Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 28.08.2003, Az.: 6 B 1091/03

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
28.08.2003
Aktenzeichen
6 B 1091/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 40828
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2003:0828.6B1091.03.0A

Amtlicher Leitsatz

Red Rice Kapseln sind kein Lebensmittel bzw. Nahrungsergänzungsmittel, sondern ein zulassungspflichtiges Arzneimittel.

Gründe

1

Aus dem Entscheidungstext:

2

Der Antrag hat keinen Erfolg.

3

Die Vollzugsanordnung in dem Untersagungsbescheid der Antragsgegnerin ist weder formell noch materiell - rechtlich zu beanstanden.

4

Ein Verstoß gegen die in § 80 Abs. 3 VwGO normierte Begründungspflicht für die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist nicht gegeben.

5

Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen der Anordnung der sofortigen Vollziehung im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Zweck dieses Begründungserfordernisses ist es, die Behörde zu einer sorgfältigen Prüfung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes im Bewusstsein des Ausnahmecharakters der den Wegfall der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs nach § 80 Abs. 1 VwGO bewirkenden Vollziehungsanordnung anzuhalten, dem Betroffenen die Kenntnis der für die Vollziehungsanordnung maßgeblichen Gründe zu vermitteln und ihm so die Rechtsverteidigung zu ermöglichen und die Grundlage für eine ordnungsgemäße gerichtliche Kontrolle dahin zu bieten, ob das die Vollziehungsanordnung rechtfertigende besondere Interesse auch vorliegt. Aus der Begründung muss mithin nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes Vorrang vor dem Aufschubinteresse des Betroffenen einräumt. Demgemäß genügen pauschale, nichtssagende formelhafte Wendungen dem Begründungserfordernis nicht (Nds. OVG, Beschluss vom Beschluss vom 19.03.2002 -11 MB102/02 -). Allerdings kann sich die Behörde auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden Erwägungen stützen und darauf Bezug nehmen, wenn - wie es unter dem Gesichtspunkt der Gefahrenabwehr der Fall sein kann - die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden Gründe zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung ergeben (vgl. hierzu Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 80 Rdnr. 176 ff.; Eyermann/Schmidt, VwGO, 11. Aufl., § 80 Rdnr. 42 f.; Finkelnburg/Jank, Vorl. Rechtsschutz in Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 1998, Rdnr. 752 ff.).

6

Dem entscheidenden Gericht obliegt allerdings keine auf die Überlegungen der Behörde beschränkte Prüfung der Berechtigung des Sofortvollzugs, vielmehr trifft es eine in Würdigung aller einschlägigen Gesichtspunkte eigene Ermessensentscheidung (vgl. hierzu OVG NW, Beschluss vom 5. Juli 1994 - 18 B 1171/94 - in NWVBl. 1994, 424, 425 m. w. N.). Die Erfordernisse des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO haben hiernach für die gerichtliche Entscheidung vorwiegend die Bedeutung, der Behörde den Ausnahmecharakter des Sofortvollzugs vor Augen zu führen. Ist dies hinreichend erkennbar, kommt es für die Frage der ordnungsgemäßen Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht bereits darauf an, ob die Annahme eines Überwiegens des sofortigen Vollzugsinteresses aus den angegebenen Gründen bereits voll zu überzeugen vermag (OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 1998, Az: 4 B 134/97, zitiert nach juris).

7

Die an diesen Maßstäben zu messende gesonderte Begründung des Sofortvollzuges im Untersagungsbescheid vom 19. Dezember 2002 lässt erkennen, dass die Antragsgegnerin sich mit der Frage der sofortigen Vollziehung auseinandergesetzt und bei ihrer Entscheidung ein Ermessen ausgeübt hat.

8

Die Antragsgegnerin hat in dem Bescheid dargelegt, dass sie die sofortige Vollziehung Ihrer Untersagungsverfügung allein deshalb angeordnet hat, weil die Antragstellerin ein zulassungspflichtiges Arzneimittel in den Verkehr gebracht hat, ohne im Besitz der erforderlichen Zulassung zu sein. Sie hat dies im Hinblick auf den mit der Zulassungspflicht bezweckten Verbraucherschutz und mit generalpräventiven Erwägungen begründet. Zudem hat sie auch eine Abwägung mit den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin vorgenommen. Damit genügt diese Begründung in vollem Umfang den formellen Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, die die Behörde vor allem dazu veranlassen soll, mit besonderer Sorgfalt die Anordnung der sofortigen Vollziehung zu prüfen, und auf den Ausnahmecharakter der Anordnung hinweisen soll (Hessischer VGH, Beschluss vom 14. Februar 1996, Az: 11 TG 1144/95 - zitiert nach juris).

9

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist hier auch sachlich gerechtfertigt.

10

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bedarf es für die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht des konkreten Nachweises der gesundheitsschädlichen Wirkung des Produkts (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2000, 9 S 188/00, LMuR 2001, 92-95, zitiert nach juris).

11

Es ist zwar zutreffend, dass das "Interesse" an der sofortigen Vollziehung im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ein besonderes Interesse sein muss, das über das Interesse am Vollzug des Verwaltungsaktes hinausgeht (Kopp, VwGO, Kommentar, 13. Aufl.,§ 80 Rdnr. 90 ff.), es sei denn, dass ausnahmsweise das allgemeine Vollzugsinteresse und das besondere öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug wegen besonderer Gefahren zusammenfallen. Dabei ist ausgehend vom Zweck der gesetzlichen Eingriffsnorm und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Interesse des Adressaten des belastenden Verwaltungsaktes mit den öffentlichen Interessen abzuwägen (Kopp, a. a. O., § 80 Rdnr. 90 ff.). Ein besonderes öffentliches Interesse kann danach insbesondere vorliegen, wenn der sofortige Vollzug des belastenden Verwaltungsaktes deshalb dringlich ist, weil die realistische Möglichkeit besteht, dass sich die Gefahr, deren Abwehr der Verwaltungsakt dienen soll, während des Rechtsschutzverfahrens realisieren kann. Zudem kann ein solches besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug auch vorliegen, wenn eine Maßnahme aus generalpräventiven Gründen erforderlich scheint (Bay. VGH, B. v. 02.10.1978 - 397 X 77 -, BayVBl. 1980, 87). Außerdem ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung grundsätzlich dann zulässig, wenn ohne Rücksicht auf bzw. unter Verstoß gegen das Erfordernis der Einholung einer vorherigen Erlaubnis, Genehmigung oder Zulassung für ein bestimmtes Handeln versucht wird, rechtswidrig Vorteile aus einer illegal angemaßten Rechtsposition zu ziehen (Hessischer VGH, Beschluss vom 14. Februar 1996, Az: 11 TG 1144/95, zitiert nach juris). Dies gilt insbesondere für die sofortige Vollziehung bauordnungsrechtlicher Verfügungen, die auf das Unterbinden illegaler Baumaßnahmen oder illegaler Nutzungen gerichtet sind (vgl. dazu Kopp, a. a. O., § 80 Rdnr. 96 ff. m. w. N.). Ähnliches gilt auch in anderen Rechtsbereichen.

12

Insofern kommt es grundsätzlich darauf an, welche gesetzgeberische Konzeption als Zweck der Norm zugrunde liegt, auf der der belastende Verwaltungsakt beruht. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin gibt es keinen Rechtssatz dahingehend, dass dann, wenn nicht von Gesetzes wegen die sofortige Vollziehung einer gesetzlich vorgesehenen Maßnahme angeordnet sei, nicht aus der Vorschrift selbst und dem Zweck der auf ihr beruhenden Maßnahme entnommen werden kann, dass ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung dieser Maßnahme vorliegt. Insoweit wird hier der Sinn und Zweck des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Arzneimittelgesetzes - AMG - nicht ausreichend berücksichtigt.

13

Nach der gesetzlichen Begründung zu den §§ 59 bis 64 des ursprünglichen Entwurfs eines Arzneimittelgesetzes im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts - die dort als § 64 bezeichnete Norm wurde später § 69 - dienen die Vorschriften des 11. Abschnitts unter der Überschrift "Überwachung" dem Ziel, die Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln zu verbessern und Verstößen "schnell und wirksam" zu begegnen. Zu § 64 (jetzt § 69 AMG) heißt es ausdrücklich, dass es damit den Behörden ermöglicht wird, "ein inkriminiertes Arzneimittel ohne aufwendige materielle Begründung dann aus dem Verkehr zu ziehen, wenn für das Arzneimittel eine Zulassung durch die zuständige Bundesoberbehörde nicht erteilt worden ist oder eine erteilte Zulassung zurückgenommen, widerrufen, erloschen ist oder wenn sie ruht" (BT-Drs. 7/3060, S. 59). Damit wird deutlich, dass es dem Gesetzgeber darauf ankommt, die Zulassungspflicht als solche unmittelbar durchzusetzen, ohne dass es auf weitere inhaltliche und materielle Prüfungen im Hinblick auf das ohne Zulassung vertriebene Arzneimittel ankommt. Zweck der Zulassungspflicht nach § 21 AMG ist es gerade, unabhängig von weiteren Kriterien, wie etwa den von einem Arzneimittel ausgehenden Risiken oder Gefahren im Einzelfall, generell das Inverkehrbringen eines Arzneimittels nur dann zu erlauben, wenn es vorher durch die zuständige Bundesoberbehörde geprüft und zugelassen worden ist. Der mit der Maßnahme nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG von dem Gesetzgeber intendierte Zweck, ohne Rücksicht auf spezifische Risiken oder Gefahren eines bestimmten Arzneimittels unterschiedslos für jedes Arzneimittel die Zulassungspflicht durchzusetzen, würde unterlaufen, wenn illegal, d. h. ohne Zulassung in den Verkehr gebrachte Arzneimittel bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsschutzverfahrens - in der Praxis oft mehrere Jahre - unüberprüft vertrieben werden könnten. Dadurch könnten sich gerade die Risiken realisieren, deren Vermeidung die Untersagung des Inverkehrbringens dieses nicht zugelassenen Arzneimittels dient. Faktisch würde damit das Risiko gesundheitlicher Gefahren durch ein nicht zugelassenes Arzneimittel dem Verbraucher und damit der Öffentlichkeit aufgebürdet, was den Zweck der Zulassungspflicht nach § 21 AMG gerade zuwiderliefe. Nach der gesetzgeberischen Konzeption der Zulassungspflicht gemäß § 21 AMG und ihrer Durchsetzung durch die Maßnahme nach § 69 AMG, insbesondere § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG, stellt das Inverkehrbringen eines Arzneimittels als solches grundsätzlich ein Risiko für die Verbraucher dar, weshalb es generell, unabhängig vom jeweiligen Gefährdungspotential im Einzelfall, der vorherigen Überprüfung und Zulassung bedarf. Deshalb hat die Behörde entsprechend der gesetzlichen Begründung auch bei Erlaß einer Untersagungsverfügung keine weitere materielle Prüfung - außer der im Hinblick auf das Vorliegen der Voraussetzung "Arzneimittel" im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG - vorzunehmen.

14

Dies gilt auch im Hinblick auf die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Denn anderenfalls wäre die Behörde gehalten, zur Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung gerade besondere Risiken und Gesundheitsgefahren, die von einem bestimmten Arzneimittel, das ohne Zulassung vertrieben wird, ausgehen, darzulegen, was nur aufgrund vorheriger pharmakologischer und medizinischer Prüfung möglich wäre. Damit würde aber der Gegenstand des Zulassungsverfahrens in das Untersagungsverfahren nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG verlagert, was erkennbar nicht der gesetzgeberischen Konzeption entspricht. Es reicht deshalb zur Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Maßnahme nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG generell aus, dass das mit dem Inverkehrbringen jedes Arzneimittels verbundene mögliche gesundheitliche Risiko vorliegt, vor dem die Verbraucher durch das Zulassungsverfahren geschützt werden sollen. Könnten nicht zugelassene Arzneimittel bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Rechtsschutzverfahrens weitervertrieben werden, entstünde dadurch auf die Dauer in der Praxis ein zweigeteilter Arzneimittelmarkt mit zugelassenen und nicht zugelassenen Arzneimitteln, was ebenso erkennbar dem gesetzgeberischen Willen widerspricht.

15

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist es deshalb nicht erforderlich, dass im Einzelfall für ein nicht zugelassenes Produkt der begründete Verdacht besteht, es könne schädliche Wirkungen für den Verbraucher haben (wie für den Fall des Widerrufs der Zulassung für ein Arzneimittel in § 30 Abs. 3 Satz 2 AMG normiert). Vielmehr ist zugrundezulegen, dass eine inhaltliche Prüfung von Gesundheitsgefährdungen, die von einem nicht zugelassenen Arzneimittel ausgehen können, nicht im Rahmen des Untersagungsverfahrens nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AMG vorzunehmen ist. Vielmehr kann diese Untersagung gerade zur unbedingten Durchsetzung der Zulassungspflicht nach § 21 AMG sofort vollzogen werden, weil sich das mit dem Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Arzneimittels verbundene Gesundheitsrisiko generell sofort realisieren kann (Hess. VGH, Beschluss vom 14. Februar 1996 - 11 TG 114/95-).

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Die Antragsgegnerin hat deshalb rechtmäßig begründet, dass ein besonderes öffentliches Interesse daran besteht, dass die Untersagung des Inverkehrbringens sofort vollzogen wird (so grundsätzlich im Ergebnis auch: Kloesel/Cyran, Arzneimittelgesetz, Kommentar, § 69 Rdnr.6; OVG Lüneburg, Beschluss vom 02.04.1985 - 8 0VG B 5/83 -, ).

17

Dem kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass es sich bei dem Produkt "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" um ein Nahrungsmittel handelt, denn die Kammer kommt bei summarischer Prüfung zu dem Ergebnis, dass es sich vorliegend um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG handelt.

18

Gemäß § 2 I AMG sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper nicht nur Krankheiten und Beschwerden zu heilen und zu lindern (Nr. 1), sondern allgemein die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen (Nr. 5). Keine Arzneimittel dagegen sind gem. § 2 III Nr. 1 AMG Lebensmittel i.S. des § 1 I LMBG. Letztere sind nach § 1 Abs. 1 1. Hbs. LMBG durch ihre Zweckbestimmung, von Menschen verzehrt zu werden, gekennzeichnet; gemäß § 1 Abs. 1 2. Hbs. LMBG sind davon ausgenommen Stoffe, die überwiegend dazu bestimmt sind, zu anderen Zwecken als zur Ernährung oder zum Genuss verzehrt zu werden. Nach dieser gesetzlichen Systematik kommt eine Qualifikation eines Erzeugnisses als Arzneimittel dann nicht mehr in Betracht, wenn seine Eigenschaft als Lebensmittel festgestellt ist (BVerwG, Urt. vom 18.Dezember 1997 -- 3 C 46/96 --, NJW 1998, 3433 f.; Nds. OVG, Beschluss vom 5. März 2001 - 11 L 1592/00 - NJW 2002. 913-1914; VGH München, Beschluss vom 13.Mai 1997 -- 25 CS 96.3855 --, NJW 1998, 845 ff.)

19

Entscheidend für die Abgrenzung ist die objektive Bestimmung des Produkts, so wie sie einem durchschnittlich informierten Verbraucher gegenüber in Erscheinung tritt. Diese Bestimmung -- der objektive Verwendungszweck -- erschließt sich aus der stofflichen Zusammensetzung des Präparats, seiner Aufmachung und der Art seines Vertriebs. Mit seinem Erscheinungsbild begründet das Produkt Erwartungen und Vorstellungen über seine Zweckbestimmung oder es knüpft an eine schon bestehende Auffassung der Verbraucherkreise über den Zweck vergleichbarer Mittel und ihrer Anwendung an (BVerwG, Urt. vom. 24. November 1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132, 135; Urteil vom. 18.Dezember 1997, a.a.O.; BGH, Urt. vom 6. Februar 1976 - 1 ZR 125/74 --, NJW 1976, 1154; Urt. v. 19.1.1995 -- IZR 209/92 --, NJW 1995, 1615 ff.; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, § 2 AMG, Anm. 81; Zipfel, Lebensmittelrecht, § 1 LMBG, Rn. 32 ff.). Zu berücksichtigen sind also vor allem die Eignung des jeweiligen Produkts als Lebens- bzw. Arzneimittel aus wissenschaftlicher Sicht und die allgemeine Verkehrsauffassung (Nds. OVG, Beschluss vom 5. März 2001 - 11 L 1592/00 - NJW 2002, 913-1914 m. w. N.).

20

Die Vorstellung der Verbraucher von der Zweckbestimmung eines Produkts kann weiter durch die Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft beeinflusst sein, ebenso durch die dem Mittel beigefügten oder in Werbeprospekten enthaltenen Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen sowie die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt (BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 273/99 - ZLR 2002, 666 - 672, zitiert nach juris).

21

Die bloße Erklärung eines Herstellers, sein Präparat sei kein Arzneimittel, bewirkt für sich genommen noch nicht, dass es nicht als Arzneimittel einzustufen ist (BVerwG, Urt. vom. 24. November 1994 - 3 C 2.93 -, BVerwGE 97, 132; VG Darmstadt, Beschluss vom 25. Oktober 2001 - 3 G 1748/01 - NVwZ 2002, 758). Andererseits wird ein Stoff, der nach der Verkehrsanschauung wegen der überwiegenden Zweckbestimmung eindeutig als Lebensmittel anzusehen ist, nicht dadurch zum Arzneimittel, dass Hersteller oder Verkäufer ihm eine in § 1 I Nr. 1 AMG genannte Zweckbestimmung beilegen (BGH, NJW 1976, 1154). Auch wird ein verständiger Durchschnittsverbraucher nicht annehmen, dass ein als Nahrungsergänzungsmittel angebotenes Präparat ein Arzneimittel ist, wenn es in der empfohlenen Dosierung keine pharmakologischen Wirkungen hat (BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 - I ZR 97/98 - GRUR 2000. 528 L - Carnitin).

22

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften obliegt die Feststellung, ob es sich bei einem bestimmten Erzeugnis um ein Funktionsarzneimittel handelt, den nationalen Behörden und Gerichten. Diese haben dabei alle Merkmale des Erzeugnisses, insbesondere seine Zusammensetzung, seine beim jeweiligen Stand der Wissenschaft festzustellenden pharmakologischen Eigenschaften, die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Gefahren aufgrund von Nebenwirkungen und Risiken bei längerem Gebrauch zu berücksichtigen (EuGH, Urteil vom 21. März 1991 - Rs. C-60/89, Slg. 1991, I-1547, 1568 Tz. 29 - Monteil und Samanni; Urteil vom 21. März 1991 - Rs. C-369/88, Slg. 1991, I-1487, 1535 Tz. 35 = LRE 28, 3 - Delattre; Urteil vom 20. Mai.1992 - Rs. C-290/90, Slg. 1992, I-3317, 3347 Tz. 17 = NVwZ 1993, 53).

23

Gemessen an diesen Maßstäben ist das Produkt "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" bei der im vorliegenden Verfahren möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als Arzneimittel einzustufen.

24

Dass "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" nicht zum Genuss bestimmt sind, steht außer Frage. Sie sind jedoch auch nicht dazu bestimmt, zu Zwecken der Ernährung verzehrt zu werden. Das OVG Münster hat in seiner Entscheidung vom 26. August 1999 (Az 13 A 2274/98 - ZLR 2000, 74 - 85, zitiert nach juris) festgestellt, dass fermentierter roter Reis nicht nach allgemeiner Verkehrsauffassung wegen seines Nähr-, Geruchs- oder Geschmackswertes oder als Genussmittel verwendet wird.

25

Darüber täuscht auch der von der Antragstellerin auf der Verpackung aufgebrachte Hinweis "Nahrungsergänzung mit rot fermentiertem Reis" und die Verwendungsempfehlung "Als Nahrungsergänzungsmittel 1 - 3 x täglich 1 Kapsel" nicht hinweg.

26

Maßgeblich ist u. a., ob von den Verbrauchern ein Mittel als "Arzneimittel" angesehen wird, auch wenn die Antragstellerin, die den bundesweiten Vertrieb von "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" beabsichtigt, ausweislich des Verpackungsaufdrucks die von ihr vertriebenen Mittel nicht so qualifiziert. Auffällig ist, dass die Antragstellerin auf der Verpackung nicht angibt, welchen Effekt die "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" im Hinblick auf die von der Antragstellerin behauptete "Nahrungsergänzung" bewirken.

27

Gemeinhin wird unter einem Nahrungsergänzungsmittel ein Mittel verstanden, das in der Regel einen Nährstoff oder eine Kombination verschiedener Nährstoffe enthält und der gezielten Vermeidung einer Unterversorgung mit diesen Nährstoffen dient (VGH Baden - Württemberg, Beschluss vom 22. Februar 2000 - 9 S 188/00 - LMuR 2001, 92 - 95, zitiert nach juris m. w. N.). Auch bei Nahrungsergänzungsmitteln, die als Begriff im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz bislang nicht auftauchen, steht damit der Zweck im Vordergrund, dem Körper Nährstoffe (etwa Vitamine, Spurenelemente etc.) zuzuführen. Dieser Zweck kommt auch in Art. 2 der Richtlinie 2002/46 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Nahrungsergänzungsmittel (ABl. L 183/51) zum Ausdruck. Danach sind "Nahrungsergänzungsmittel" Lebensmittel, die dazu bestimmt sind, die normale Ernährung zu ergänzen, und die aus Einfach- oder Mehrfachkonzentraten von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung bestehen und in dosierter Form in den Verkehr gebracht werden.

28

Dazu zählen die "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" nicht, denn bei den "Red Rice" Kapseln steht nicht im Vordergrund, dem Körper Nährstoffe zuzuführen. Nach dem Etikett der Verpackung steht der Inhalt einer Kapsel mit 1,33 mg Monacolin K im Vordergrund, ohne dass die Verpackung erkennen lässt, inwieweit Monacolin K die Ernährung ergänzen kann und soll. Da die Verpackung weitere Aussagen zur Wirkungsweise bzw. zum Anwendungsgebiet von Monacolin K vermissen lässt, ist maßgeblich auf die Produktkonzeption des Herstellers abzustellen. Denn die Antragstellerin muss sich als bundesweite Alleinvertreiberin der "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" die Platzierung des Produkts durch den Hersteller am Markt zurechnen lassen. Die Herstellerfirma C. - Pharma in Österreich schreibt auf ihrer Web - site - D..co.at/produkte2/prod26_redrice.shtml -, mit der sie u. a. den Verkauf der "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" betreibt, dem Rotschimmelreis - Pulver physiologische Wirkung aufgrund der durch die Fermentierungsprozesse mit Monascus - Stämmen gebildeten lipidsenkenden Substanzen, die als Monacoline bezeichnet werden, zu. Monacoline hemmten dosisabhängig die Cholesterinproduktion der Leber, senkten somit den Cholesterinspiegel und beeinflussten den Lipidspiegel des Blutes. Unter dem Hinweis auf weiterführende Informationen wird unter "Rotes Reismehl" als Link auf eine andere web - site verwiesen, auf der medizinische Indikationen für Monascus-fermentiertes rotes Reismehl, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen sowie Kontraindikationen erläutert werden. Zusammenfassend stelle sich monacolinhaltiges rotes Reismehl als eine interessante, multifunktionelle medikamentöse Behandlungsoption aus der traditionellen chinesischen Medizin dar. In drei weiteren Links zu weitergehenden Informationen unter den Überschriften "Monastin - chinesischer roter Reis senkt Cholesterin"; "chinesisches Gewürz senkt Cholesterinspiegel"; "chinesischer roter Reis senkt Cholesterin" wird ebenfalls auf die cholesterinsenkende Wirkung von Rotschimmelreis hingewiesen. Diese Produktwerbung zielt ganz offenkundig auf die cholesterinsenkende Wirkung von Rotschimmelreis ab und spricht insbesondere Kunden an, die über einen krankhaft erhöhten Cholesterinspiegel verfügen. Diese Zielrichtung bestätigt sich durch einen Blick auf allgemein verfügbare Informationen über die Wirkung von "red rice" - Produkten, in denen ganz überwiegend die cholesterinsenkende Wirkung von Rotschimmelreis angesprochen und hervorgehoben wird (vgl. u. a. etwa Warnung des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) vor Red Rice Produkten vom 4. Dezember 2002; Schreiben des BfArM an Bundesanstalt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom 14. November 2002; Charles Choi, in Newsday.com vom 25. Februar 2003) und nicht etwa die Zufuhr ergänzender Nährstoffe im Vordergrund steht.

29

Der Einordnung der "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" als Arzneimittel kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg entgegen halten, dass die Arzneimitteleigenschaft der "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" in Österreich verneint wurde und die Kapseln als Verzehrprodukt nach § 3 des österreichischen Lebensmittelgesetzes (BGBl. Nr. 86/1975) eingestuft wurden sowie dort frei erhältlich sind. Zum einen ist die Kategorie Verzehrprodukt im deutschen LMBG nicht enthalten. Zum anderen bestätigt die in den Verwaltungsvorgängen befindliche Stellungnahme des österreichischen Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen vom 9. Juli 2002 für die nach deutschem Recht allein mögliche Abgrenzung zwischen Lebensmittel und Arzneimittel die hier vertretene Auffassung. Denn in der Anlage vom 8. Juli 2002 wird ausgeführt, dass das streitgegenständliche Produkt aufgrund der Zusammensetzung und in Verbindung mit der Einnahmeempfehlung nicht überwiegend zu Ernährungs- oder Genusszwecken bestimmt sei, d .h. überwiegend zu anderen Zwecken. Diese Stoffe sind jedoch gerade in § 1 LMBG vom Lebensmittelbegriff ausgenommen.

30

Der Umstand, dass Österreich den Vertrieb der "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" durch die Einstufung als Verzehrprodukt nicht untersagt hat, führt auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten nicht zu einem Erfolg des vorliegenden Antrags, denn entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Untersagung des Inverkehrbringens durch den angefochtenen Bescheid vom 19. Dezember 2002 bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren nicht als Verstoß gegen Art. 28 EG - Vertrag (Nizza - Fassung) zu werten.

31

In § 47a LMBG ist der Grundsatz der Gegenseitigkeit zwischen den Mitgliedstaaten niedergelegt. Nach dieser Vorschrift gilt der Grundsatz der Gegenseitigkeit in einem Genehmigungsverfahren für Lebensmittel nicht, wenn es sich nach deutschem Recht um ein Arzneimittel handelt. Nur in einem Zulassungsverfahren für Arzneimittel kann der Nachweis der therapeutischen Wirkung des betroffenen Erzeugnisses abschließend geführt werden.

32

Gemäß Artikel 28 EG sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Gemäß Artikel 30 EG stehen die Bestimmungen des Artikels 28 Einfuhrverboten oder -beschränkungen nicht entgegen, die u. a. zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sind.

33

Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage, ob es sich bei der Untersagung des Inverkehrbringens der in Österreich als Verzehrprodukte erhältlichen "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" um ein gemeinschaftswidriges Handelhemmnis handelt, bereits deshalb nicht, weil die "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" auch nach der Richtlinie 2001/83 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311/67) als Arzneimittel einzuordnen sind. Nach Art. 1 Nr. 2 1. HS der Richtlinie 2001/83 EG sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden. Darüber hinaus gelten nach Art. 1 Nr. 2 2. HS der Richtlinie 2001/83 EG alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen physiologischen Funktionen angewandt zu werden, ebenfalls als Arzneimittel. Wie dargelegt erfüllen die "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" diese Voraussetzungen, denn der Stoff Monacolin K soll im Körper eine Senkung des Cholesteringehaltes bewirken und beeinflusst damit menschliche physiologische Funktionen.

34

Aber selbst wenn man "Red Rice 330 mg GPH Kapseln" entgegen der hier vertretenen Auffassung nicht als Arzneimittel im Sinne des Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83 EG einordnet, ist mit der angefochtenen Untersagungsverfügung kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht verbunden. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs verbietet der Umstand, dass ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat als Lebensmittel qualifiziert wird, es nicht, ihm in einem anderen Staat die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es dessen Merkmale aufweist (EUGH, Urteil vom 21. März 1991 - C - 369/88 - Slg. 1991, I-01487, Delattre; vgl. auch BGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - I ZR 34/01).

35

Im Übrigen wäre das Verbot des Inverkehrbringens der "Red Rice 330 mg GPH Kapseln", soweit man sie - wie die Antragstellerin - als mengenmäßige Einfuhrbeschränkung oder gleich wirkende Maßnahme im Sinne des Art. 28 EG wertet, nach Art 30 EG gerechtfertigt, weil sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen notwendig ist. Insoweit liegt es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften beim gegenwärtigen Stand der Harmonisierung grundsätzlich im Verantwortungsbereich der Mitgliedstaaten, in den Grenzen des EG-Vertrages zu bestimmen, in welchem Umfang sie diesen Schutz gewähren wollen; dabei steht ihnen ein relativ weiter Ermessensspielraum zu (EuGH, Urt. v. 30.11.1983 - Rs. 227/82, Slg. 1983, 3883, 3905 Tz. 37 - van Bennekom; EuGH Slg. 1991, I-1487, 1534 Tz. 29, 35, 43 - Delattre; Slg. 1991, I-1547, 1568 Tz. 28 - Monteil und Samanni; Slg. 1991, I-1703, 1742 Tz. 23 - Upjohn; vgl. auch Schlussantrag des Generalanwalts vom 16. Mai 2002 im Verfahren C - 387/99 ). In der Warnung des BfArM vor Red Rice-Produkten vom 4. Dezember 2002 wird ausgeführt, dass Roter Reis die Nebenwirkungen von Arzneimitteln zur Senkung erhöhter Cholesterinwerte verstärkt. Zudem sei durch die gleichzeitige Einnahme von Rotem Reis und cholesterinsenkenden Arzneimitteln das gehäufte Auftreten von Nebenwirkungen zu befürchten, was sich insbesondere als Muskelschädigungen äußern könne. Allein dieses gesundheitliche Risiko stellt eine Rechtfertigung nach Art. 30 EG insbesondere auch vor dem Hintergrund dar, dass selbst zugelassene Arzneimittel zur Cholesterinsenkung mit erheblichen Nebenwirkungen verbunden sein können, wie nicht zuletzt die Todesfälle im Zusammenhang mit dem cholesterinsenkenden Arzneimittel Lipobay gezeigt haben.