Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 18.08.2003, Az.: 6 B 1242/03
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 18.08.2003
- Aktenzeichen
- 6 B 1242/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 40815
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2003:0818.6B1242.03.0A
Amtlicher Leitsatz
Eine in Niedersachsen lebende Schülerin hat weder aus Vereinbarungen zwischen Niedersachsen und Bremen noch aus Art. 3 Abs. 1 GG bzw. 7 Art. 4 GG einen Anspruch gegen das Land Niedersachsen auf Zahlung eines finanziellen Ausgleichs an das Land Bremen für den Besuch einer Waldorfschule in Bremen, die sie bereits vor ihrem Umzug nach Niedersachsen besucht hat.
Tenor:
...
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat keinen Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auch vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist die Antragstellerin verpflichtet, sowohl einen Anordnungsanspruch, d.h. einen rechtlichen Anspruch auf den Erhalt der begehrten Verwaltungsentscheidung, als auch einen Anordnungsgrund, d.h. einen Grund für die Notwendigkeit einer Entscheidung im Eilverfahren unter Umgehung des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens, gegenüber dem Gericht zumindest glaubhaft zu machen. Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanpruchs, denn die im Eilrechtsschutzverfahren allein gebotene summarische Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf Kostenerstattung nicht besteht.
Der im Wege der einstweiligen Anordnung geltend gemachte Anspruch richtet sich auf Ausgleichszahlungen zugunsten der Freien Waldorfschule Bremen - D., mithin zu Gunsten eines Dritten zahlbar durch das Land Niedersachsen.
Aus der Vereinbarung über Ausgleichszahlungen für den Besuch von Privatschulen in Bremen durch Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen vom 1. März 1996 kann die Antragstellerin direkt einen Anspruch nicht ableiten, denn bei dieser Vereinbarung handelt es sich um einen Vertrag zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen, in dem allein die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien geregelt werden, aber Ansprüche einzelner Schüler nicht begründet werden.
Im Übrigen ist das Land Niedersachsen nach der Vereinbarung über Ausgleichszahlungen für den Besuch von Privatschulen in Bremen durch Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen vom 1. März 1996 nicht verpflichtet, finanzielle Beiträge an das Land Bremen für den Schulbesuch der Antragstellerin in der Freien Waldorfschule Bremen - D. zu zahlen, denn § 3 der Vereinbarung trifft insoweit keine Regelung zu Gunsten der Antragstellerin. Die Antragstellerin hatte zum Zeitpunkt der Aufnahme in die Waldorfschule Bremen - D. ihre Hauptwohnung in Bremen und fällt bereits deshalb aus dem nach § 3 durch Leistungen von Niedersachsen an Bremen mittelbar begünstigten Personenkreis.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kann sie auch nicht mit Erfolg einen Anspruch aus einer analogen Anwendung der vertraglichen Regelung zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen auf ihren Fall ableiten, denn die von der Antragstellerin begehrte "analoge Ausnahme" übersteigt die Möglichkeiten der Vertragsauslegung. Die Vereinbarung vom 1. März 1996 ist insoweit unmissverständlich klar und lässt für eine ergänzende Vertragsauslegung keinen Raum.
Ebenso wenig vermittelt die Vereinbarung der Gegenseitigkeit des Besuchs öffentlicher Schulen zwischen den Ländern und Bremen vom 1. März 1996 einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gegen das Land Niedersachsen auf Zahlung an das Land Bremen und Weiterleitung an die Freie Waldorfschule Bremen - D.. Denn diese Vereinbarung trifft ausschließlich Regelungen über den länderübergreifenden Besuch öffentlicher Schulen in Bremen und Niedersachsen. Sie enthält keine Regelungen über den Besuch von Privatschulen.
Auch aus Art. 3 Abs. 1, und 7 Abs. 4 GG lässt sich ein Anspruch der Antragstellerin gegen das Land Niedersachsen nicht ableiten.
Schließlich ergibt sich aus der durch Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG garantierten Privatschulfreiheit - die auch als Verpflichtung des Staates zu verstehen ist, die privaten Ersatzschulen zu schützen und zu fördern (vgl. BVerfG, Urteil vom 8.4.1987 - 1 BvL 8, 16/84 -, BVerfGE 75, 40, 65 [BVerfG 08.04.1987 - 1 BvL 8/84]) - kein Anspruch der Antragstellerin auf Ausgleichsleistungen des Landes Niedersachsen an das Land Bremen zu Gunsten der Waldorfschule Bremen - D..
In welcher Weise der Gesetzgeber den grundrechtlichen Anspruch der privaten Ersatzschulen auf Schutz und Förderung erfüllt, schreibt ihm das Grundgesetz nicht vor. Es räumt ihm eine weitgehende Gestaltungsfreiheit ein. Die Verfassung gebietet keine volle Übernahme der Kosten. Die staatliche Förderung soll sicherstellen, dass Schulträger, die sich ihrerseits finanziell für ihre besonderen pädagogischen Ziele zu engagieren bereit sind, die Genehmigungsanforderungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 und 4 GG auf Dauer erfüllen können (BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, Az: 1 BvR 682/88, 1 BvR 712/88, BVerfGE 90, 107-127).
Aus Art. 7 Abs. 4 Satz 1 GG folgt danach kein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Gewährung staatlicher Finanzhilfe, gar noch in bestimmter Höhe. Nach der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts ist der grundrechtliche Schutzanspruch des einzelnen Ersatzschulträgers nur darauf gerichtet, dass der Gesetzgeber diejenigen Grenzen und Bindungen beachtet, die seinem politischen Handlungsspielraum durch die Schutz- und Förderpflicht gesetzt sind (BVerfG, Beschluss vom 9. März 1994, Az: 1 BvR 682/88, 1 BvR 712/88, BVerfGE 90, 107-127). Abgesehen davon, dass weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass die Privatschulen in Bremen in ihrem Bestand gefährdet wären, besteht der Finanzhilfeanspruch nach der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts aus Art. 7 Abs. 4 GG auch nicht zugunsten des einzelnen Schülers - hier der Antragstellerin -, sondern allein zugunsten des Ersatzschulträgers zur Sicherung der Existenzfähigkeit des Ersatzschulwesens als Institution. Der Anspruch gegen den Staat, mit der Ersatzschulfinanzierung die Wahrnehmung des Grundrechtes aus Art. 7 Abs. 4 GG zu ermöglichen, steht allein demjenigen zu, der eine Ersatzschule nach Maßgabe errichten will oder eine eingerichtete Ersatzschule betreibt (BVerfG, Beschlüsse vom 9.3.1994, BVerfGE 90, 107 = NVwZ 1994 S. 886 und BVerfGE 90, 128 = NVwZ 1994 S. 889 [BVerfG 09.03.1994 - 1 BvR 1369/90]).
Schließlich lässt sich ein Anspruch der Antragstellerin auch nicht aus dem Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1 und dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 bzw. aus Art. 33 Abs. 1 GG herleiten (vgl. dazu auch Jach, DÖV 1995, S. 925; Löwer/Müller-Terpitz RdJB 1999, S. 169 - 186; Caspar, RdJB 2003, S. 48 ff., VG Hannover, Urteil vom 26. November 1998 - 6 A 55/98). Soweit in der Literatur die Verpflichtung zur finanziellen Ermöglichung länderübergreifenden Schulbesuchs unter gleichheitsrechtlichen Gesichtpunkten diskutiert wird, würde sich ein etwaiger Anspruch in erster Linie gegen das Schulsitzland Bremen richten, das durch die "Landeskinderklausel" im dortigen Privatschulgesetz ausschließlich eigene Landeskinder fördert. Gegen das Land Bremen richtet sich jedoch der von der Antragstellerin geltend gemachte Anspruch nicht.
Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin für einen Anspruch auf Ausgleichszahlung gegenüber der Antragsgegnerin auf Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es, wesentlich Gleiches willkürlich ungleich und wesentlich Ungleiches willkürlich gleich zu behandeln. Das in diesem Verfassungsrechtssatz enthaltene Willkürverbot gilt auch im Bereich der darreichenden Verwaltung, also auch bei der Bestimmung staatlicher Leistungen, indem es dem Normgeber einen weiten Spielraum zur Gestaltung finanzieller Förderungsbedingungen belässt und es in sein Ermessen stellt, in welcher Weise er dem Gedanken der Angemessenheit, Billigkeit und Zweckmäßigkeit Rechnung trägt. Eine Ungleichbehandlung verletzt den Gleichheitssatz nur dann, wenn für sie jeder sachlich einleuchtende Grund fehlt. Die Abgrenzung eines begünstigten Personenkreises ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn vertretbare Gründe dafür sprechen und wenn der Normgeber willkürliche Privilegierungen und Diskriminierungen vermeidet. Der Gestaltungsspielraum endet erst dort, wo eine ungleiche oder auch gleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich beurteilt werden muss (Beschluss vom 27. Januar 1997, Az: 9 S 1904/94, DVBl 1997, 1184-1185 m. w. N.). Dass der Besuch von Privatschulen in Bremen durch in Niedersachsen wohnende Kinder nicht in demselben Maß gefördert wird wie der Besuch öffentlicher Schulen im Rahmen der Vereinbarung der Gegenseitigkeit des Besuchs öffentlicher Schulen zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen vom 1. März 1996, sondern lediglich im Rahmen der Vereinbarung über Ausgleichszahlungen für den Besuch von Privatschulen in Bremen durch Schülerinnen und Schüler aus Niedersachsen vom 1. März 1996, ist nicht als Verstoß gegen den Gleichheitssatz zu werten.
Soweit die Antragstellerin einen Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG unter Hinweis darauf geltend macht, dass es eine Ungleichbehandlung darstelle, wenn das Land Niedersachsen den Besuch öffentlicher Schulen in Bremen durch in Niedersachsen wohnende Kinder finanziell im Rahmen der Vereinbarung der Gegenseitigkeit des Besuchs öffentlicher Schulen zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen vom 1. März 1996 durch Pauschalzahlungen fördere, in diesem Rahmen nicht aber den Besuch privater Schulen von in Niedersachsen lebenden Kindern in Bremen, verkennt die Antragstellerin, dass der Besuch öffentlicher Schulen von in Niedersachsen lebenden Schülern nur unter eingeschränkten Voraussetzungen zugelassen wird. Insoweit bedarf es einer Freistellungserklärung der Antragsgegnerin, denn nach § 63 NSchG erfüllen Schüler, die öffentliche Schulen besuchen, ihre Schulpflicht durch den Besuch der in ihrem Schulbezirk in Niedersachsen gelegenen Schule. Die Erteilung der Freistellungserklärung erfolgt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2 der Vereinbarung der Gegenseitigkeit des Besuchs öffentlicher Schulen zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen vom 1. März 1996 nur unter ganz engen Voraussetzungen im Ausnahmefall.
Demgegenüber ist die Wahl der Privatschule in keiner Weise eingeschränkt. Wenn die Antragsgegnerin in durch die Schulbezirksbindung bedingten Ausnahmefällen den Besuch öffentlicher Schulen unter engen Voraussetzungen in Bremen gestattet und dafür Pauschalzahlungen an das Land Bremen leistet, liegt darin keine Ungleichbehandlung gegenüber der Antragstellerin, die bei einem Besuch einer Privatschule nicht an einen Schulbezirk nicht gebunden ist. Dass der Subventionsgeber bei dieser Sachlage den eingeschränkten Besuch öffentlicher Schulen in Bremen finanziell besser fördert als den Besuch privater Schulen in Bremen durch in Niedersachsen wohnende Schüler, ist von seinem Gestaltungsspielraum gedeckt und verstößt nicht gegen das Willkürverbot, zumal es sich bei den Pauschalzahlungen an das Land Bremen wegen des Besuchs öffentlicher Schulen dort auch um freiwillige Leistungen handelt.
Aus einer (mittelbaren) Beeinträchtigung des Rechts der freien Ersatzschulwahl kann die Antragstellerin mithin auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 Abs. 1 GG nicht ein Mehr an Förderung herleiten.
Aber selbst wenn man entgegen der hier vertretenen Auffassung davon ausgehen würde, dass über Art. 3 Abs. 1 GG ein Anspruch unter den Bedingungen des § 3 der Vereinbarung der Gegenseitigkeit des Besuchs öffentlicher Schulen zwischen den Ländern Niedersachsen und Bremen vom 1. März 1996 in Betracht käme, verhilft diese Annahme dem Antrag nicht zum Erfolg, denn die Antragstellerin hat nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein Schulwechsel für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde. Sofern die Unzumutbare Härte für die Antragstellerin mit jeglichem Schulwechsel etwa auch auf die Waldorfschule E. begründet wird, vermag die Kammer insoweit eine Unzumutbarkeit nicht anzunehmen. Denn insoweit würde die Antragstellerin nicht ungleich härter getroffen als andere Schülerinnen in ihrem Alter, die einen Wohnortwechsel und damit verbundenen Schulwechsel bewältigen müssen, zumal vorliegend ein Schulwechsel auch nicht während des laufenden Schuljahres erfolgen würde. Soweit die Unzumutbarkeit mit einem erneuten Schulwechsel nach einem bereits erfolgten Schulwechsel im Oktober 2002 begründet wird, ist darin bei summarischer Prüfung ebenfalls eine unzumutbare Härte nicht zu erblicken. Denn im Rahmen der zur Feststellung einer unzumutbaren Härte vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller Umstände ist dem Vorbringen der Antragstellerin weder zu entnehmen, worin der Grund für den im Oktober 2002 - während des laufenden Schuljahres - vollzogenen Schulwechsel lag, noch warum es der Antragstellerin nicht möglich sein soll, sich nach einem Schulwechsel ein neues soziales Umfeld aufzubauen. Die damit für die Antragstellerin verbundenen Belastungen erreichen nach Ansicht der Kammer nicht ein die Grenze der Zumutbarkeit übersteigendes Maß. Zudem bleibt festzuhalten, dass die Mutter der Antragstellerin - wie ihre Anfrage bei der Waldorfschule E. zeigt -, eine Beschulung dort grundsätzlich für möglich gehalten und nicht von vornherein als für die Antragstellerin unzumutbar gewertet hat.
Insgesamt ist im Übrigen nicht hinreichend glaubhaft gemacht, weshalb allein der Besuch der Waldorfschule Bremen - D. pädagogisch geboten ist und der Besuch jeder anderen Schule für die Antragstellerin eine unzumutbare Härte darstellen würde.
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe war gem. § 166 VwGO i. V., m. § 114 ZPO abzulehnen, da der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - wie - dargelegt - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.