Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 23.11.2006, Az.: 5 A 88/06
Erledigung eines ausländerrechtlichen Titels durch eine Einbürgerung nur für die Zeit ab Einbürgerung; Aufleben des ausländerrechtlichen Titels nach Rücknahme einer Einbürgerung ex-tunc; Erforderlichkeit einer gesonderten Rücknahme des Aufenthaltstitels; Feststellung der Fortgeltung einer Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 23.11.2006
- Aktenzeichen
- 5 A 88/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 48760
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:2006:1123.5A88.06.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 30.09.2009 - AZ: 12 LC 77/07
- BVerwG - 19.04.2011 - AZ: BVerwG 1 C 2.10
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 2 VwVfG
- § 48 VwVfG
- § 17 StAG
- § 38 AufenthG
- § 101 Abs. 1 S. 1 AufenthG
Fundstelle
- InfAuslR 2007, 157-159 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein ausländerrechtlicher Titel erledigt sich durch eine Einbürgerung nur für die Zeit ab Einbürgerung.
- 2.
Nach Rücknahme einer Einbürgerung ex-tunc lebt dieser ausländerrechtliche Titel wieder auf.
- 3.
Eine gesonderte Rücknahme des Aufenthaltstitels ist erforderlich.
Tenor:
Es wird festgestellt, dass die dem Kläger am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung seit Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - am 19. Oktober 2004 wieder auflebt und seit dem 1. Januar 2005 als Niederlassungserlaubnis fortgilt.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann eine vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung der Fortgeltung einer Aufenthaltsberechtigung als Niederlassungserlaubnis.
Er wurde am 01. Januar 1959 in Islamabad/Pakistan als pakistanischer Staatsangehöriger geboren und hat angegeben, islamischen Glaubens zu sein.
Im November 1977 reiste er erstmals nach Deutschland und meldete sich als asylsuchend. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid vom 29. November 1979 abgelehnt. Dieser Bescheid wurde mit Verfahrensabschluss beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin im Februar 1982 bestandskräftig. Der Kläger reiste nach Aktenlage im März 1982 wieder nach Pakistan zurück. Wie sich nachfolgend herausstellte, heiratete der Kläger (nach islamischen Ritus) am 6. August 1982 in Pakistan die 1963 geborene F.. Im November 1985 reiste der Kläger erneut nach Deutschland ein und stellte einen Asylfolgeantrag, in dem er sich als ledig bezeichnete. Der Folgeantrag wurde im Dezember 1985 vom Beklagten als unbeachtlich gewertet. Der Bescheid wurde nach Rücknahme der dagegen gerichteten Klage im Februar 1986 bestandskräftig. Im Juni 1986 beantragte der Kläger beim Standesamt in Helmstedt die Bestellung eines Aufgebots zur Eheschließung mit der deutschen Staatsangehörigen G.. Der zuständige Standesbeamte lehnte die Eheschließung wegen des Verdachts auf eine Scheinehe ab. Der Kläger reiste daraufhin im Juli 1986 nach Pakistan aus.
Im September 1986 beantragte er die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Er gab dabei an, seit dem 27. August 1986 mit Frau H. verheiratet zu sein. Die Eheschließung sei durch einen Mitarbeiter der "orthodoxen Kirche von Pakistan in I." erfolgt. Nach dem Vermerk auf dem Stempel der Deutschen Botschaft zur Legalisation dieser Urkunde sollen die "Eheleute" der Botschaft einige Tage zuvor eine Heiratsurkunde über eine vor einem Mullah geschlossene Ehe vorgelegt haben. Der Kläger erhielt zum Zweck der Führung der ehelichen Lebensgemeinschaft im November 1986 eine zunächst befristete Aufenthaltserlaubnis. Nach den Angaben von Frau J. im Scheidungsverfahren trennte sie sich Ende Juli 1989 vom Kläger und zog aus der Ehewohnung aus. Auf seinen Antrag vom 21. August 1989 erhielt der Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Die "vor der Orthodoxen Kirche von Pakistan geschlossene Ehe" zwischen dem Kläger und Frau J. wurde mit Urteil vom Juni 1991, rechtskräftig seit dem 23. Juli 1991, "geschieden"
Nach einem von ihm vorgelegten "Trauschein" heiratete der Kläger im Juli 1994 in Dänemark die deutsche Staatsangehörige K. und stellte einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltsberechtigung. Diese wurde ihm dann am 19. September 1994 erteilt. Aus der Verbindung mit L. ging im August 1995 das Kind M. hervor.
Im April 1995 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Er wurde im Mai 1995 von dem Beklagten darauf hingewiesen, dass er die für eine Einbürgerung gemäß § 86 AuslG a. F. erforderlichen 15 Jahre Aufenthaltsdauer in Deutschland noch nicht erreicht habe und frühestens im Folgejahr nach § 8 bzw. § 9 RuStAG eingebürgert werden könne. Er erklärte sich damit einverstanden, dass sein Antrag bis dahin ruhte. Das Antragsverfahren wurde dementsprechend im Oktober 1996 von dem Beklagten wieder aufgenommen und die Akten im April 1997 an die damals insoweit noch zuständige Bezirksregierung Braunschweig weitergeleitet. Ende Mai 1997 erhielt der Kläger von der Bezirksregierung Braunschweig eine Einbürgerungszusicherung. Er stellte damit einen Antrag auf Entlassung aus der pakistanischen Staatsangehörigkeit. Danach wurde er im Oktober 1997 aus der pakistanischen Staatsangehörigkeit entlassen und am 12. Januar 1998 in Deutschland eingebürgert. Im Januar 1999 trennte er sich von Frau L.. Die "Ehe" wurde im Oktober 2000 geschieden.
Im Januar 2001 stellte Frau N. in Pakistan mit den Kindern O., P. Q. und R. einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung in Form des Visums zum Zweck der "Familienzusammenführung" zum Ehemann bzw. Vater, dem Kläger. Nach Überprüfung kam der Vertrauensanwalt der deutschen Botschaft in Pakistan zu dem Ergebnis, dass die o.a. vermeintliche Heiratsurkunde der orthodoxen Kirche von Pakistan in I. eine Fälschung sei; eine entsprechende Kirche gebe es in Pakistan nicht. Die vorgelegten Geburtsurkunden der "Kinder" des Klägers seien aus den unterschiedlichen Gründen ungültig. Gültig sei hingegen die nach islamischen Recht erfolgte Eheschließung mit Frau F.. Daraufhin nahm der Beklagte mit Bescheid vom 13. November 2001 die Einbürgerung des Klägers wegen arglistiger Täuschung über die Einbürgerungsvoraussetzungen mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und forderte den Kläger zur Rückgabe der Einbürgerungsurkunde binnen zwei Wochen nach "Rechtskraft" des Bescheides auf. Die aufgrund der "Eheschließung" mit einer Deutschen nach §§ 8, 9 RuStAG erfolgte Einbürgerung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen, da es sich um eine Nicht- bzw. Doppelehe gehandelt und der Kläger sich damit jedenfalls nicht - wie für eine Einbürgerung erforderlich - in die deutschen Lebensverhältnisse eingeordnet habe. Die Bezirksregierung Braunschweig wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2003 zurück. Mit Schreiben vom 11. Juli 2003 verwies die Bezirksregierung Braunschweig den Beklagten ergänzend auf die Prüfung, ob die dem Kläger erteilten Aufenthaltsgenehmigungen aufzuheben sind. Durch Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - wurde die Klage gegen die Rücknahme der Einbürgerung abgewiesen. Der hiergegen eingelegte Antrag auf Zulassung der Berufung wurde durch Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2004 - 13 LA 58/04 - abgelehnt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig ist seit dem 19. Oktober 2004 rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 8. November 2004 beantragte der Kläger bei dem Beklagten, ihn mit einer Aufenthaltsberechtigung zu versehen. Zur Begründung führte er aus, dass die vormals erteilte Aufenthaltsberechtigung wieder auflebe, nachdem er die deutsche Staatsangehörigkeit nicht mehr besitze. Daneben stellte der Kläger am 29. November 2004 einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und einen Antrag auf Erteilung eines Reiseausweises. Dieser Reiseausweis für Staatenlose wurde ihm am 29. November 2004 befristet bis zum 28. November 2006 ausgestellt. Durch Schreiben vom 2. Januar 2006 teilte die Botschaft der Islamischen Republik Pakistan in Berlin u.a. mit, dass die pakistanische Staatsangehörigkeit nicht wieder erworben werden könne. Am 19. Januar 2006 erteilte der Beklagte dem Kläger aufgrund der bestehenden familiären Bindungen zu seinem minderjährigen deutschen Kind S. gemäß § 28 Abs.1 Nr. 3 AufenthG eine bis zum 18. Januar 2008 befristete Aufenthaltserlaubnis. Durch Bescheid vom 8. März 2006 lehnte der Beklagte die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung (jetzt: Niederlassungserlaubnis) ab. Zur Begründung führte er mit Verweis auf die Begründung im Urteil des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - aus, dass sich die im September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung durch die im Januar 1998 ausgesprochene Einbürgerung im Sinne des § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt habe und nach Sinn und Zweck dieser Bestimmung nicht mit der Rücknahme der Einbürgerung wieder auflebe. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer (neuen) Niederlassungserlaubnis lägen nicht vor. Dieses ergebe sich schon daraus, dass der Kläger bereits seit längerer Zeit nicht mehr erwerbstätig sei und aktuell Leistungen nach dem SGB II beziehe.
Hiergegen hat der Kläger am 29. März 2006 Klage erhoben. Er vertritt weiterhin die Auffassung, dass mit der ex tunc wirkenden Rücknahme der Einbürgerung die mit der Einbürgerung erloschene Aufenthaltsberechtigung wieder auflebe und nunmehr als Niederlassungserlaubnis fortgelte.
Der Kläger beantragt,
1.) festzustellen, dass die dem Kläger am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung nunmehr als Niederlassungserlaubnis fortgilt, nachdem die am 12. Januar 1998 erworbene Einbürgerung durch Bescheid des Beklagten vom 13. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 11. Juli 2003 mit Wirkung für die Vergangenheit bestandskräftig zurückgenommen wurde,
2.) hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. März 2006 zu verpflichten, dem Kläger eine (neue) Niederlassungserlaubnis zu erteilen,
3.) höchst hilfsweise, den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 8. März 2006 zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Erteilung einer (neuen) Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und vertieft diese.
Beide Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Bezüglich der Einzelheiten des Verfahrens über die Rücknahme der Einbürgerung wird auf die Gerichtsakte des Verfahrens 5 A 308/03 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, weil die Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ihr Einverständnis mit dieser Entscheidungsform erklärt haben, ist zulässig und begründet.
Die Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Feststellungsklage sind gegeben. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das berechtigte Interesse des Klägers an der Feststellung der Fortgeltung seines Aufenthaltstitels liegt auf der Hand, sodass nähere Ausführungen hierzu entbehrlich sind. Auch liegt die Zulässigkeitsvoraussetzung des § 43 Abs. 2 VwGO vor, weil der Kläger seine Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können.
Die Klage ist auch begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf die Feststellung, dass die am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung nach Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - über die Rücknahme der Einbürgerung wieder bestand. Aufgrund der Vorschrift des § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG gilt sie nunmehr als Niederlassungserlaubnis weiter.
Die am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung ist durch die Einbürgerung am 12. Januar 1998 nur für den Zeitraum erloschen, in dem der Kläger (formell) eingebürgert war.
Die Frage, ob frühere ausländerrechtliche Aufenthaltstitel dauerhaft erlöschen, wenn ein Ausländer eingebürgert worden ist, oder ob sie im Falle der Rücknahme dieser Einbürgerung wieder aufleben, ist in der Rechtsprechung nicht geklärt. Es liegt - soweit auch nach Recherche im Internet ersichtlich -, keine Entscheidung vor, in der tragend auf diese Problematik abgestellt wurde.
Das OVG Hamburg sprach sich im Beschluss vom 28. August 2001 - 3 Bs 102/01 (InfAuslR 2002, 81, 85) gegen ein Wiederaufleben des früheren Aufenthaltstitel aus. Es vertritt die Auffassung, dass sich der Aufenthaltstitel durch die Einbürgerung gemäß § 43 Abs. 2 VwVfG erledigt habe, weil ein Deutscher keinen ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel benötige. Ein Wiederaufleben nach Rücknahme der Einbürgerung komme nicht in Betracht. Das OVG Hamburg gab dabei zu bedenken, ob es sachgerecht sei, das Wiederaufleben des vor der Einbürgerung bestehenden ausländerrechtlichen Status davon abhängen zu lassen, ob eine Einbürgerung mit Wirkung ex tunc oder ex nunc zurückgenommen wird. Dabei ging es von der Annahme aus, dass bei einer Rücknahme ex tunc, die Zeit des rechtswidrigen Besitzes der erschlichenen deutschen Staatsangehörigkeit dem Kläger als (formell) rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Ausländerrechts angerechnet werden müsste, wenn die (fiktiv) von Anfang an bestehende Unwirksamkeit der Einbürgerung zum Aufleben und der Weitergeltung der (eigentlich) erloschenen Aufenthaltsgenehmigung führen würde. Dabei setzte sich das OVG Hamburg mit der auf beamtenrechtlichen Vorschriften beruhenden Entscheidung des VGH Kassel (Urt. v. 23. August 1995 - 1 UE 2433/91 - NVwZ-RR 1996, 340) auseinander, das in einem Fall, in dem ein Richter auf Probe zum Staatsanwalt unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ernannt worden war und letztere Ernennung mit ex-tunc-Wirkung zurückgenommen wurde, entschieden hat, dass der frühere beamtenrechtliche Status wieder auflebe, und dazu ausgeführt hat, dass je nach Fallgruppe der die Rücknahme begründende Sachverhalt häufig ausreichen werde, den verbliebenen "Rechtsstatus" im förmlichen Disziplinarverfahren bzw. bei Rückfall in das Probebeamtenverhältnis durch Entlassung zu beseitigen. Das OVG Hamburg war der Auffassung, dass diese Rechtsprechung nicht auf die vorliegende Problematik übertragbar sei. Im Ergebnis entschied das OVG Hamburg (aaO., siehe S. 86) aber nicht über diese Problematik, sondern ließ diese Frage ausdrücklich offen, weil im dortigen Fall durch eine zusätzliche Rücknahmeentscheidung sämtliche Aufenthaltstitel erloschen waren.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig führte im Urteil vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - im Rahmen der Überprüfung der Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung unter Bezugnahme auf den Beschluss des OVG Hamburg vom 28. August 2001 (aaO.) aus, dass die Aufenthaltsberechtigung sich mit der Einbürgerung erledigt habe und nicht wieder auflebe (Nr. 6.3.1.2 der Entscheidungsgründe). Aber auch das Verwaltungsgericht Braunschweig traf hierzu keine abschließende Entscheidung (vgl. Einführungssatz unter Nr. 6.3.1.3 der Entscheidungsgründe). Vielmehr wies das Gericht unter Nr. 6.3.1.3 der Entscheidungsgründe auf das Schreiben der Bezirksregierung Braunschweig an den Beklagten vom 11. Juli 2003 hin, wonach dieser zu prüfen habe, ob die dem Kläger erteilten Aufenthaltsgenehmigungen aufzuheben sind.
Marx (in GK-StAR, IV-2 § 17 Rn. 35.4) vertritt dagegen die Auffassung, dass mit unanfechtbarer Feststellung der rückwirkenden Rücknahme der Einbürgerung aufenthaltsrechtlich wieder an den im Zeitpunkt des formellen einbürgerungsrechtlichen Verleihungsaktes bestehenden aufenthaltsrechtlichen Status anzuknüpfen sei. Die Zeit als "Deutscher" müsse nachträglich im ausländerrechtlichen Sinne als rechtmäßiger Aufenthalt angesehen werden.
Das erkennende Gericht ist der Auffassung, dass die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, durch den dem Kläger die Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, für die Vergangenheit nicht entfallen ist. Nach § 43 Abs. 2 VwVfG bleibt ein Verwaltungsakt wirksam bis er erledigt ist. Diese Erledigung ist mit der Einbürgerung am 12. Januar 1998 eingetreten, denn ab diesem Zeitpunkt benötigte der nunmehr Deutsche keinen ausländerrechtlichen Aufenthaltstitel mehr (so argumentiert zu Recht auch das OVG Hamburg, aaO. S. 85). Allerdings gilt diese Erledigung nur für den Zeitraum, in dem der Kläger als "Deutscher" zu behandeln war, was auch für den Zeitraum gilt, in dem bei einer Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung von Widerspruch bzw. Klage bestand. Mit unanfechtbarer Entscheidung über die rückwirkenden Wirkung der Rücknahme der Einbürgerung wird deshalb aufenthaltsrechtlich wieder an den im Zeitpunkt des formellen einbürgerungsrechtlichen Verleihungsaktes bestehenden aufenthaltsrechtlichen Status angeknüpft (vgl. Marx in GK-StAR, IV-2 § 17 Rn. 35.4).
Die Bedenken des OVG Hamburg (aaO.) dagegen teilt das erkennende Gericht nicht. Das OVG nimmt aus Sicht des erkennenden Gerichts zu Unrecht an, dass bei einer Rücknahme ex tunc, die Zeit des rechtswidrigen Besitzes der erschlichenen deutschen Staatsangehörigkeit dem Kläger als (formell) rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne des Ausländerrechts angerechnet werden müsste, wenn die (fiktiv) von Anfang an bestehende Unwirksamkeit der Einbürgerung zum Aufleben und der Weitergeltung der (eigentlich) erloschenen Aufenthaltsgenehmigung führen würde (im Sinne des OVG Hamburg auch Marx, aaO., der meint, eine Unterbrechung der Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes im ausländerrechtlichen Sinne sei nicht eingetreten). Diese Konsequenz, dass der Aufenthalt des Klägers während der Dauer der formell bestandenen deutschen Staatsangehörigkeit bei ex tunc Rücknahme der Einbürgerung als im Sinne des Ausländerrecht rechtmäßiger Aufenthalt anzusehen ist, ist nicht zwingend.
Zur Frage, ob die Aufenthaltsdauer als "Deutscher" bei zurückgenommener Einbürgerung als rechtmäßiger Aufenthalt eines Ausländers evtl. für ein erneutes Einbürgerungsverfahren anzusehen ist, gab es bis zum 31.12.2004 keine konkrete Regelung (vgl. Renner, AuslR, Kommentar, 8. Aufl. 2005, § 38 Rn. 2). Den diesbezüglichen Überlegungen des OVG Hamburg (aaO.) kann jedoch nunmehr auch die Neuregelung des § 38 AufenthG entgegengehalten werden. Danach werden unter bestimmten Umständen Zeiten des gewöhnlichen Aufenthaltes als Deutscher im Bundesgebiet solchen eines rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalts als Ausländer im Bundesgebiet gleichgestellt. Diese Regelung gilt jedoch nur für "ehemalige Deutsche" und bei "Verlust" der deutschen Staatsangehörigkeit. Dieses bedeutet, dass die deutsche Staatsangehörigkeit für einen bestimmten Zeitraum bestanden haben muss und für die Zukunft entfallen ist. Soweit es um den Begriff des "Verlustes" geht, kann auf § 17 StAG zurückgegriffen werden (vgl. auch Renner, aaO., Rn. 3). Alle dort genannten Fälle sind jedoch zukunftsorientiert und betreffen gerade nicht den Fall, dass eine Einbürgerung mit ex-tunc-Wirkung zurückgenommen worden ist. Zur Frage, ob die Rücknahme einer Einbürgerung mit ex-nunc-Wirkung, die in § 17 StAG nicht erwähnt wird, vom Anwendungsbereich des § 38 AufenthG erfasst wird, bedarf es im vorliegenden Fall keiner Entscheidung.
Es gibt auch keine sonstigen Gründe dafür, den erteilten Aufenthaltstitel für die Vergangenheit, d.h. die Zeit vor der Einbürgerung, als nicht rechtswirksam anzusehen. Dieser Verwaltungsakt ist bezogen auf die Vergangenheit weiterhin die Rechtsgrundlage dafür, den Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Einbürgerung als rechtmäßig anzusehen.
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass bei einem Unwirksamwerden aller bisher erteilten Aufenthaltstitel durch eine Einbürgerung im Falle der Rücknahme dieser Einbürgerung in jedem Fall keine Aufenthaltstitel mehr bestehen würden. Dieses würde ohne Unterschied auch für die Fälle gelten, in denen gegen die Rechtmäßigkeit dieser Aufenthaltstitel nichts einzuwenden wäre, d.h. das vorwerfbare Verhalten sich auf das Einbürgerungsverfahren beschränken würde. Das spricht dafür, ein dauerhaftes Erlöschen früherer Aufenthaltstitel abzulehnen, um somit bezüglich dieser Aufenthaltstitel differenziert nach § 48 VwVfG vorgehen zu können. In diesem Sinne hat auch der VGH Kassel (Urt. v. 23. August 1995 - 1 UE 2433/91 - NVwZ-RR 1996, 340) in dem Fall entschieden, in dem ein Richter auf Probe zum Staatsanwalt unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ernannt worden war und letztere Ernennung mit ex-tunc-Wirkung zurückgenommen wurde, und dazu ausgeführt, dass je nach Fallgruppe der die Rücknahme begründende Sachverhalt häufig ausreichen werde, den verbliebenen "Rechtsstatus" im förmlichen Disziplinarverfahren bzw. bei Rückfall in das Probebeamtenverhältnis durch Entlassung zu beseitigen.
Deshalb ist neben der Rücknahme der Einbürgerung auch die Rücknahme der zuvor erteilten Aufenthaltstitel notwendig, wenn auch diese Aufenthaltstitel rechtswidrig erteilt wurden.
Wenn mit der Entscheidung über die Rücknahme der Einbürgerung auch die Rücknahme der Aufenthaltstitel erfolgt, könnte im Übrigen der vom VGH Kassel angesprochenen Auswirkung begegnet werden, dass die Zeit als "Deutscher" in einem evtl. neuen Einbürgerungsverfahren berücksichtigt werden müsste.
Da die dem Kläger am 19. September 1994 erteilte Aufenthaltsberechtigung bisher nicht zurückgenommen wurde, ist sie seit Rechtskraft des Urteils des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 4. November 2003 - 5 A 308/03 - mit Absendung des Beschlusses des Nds. Oberverwaltungsgerichts vom 14. Oktober 2004 - 13 LA 58/04 - am 19. Oktober 2004 (vgl. zur Rechtskraft § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO und Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Loseblattkommentar § 124a Rn. 143) wieder wirksam und gilt seit dem 1. Januar 2005 gemäß § 101 Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Niederlassungserlaubnis.
Dem Feststellungsantrag ist deshalb schon bezüglich des Hauptantrages stattzugeben, sodass auf die Hilfsanträge nicht mehr einzugehen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird gemäß § 124 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nr. 8.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.