch die Angemessenheitsgrenze, ist dies unschädlich, solange die Gesamtkostengrenze nicht überschritten wird (vgl. auch BSG, Beschluss vom 02.04.2014, Az.: B 4 AS 17/14 B; Urteil vom 10.09.2013, Az.: B 4 AS 77/12 R - juris).

Die Ermittlung der angemessenen Nettokaltmiete in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum muss auf Grundlage eines überprüfbaren „schlüssigen Konzepts“ erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008, Az.: B 14/7 b AS 44/06 R - juris). Die vom Beklagten im Rahmen des Endberichts der Firma F+B Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH vom Oktober 2014 ermittelten Vergleichsmieten basieren nach Auffassung des SG nicht auf einem schlüssigen Konzept.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG soll das schlüssige Konzept die Gewährleistung bieten, das die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes wiedergegeben werden. Dabei muss der Grundsicherungsträger nicht zwingend auf einen einfachen oder qualifizierten Mietspiegel im Sinne von §§ 558 c und 558 d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) abstellen; entscheidend ist vielmehr, das den Feststellungen des Leistungsträgers ein Konzept zu Grunde liegt, dieses im Interesse der Überprüfbarkeit des Ergebnisses schlüssig ist und damit die Begrenzung der tatsächlichen Unterkunftskosten auf ein „ angemessenes Maß“ hinreichend nachvollziehbar ist (BSG a.a.O.; s. a. Urteil vom 10.09.2013, Az. B 4 AS 77/12 R – juris). Weil weder aus § 22 SGB II noch aus §§ 22a bis 22c SGB II die Anwendung eines bestimmten Verfahrens rechtlich zwingend ist, kann es dementsprechend verschiedene Methoden geben, um ein schlüssiges Konzept in diesem Sinne zu erstellen und den damit unmittelbar zusammenhängenden Vergleichsraum oder ggf. mehrere Vergleichsräume zu bilden (vgl. BSG Urteil vom 18.11.2014, Az.: B 4 AS 9/14 R - juris; Urteil vom 30. Januar 2019, Az.: B 14 AS 11/18 R – juris).

Von der Schlüssigkeit eines Konzepts ist aber nur dann auszugehen, wenn die folgenden Mindestvoraussetzungen erfüllt sind (BSG, Urteile vom 22.09.2009 Az. 4 AS 18/09 R – juris; vom 10.09.2013 Az. B 4 AS 77/12 R – juris; s.a. Urteil vom 30.01.2019 Az. B 14 AS 11/18 R):

- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen,

- es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, zB welche Art von Wohnungen - Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete (Vergleichbarkeit), Differenzierung nach Wohnungsgröße,

- Angaben über den Beobachtungszeitraum,

- Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, zB Mietspiegel),

- Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten,

- Validität der Datenerhebung,

- Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und

- Angaben über die gezogenen Schlüsse (zB Spannoberwert oder Kappungsgrenze).

Hiervon ausgehend sind bei dem Endbericht der Firma F+B Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH vom Oktober 2014, den der Beklagte als Grundlage zur Festlegung der Angemessenheitsgrenzen in seinem örtlichen Zuständigkeitsbereich verwendet, die Anforderungen an ein schlüssiges Konzept nicht erfüllt, da weder eine Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten noch eine Validität der Datenerhebung ausreichend sichergestellt ist. In dem Endbericht wird ausgeführt, dass die Bestandsmietenerhebung durch schriftliche Befragung der Wohnungsvermieter und Eigentümer vorgenommen wurde und hierfür ca. 6.800 Vermieter und Eigentümer zur Verfügung standen. Davon wurden insgesamt 6.789 Vermieter bzw. Eigentümer angeschrieben und um Teilnahme an der Datenerhebung gebeten. Von den angeschriebenen Vermietern bzw. Eigentümern haben allerdings nur 582 und damit 8,6 % überhaupt geantwortet (vgl. Endbericht Seite 18). Von diesen Antworten waren noch die Angaben zu von Eigentümern selbst genutzten Wohnungen sowie zu gewerblichen Zwecken genutzten Wohnungen und Ferienwohnungen abzuziehen, sodass im Ergebnis nur Antworten von 490 Vermietern mit Datenlieferungen in die Auswertung übernommen wurden. Gemessen an der Anzahl der ca. 6800 Vermieter im Kreisgebiet entspricht dieser Wert einem Anteil von gerade einmal 7,2 %. Schon angesichts der geringen Rücklaufquote von deutlich weniger als 10 % (vgl. dazu: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.01.2018, Az. L 32 AS 1223/15 sowie BSG, Urteil vom 18.06.2008, Az. B 14/7b AS 44/06 R – juris) hält die erkennende Kammer die erhobenen Daten nicht für hinreichend repräsentativ und zudem auch nicht für ausreichend valide, um von einem schlüssigen Konzept, das die aktuellen Verhältnisse des örtlichen Mietwohnungsmarktes zutreffend wiedergibt, ausgehen zu können.

Hinzukommt, dass zur Ermittlung der Angemessenheitsgrenze von Unterkunftskosten in dem Endbericht vom Oktober 2014 nur Wohnungsmieten verwendet sind, die in den letzten 4 Jahren verändert oder neu vereinbart wurden (Endbericht Seite 21). Daraus folgt, das zur Festlegung des Grenzwertes lediglich auf Bestandsmieten zurückgegriffen wurde, während Angebotsmieten überhaupt nicht berücksichtigt wurden (siehe auch Endbericht Seite 26, 27). Zwar wird in dem Endbericht dann in einem weiteren Schritt zur Überprüfung der ermittelten Angemessenheitsgrenzen und der Verfügbarkeit von Wohnraum zu diesen Bedingungen eine Analyse anhand von vorhandenen Mietwohnungsangeboten vorgenommen. Dies ändert aber nichts daran, dass diese Angebotsmieten bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenze nicht berücksichtigt sind, da die Daten in dem voran gegangenen Schritt zur Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenze nicht einbezogen wurden. Im Übrigen konnten im Zeitraum April bis Juni 2014 insgesamt auch nur 158 Wohnungen im Internet und den Zeitungen ermittelt werden, deren Bruttokaltmieten sich innerhalb der abstrakten Angemessenheitsgrenze befanden.

Schließlich hält die Kammer den Endbericht vom Oktober 2014 auch nicht für schlüssig. Um den Grenzwert für eine abstrakte Angemessenheit festzulegen, sind - nach Wohnungsmarktregionen und Größenklassen differenziert - zu den Nettokaltmieten die ermittelten durchschnittlichen kalten Betriebskosten addiert worden (Endbericht Seite 30); die so berechneten Bruttokaltmieten (in Euro je qm Wohnfläche und Monat) sind anschließend multipliziert worden mit der maximalen Wohnungsgröße, die den jeweiligen Bedarfsgemeinschaften zur Verfügung steht. In der Wohnungsmarktregion 2 sind dabei für eine Wohnung mit 50 qm kalte Betriebskosten von 1,24 €/qm berücksichtigt worden, während für eine Wohnung von 60 qm kalte Betriebskosten von 1,00 €/qm in die Berechnung eingeflossen sind. Das bedeutet bei einer entsprechenden Multiplikation, dass für die größere Wohnung insgesamt niedrigere Betriebskosten (60 €) anfallen als bei der kleineren Wohnung (62 €). Erscheint es bereits im Ansatz nicht schlüssig, wenn bei größeren Wohnungen durchschnittlich niedrigere Betriebskosten anfallen als bei kleineren Wohnungen, gilt dies erst recht vor dem Hintergrund, dass Wohnungen mit größerer Wohnfläche üblicherweise bzw. tendenziell von mehr Personen belegt sind, so dass die durchschnittlichen Verbrauchskosten (beispielsweise für Abfallentsorgung, Wasser und Abwasser) und damit auch die kalten Betriebskosten entsprechend höher liegen müssten als bei kleineren Wohnungen.

Genügt demzufolge das Konzept, das vom Beklagten zur Begrenzung der angemessenen Unterkunftskosten herangezogen wird, im Ergebnis nicht den hieran zu stellenden Anforderungen, lässt sich die nur teilweise Übernahme von tatsächlichen Unterkunftskosten in den angefochtenen Bescheiden damit nicht rechtfertigen. Dies gilt auch für das ab 01.01.2017 verwendete Konzept (Endbericht der Firma F+B Beratung für Wohnen, Immobilien und Umwelt GmbH vom Oktober 2016), das auf keiner Datenneuerhebung beruht, sondern auf einer Indexfortschreibung der Ergebnisse des Endberichts von 2014 basiert.

Wegen der unzureichenden Datengrundlage bestehen für das SG keine Nachbesserungsmöglichkeiten, um die Angemessenheitsgrenze im gerichtlichen Verfahren bestimmen zu können. Demzufolge kann die Angemessenheit von Kosten der Unterkunft vorliegend nur anhand der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl. eines Sicherheitsaufschlags in Höhe von 10 % festgelegt werden (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 17.12.2009 Az. B 4 AS 50/09 R – juris; Urteil vom 22.03.2012 Az. B 4 AS 16/11 R – juris). Für den Wohnort der Kläger in Celle (Mietstufe 3) ergibt sich aus § 12 Abs. 1 WoGG ein Betrag in Höhe von 402,- €; unter Berücksichtigung des Sicherheitszuschlags errechnen sich damit angemessene Kosten für Miete inkl. Nebenkosten ab 01.01.2015 in Höhe von 442,20 €. Für die Zeit ab 01.01.2016 beträgt der Höchstbetrag nach § 12 Abs. 1 WoGG 473,- €, woraus sich mit Sicherheitszuschlag angemessene Kosten von bis zu 520,30 €/Monat errechnen. Demzufolge sind den Klägern für den Zeitraum 01.01. bis 31.12.2016 Kosten der Unterkunft in Höhe von 442,20 € und ab 01.01.2016 ihre vollen tatsächlichen Kosten in Höhe von 495,- € monatlich zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §§ 183, 193 SGG.