Sozialgericht Hannover
Beschl. v. 18.02.2011, Az.: S 65 KA 775/10 ER
§ 97 Abs. 4 SGB V entfaltet gegenüber der allgemeineren Regelung in § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG eine Sperrwirkung; Die Kriterien des Approbationsalters und der Dauer der ärztlichen Tätigkeit können ab einer gewissen Dauer auch zu Lasten des jeweiligen Antragstellers gewichtet werden
Bibliographie
- Gericht
- SG Hannover
- Datum
- 18.02.2011
- Aktenzeichen
- S 65 KA 775/10 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 16948
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGHANNO:2011:0218.S65KA775.10ER.0A
Rechtsgrundlagen
- § 97 Abs. 4 SGB V
- § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG
Tenor:
- 1.
Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses des Berufungsausschusses Niedersachsen für die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit vom 9. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Gründe
I.
Der Antragstellter begehrt die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer ihm erteilten Zulassung als Facharzt für Radiologie in Hannover.
Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Niedersachsen entsperrte ent-sprechend der Fortschreibung der Bedarfsplanung Nr. 3/2009, Stand 12. Oktober 2009, gemäß des 4. Abschnitts § 23 Bedarfsplanungsrichtlinie den Planungsbereich Stadtkreis Hannover / Landesshauptstadt für die Fachgruppe der Radiologen mit der Auflage, dass ein Radiologe zugelassen werden darf. Auf die Zulassung bewarben sich neben dem Antragsteller und der Beigeladenen zu 1. zwei weitere Bewerber und zwei weitere Bewerberinnen.
Mit Beschluss vom 27. Januar 2010 erteilte der Zulassungsausschuss Hannover dem Antragsteller die Zulassung als Facharzt für Radiologie für einen vollen Versorgungsauftrag und wies die Anträge der Mitbewerber ab. Der Antragsteller sei seit 44 Jahren, 11 Monaten und 8 Tagen ärztlich tätig. Die Beigeladene zu 1. sei hingegen erst seit 19 Jahren, 8 Monaten und 27 Tagen ärztlich tätig. Des Weiteren habe der Antragsteller die Approbation bereits am 7. Februar 1966 erhalten, wohingegen die Beigeladene zu 1. diese erst am 24. Juni 1991 erhalten habe. Die berufliche Eignung sei bei allen Mitbewerbern gleich. Allerdings habe der Antragsteller die Facharztbezeichnung bereits am 19. April 1971 und die Beigeladene zu 1. erst am 24. Februar 1999 erhalten. Die Beigeladene zu 1. sei zwar am längsten in die Warteliste, nämlich seit dem 1. September 2009, eingetragen gewesen. Dieser Umstand sage allerdings über die Qualifikation am wenigsten aus. Dem Kriterium käme allenfalls bei einem Gleichstand der übrigen Kriterien Relevanz zu. Entscheidend seien im vorliegenden Fall die Dauer der ärztlichen Tätigkeit und der Zeitpunkt der Approbation gewesen.
Die Beigeladene zu 1. und eine weitere Mitbewerberin erhoben hiergegen Widerspruch u.a. mit der Begründung, dass die Kriterien der Dauer der ärztlichen Tätigkeit und des Zeitpunkts der Approbation vor dem Hintergrund, dass die Altersgrenze für die Zulassung entfallen sei, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen könne. Der Antragsteller beantragte im Widerspruchsverfahren bereits die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entscheidung des Zulassungsausschusses.
Der Antragsgegner hat mit Beschluss vom 9. Juni 2010 die Widersprüche zurückgewiesen, die sofortige Vollziehung hingegen nicht angeordnet.
Bezüglich der Auswahl des Antragstellers habe er bei der Bewerberauswahl auch nach Berücksichtigung der maßgeblichen Kritieren nach pflichtgemäßem Ermessen "keine andere Wahl" gehabt. Die Widersprüche "mussten" zurückgewiesen werden. Bezüglich des Kriteriums "berufliche Eignung" bestehe kein Unterschied zwischen den Mitbewerbern; bezüglich der Kriterien der Dauer der ärztlichen Tätigkeit und des Approbationsalters liege eine erhebliche Gewichtung zu Gunsten des Antragstellers vor. Diese "derzeit geltenden untergesetzlichen Vorgaben" dürften nicht "in ihr Gegenteil" verkehrt werden. Auf das Kriterium der Eintragungsdauer in die Warteliste könne "nicht zurückgegriffen werden".
Die Beigeladene zu 1. hat gegen den Beschluss des Antragsgegners beim hiesigen Gericht am 5. August 2010 Klage (Az: S 65 KA 493/10) erhoben.
Der Antragsteller hat am 18. Oktober 2010 einen Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung gestellt. Er ist der Auffassung, dass ihm ein Anordungsanspruch und ein Anordnungsgrund zustünden. Der Anordungsanspruch ergebe sich aus dem Umstand der Zulassung und der Anordungsgrund aus dem Umstand, dass sich bereits lange Wartezeiten für die brustdiagnostischen Leistungen gebildet hätten, die der Antragsteller nach Erhalt der Zulassung erbringen wolle. Des Weiteren müsse die sofortige Vollziehung selbst dann angeordnet werden, wenn der Beschluss des Antragsgegners rechtswidrig und aufzuheben sei. Dies gelte zumindest für den Fall, dass eine etwaige andere Entscheidung mit dem selben Ergebnis möglich sei.
Er beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die sofortige Vollziehung des Beschlusses des Antragsgegners vom 9. Juni 2010 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt nichts.
Er ist der Auffassung, dass hinsichtlich der Zulassung des Antragstellers eine andere Entscheidung nicht möglich gewesen sei. Es habe keinen Spielraum gegeben. Den Absichtserklärungen des Antragstellers, dass dieser lediglich "den Stab weitergeben wolle", habe er keine Bedeutung beigemessen. Ein Umgehungstatbestand habe sich dem Antragsgegner diesbezüglich nicht aufgedrängt.
Die Beigeladene zu 1. beantragt,
den Antrag des Antragstellers zurückzuweisen.
Sie ist sinngemäß der Auffassung, dass der Antragsteller lediglich als Mittler für eine andere Mitbewerberin dient, die in einem Zulassungsverfahren gegen die Beigeladene zu 1. aufgrund der Auswahlkriterien unterlegen gewesen wäre. Vor dem Hintergrund des Systemwandels, der sich durch die Abschaffung der Altersbegrenzung ergeben habe, seien die Kriterien im Zulassungsverfahren anders zu berücksichtigen. Den Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit käme zumindest eine geringere Bedeutung vor dem Hintergrund des Systemwandels zu.
Die Beigeladene zu 2. trägt mit Schriftsatz vom 17. November 2010 vor, dass im Quartal 2/2010 kurative Mammographien nach der Nummer 34270 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) von 10 zugelassenen Fachärzten für Frauenheilkunde und 15 zugelassenen Radiologen erbracht worden seien. Ermächtigungen seien mangels Versorgungsbedarf nicht erteilt worden.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, insbesondere auf den Inhalt der näher bezeichneten Schriftstücke Bezug genommen.
II.
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Anordnung des sofortigen Vollzuges des Be-schlusses des Berufungsausschusses Niedersachsen für die Zulassung zur vertragsärzt-lichen Tätigkeit vom 9. Juni 2010.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Haupt-sache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschie-bende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Die Maß-stäbe für die Entscheidung über die Anordnung der sofortigen Vollziehung sind dem Ge-setz selbst nicht zu entnehmen. Lediglich das gesetzlich vorgegebene Regel-Ausnahme-Verhältnis ergibt sich aus dem Regelungskontext. Nach § 86 a Abs. 1 Satz 1 SGG hat die Klage eines Konkurrenten - wie hier durch die Beigeladene zu 1. - aufschiebende Wir-kung. Der Zugelassene kann deshalb von seiner Zulassung keinen Gebrauch machen, solange diese angegriffen wird (vgl. BSG SozR 3 - 1500 § 97 Nr. 3 S. 7). Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis kann im Verwaltungsverfahren lediglich im Ausnahmefall, nämlich wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse vorliegt, durchbrochen werden. Der Beru-fungsausschuss kann bei einem überwiegenden öffentlichen Interesse gem. § 97 Abs. 4 SGB V die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung anordnen, was im vorliegenden Fall beantragt war, aber nicht geschehen ist.
Ähnliches gilt für die gerichtliche Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG. Die Ausnahme der sofortigen Vollziehung kann nur angeordnet werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine solche abweichende Entscheidung rechtfertigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.10.2003, Az: 1 BvR 2025/03, Rn. 21, zit. nach [...]). Der Unter-schied zur Verwaltungsentscheidung liegt darin, dass der Berufungsausschuss lediglich im öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung anordnen kann, da § 97 Abs. 4 SGB V gegenüber der allgemeineren Regelung in § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG, die diese Möglichkeit auch bei einem überwiegenden Interesse eines Beteiligten vorsieht, aufgrund der Spezia-lität eine Sperrwirkung entfaltet. Das Gericht hingegen kann die sofortige Vollziehung auch anordnen, wenn die privaten Interessen des Antragstellers gegenüber etwaigen entgegenstehenden Interessen überwiegen. Zu berücksichtigen sind hierbei auch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache.
Nach den vorgenannten Grundsätzen war dem Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der Erfolg zu versagen. Zunächst besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der erteilten Zulassung (dazu 1.). Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind für den Antragsteller schlecht, da die Klage der Beigeladenen zu 1. Aussicht auf Erfolg hat (dazu 2.). Die Interessen des Antragstellers müssen insgesamt dahinter zurückstehen (dazu 3.).
1.
Wie der Antragsgegner richtigerweise festgestellt hat, besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zulassung des Antragstellers. Eine akut sicherzustel-lende Versorgung liegt im Bereich, in dem der Antragsteller tätig werden will, nicht vor. Nach Angaben des Antragstellers möchte er im Bereich der Brustdiagnostik tätig werden. Im Quartal 2/2010 sind ebenso wie im Quartal 1/2010 kurative Mammographien nach der EBM-Nr. 34270 von 10 zugelassenen Fachärzten für Frauenheilkunde und 15 zugelassenen Radiologen erbracht worden. Ermächtigungen sind mangels Versorgungsbedarf nicht erteilt worden. Dies begründet auch zur Überzeugung der Kammer eine ausrei-chende Sicherstellung der Versorgung in diesem Bereich.
2.
Des Weiteren fehlt es bereits an den erforderlichen Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Voraussetzung hierfür wäre gewesen, dass die Klage der Beigeladenen zu 1. keine Aus-sicht auf Erfolg hätte haben dürfen. Nach der im Eilrechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist dies hingegen nicht der Fall. Vielmehr ist die zulässige Kon-kurrentenklage begründet.
Der Beschluss des Antragsgegners vom 9. Juni 2010 ist aufgrund eines Ermessensausfalls und einer fehlerhaften Gewichtung der maßgeblichen Kriterien rechtswidrig. Der Antragsgegner hat zunächst aufgrund des festgestellten Sachverhaltes zu Unrecht eine gebundene Entscheidung angenommen. Er hat zwar in dem angefochtenen Beschluss auf S. 6 selbst erwähnt, dass er nach pflichtgemäßem Ermessen die maßgeblichen Kriterien bei der Bewerberauswahl zu berücksichtigen habe, ist aber dann aufgrund der festgestellten Kriterien zu dem Schluss gekommen, dass er "keine andere Wahl" (ebenfalls S. 6 des Beschlusses, letzter Absatz) hatte bzw., dass die Widersprüche zurückgewiesen "mussten" (S. 7 des Beschlusses).
Eine Gebundenheit der Entscheidung aufgrund einer Ermessensreduktion "auf Null" ist aber bereits nach der Argumentation des Antragsgegners nicht anzunehmen. Der Antragsgegner geht insofern selbst davon aus, dass bezüglich des Kriteriums "berufliche Eignung" kein Unterschied zwischen den Mitbewerbern bestehe.
Bezüglich der Kriterien der Dauer der ärztlichen Tätigkeit und des Approbationsalters geht er zunächst davon aus, dass eine erhebliche Gewichtung zu Gunsten des Antragstellers vorliege. Diesbezüglich hat der Antragsgegner die im Widerspruchsverfahren vorgetragene Argumentation (vgl. hierzu: LSG Hamburg, Beschl. v. 26.2.2009, Az: L 2 B 7/09 ER KA), dass die beiden Kriterien der Dauer der ärztlichen Tätigkeit und des Approbationsalters vor dem Hintergrund des Wegfalles der Altersbegrenzung ab einer Dauer bzw. einem Alter von ca. 10 Jahren kein geeignetes Abgrenzungskriterium mehr darstellten, nicht hinreichend berücksichtigt. Die geäußerte Ansicht, dass "die derzeit geltenden untergesetzlichen Vorgaben" nicht "in ihr Gegenteil" verkehrt werden dürften, bringt keine Einschätzung des Antragsgegners zum Ausdruck. Eine Verkehrung in das Gegenteil liegt nämlich nicht vor, wenn den beiden Kriterien eine zumindest verringerte Gewichtungseigenschaft ab einer jeweiligen Größe von 10 Jahren eingeräumt wird. Dass der Antragsgegner diese Verringerung der Gewichtungseigenschaft in Gänze ablehnt, bringt er nicht hinreichend zum Ausdruck. Vielmehr scheint er sogar eine solche zu unterstellen. ("Aber selbst wenn man ab einer bestimmten Dauer der ärztlichen Tätigkeit bzw. einer bestimmten Höhe des Approbationsalters im Rahmen der nach pflichtgemäßem Ermessen durchzuführenden Bewertung zu dem Ergebnis kommt, dass kein mehr ins Gewicht fallender Unterschied zwischen dem Verfahrensbeteiligten, Dr. Berndt, und den Widerspruchsführerinnen besteht, so bedeutet dies noch nicht, dass die Bewerberauswahl zugunsten der Widerspruchsführerin zu 1. oder der Widerspruchsführerin zu 2. ausfällt.") Bestünde aber kein Unterschied bei diesen beiden Kriterien, so käme dem letzten Kriterium der Dauer der Eintragung in die Warteliste entscheidendes Gewicht zu. Diesem Kriterium hat der Antragsgegner in seinem Beschluss aber ohne nähere Begründung kein Gewicht zugemessen ("kann nicht zurückgegriffen werden").
Im Verfahren selbst hat der Antragsgegner vorgetragen, dass er in dem angefochtenen Beschluss hinreichend zum Ausdruck gebracht habe, dass er dem Kriterium der Eintragung in die Warteliste gegenüber den Kriterien des Approbationsalters und der Dauer der ärztlichen Tätigkeit keine "durchschlagende" Bedeutung habe zukommen lassen, da sich die Bewerber erst in Erwartung der partiellen Entsperrung in die Warteliste haben eintragen lassen. Eine solche Gewichtung ist zwar aufgrund des Beurteilungsspielraumes zulässig, geht allerdings nicht aus dem angefochtenen Beschluss hervor. Dem Beschluss ist nicht zu entnehmen, in welchem Maße sich das Gewicht aufgrund des Umstandes der Erwartung der bevorstehenden Entsperrung seitens der Beigeladenen zu 1. geändert hat. Auch eine Gewichtung gegenüber den anderen Kriterien wird nicht vorgenommen. Die Kammer weist daraufhin, dass die Erwartung der Entsperrung dem Kriterium der Eintragungsdauer nicht jegliches Gewicht nehmen kann. Damit wäre der Beurteilungsspielraum überschritten.
Aus der Stellungnahme des Antragsgegners vom 2. Februar 2011 wird des Weiteren deutlich, dass der Antragsgegner seinen Beurteilungsspielraum bezüglich der Einschätzung und Gewichtung der Kriterien Approbationsalter und Dauer der ärztlichen Tätigkeit verkannt hat. Soweit der Antragsgegner nämlich davon ausgeht, dass ihm kein Spielraum zustünde, übersieht er bereits, dass ihm doch ein solcher "Spielraum", nämlich ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Kammer schließt sich insofern der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Hamburg (Beschl. v. 26.2.2009, Az: L 2 B 7/09 ER KA, unveröffentlicht) und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 12.5.2010, Az: L 11 KA 9/10 B ER, Rn. 78, zit. nach [...]) an, dass nämlich die Kriterien des Approbationsalters und der Dauer der ärztlichen Tätigkeit ab einer gewissen Dauer auch zu Lasten des jeweiligen Antragstellers gewichtet werden können (sog. Ambivalenz der Kriterien). Dies hat der Antragsgegner vorliegend verkannt. Er geht insofern davon aus, dass es nicht zulässig sei, "die untergesetzlichen Vorgaben in ihr Gegenteil zu verkehren". Dies wäre im Ergebnis für das konkrete Verfahren aber der Fall. Eine solche Verkehrung ist - und dies wird der Antragsgegner bei einer erneuten Entscheidung zu berücksichtigen haben - grundsätzlich möglich, da sich aus § 23 Abs. 3 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Bedarfsplanung sowie die Maßstäbe zur Feststellung von Überversorgung und Unterversorgung in der vertragsärztlichen Versorgung (Bedarfsplanungs-Richtlinie) bereits die Art der Berücksichtigung, nämlich Dauer oder Kürze, selbst nicht ergibt. Grundsätzlich sollte den erfahreneren Ärzten bzw. Leistungserbringern der Vorrang eingeräumt werden. Doch dieser Grundsatz wurde ursprünglich vor dem Hintergrund eines linearen beruflichen Werdeganges bis zum 68. Lebensjahr geschaffen. Dass jemand eine Zulassung jenseits eines Alters von 68 Jahren bekommen könnte, war zum damaligen Zeitpunkt nicht bedacht. Vor dem Hintergrund dieses Systemwandels sind die Kriterien Approbationszeitpunkt und Dauer der ärztlichen Tätigkeit anders als zuvor zu beurteilen und zu gewichten. Die Altersgrenze von 68 Jahren ist nämlich vom Gesetzgeber zunächst abgeschafft worden, um - was hier aber gerade nicht der Fall ist - eine Unterversorgung vor allen Dingen in ländlichen Gebieten zu vermeiden (vgl. hierzu und im Folgenden: Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/10609, S. 55 f.). Erst aufgrund der Erfahrung mit den über das 68. Lebensjahr hinaus praktizierenden Ärzten wurde die Altersbegrenzung gänzlich abgeschafft. Den Vertragsärzten sollte mehr Planungssicherheit und Gestaltungsspielraum bei der Nachbesetzung ihres Vertragsarztsitzes verschafft werden. Des Weiteren sollten Versorgungsprobleme vermieden werden. Diese Ziele sind im vorliegenden Fall nicht von Belang. Der Antragsteller hatte seine Zulassung bereits im Alter von 64 Jahren zurückgegeben und Versorgungsprobleme bestehen insoweit nicht, als andere Ärzte auch zur Verfügung standen. Die vormalige Altersbegrenzung war im Übrigen in Bezug auf den Schutz jüngerer Ärzte und Leistungserbringer nicht zu beanstanden (vgl. hierzu zuletzt: BSG, Beschl. v. 18.8.2010, Az: B 6 KA 18/10 B). Im Lichte dieser Rechtsentwicklung kommt Vertragsärzten ab dem Alter von 68 Jahren im Rahmen einer beantragten Zulassung in der Regel ein geringerer grundrechtlicher Schutz im Hinblick auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit zu. Der Antragsteller hat diese Altersgrenze überschritten. Im konkreten Fall ist auch eine Beeinträchtigung seiner Grundrechte nicht glaubhaft gemacht. Laut seinen eigenen Angaben gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ vom 28.12.2010, S. 14) betreibt der Antragsteller seinen Beruf ohne wirtschaftliche Zwänge, sozusagen als "Hobby". Diese Aspekte hat der Antragsgegner nicht in seine Beurteilung und Gewichtung mit eingestellt.
Verschärft wird die Problematik der Kriteriumsgewichtungsänderung aufgrund des Systemwandels durch die Gefahr von Missbrauch, die hier ebenfalls im Raume steht. Nach der Argumentation der Prozessbevollmächtigten der anderen Widerspruchsführerin aus dem Schriftsatz vom 19. Mai 2010, S. 8, hat der Antragsteller vor dem Zulassungsausschuss vorgetragen, dass er lediglich "den Stab" an die Kollegin Frau G. "übergeben" wolle. Er dient nach seinen eigenen Angaben als "zulassungsrechtlicher Strohmann". Diesbezüglich hat der Antragsgegner im Verfahren eingeräumt, dass er diesem Umstand kein Gewicht beigemessen habe. Wenn aber die Eigenschaften des Antragstellers in Form des Approbationsalters und der Dauer der ärztlichen Tätigkeit nur stellvertretenderweise für eine andere Bewerberin in das Zulassungsverfahren eingebracht wurden, so kann Ihnen nicht das selbe Gewicht zukommen, als wenn der Antragsteller die Zulassung für sich begehrte.
Soweit der Antragsgegner im hiesigen Verfahren vorgetragen hat, dass er zumindest indirekt auf diese Problematik Bezug genommen habe, indem er auf die rechtlichen Möglichkeiten der Praxisnachfolge (Verzicht zu Gunsten einer Anstellung und Job-Sharing) verwiesen habe, fehlt es dennoch an einer Beurteilung und Gewichtung der vorgenannten Aspekte.
Aus den obigen Gründen kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Antragsgegner unter Berücksichtigung der Auffassung des Gerichts zu einer anderen Entscheidung gelangen kann. Demnach sind die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren für die Beigeladene zu 1. gut und für den Antragsteller schlecht. An der Vollziehung eines rechtswidrigen Beschlusses kann grundsätzlich kein überwiegendes Interesse angenommen werden.
3.
Auch ausnahmsweise aufgrund etwaiger überwiegender privater Interessen kann kein überwiegendes Interesse des Antragstellers angenommen werden. Zu berücksichtigen ist zwar, dass der Antragsteller aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und der voraus-sichtlichen Dauer des Hauptsacheverfahrens, welche die Kammer zu verkürzen gedenkt, der Gefahr unterliegt, von der ihm zugesprochenen Zulassung keinen Gebrauch machen zu können. Die Folgen der zurückweisenden Entscheidung stellen aber nach den Fest-stellungen der Kammer keine übermäßige Härte für den Antragsteller dar. Zu berücksich-tigen war diesbezüglich, dass Grundrechte allenfalls peripher tangiert sind, da der An-tragsteller die hier in Streit stehende Tätigkeit nach seinen eigenen Angaben gegenüber der HAZ (a.a.O.) "ohne wirtschaftliche Zwänge als Hobby" ausüben möchte.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.