Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 13.12.2023, Az.: 21 Qs 4/23

Sofortige Beschwerde der Einziehungsbeteiligten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach Erlöschen des Einziehungsanspruches vor Verfahrensabschluss

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
13.12.2023
Aktenzeichen
21 Qs 4/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 46592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim - 07.09.2023 - AZ: 106 Cs 24 Js 17131/21

Fundstellen

  • AGS 2024, 91-93
  • NZWiSt 2024, 118-120
  • ZWH 2024, 59-61

Amtlicher Leitsatz

Die notwendigen Auslagen eines Einziehungsbeteiligen sind regelmäßig nicht aus Billigkeitsgründen der Staatskasse aufzuerlegen, wenn von einer Einziehungsentscheidung gegen diesen abgesehen wird, nachdem der aus der Tat erwachsene Wertersatzanspruch des Verletzten infolge von diesem veranlasster Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Anordnung der Einziehungsbeteiligung, aber vor Abschluss des Verfahrens erloschen ist.

In dem Strafverfahren
gegen A.
wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt
Einziehungsbeteiligte: B.
hier: Sofortige Beschwerde der Einziehungsbeteiligten gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung
hat die Strafkammer 10 nach Anhörung der Staatsanwaltschaft durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht xxxx, und die Richter am Landgericht xxxx und xxxx am 13. Dezember 2023 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Einziehungsbeteiligten wird die Kostenentscheidung im Urteil des Amtsgerichts Hildesheim vom 7. September 2023 aufgehoben, soweit die Beschwerdeführerin verpflichtet worden ist, die Kosten des Verfahrens zu tragen, die die Einziehungsentscheidung betreffen.

Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Im Jahr 2022 erließ das Amtsgericht einen Strafbefehl, in dem es gegen die Angeklagte wegen zahlreicher Fälle des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt eine Gesamtgeldstrafe verhängte und gegen die Einziehungsbeteiligte eine Einziehungsanordnung traf. Hiergegen legten sowohl die Angeklagte als auch gesondert hiervon die - durch die Angeklagte als Geschäftsführerin vertretene - Einziehungsbeteiligte jeweils Einspruch ein, woraufhin das Amtsgericht im Februar 2023 eine Hauptverhandlung für den 7. September 2023 anberaumte.

Zwei Tage vor der Hauptverhandlung teilte der damalige Verteidiger der Angeklagten mit, dass die der tatverletzten Krankenkasse aus den verfahrensgegenständlichen Taten erwachsenen Ansprüche durch im Januar 2023 erfolgte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vollständig erfüllt seien. Den Einspruch der Angeklagten nahm er - im Ergebnis - zugleich zurück. In der mit Blick auf den fortbestehenden Einspruch der Einziehungsbeteiligten durchgeführten Hauptverhandlung vor dem Strafrichter trat der vorherige Verteidiger der Angeklagten unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht als Vertreter der Einziehungsbeteiligten auf. Mit am Schluss der Sitzung verkündetem Urteil sprach das Amtsgericht die "Aufhebung" der Einziehungsentscheidung aus dem Strafbefehl aus und legte der Einziehungsbeteiligten "die Kosten und die eigenen notwendigen Auslagen, die die Einziehungsentscheidung betreffen" auf.

Gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrem am 14. September 2023 beim Amtsgericht eingegangenen und mit Schreiben vom 7. Dezember 2023 begründeten Rechtsmittel.

II.

Die statthafte (§ 464 Abs. 3 StPO) und auch im Übrigen zulässige (§§ 304 Abs. 3, 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde führt hinsichtlich der angeordneten Kostenfolge zu einem geringen Teilerfolg. Hinsichtlich der in erster Linie von der Beschwerdeführerin erstrebten Überbürdung ihrer notwendigen Auslagen auf die Staatskasse bleibt das Rechtsmittel erfolglos.

1. Der Ausspruch über die Kostentragung durch die Beschwerdeführerin, auch soweit diese nur die Einziehungsentscheidung betreffen soll, war aufzuheben. Die Kosten konnten ihr entgegen der Begründung der angefochtenen Entscheidung nicht auf der Grundlage von § 465 Abs. 1 StPO auferlegt werden, weil die Beschwerdeführerin nicht - wie von der Vorschrift verlangt - Angeklagte ist (KK-StPO/Gieg, 9.Aufl. 2023, § 472b Rn. 2; für das objektive Verfahren ebenso BGH, Beschluss vom 13. November 2019 - 3 StR 222/19). Einziehungsbeteiligten können nach § 472b Abs. 1 Satz 1 StPO allenfalls die durch ihre Beteiligung entstandenen besonderen Kosten auferlegt werden. Dies setzt aber stets voraus, dass eine Einziehung tatsächlich angeordnet wurde. Nachdem das Amtsgericht die im Strafbefehl gegen die Beschwerdeführerin angeordnete Einziehung im Urteilsspruch "aufgehoben" hat, fehlt es hieran. Unterbleibt eine Einziehungsentscheidung sieht das Gesetz keine Kostentragung durch Einziehungsbeteiligte vor. Die Kostenentscheidung unterlag daher der Aufhebung.

Praktische Auswirkungen folgen aus dem Teilerfolg nicht, denn besondere Kosten der Beteiligung wären nicht entstanden. Das Gerichtskostengesetz sieht keine gesonderten Kosten für die - vorliegend ohnehin nicht erfolgte - Einziehungsentscheidung vor. Ausscheidbare Auslagen der Staatskasse (§ 464a Abs. 1 Satz 1 StPO, vgl. KK-StPO/Gieg a.a.O.) sind infolge des im Hauptverhandlungstermins erklärten Auslagenverzichts des einzigen zum Gegenstand der Einziehungsentscheidung vernommenen Zeugen nicht entstanden.

2. Gegen die Entscheidung, die Beschwerdeführerin ihre eigenen notwendigen Auslagen selbst tragen zu lassen, ist dagegen im Ergebnis nichts zu erinnern.

a) Rechtsgrundlage hierfür ist abweichend von der Begründung der angefochtenen Entscheidung aus den genannten Gründen wiederum nicht § 465 Abs. 1 StPO. In Fällen, in denen eine Einziehungsanordnung, gleich aus welchem Grund, unterbleibt, richtet sich die Auslagentragung des Nebenbeteiligten vielmehr nach § 472b Abs. 3 StPO. Danach können die notwendigen Auslagen eines Nebenbeteiligten der Staatskasse oder einem anderen Beteiligten auferlegt werden. Daraus folgt, dass der Nebenbeteiligte im Grundsatz seine Auslagen selbst zu tragen hat (MüKo-StGB/Maier, 2019, § 472b Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 472b Rn. 6). Davon, die notwendigen Auslagen eines Nebenbeteiligten - § 467 Abs. 1 StPO entsprechend - in diesen Fällen stets der Staatskasse aufzuerlegen, hat der Gesetzgeber bewusst abgesehen (BT-Drs. V/1319, S. 86). Eine Überbürdung der notwendigen Auslagen eines Nebenbeteiligten im Ganzen oder in Teilen erfolgt nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nur, wenn das Tragen der eigenen Auslagen unbillig erscheint.

b) Eine solche Ermessensbetätigung hat das auf § 465 Abs. 1 StPO als Rechtsgrundlage abstellende Amtsgericht nicht vorgenommen, weshalb sie von der Kammer gemäß § 309 Abs. 2 StPO selbst vorzunehmen ist (OLG Schleswig, Beschluss vom 20. Januar 1976 - 1 Ws 332/75; OLG Hamm, Beschluss vom 7. Dezember 2017 - 5 Ws 541/17; KK-StPO/Zabeck, a.a.O., § 309 Rn. 6). Eine Aufhebung und Zurückverweisung war nicht ausnahmsweise deshalb geboten, weil die angefochtene Entscheidung keine für eine Ermessensausübung ausreichenden tatsächlichen Feststellungen im Sinne des § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO enthält. Denn der maßgebliche Sachverhalt lässt sich zweifelsfrei aus den dem Beschwerdegericht vorliegenden Akten ersehen (BGH, Beschluss vom 4. Dezember 1976 - 3 StR 298/74; KG, Beschluss vom 26. Februar 1999 - 4 Ws 257/98 u.a.; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464 Rn. 24).

c) Gründe, die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin der Staatskasse oder einem anderen Beteiligten aufzuerlegen, bestehen nicht.

aa) Mit Blick auf den gegen die Angeklagte erhobenen Tatvorwurf war die Beteiligung der Beschwerdeführerin am Verfahren gemäß §§ 424 Abs. 1, 432 Abs. 1 StPO unabdingbar. Entgegen der von der Beschwerde angeführten Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 24. August 1983 (1 Ws 177/83) kann es deshalb im Fall des späteren Absehens von einer Einziehungsentscheidung nicht stets der Billigkeit entsprechen, die Auslagen des Nebenbeteiligten der Staatskasse aufzuerlegen. Denn dann liefe die in § 472b Abs. 3 StGB getroffene Grundentscheidung des Gesetzgebers ins Leere, nach der Einziehungsbeteiligte ihre Auslagen grundsätzlich selbst zu tragen haben.

bb) Bei Erlass des Strafbefehls und der damit angeordneten Beteiligung der Beschwerdeführerin lagen mit Blick auf die später rechtskräftig gegen die Angeklagte festgestellten Tatvorwürfe auch zunächst die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Einziehungsanordnung gegen die Beschwerdeführerin vor. Dass am Ende des Verfahrens von einer Einziehungsentscheidung abgesehen wurde, war allein dem Umstand geschuldet, dass sich die materielle Rechtslage zwischen dem Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls und der Hauptverhandlung vom 7. September 2023 aufgrund der erfolgreichen Zwangsvollstreckung der Tatverletzten im Januar 2023 geändert hat. Hierdurch erlosch der der Wertersatzeinziehung zugrundeliegende Anspruch der Tatverletzten, was einer Einziehungsanordnung gemäß § 73e Abs. 1 StGB nachträglich die Grundlage entzogen hat. Die Beschwerdeführerin, die hierzu selbst nichts beigetragen hat, steht daher nicht etwa einem freigesprochenen Angeklagten gleich, dessen Auslagen mangels Tatnachweis gemäß § 467 Abs. 1 StPO durch die Staatskasse zu tragen sind. Die Verfahrenssituation ist vielmehr am Ehesten mit derjenigen vergleichbar, bei der ein Angeklagter wegen eines Verfahrenshindernisses nicht verurteilt werden kann (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO). In diesen Fällen eröffnet das Gesetz trotz Einstellung oder Freispruchs ausdrücklich die Möglichkeit, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten abweichend vom Regelfall des § 467 Abs. 1 StPO nicht aufzuerlegen.

cc) Vorliegend tritt hinzu, dass die Einziehungsbeteiligte selbst dem Gericht bis zur Hauptverhandlung keine Mitteilung vom Erlöschen des der Einziehungsbeteiligung zugrundeliegenden Anspruchs der Tatverletzten gemacht hat. Die erfolgreiche Zwangsvollstreckung der tatverletzten Krankenkasse ist dem Gericht erst durch eine zwei Tage vor der Hauptverhandlung erfolgte Mitteilung des Verteidigers der Angeklagten bekannt geworden. Noch am selben Tag an die Staatsanwaltschaft und das Hauptzollamt gerichtete Anfragen des Amtsgerichts mit der Bitte um Bestätigung des Anspruchserlöschens blieben bis zum 7. September 2023 unbeantwortet. Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts, gemäß §§ 432 Abs. 2, 434 Abs. 4 Satz 1 StPO die Hauptverhandlung durchzuführen und nicht durch Beschluss zu entscheiden, ist daher nichts zu erinnern.

dd) Auch aus dem konkreten, von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Verfahrensgang folgen keine Gründe, ihre notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen.

(1) Dies gilt zum einen für die - bereits von der Staatsanwaltschaft vorbestimmte - Verfahrensart. Entgegen dem Beschwerdevorbingen war die Beschwerdeführerin aufgrund des vorliegend gewählten Strafbefehlsverfahrens hinsichtlich ihrer Beteiligung, ihrer Rechtswahrnehmung und der hiermit verbundenen Auslagen nicht schlechter gestellt, als wenn durch die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben worden wäre. Die Anordnungen aus dem Strafbefehl drohen nach einem Einspruch des Betroffenen keinesfalls ohne weiteres in Rechtskraft zu erwachsen. Vielmehr wird das Verfahren wie nach Erhebung einer Anklage fortgeführt: Der Strafbefehlsantrag tritt für die im Fall des Einspruchs gemäß § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO anzuberaumende Hauptverhandlung an die Stelle der Anklage und dem Strafbefehl selbst kommen die Wirkungen des Eröffnungsbeschlusses zu (BGH, Beschluss vom 16. Juni 1979 - 5 StR 111/70, NJW 1970, 1694; KK-StPO/Maur, a.a.O., § 411 Rn. 8; BeckOK-StPO/Temming, 49. Ed. 01.10.2023, § 411 Rn. 3 m.w.N.). Im auf die Hauptverhandlung ergehenden Urteil ist das Gericht gemäß § 411 Abs. 4 StPO an die Aussprüche im Strafbefehl nicht gebunden. Beide Verfahrensarten unterscheiden sich daher nach Einlegung eines Einspruchs hinsichtlich des Ablaufs und der auf die Hauptverhandlung ergehenden Entscheidung nicht. Soweit das Gericht gemäß § 432 Abs. 2 StPO i.V.m. § 434 Abs. 2 StPO anstelle einer Hauptverhandlung - vorbehaltlich eines gegenteiligen Antrages eines Verfahrensbeteiligten - durch Beschluss entscheiden kann, wenn nur noch über den Einspruch des Einziehungsbeteiligten zu entscheiden ist, gilt dies gemäß § 423 Abs. 3 StPO auch im auf eine Anklage hin geführten Strafverfahren, das infolge Abtrennung der Entscheidung über die Einziehung von der Entscheidung über die übrigen Rechtsfolgen allein gegen einen Einziehungsbeteiligten weitergeführt wird. Auch insofern besteht zwischen beiden Verfahrensarten kein Unterschied.

(2) Auch der Umstand, dass die Beschwerdeführerin entgegen § 429 Abs. 1 StPO nicht zum anberaumten Hauptverhandlungstermin geladen worden ist, führt schließlich nicht dazu, ihre Auslagen aus Billigkeitsgründen der Landeskasse aufzuerlegen. Denn eine den Einspruch verwerfende Entscheidung hätte selbst im Fall ihres Ausbleibens im Termin nicht gedroht, da § 412 StPO wegen der spezielleren Regelung in § 430 Abs. 1 StPO auf den Einspruch eines Nebenbeteiligten keine Anwendung findet (LR-StPO/Gaede, 27. Aufl. 2023, § 432 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 432 Rn. 4; KK-StPO/Schmidt/Scheuß, a.a.O., Rn. 9). Unbeschadet dieser Rechtslage wäre dem Amtsgericht mangels ordnungsgemäßer Ladung der Beschwerdeführerin weder eine Verwerfung des Einspruches ohne Sachprüfung, noch eine Entscheidung gemäß § 430 Abs. 1 StPO in ihrer Abwesenheit möglich gewesen. An einer die Beschwerdeführerin belastenden Entscheidung wäre das Amtsgericht überdies unabhängig von der fehlenden Ladung angesichts der zuvor bekannt gewordenen, veränderten materiellen Rechtslage gehindert gewesen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Der im Ergebnis geringe, ohne praktische Auswirkung bleibende Teilerfolg des Rechtsmittels rechtfertigt es nicht, die Beschwerdeführerin auch nur anteilig von den durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.

Gegen diese Entscheidung ist kein weiteres Rechtsmittel statthaft (§ 310 Abs. 2 StPO).