Sozialgericht Lüneburg
v. 16.10.2019, Az.: S 22 SO 112/18

Berücksichtigung der Betriebsrente als Einkommen bei der Hilfe zur Pflege hinsichtlich der Kosten des Heimaufenthalts eines Leistungsberechtigten

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
16.10.2019
Aktenzeichen
S 22 SO 112/18
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2019, 67321
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die am 11.12.1934 geborene Klägerin wurde am 20.06.2013 in der Pflegeabteilung eines vom F. betriebenen Altenheims aufgenommen, wo sie stationäre Pflegeleistungen erhält. Die Kosten des Heimaufenthalts belaufen sich seit 01.04.2018 auf monatlich 4.267,32 EUR. Von ihrer Pflegekasse erhält sie seit 01.01.2017 monatliche Leistungen i.H.v. 1.775,00 EUR; außerdem bezieht sie von der G. eine Rente, die sich ab 01.07.2018 auf 1.099,74 EUR monatlich beläuft, sowie eine monatliche Betriebsrente i.H.v. 412,61 EUR. Über einzusetzendes Vermögen verfügt sie nicht. Für die aus Einkommen und Vermögen nicht gedeckten Kosten gewährt ihr der Beklagte seit 01.11.2013 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Mit Bescheid vom 01.08.2018 bewilligte der Beklagte unter Berücksichtigung eines Barbetrags zur persönlichen Verfügung i.H.v. 112,32 EUR ab 01.07.2018 Leistungen i.H.v. 1.097,01 EUR monatlich und berechnete einen monatlichen, von der Klägerin aus ihrem Einkommen zu erbringenden Eigenanteil auf 1.395,31 EUR. Dabei berücksichtigte er Einkommen der Klägerin i.H.v. 1.507,63 EUR (Altersruhegeld: 1.099,74 EUR, betriebliche Altersversorgung: 412,61 EUR abzgl. Haftpflichtversicherung: 4,72 EUR).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben ihres Betreuers vom 08.08.2018 Widerspruch ein, mit welchem sie die volle Berücksichtigung des Einkommens aus der betrieblichen Altersversorgung beanstandete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.09.2018 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wird ausgeführt, bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sei gemäß § 82 Abs. 4 SGB XII abzusetzen ein Betrag von 100,00 EUR monatlich aus einer zusätzlichen Altersversorgung zzgl. 30 % des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge, höchstens jedoch 50 % der Regelbedarfsstufe 1. Die Betriebsrente der Klägerin wäre daher auf die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung nur in Höhe von 218,83 EUR anzurechnen. Das daneben erzielte Einkommen aus der Altersrente i.H.v. 1099,74 EUR reiche aber bereits aus, um den Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung zu decken. Es bestehe daher ein Bedarf der Klägerin nur im Rahmen der Hilfe zur Pflege. Bedürfe eine Person für längere Zeit Leistungen in einer stationären Einrichtung, solle die Aufbringung der Mittel aber auch dann in angemessenen Umfang verlangt werden, wenn das Einkommen unter der Einkommensgrenze liege. Als angemessener Umfang gelte bei einem dauerhaften stationären Einrichtungsaufenthalt das gesamte zur Verfügung stehende Einkommen. Daher seien die Leistungen der Hilfe zur Pflege i. H. v. 1.098,03 EUR korrekt berechnet.

Am 16.10.2018 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben. Nach ihrer Auffassung ist die Regelung gem. § 82 Abs. 4 SGB XII nicht nur auf Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, sondern auch auf andere Leistungen nach dem SGB XII anzuwenden.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 01.08.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2018 zu verurteilen, ihr Leistungen nach dem SGB XII ab 01.07.2018 unter Anwendung von § 82 Abs. 4 SGB XII auch bei den Leistungen der Hilfe zur Pflege zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung ist der Freibetrag für die Betriebsrente gem. § 82 Abs. 4 SGB XII im Rahmen der Hilfe zur Pflege nicht zu berücksichtigen, weil sich dieser ausschließlich auf die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezieht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht kann den Rechtsstreit nach § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden; sie haben gegen die Entscheidung durch Gerichtsbescheid keine Einwendungen erhoben.

Streitgegenstand des Verfahrens sind Leistungsansprüche der Klägerin ab 1. Juli 2018. Der nachfolgend ergangene Bewilligungsbescheid vom 03.09.2018, mit welchem aufgrund von zu berücksichtigenden Beiträgen zu einer bestehenden Haftpflichtversicherung die Leistungen ab 01.10.2018 neu festgesetzt werden, ist gem. § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens geworden, da er nach Erhebung des Widerspruchs und vor Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und die Bewilligung vom 01.08.2018 - mit welcher Leistungen auf Dauer und ohne zeitliche Begrenzung gewährt werden - abgeändert hat.

Die gem. §§ 54 Abs. 1, Abs. 5, 56 SGG zulässige Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage ist unbegründet. Der Klägerin stehen keine höheren Leistungen nach dem SGB XII zu.

Gem. § 19 Abs. 1 - 3 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel SGB XII, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII sowie Hilfe zur Pflege nach dem Fünften Kapitel SGB XII zu leisten, soweit den Leistungsberechtigten das Bestreiten ihres Lebensunterhalts nicht möglich bzw. die Aufbringung der erforderlichen Mittel aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus Einkommen und Vermögen, nicht zuzumuten ist. Für die Einkommensberücksichtigung gelten dabei die Regelungen nach § 82 SGB XII. Nach Abs. 4 dieser Vorschrift ist bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch ein Betrag von 100,00 EUR monatlich aus einer zusätzlichen Altersversorgung der Leistungsberechtigten zzgl. 30 vom Hundert des diesen Betrag übersteigenden Einkommens aus einer zusätzlichen Altersvorsorge der Leistungsberechtigten abzusetzen, höchstens jedoch 50 vom Hundert der Regelbedarfsstufe 1 nach der Anlage zu § 28 SGB XII.

Diese Vorschrift hat der Beklagte bei der angefochtenen Leistungsbewilligung zutreffend angewendet und die Betriebsrente i.H.v. 412,61 EUR zurecht in vollem Umfang als Einkommen bei den Leistungen zur Pflege berücksichtigt. Wie im Widerspruchsbescheid bereits zutreffend ausgeführt wird, reicht das Einkommen der Kläger aus ihrer Altersrente aus, um den Bedarf der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung zu decken, sodass es bei diesen Leistungen auf eine teilweise Berücksichtigung von Einkommen aus ihrer Betriebsrente gem. § 82 Abs. 4 SGB XII nicht ankommt. Dementsprechend wird die Betriebsrente bei diesen Leistungen auch nicht berücksichtigt.

Nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Regelung ist der sich aus § 82 Abs. 4 SGB XII ergebende Freibetrag für die Betriebsrente allerdings nur bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, nicht hingegen bei der Hilfe zur Pflege zu berücksichtigen. Dementsprechend ist nicht zu beanstanden, dass in dem angefochtenen Bescheid die Berücksichtigung der Betriebsrente bei der Hilfe zur Pflege in vollem Umfang und nicht unter Berücksichtigung des Freibetrags nach dieser Vorschrift vorgenommen wurde. Die Anwendung des Beklagten in dem angefochtenen Bescheid entspricht damit vollumfänglich der gesetzlichen Regelung.

Anhaltspunkte für eine Verfassungswidrigkeit der Regelung § 82 Abs. 4 SGB XII in Hinblick auf eine unzulässige Ungleichbehandlung bestehen nicht. Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Dem Gesetzgeber ist damit nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das Grundrecht, wenn er eine Gruppe im Vergleich zu einer anderen Gruppe anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (Bundesverfassungsgericht, ständige Rechtsprechung; vgl. Beschluss vom 11. Juli 2006 - 1 BvR 293/05 -, BVerfGE 116, 229-242, Rn. 41 - juris). Dementsprechend ist eine vollständige Gleichbehandlung der Einkommens- und Vermögensberücksichtigung bei allen Leistungsarten nach dem SGB XII verfassungsrechtlich nicht geboten. Vielmehr ist wesentlich, dass die Hilfe zum Lebensunterhalt und die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung einerseits und die Hilfe zur Pflege andererseits völlig unterschiedliche Bedarfslagen regeln, nämlich einerseits die Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums und andererseits die Deckung eines Pflegebedarfs. Dementsprechend steht es im sozialpolitischen Ermessen des Gesetzgebers, diese verschiedenartigen Leistungen an unterschiedliche Voraussetzungen zu knüpfen. Von daher ist auch die zum 01.01.2018 neu eingefügte Regelung, dass nur bei der Hilfe zum Lebensunterhalt und bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, nicht aber bei der Hilfe zur Pflege bei einem Einkommen aus einer zusätzlichen Altersversorgung des Leistungsberechtigten ein Freibetrag abzusetzen ist, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Erweist sich damit die Leistungsbewilligung als rechtmäßig, ist die Klage unbegründet und kann keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.