Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.07.2015, Az.: L 8 SO 197/12
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.07.2015
- Aktenzeichen
- L 8 SO 197/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 44875
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG - 10.05.2012 - AZ: S 22 SO 87/11
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 10. Mai 2012 aufgehoben und der Bescheid des Landkreises Soltau-Fallingbostel vom 22. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 2. August 2011 geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Kosten für den Intensivkurs in Lebenspraktischen Fähigkeiten vom 31. Juli bis 13. August 2011 in Höhe von 968,12 € zu erstatten.
Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie Fahrzeitentschädigung für die Teilnahme an einer 2011 durchgeführten Maßnahme zur Erlangung Lebenspraktischer Fähigkeiten (LPF).
Der 2000 geborene Kläger und Berufungskläger (im Folgenden: Kläger) ist geburtsblind und als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen „B“, „H“ und „BL“ anerkannt. Er wohnt im Haushalt seiner Eltern in G. im Kreisgebiet des Beklagten und Berufungsbeklagten (im Folgenden: Beklagter). Anfang Januar 2011 - zu dieser Zeit wurde der Kläger an einer Realschule integrativ beschult (5. Klasse) - beantragte er beim Landkreis Soltau-Fallingbostel, dem Rechtsvorgänger des Beklagten, die Übernahme der Kosten eines zweiwöchigen LPF-Intensivkurses und überreichte neben einem Attest des Arztes für Augenheilkunde Dr. H., I., und einer Stellungnahme des mobilen Dienstes der Niedersächsischen Landesschulbehörde, Lüneburg, über die Erforderlichkeit des LPF-Trainings vom 24. November 2010 einen Kostenvoranschlag des Instituts für Rehabilitation und Integration Sehgeschädigter e.V. (IRIS) i.H.v. etwa 4.000,00 €, wobei auf die Lehrgangskosten - vorbehaltlich einer nach § 75 SGB XII noch abzuschließenden Leistungsvereinbarung mit der Freien und Hansestadt J. - ein Betrag von 3.077,34 € entfiel und auf die Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie auf Fahrzeitentschädigung ein Betrag von 968,13 €. Bei dem LPF-Training, das in der Form des Intensivkurses in einem vom IRIS angemieteten Tagungszentrum stattfindet, werden den Teilnehmenden u.a. altersentsprechende blindenspezifische Fähigkeiten zur selbstbestimmten und selbstständigen Gestaltung des Alltags vermittelt, im Falle des Klägers etwa beim Umgang mit Geld, Kleiderpflege/-reparatur, Körperpflege, Nahrungsaufnahme/-zubereitung.
Durch Kostenanerkenntnis vom 22. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2011, der unter Beteiligung sozial erfahrener Dritter (§ 116 SGB XII) erlassen wurde, übernahm der Beklagte die Kosten des vom 31. Juli bis 13. August 2011 in dem etwa 120 km vom Wohnort des Klägers entfernten K. (Landkreis Oldenburg) durchgeführten Lehrgangs, nicht hingegen die übrigen Kosten für Unterbringung, Verpflegung etc. Diese Kosten wurden dem Kläger am 16. August 2011 vom IRIS i.H.v. 968,12 € in Rechnung gestellt und von seinem Vater am 30. August 2011 beglichen. Zur Berechnung der Lehrgangskosten für die 42 Unterrichtseinheiten zog der Beklagte eine vom 1. Juli 2000 bis 31. Dezember 2001 befristete Leistungs- und Vergütungsvereinbarung zwischen IRIS und der Freien und Hansestadt J. nach § 93 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) heran, nach der „für Leistungen, die ambulant erbracht werden“, eine - Wegezeiten einschließende - Maßnahmepauschale von 125,70 DM (~ 64,27 €) vorgesehen war. Die Lehrgangskosten bezifferte er danach auf 2.699,34 € (42 Einheiten x 64,27 €/Einheit). Die von IRIS gegenüber dem Beklagten in dieser Höhe in Rechnung gestellten Lehrgangskosten wurden vom Beklagten Ende September 2011 beglichen. Auf einen ambulanten, wohnortnahen Leistungserbringer wies der Beklagte den Kläger im Verwaltungsverfahren nicht hin.
Auf die gegen das Kostenanerkenntnis am 30. August 2011 beim Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobene Klage hat der Beklagte durch Schriftsatz vom 4. Oktober 2011 seine Bereitschaft erklärt, direkt mit IRIS abzurechnende Lehrgangskosten in Höhe von 3.150,00 € zu übernehmen. Eine Erstattung der vom Vater des Klägers beglichenen Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten von 968,12 € hat er weiterhin abgelehnt. Das Leistungsangebot des Beklagten, das der Kläger am 10. Mai 2012 vor dem SG in mündlicher Verhandlung als „Teilanerkenntnis“ angenommen hat, beruhte auf der am 1. Juli 2011 vom IRIS und der Freien und Hansestadt J. (mit Gültigkeit ab 1. Juli 2011) geschlossenen Vereinbarung nach § 75 SGB XII, nach der für ein LPF-Training eine „Maßnahmenpauschale für Einzelmaßnahmen ambulant von 75,00 € je Stunde“ zu vergüten seien. Im weiteren hat das SG die Klage durch Urteil vom 10. Mai 2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die zwischen IRIS und der Freien und Hansestadt J. geschlossene und auch im Verhältnis des Klägers zum Beklagten geltende Vereinbarung bilde eine Kostenobergrenze, so dass die mit der Klage noch geltend gemachten Fahrt- und Unterbringungskosten nicht erstattungsfähig seien. Weil diese Frage von der Freien und Hansestadt J. und IRIS in der Vereinbarung vom 1. Juli 2011 abschließend geklärt worden sei, komme auch keine Leistungsgewährung nach § 75 Abs. 4 SGB XII für eine Maßnahme eines nicht vereinbarungsgebundenen Leistungserbringers in Betracht.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 6. Juni 2012. Nachdem IRIS gegenüber dem Beklagten Mitte 2013 aufgrund des erstinstanzlich abgegebenen „Teilanerkenntnisses“ weitere Lehrgangskosten von 450,66 € geltend gemacht (Lehrgangskosten Gesamt: 3.150,00 €) und der Beklagte auch diese Kosten beglichen hat, macht der Kläger im Berufungsverfahren noch geltend, der Beklagte sei nach dem Sachleistungsprinzip verpflichtet, auch die geltend gemachten Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie die Fahrzeitentschädigung zu übernehmen. Hierfür bedürfe es keiner Vereinbarung i.S. des § 75 Abs. 3 SGB XII, zumal die Vereinbarung zwischen IRIS und der Freien und Hansestadt J. wegen der Versorgungslage in dem Stadtstaat, in dem IRIS das LPF-Training auch ambulant anbiete, nicht übertragbar sei. Jedenfalls liege ein besonderer Fall i.S. des § 75 Abs. 4 SGB XII vor, nach dem eine Leistungserbringung auch ohne Leistungs- und Vergütungsvereinbarung möglich sei. Der Beklagte habe den Kläger im Vorfeld des Intensivkurses auch nicht auf ein ambulantes Angebot eines Leistungserbringers vor Ort verwiesen bzw. verweisen dürfen, weil dem Kläger ein alternativer Leistungserbringer nicht bekannt und eine ambulante Maßnahme am Nachmittag aufgrund seiner Verpflichtungen während der Schulzeit (Hausaufgaben, Ergo, Hobbys) nicht zumutbar gewesen sei. Mit einer ambulanten Maßnahme wären ohnehin die gleichen oder sogar höhere Kosten einhergegangen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 10. Mai 2012 aufzuheben und den Bescheid des Landkreises Soltau-Fallingbostel vom 22. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 2. August 2011 zu ändern,
2. den Beklagten zu verurteilen, ihm - dem Kläger - Kosten für den Intensivkurs in Lebenspraktischen Fähigkeiten vom 31. Juli bis 13. August 2011 in Höhe von 968,12 € zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend und macht zusätzlich geltend, dass die Kosten des LPF-Intensivkurses diejenigen einer entsprechenden Trainingsmaßnahme am Wohnort des Klägers um etwa 400,00 € übersteigen würden und die hier geltend gemachten Kosten (Unterbringungs- und Fahrtkosten) allein auf die Entscheidung der Eltern des Klägers zurückzuführen seien. Diese Kosten würden auch der regulären Unterhaltsverpflichtung der Eltern entsprechen und könnten etwa durch das monatliche Landesblindengeld von 320,00 € gedeckt werden. Der Kläger sei aus Gleichbehandlungsgründen nicht anders zu behandeln als Leistungsberechtige aus dem Stadtgebiet J. s, die nach der Verwaltungspraxis des Stadtstaats für diese Kosten ebenfalls selbst aufzukommen hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft. Der nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG maßgebliche Beschwerdewert von über 750,00 € ist hier erreicht, weil der Kläger in der Sache (noch) die Erstattung der von seinem Vater beglichenen Unterbringungs-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie Fahrzeitentschädigung i.H.v. 968,12 € begehrt. Das in mündlicher Verhandlung vom Kläger angenommene Angebot des Beklagten, gegenüber IRIS Lehrgangskosten zu einem höheren Vergütungssatz abzurechnen, berührt die Statthaftigkeit der Berufung nicht. Zum einen handelt es sich bei diesem Angebot nicht um ein (Teil-) Anerkenntnis im prozessualen Sinn, weil es von einer Bedingung - der Rechnungsstellung durch IRIS - abhängig gemacht worden ist. Zum anderen betrifft es allein - nach entsprechender Rechnungsstellung - höhere Lehrgangskosten und nicht den vornehmlich im Streit stehenden Kostenanteil, den der Vater des Klägers getragen hat.
Die Berufung ist begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abse. 1 und 4 SGG) gegen das Kostenanerkenntnis des Rechtsvorgängers des Beklagten, des Landkreises Soltau-Fallingbostel, vom 22. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 2. August 2011 (§ 95 SGG), mit dem dieser die Übernahme der über die Lehrgangskosten hinausgehenden Aufwendungen des Klägers abgelehnt hatte, zu Unrecht abgewiesen.
Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung ist § 15 Abs. 1 Satz 4 2. Alt SGB, nach dem selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten sind, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Dies ist hier der Fall, weil der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Übernahme der wegen der Teilnahme des Klägers an dem LPF-Intensivkurs in K. (31. Juli bis 13. August 2011) entstandenen Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie der Fahrzeitentschädigung in einer Gesamthöhe von 968,12 € hatte.
Diese Aufwendungen waren als Leistung der Eingliederungshilfe nach § 19 Abs. 3 SGB XII i.V.m. §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung zu übernehmen, weil sie auf die Teilnahme an dem LPF-Intensivkurs zurückzuführen sind, der seinerseits eine solche Eingliederungshilfe darstellt.
Richtiger Beklagte ist hier der beklagte Landkreis, der diese Leistung für das Land Niedersachsen, dem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, nach §§ 97 Abse. 1 und 2 Satz 1, 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII i.V.m. § 3 Abs. 3 SGB XII und § 6 Abs. 2 Nr. 1 des Nds. Ausführungsgesetz zum SGB XII vom 16. Dezember 2004 (Nds. GVBl. 2004, 644) i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 der ab 1. Januar 2011 geltenden Verordnung zur Durchführung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (DVO Nds AG SGB XII) vom 27. Juni 2011 (Nds. GVBl. 2011, 178) erbracht hat, weil es sich bei dem LPF-Intensivkurs um eine stationäre Maßnahme gehandelt hat. Der zweiwöchige Intensivkurs hat in einem durch IRIS angemieteten Tagungszentrum stattgefunden und damit in einer Einrichtung i.S. des § 13 SGB XII, unter der ein in einer besonderen Organisationsform zusammengefasster Bestand von personellen und sächlichen Mitteln unter verantwortlicher Trägerschaft verstanden wird, der auf gewisse Dauer angelegt und für einen wechselnden Personenkreis zugeschnitten ist. Für die Bejahung einer stationären Leistung bedarf es keiner konzeptionellen Verknüpfung zwischen der Maßnahme selbst und der Unterbringung in einer Einrichtung, hier in dem Tagungszentrum (vgl. zum sozialhilferechtlichen Einrichtungsbegriff BSG, Urteil vom 13. Juli 2010 - B 8 SO 13/09 R - juris Rn. 13; zum Begriff der stationären Leistung im sozialhilferechtlichen Sinn vgl. auch BSG, Urteil vom 23. August 2013 - B 8 SO 14/12 R - juris Rn. 19).
Der Kläger erfüllt die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII für eine Pflichtleistung. Nach dieser Vorschrift werden Pflichtleistungen nur an Personen erbracht, die durch eine Behinderung i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Als blinder Mensch gilt der Kläger gem. § 1 Nr. 4 der Eingliederungshilfe-Verordnung als körperlich wesentlich behinderter Mensch in diesem Sinne.
Bei dem durchgeführten LPF-Training handelt es sich um eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung i.S. des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SG XII. Nach § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO umfasst diese Hilfe auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern. Nach der Rechtsprechung des BSG liegt der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung ein individualisiertes Förderverständnis zu Grunde, nach dem eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, rechtlich nicht geboten ist, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern. Ausgenommen sind lediglich Leistungen, die dem Kernbereich der schulischen Arbeit zuzuordnen sind (BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 21 m.w.N.).
Nach diesen Maßgaben ist ein LPF-Training bei schulpflichtigen Kindern in aller Regel - wie auch hier - als eine Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung anzusehen, die den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht ermöglicht und erleichtert (ähnlich bereits Senatsbeschluss vom 22. Oktober 2013 - L 8 SO 241/13 B ER - juris Rn. 19 ff. zu einer Autismus-Therapie; vgl. auch SG Detmold, Urteil vom 21. Juli 2009 - S 2 SO 46/09 - juris Rn. 14; SG Düsseldorf, Urteil vom 12. September 2008 - S 22 (29) SO 7/07; a.A.: SG Detmold, Urteil vom 31. März 2015 - S 2 SO 44/12 - medizinische Rehabilitationsleistung i.S. des § 26 SGB IX für den Umgang mit einem Hilfsmittel, Blindenstock). Das LPF-Training dient der Vermittlung von Fähigkeiten zur selbstbestimmten und selbstständigen Gestaltung des Alltags und zur Erlangung sozialer Kompetenzen und damit insbesondere der Teilhabe des behinderten Kindes beim Schulbesuch, etwa im Schulalltag und beim Sportunterricht (Kleiderpflege/-reparatur, Körperpflege), beim gemeinschaftlichen Schulessen (Nahrungsaufnahme/-zubereitung) und allgemein im Umgang mit anderen behinderten und nichtbehinderten Kindern. Die Kosten für das LPF-Training waren in diesem Fall auch als erforderliche (dazu gleich) Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung i.S. des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII zu übernehmen, weil es - in Abgrenzung zu einer medizinischen Rehabilitationsleistung i.S. des § 26 Abs. 3 Nr. 6 SGB IX - nicht einen medizinischen Behandlungsprozess unterstützen sollte, sondern die Förderung der sozialen Teilhabe im Vordergrund gestanden hat (vgl. zu dieser Abgrenzung Luik in: jurisPK-SGB IX, 2. Aufl. 2015, § 26 Rn. 82). Aus diesem Grund hat auch keine Teilhabeleistung der Krankenkasse des Klägers i.S. der §§ 4 Abs. 1, 5 Nr. 1 SGB, 14 IX vorgelegen, die hier als Rehabilitationsträgerin nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX aus diesem Grund auch nicht nach § 75 Abs. 2 SGG notwendig beizuladen war (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 11). Ebenso hat auch keine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (vgl. § 33 Abs. 6 Nr. 6 SGB IX) im Raum gestanden.
Der 2011 durchgeführte LPF-Intensivkurs war zur Erreichung der Ziele der Eingliederungshilfe auch geeignet und erforderlich (§ 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; § 12 Nr. 1 Eingliederungsverordnung; § 4 Abs. 1 SGB IX). Dies ergibt sich aus den im Verwaltungsverfahren vom Kläger vorgelegten Unterlagen, dem Attest des Arztes für Augenheilkunde Dr. H., I., und der Stellungnahme des mobilen Dienstes der Niedersächsischen Landesschulbehörde, Lüneburg, vom 24. November 2010 und der Leistungsbeschreibung im Kostenvoranschlag des IRIS vom 20. Dezember 2010, sowie - rückblickend - aus dem ebenfalls in der Verwaltungsakte enthaltenen Bericht vom IRIS über den LPF-Intensivkurs vom 13. August 2011. Der Kläger hatte zuletzt im Alter von sieben Jahren einen LPF-Kurs absolviert und zur Bewältigung des Schulalltags einen zu deckenden Bedarf an altersentsprechenden blindenspezifischen Fähigkeiten. Zudem mussten bereits erlernte Fähigkeiten durch Rehabilitationsfachkräfte überprüft werden.
Der Erforderlichkeit des LPF-Intensivkurses steht auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Wunsch- und Wahlrechts nach § 9 SGB XII entgegen, dass eine ambulante Maßnahme am Wohnort des Klägers gleich geeignet, aber kostengünstiger gewesen wäre. § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII sieht insoweit einen Mehrkostenvorbehalt vor, nach dem der Träger der Sozialhilfe in der Regel Wünschen nicht entsprechen soll, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Dieser Vorbehalt ist hier nicht einschlägig, weil er das Vorhandensein (mindestens) einer Alternative zur Bedarfsdeckung voraussetzt und diese dem Hilfeberechtigten auch zumutbar sein muss (Müller-Grune in: jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, Rn. 33 m.w.N.). Zumutbarkeit in diesem Sinne setzt regelmäßig - wie auch hier - voraus, dass der Hilfeberechtigte vom Leistungsträger (rechtzeitig) über gleich geeignete Alternativen aufgeklärt wird (vgl. Senatsentscheidung vom 24. Mai 2007 - L 8 SO 136/06 - juris Rn. 60). Dies ist hier im Verwaltungsverfahren nicht geschehen und auch nicht entbehrlich gewesen, weil sich etwa die Eltern des Klägers - wie der Beklagte meint - mit Antragstellung und sogar nach Erlass des Ausgangsbescheids im März 2011 ausschließlich für den LPF-Intensivkurs entschieden hätten und damit gegen eine ambulante Maßnahme. Der geäußerte Wunsch einer bestimmten Maßnahme befreit den Beklagten insoweit nicht von seinen Auskunfts- und Beratungspflichten (§§ 14, 15 SGB I).
Ungeachtet dessen, wäre der Mehrkostenvorbehalt nach § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB XII hier auch deshalb nicht einschlägig, weil die Kosten des LPF-Intensivkurses von ca. 4.000,00 € die vom Beklagten dargelegten Kosten eines ambulanten Dienstes in Wohnortnähe des Klägers von etwa 3.550,00 € (vgl. Schriftsatz des Beklagten vom 27. Februar 2013) nur um ca. 10 % übertreffen und damit nicht unverhältnismäßig sind. Dies wird allgemein erst bei Mehrkosten angenommen, die 20 % bis 30 % über denen der Vergleichsgruppe liegen, und verneint, wenn diese die Grenze von 20 % nicht erreichen (vgl. jüngst SG Karlsruhe, Urteil vom 28. November 2014 - S 1 SO 750/14 - juris Rn. 28 m.w.N.).
Die vom Kläger geltend gemachten Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie die Fahrzeitentschädigung sind - auch der Höhe nach - notwendigerweise mit seiner Teilnahme an dem LPF-Intensivkurs verbunden gewesen. Der Wohnort des Klägers (G.) ist vom Veranstaltungsort (K.) ca. 120 km entfernt und dem Kläger war ein tägliches Pendeln nicht zuzumuten.
Der Kostenerstattung nach § 15 Abs. 1 Satz 4 2. Alt SGB IX steht schließlich nicht die zwischen IRIS und der Freien und Hansestadt J. geschlossene Vereinbarung nach § 75 Abs. 3 SGB XII vom 1. Juli 2011 entgegen, weil sich diese ausschließlich auf (im Stadtgebiet J. s stattfindende) ambulante Maßnahmen erstreckt, nicht aber auf die vom IRIS angebotene stationäre Leistung des zweiwöchigen LPF-Intensivkurses. Die Festlegung der Leistungen ist § 2 Abs. 2 der Vereinbarung i.V.m. der Anlage 1 (Leistungsbeschreibung) auf Grundlage der Leistungsmerkmale gem. § 3 Abs. 3 des Landesrahmenvertrags sowie dessen Anlage 2 zu entnehmen. Danach ist die LPF-Schulung als Gegenstand der Vereinbarung (allein) eine ambulante Leistung der Eingliederungshilfe gem. § 55 SGB IX (vgl. Nr. 1 der Anlage 1 zur Vereinbarung vom 1. Juli 2011). Damit korrespondiert § 10 Abs. 1 der Vereinbarung, in dem als Vergütung eine „Maßnahmepauschale für Einzelmaßnahmen ambulant“ vorgesehen ist, nicht aber eine Grundpauschale, mit der in Vereinbarungen i.S. des § 75 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII der Vergütungsbestandteil betreffend die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu regeln ist (vgl. § 76 Abs. 2 Satz 1 SGB XII). In der Vereinbarung (und deren Anlagen) ist an keiner Stelle geregelt, dass sie sich auch auf stationäre Leistungen erstreckte und hierfür eine Kostenübernahme durch den Träger der Sozialhilfe ausgeschlossen ist. Hieraus kann entgegen der Auffassung des SG und des Beklagten nicht geschlossen werden, die Beteiligten der Vereinbarung hätten - sozusagen konkludent - eine Übernahme von Kosten eines stationären LPF-Intensivkurses von vornherein ausgeschlossen. Die Beteiligten haben zur Aufnahme stationärer Leistungen als Gegenstand der Vereinbarung wegen der im Stadtgebiet J. s vorrangig zu erbringenden ambulanten Leistungen offensichtlich keine Notwendigkeit gesehen.
Dass damit ein vertragsloser Zustand i.S. des § 75 Abs. 4 SGB XII betreffend die Übernahme von Unterkunfts-, Verpflegungs- und Fahrtkosten sowie der Fahrzeitentschädigung vorgelegen hat, kann bei der hier streitigen Kostenerstattung nicht zu Lasten des Klägers gehen. Denn § 15 Abs. 1 Satz 4 SGB IX regelt einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch aus Garantiehaftung (vgl. BSG, Urteil vom 9. Dezember 2008 - B 8/9b SO 10/07 R - juris Rn. 12). Dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers steht auch nicht entgegen, dass sein Vater die Kosten des LPF-Intensivkurses beglichen hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 26 f.).
Aus § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt sich schließlich, dass die Leistungen für den erforderlichen (s.o.) LPF-Intensivkurs vom Beklagten in vollem Umfang zu erbringen sind (nach dem sog. Bruttoprinzip) und die Erhebung eines Beitrags für die Kosten des Lebensunterhalts (vgl. § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB XII) einem nachgelagerten Verwaltungsverfahren vorbehalten bleibt.
Der Senat hat von einer Beiladung des Leistungserbringers, des IRIS, abgesehen, weil diese bei einem streitigen Anspruch auf Kostenerstattung nicht notwendig i.S. des § 75 Abs. 2 SGG gewesen ist (BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris Rn. 16) und auch keine berechtigten Interessen des Leistungserbringers i.S. des § 75 Abs. 1 SGG berührt waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor, insbesondere sieht der Senat in der Beurteilung eines LPF-Training bei einem schulpflichtigen Kind als Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung i.S. des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfeverordnung unter Berücksichtigung der bisher ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu dieser Hilfe (vgl. insb. BSG, Urteil vom 22. März 2012 - B 8 SO 30/10 R - juris) keine grundsätzliche Bedeutung.