Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 25.05.2009, Az.: L 4 KR 116/09 B ER
Antrag auf Erteilung einer Bestimmung zur ambulanten Behandlung mehrerer Erkrankungen i.R.e. Krankenhausplanung; Körperschaft des öffentlichen Rechts als Trägerin von Grundrechten im Hinblick auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 25.05.2009
- Aktenzeichen
- L 4 KR 116/09 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 30085
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0525.L4KR116.09B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 16 KA 654/08 ER
Rechtsgrundlagen
- § 77 Abs. 1 S. 1 SGB V
- § 116b Abs. 2 SGB V
- § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG
- § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG
Fundstelle
- GesR 2010, 109-110
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin zu 2 (Beschwerdeführerin) trägt die Kosten des Verfahrens auch aus dem Beschwerderechtszug.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beschwerde führende Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen (im Folgenden: Beschwerdeführerin) wendet sich gegen die Anordnung des Sofortvollzuges der dem Klinikum C. (im Folgenden: Antragstellerin) erteilten Bestimmung nach § 116b Abs. 2 Sozialgesetzbuch -Fünftes Buch- (SGB V).
Die Antragstellerin stellte mit Datum vom 13. März 2007 bei dem für die Krankenhausplanung im Land Niedersachsen zuständigen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit (im Folgenden: Ministerium) einen Antrag auf Erteilung einer Bestimmung zur ambulanten Behandlung mehrerer Erkrankungen, unter anderem der Multiplen Sklerose (MS). Das Ministerium erhob bei der Antragstellerin die erforderlichen Daten und beteiligte die Beschwerdeführerin und die an der Krankenhausplanung beteiligten Stellen an dem Bestimmungsverfahren. Die Beschwerdeführerin gab bereits in diesem Verfahrensstadium zu bedenken, dass die Notwendigkeit für die Abgabe ambulanter Leistungen durch ein Krankenhaus in C. nicht bestehe, weil die Behandlung der MS in dieser Region bereits durch die niedergelassenen Nervenärzte und das Medizinische Versorgungszentrum der D. -Klinik in C. sicher gestellt sei. Speziell im Hinblick auf die Antragstellerin sei zu bedenken, dass die ambulante Behandlung der gesetzlich Krankenversicherten bereits durch eine bei der Antragstellerin beschäftigte ermächtigte Krankenhausärztin sicher gestellt sei. Es bestehe die Gefahr, dass es zu Doppelabrechnungen komme.
Das Ministerium erteilte der Antragstellerin mit Bescheid vom 9. Juli 2009 die beantragte Bestimmung. In der Begründung des Bescheides hieß es, dass die Antragstellerin nach dem Ergebnis der durchgeführten Ermittlungen für die ambulante Behandlung von MS geeignet sei. Eine Bedarfsprüfung habe in diesem Zusammenhang nicht stattzufinden. Soweit die Beschwerdeführerin Abrechnungsprobleme wegen der Tätigkeit einer bei der Antragstellerin beschäftigten ermächtigten Krankenhausärztin sehe, würden diese nicht geteilt, weil die damit verbundenen Probleme beherrschbar seien.
Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin am 25. Juli 2008 Klage bei dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 16 KA 343/08 anhängig ist.
Die Antragstellerin, die bisher nicht an dem Klageverfahren beteiligt wurde, hat am 19. Dezember 2008 bei dem SG Hannover einen gegen das Ministerium und die Beschwerdeführerin gerichteten Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Bestimmung vom 9. Juli 2008 gestellt und geltend gemacht, dass ihr Haus alle Voraussetzungen für die Erteilung der Bestimmung nach § 116b Abs. 2 SGB V erfülle. Die von der Beschwerdeführerin im Klageverfahren in erster Linie geltend gemachten Bedarfsgesichtspunkte seien für die Erteilung der Bestimmung unmaßgeblich. Die Beschwerdeführerin sei darüber hinaus auch nicht in eigenen Rechten beeinträchtigt, so dass es an der notwendigen Klagebefugnis fehle. Eine Verbandsklage sehe das Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht vor.
Das SG hat dem Antrag nach Anhörung der Beschwerdeführerin und des Ministeriums durch Beschluss einer Fachkammer für Vertragsarztangelegenheiten vom 4. Februar 2009 stattgegeben und die sofortige Vollziehung der der Antragstellerin erteilten Bestimmung angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Antrag zwar unzulässig sei, weil diese an dem Verfahren zur Erteilung der Bestimmung nach § 116b Abs. 2 SGB V nicht beteiligt sei. Der gegenüber dem Ministerium gestellte Antrag sei aber zulässig, weil die von der Beschwerdeführerin erhobene Klage gegen den Bescheid vom 9. Juli 2008 aufschiebende Wirkung entfalte. Er sei auch begründet, weil der Bescheid rechtmäßig sei. Insbesondere seien Rechte der Beschwerdeführerin nicht betroffen, denn nach der Gesetzesbegründung des § 116b SGB V habe der Gesetzgeber beabsichtigt, im Bereich der ambulanten Behandlung gesetzlich Krankenversicherter neue Versorgungsformen zu etablieren. Der der Beschwerdeführerin gesetzlich übertragene Sicherstellungsauftrag werde durch die neuen Regelungen nicht berührt, weil es sich um eine andere Versorgungsstruktur handele. Die Erteilung von Ermächtigungen für Krankenhausärzte falle auch weiterhin in die Zuständigkeit der Zulassungsgremien der Beschwerdeführerin. Für die Kostenentscheidung zu Lasten der Beschwerdeführerin sei ausschlaggebend gewesen, dass sie durch die Erhebung der Klage gegen das Ministerium Veranlassung zu dem Verfahren auf Anordnung des Sofortvollzuges gegeben habe.
Gegen diesen ihr am 11. Februar 2009 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 6. März 2009 Beschwerde eingelegt. Sie macht geltend, dass die der Antragstellerin erteilte Bestimmung rechtswidrig sei, weil die Interessen der Vertragsärzte bei deren Erteilung nicht hinreichend gewürdigt worden seien. Insbesondere sei verkannt worden, dass die MS zu den Erkrankungen gehöre, die nicht selten seien und die regelmäßig von Nervenärzten behandelt würden. Der Planbereich C. sei in dieser Fachrichtung zu 135% versorgt. Die ambulante Behandlung werde ferner auch von dem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) der D. -Klinik angeboten. Es müsse deshalb bei der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bleiben, um zu vermeiden, dass vollendete Tatsachen zu Lasten der Vertragsärzte in C. geschaffen würden.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 4. Februar 2009 aufzuheben.
Das Land Niedersachsen (Ministerium) beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Es macht geltend, dass die Beschwerdeführerin nicht beschwerdebefugt sei, weil sie nicht berechtigt sei, die Interessen einzelner Vertragsärzte, die hier allenfalls betroffen seien, zu vertreten. Vor diesem Hintergrund sei auch die von der Beschwerdeführerin erhobene Klage unzulässig. In dem Verfahren zur Bestimmung zugelassener Krankenhäuser zur ambulanten Behandlung bestimmter im Gesetz genannter Erkrankungen seien die für die Krankenhausplanung zuständigen Stellen zu beteiligen. Dazu gehöre die Beschwerdeführerin nicht. Bei der streitgegenständlichen Bestimmung handele es sich nicht um "eine Art von Ermächtigung", wie die Beschwerdeführerin geltend mache, sondern um die Feststellung der Eignung des antragstellenden Krankenhauses zur Durchführung von ambulanten Behandlungen in einem eng umgrenzten Rahmen. Nach dem Willen des Gesetzgebers habe in diesem Zusammenhang gerade keine Bedarfsplanung stattzufinden.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie macht geltend, dass die Beschwerdeführerin letztlich keine eigene Rechtsposition vertrete, sondern die Rechtsposition einer Gruppe von Vertragsärzten. Dazu sei sie nicht befugt. Gegebenenfalls müssten sich die Vertragsärzte selbst gegen die ihr erteilte Bestimmung wenden. Es sei aber nicht absehbar, dass sich E. Neurologen bzw. Nervenärzte gegen die Bestimmung wenden würden. In diesem Zusammenhang müsse darauf hingewiesen werden, dass die zur Behandlung von MS ermächtigte Ärztin Dr. F. seit 2005 regelmäßig Patienten auf Grund von Überweisungen von E. Neurologen bzw. Nervenärzte behandele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsakte des Ministeriums und der Akte des Hauptsacheverfahrens des SG Hannover (AZ: S 16 KA 343/08), die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren, Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde der Beschwerdeführerin ist erfolglos.
Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen. Die Anordnung des Sofortvollzuges kann in entsprechender Anwendung des § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG angeordnet werden, wenn die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten liegt.
§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG erfasst ausschließlich Verwaltungsakte mit Drittwirkung. Dabei handelt es sich um Verwaltungsakte, die den Adressaten begünstigen und einen Dritten belasten. Wenn in diesem Fall der Dritte einen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung einlegt, kann das Gericht auf Antrag des Begünstigten die sofortige Vollziehung anordnen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 9. Auflage 2008, § 86b Rdnr. 4).
Die Beschwerdeführerin hat gegen die der Antragstellerin durch das Ministerium am 9. Juli 2008 erteilte Bestimmung nach§ 116b Abs. 2 SGB V Anfechtungsklage erhoben. Diese bei dem SG Hannover unter dem Aktenzeichen S 16 KA 343/08 anhängige Anfechtungsklage hat gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG aufschiebende Wirkung. Denn die Bestimmung nach § 116b Abs. 2 SGB V gehört nicht zu den in § 86a Abs. 2 SGG genannten Ausnahmetatbeständen, in denen die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage entfällt.
Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der erkennende Senat unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes berufen. Denn es geht vorliegend um eine Bestimmung im Rahmen des § 116b Abs. 2 SGB V. Dabei handelt es sich um eine Vorschrift, die im Vierten Kapitel ("Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern"), Vierter Abschnitt ("Beziehungen zu Krankenhäusern und Vertragsärzten") des SGB V enthalten ist. Der erkennende Senat teilt die Auffassung des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg, wonach die Bestimmung eines Krankenhauses zur ambulanten Behandlung von Katalogerkrankungen nach § 116b SGB V eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung ist (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 11. Februar 2008, AZ: L 2 B 485/07 ER KA, veröffentlicht in [...] Das Rechtsportal). Dagegen handelt es sich nicht um eine Streitigkeit, die den Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Psychotherapeuten, Vertragszahnärzten (Vertragsarztrecht), einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände zuzuordnen ist, für die nach§ 10 Abs. 2 SGG bei den Sozialgerichten eigene Fachkammern und nach § 31 Abs. 2 SGG bei den Landessozialgerichten eigene Senate zu bilden sind.
Zu diesem Ergebnis gelangt der Senat unter Berücksichtigung der Gesetzessystematik im Vierten Kapitel Vierter Abschnitt des SGB V in der Fassung des Gesetzes vom 26. März 2007 (BGBl. I 378) und der Begründung des Gesetzgebers. Danach handelt es sich bei der Entscheidung nach § 116b Abs. 2 SGB V um eine solche, die in den Bereich der Krankenhausplanung fällt. Sie ist zu Gunsten des Krankenhauses zu erteilen, wenn es für die Durchführung der beabsichtigten Behandlungen geeignet ist. Es wird ausdrücklich betont, dass eine Bedarfsprüfung nicht erfolgt (vgl. BT-Drucksache 16/3100, Seite 139 li Sp.). Damit handelt es sich um eine Angelegenheit, die den Beziehungen der Krankenkassen zu zugelassenen Krankenhäusern zuzuordnen ist und nicht dem Vertragsarztrecht.
Das SG hat die sofortige Vollziehung der Bestimmung zu Recht angeordnet, weil die Antragstellerin durch sie begünstigt wird, während eine Drittbetroffenheit der Beschwerdeführerin nicht gegeben ist.
Die Beschwerdeführerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Denn nach § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB V bilden die Vertragsärzte zur Erfüllung der ihnen durch das Sozialgesetzbuch -Fünftes Buch- übertragenen Aufgaben für den Bereich jedes Landes eine Kassenärztliche Vereinigung. Die Kassenärztlichen Vereinigungen schließen mit den für ihren Bezirk zuständigen Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen Gesamtverträge über die vertragsärztliche Versorgung der Mitglieder (§ 83 SGB V), schließen Arznei- und Heilmittelvereinbarungen sowie Richtgrößenbestimmungen (§ 84 SGB V) ab und verteilen die Gesamtvergütung an die Vertragsärzte ihres Bezirkes (§ 85 Abs. 4 SGB V).
Die Beschwerdeführerin macht im Wesentlichen geltend, das Ministerium habe bei der Erteilung der Bestimmung zu Gunsten der Antragstellerin die vertragsärztliche Versorgungssituation in C. nicht hinreichend berücksichtigt. Sinngemäß wird damit eingewandt, durch die Etablierung der neuen Versorgungsstruktur im Bereich der ambulanten Behandlung in C. werde eine Verwerfung der Konkurrenzverhältnisse in diesem Marktbereich herbeigeführt. Dabei handelt es sich um eine Rechtsposition, die die in das System der vertragsärztlichen Versorgung eingebundenen Leistungserbringer betrifft (vgl. Bundesverfassungsgericht -BVerfG-, Beschluss vom 17. August 2004, AZ: 1 BvR 378/00, veröffentlicht auf der Internetseite des BVerfG), und zwar im Hinblick auf die Freiheit der Berufswahl bzw. Berufsausübung (Artikel 12 Abs. 1 Grundgesetz -GG-).
Als Körperschaft des öffentlichen Rechts kann die Beschwerdeführerin aber nicht Trägerin von Grundrechten sein. Dies gilt auch unter Berücksichtigung dessen, dass sie im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Denn die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben allein macht die juristische Person des öffentlichen Rechts nicht zum grundrechtsgeschützten Sachwalter des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte, mag die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben auch der Verwirklichung seiner Grundrechte (möglicherweise mittelbar) förderlich sein (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz Kommentar, Art. 19 Rdnr. 120).
Es ist demnach davon auszugehen, dass die Bestimmung der Antragstellerin zur ambulanten Behandlung nach § 116b Abs. 2 SGB V die Beschwerdeführerin nicht in ihren Rechten verletzt. Da der Beschwerdeführerin somit die materielle Beschwer fehlt, überwiegt das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung des Sofortvollzuges der ihr erteilten Bestimmung gegenüber dem Interesse der Beschwerdeführerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer möglicherweise unzulässigen Klage.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung in entsprechender Anwendung.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit § 52 Abs. 2 GKG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).