Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.05.2009, Az.: L 2 R 77/09
§ 7 Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) als Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung; Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit; Qualifizierung einer Tätigkeit als selbstständig durch die Benutzung eigenen Werkzeugs oder eigenen Arbeitsmaterials
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 27.05.2009
- Aktenzeichen
- L 2 R 77/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 18062
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:0527.L2R77.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 10.12.2008 - AZ: S 14 R 383/05
Rechtsgrundlage
- § 7 Abs. 1 SGB IV
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin und der Beigeladenen aus beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die von der Beklagten getroffene Feststellung, dass die Beigeladene für sie im Rahmen eines abhängigen und dem Grunde nach versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses tätig gewesen ist.
Die 1949 geborene Klägerin ist Diplom-Sozialpädagogin. Sie verfügt über eine abgeschlossene Ausbildung als Systemische Familientherapeutin. Nach langjähriger beruflicher Tätigkeit insbesondere im öffentlichen Dienst und bei Wohlfahrtsverbänden gründete sie zum 1. Januar 2003 die "Systemische Praxis K ... Diese Praxis erbringt insbesondere Leistungen der sozialpädagogischen Familienbetreuung nach § 31 SGB VIII für Träger der Jugendhilfe, namentlich auch für den Fachbereich Jugend der Region Hannover.
In einer von der Klägerin erstellten schriftlichen Ausarbeitung des Leistungsangebots der L., die in die zwischen ihr und dem Jugendamt der Region M. abgeschlossene Rahmenvereinbarung mit aufgenommen worden ist, wird hervorgehoben, dass die Hilfe für einen längeren Zeitraum gewährleistet sei. Die Praxis arbeite bedarfsorientiert, d.h. auch nachts und an Wochenenden; sie biete Krisenintervention. Während der Betreuungszeit würden regelmäßig durch Hilfeplangespräche die Arbeit und ihre Wirksamkeit überprüft. Es werde mit einem "verbindlichen Checklistenprogramm" gearbeitet. "Einmal monatlich oder mehrfach bei Bedarf" fänden Teambesprechungen statt; Supervision, Fortbildung, Schulungen und Training gewährleisteten die Qualität der Arbeit. Die Klägerin persönlich übernehme die "Unterweisung und Beratung der neuen Kolleginnen und Kollegen".
Dabei schließt die Klägerin auf der Grundlage einer Leistungs- und Entgeltvereinbarung nach § 77 SGB VIII mit dem Träger der Jugendhilfe jeweils Einzelvereinbarungen über die für eine Familie in einem bestimmten Zeitraum zu erbringenden Hilfeleistungen ab. Darin wird beispielsweise vereinbart, dass innerhalb der sechsmonatigen Leistungsdauer wöchentlich eine bestimmte Anzahl von "Nettofachleistungsstunden" (bei gleichzeitiger Festlegung der durchschnittlichen Zahl der wöchentlichen Klientenkontakte) zu erbringen sind.
Soweit die Klägerin die entsprechenden Betreuungsleistungen nicht persönlich erbringen will, versichert sie sich von der Annahme eines solchen Auftrages der Mitwirkung einer anderen geeigneten Fachkraft; in diesem Fall wird in der von der Klägerin mit dem Jugendhilfeträger abzuschließenden Einzelleistungsvereinbarung ausdrücklich festgehalten, dass die Betreuung durch diese (namentlich aufgeführte) Fachkraft erfolgt. Gegenüber dem Jugendhilfeträger rechnet die Klägerin ab.
Die Klägerin ihrerseits schließt mit den von ihr herangezogenen Fachkräften wiederum sog. "Honorarverträge" ab, in denen - angelehnt an die mit dem Jugendhilfeträger getroffene Einzelvereinbarung - jeweils gesondert die Betreuung einer einzelnen Familie in einem bestimmten Leistungszeitraum geregelt wird. In diesen Verträgen wird jeweils für diesen konkreten Zeitraum festgelegt, wie viele Wochenstunden die (in dem Vertrag als "Honorarkraft" bezeichnete) Fachkraft für die Betreuung der konkret benannten Familie "im Rahmen der sozialpädagogischen Familienhilfe nach § 31 SGB VIII" als "wöchentliche Arbeitszeit" aufzuwenden hat.
Die Verträge enthalten u.a. folgende Regelungen: Die Honorarkraft verpflichtet sich zur regelmäßigen Berichterstattung und zur Führung von Fallgesprächen mit dem ASD (§ 1 Abs. 3). Das Honorar für die Tätigkeit beträgt 30,00 EUR je geleistete Stunde (60. Min.). Die An- und Abfahrt zu der Familie ist nicht in der dort genannten Betreuungs- und Beratungstätigkeit enthalten. Die Fahrtkosten zu der betreuten Familie werden mit 26 Cent pro km erstattet. Das Honorar und die Fahrtkostenerstattung entfallen, wenn die Leistung nicht erbracht wird (§ 3 Abs. 1). Die Abrechnung erfolgt monatlich für den jeweiligen Vormonat und ist bis zum dritten Tag des Monats einzureichen, eintreffend beim N. (§ 3 Abs. 2). Soweit sich aus diesem Vertrag Abgabenverpflichtungen herleiten, treffen diese die Honorarkraft (§ 3 Abs. 3). Einkünfte aus diesem Vertrag sind bei der Einkommensteuererklärung bzw. dem Lohnsteuerjahresausgleich dem zuständigen Finanzamt anzugeben (§ 3 Abs. 4).
Jedenfalls noch im Jahr 2004 sahen die entsprechenden Verträge darüber hinaus in § 4 vor, dass die Klägerin eine dort näher beschriebene Berufshaftpflichtversicherung abgeschlossen habe, die auch die Honorarkraft einschließe.
Die 1973 geborene Beigeladene ist ebenfalls Diplom-Sozialpädagogin. Ihr Studium hatte sie im Jahr 2000 abgeschlossen, daran schloss sich ein zweijähriges Berufspraktikum ab. Seit 2005 ist die Beigeladene angestellte Sozialpädagogin bei der Region M ...
Die Beigeladene hat im Jahr 2004 folgende "Honorarverträge" mit dem vorstehend erläuterten Inhalt mit der Klägerin abgeschlossen:
- a)
Für die Betreuung einer (namentlich aufgeführten) Familie in O. wurde für den Zeitraum April bis September 2004 eine "wöchentliche Arbeitszeit" von acht Stunden vereinbart.
- b)
Für die Betreuung einer (namentlich aufgeführten) Familie in P. wurde für den Zeitraum Juli bis Dezember 2004 eine "wöchentliche Arbeitszeit" von acht Stunden vereinbart.
- c)
Für die Betreuung einer (namentlich aufgeführten) Familie in M. wurde für den Zeitraum 22. November 2004 bis 15. Januar 2005 wiederum eine "wöchentliche Arbeitszeit" von acht Stunden vereinbart.
Darüber hinaus betreute die Beigeladene im Auftrag der Klägerin zu vergleichbaren Bedingungen, aber ohne förmlichen Abschluss weiterer schriftlicher Honorarverträge vom 21. April bis 17. Juni 2005 eine Familie in Q. mit sechs Wochenstunden und von Mai bis Dezember 2005 eine Familie in P. mit vier Wochenstunden.
Mit Antrag vom 29. April 2004, bei der Beklagten eingegangen am 3. Mai 2004, begehrte die Beigeladene von der Beklagten die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für Selbständige mit einem Auftraggeber. Nach vorheriger Anhörung der Beigeladenen und der Klägerin stellte die Beklagte hingegen mit Bescheiden vom 22. April 2005 fest, dass die Beigeladene ihre Tätigkeit als sozialpädagogische Familienhelferin seit dem 1. April 2004 im Rahmen eines abhängigen und damit dem Grunde nach sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses ausübe.
Hiergegen hat die Beigeladene mit Schreiben vom 26. April 2005 Widerspruch eingelegt und erklärt, dass sie sich "voll und ganz" der Darstellung des Anwalts der Klägerin im Anhörungsverfahren anschließe; zugleich "widerrufe" sie ihre "unklaren Aussagen".
Die Klägerin legte ihrerseits mit Schreiben vom 10. Mai 2005 Widerspruch ein. Die Widersprüche wies die Beklagte mit Bescheiden vom 9. November 2005 zurück. Die Beigeladene unterliege den Weisungen des zuständigen Jugendamtes. Ihr seien kontinuierliche Kontakte zur Fachkraft des Jugendamtes vorgeschrieben und sie habe genau festgelegte Berichte zur Kontrolle und zur Feststellung der weiteren Vorgehensweise abzugeben. Angesichts der Weisungsgebundenheit und des Fehlens von Merkmalen eines unternehmerischen Handelns erfolge die Tätigkeit der Beigeladenen im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung.
Mit der - bereits am 23. August 2005 als Untätigkeitsklage erhobenen - Klage macht die Klägerin geltend, dass die vereinbarte Abrechnung der Tätigkeit der Beigeladenen auf Stundenbasis sich aus der Natur der Sache ergebe und branchenüblich sei. Das Stundenhonorar habe sie mit der Beigeladenen frei ausgehandelt, wobei der dafür in Betracht kommende finanzielle Rahmen natürlich durch die Leistungen des Jugendamtes als Auftraggeber begrenzt sei. Das Jugendamt verlange auch die persönliche Erbringung der Betreuungsleistungen durch die jeweilige Fachkraft. Längere Urlaubs- und Krankheitsvertretungen seien "außerordentlich problematisch" und zögen in aller Regel zumindest einen Stillstand bei der Entwicklung der Klienten nach sich. Die Fachkraft trage ein unternehmerisches Risiko in dem Sinne, dass sie bei schlechter Leistungsqualität keine weiteren Aufträge erhalten würde. In einem vergleichbaren Fall, in dem ein entsprechender Honorarvertrag (ohne die früher in § 4 verwandte Regelung betreffend den Abschluss einer Haftpflichtversicherung) im Jahr 2006 abgeschlossen worden sei, habe die Beklagte mit Bescheid vom 27. März 2007 das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung verneint (Bl. 80 GA).
Mit Urteil vom 10. Dezember 2008, der Klägerin zugestellt am 13. Januar 2009, hat das Sozialgericht Lüneburg die Klage abgewiesen. Die Merkmale für eine abhängige Beschäftigung überwögen. Die Beigeladene sei in die Praxis der Klägerin eingebunden, da diese den vom Jugendamt übernommenen Auftrag nicht vollständig an die Honorarkraft abgebe, sondern nach außen hin gegenüber dem Jugendamt Auftragnehmerin verbleibe und aufgrund der mit dem Jugendamt geschlossenen Qualitäts- und Leistungsvereinbarung für die Durchführung des Betreuungsauftrages im Ergebnis die Verantwortung trage. Auch der Abschluss einer die Klägerin einbeziehenden Haftpflichtversicherung sei ein weiteres Indiz dafür, dass die Beigeladene die Tätigkeit nicht als eigenverantwortliche Unternehmerin ausübe.
Soweit die Beigeladene das Risiko trage, bei Schlechtleistungen keine Folgeaufträge von der Klägerin zu erhalten, unterscheide sich ihr Risiko nicht von dem eines befristet beschäftigten Arbeitnehmers.
Mit ihrer am 12. Februar 2009 eingelegten Berufung hebt die Klägerin demgegenüber hervor, dass die Beigeladene in keiner Weise in ihren Betrieb eingebunden gewesen sei. Die Beigeladene habe selbständig mit der zu betreuenden Familie Zeit und Ort ihrer Betreuungstätigkeit vereinbart. Auch auf die Art der Ausführung der geleisteten Arbeit der Beigeladenen habe sie, die Klägerin, "keinen Einfluss", die Beigeladene verrichte die Betreuungstätigkeit "völlig selbständig". Bei den halbjährigen Hilfeplangesprächen mit dem Jugendamt habe sie, die Klägerin, zwar mitunter teilgenommen und ihre persönlichen Ideen für die Ausgestaltung der Hilfe eingebracht; dies sei aber nicht als Direktionsrecht zu interpretieren.
Die Beigeladene habe in ihrer Wohnung eine eigene Betriebsstätte mit Telefon, Fax und Computer gehabt, sie habe die zu betreuenden Familien mit dem eigenen Fahrzeug aufgesucht.
Die Beigeladene habe wie die übrigen für die Klägerin tätigen Fachkräfte bei jedem neuen Fall frei entscheiden können, ob sie ihn bearbeiten wollte. Sie sei auch berechtigt gewesen, Aufträge von anderen Auftraggebern anzunehmen.
In einem eine andere Fachkraft betreffenden Bescheid vom 14. Mai 2007 habe die Beklagte ihr gegenüber wiederum festgestellt, dass keine abhängige Beschäftigung vorliege, und sie zugleich auf Folgendes hingewiesen: "Wir weisen darauf hin, dass die in diesem Bescheid nach §§ 7a ff. SGB IV getroffene Feststellung für die als sozialpädagogische Familienhelferin tätigen Auftragnehmer von Ihnen für alle weiteren Auftragnehmer mit derselben Tätigkeit anzuwenden ist, die unter gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen für Sie tätig sind bzw. zukünftig tätig werden. Sofern Sie beabsichtigen, für die als sozialpädagogische Familienhelferin tätigen und noch nicht beurteilten Auftragnehmer weitere Anträge auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status zu stellen, ist von Ihnen schriftlich detailliert darzulegen, welche Änderungen der tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse sich zwischenzeitlich ergeben haben."
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgericht Lüneburg vom 10. Dezember 2008 und die Bescheide der Beklagten vom 22. April 2005 in der Fassung der Widerspruchsbescheide vom 9. November 2005 aufzuheben und
- 2.
festzustellen, dass die Beigeladene im Rahmen der im Zeitraum April 2004 bis Dezember 2005 in ihrem Auftrag wahrgenommenen sozialpädagogischen Betreuungstätigkeit nicht abhängig beschäftigt war.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Die Beklagte beruft sich auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2004 (L 4 KR 263/01) und weist darauf hin, dass die stundenweise Abrechnung und die Dokumentationspflichten dem typischen Bild eines Arbeitsverhältnisses entsprächen. Die Beigeladene habe auch keinen nennenswerten Kapitaleinsatz tätigen müssen, da Fax, Telefon, Computer und PKW üblicherweise in einem Haushalt vorhanden seien. Soweit in einem gleichgelagerten Fall eine abweichende Entscheidung getroffen worden sei, sei ggf. eine entsprechende Bescheidaufhebung zu erwägen.
Der Senat hat die Klägerin und die Beigeladene informatorisch und die Fachbereichsleiterin des Fachbereichs Jugend im Dezernat Soziale Infrastruktur der Region M. R. als Zeugin gehört. Wegen der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Details des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zutreffend festgestellt, dass die Beigeladene ihre im April 2004 aufgenommene (und bis Dezember 2005 fortgesetzte) Tätigkeit als sozialpädagogische Familienhelferin im Rahmen eines abhängigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Betrieb der Klägerin ausgeübt hat. Dementsprechend vermag die Klägerin mit ihrem auf das Fehlen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gerichteten Feststellungsantrag nicht durchzudringen.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1, a.a.O.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (zur Verfassungsmäßigkeit der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit, vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 20. Mai 1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung (BSG, U.v. 28. Mai 2008 - B 12 KR 13/07 R -).
Maßgebliches Kriterium für ein solches Unternehmerrisiko ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist (BSG, a.a.O.).
Ausgangspunkt der Prüfung ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt und sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt. Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die sich hieraus ergebende Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht aber der formellen Vereinbarung regelmäßig vor. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung danach so, wie sie praktiziert wird, und die praktizierte Beziehung so, wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, a.a.O.).
Dabei kommt es nicht ausschlaggebend auf vertragliche - auch im vorliegenden Fall getroffene - Vereinbarungen an, wonach ein vertraglicher Urlaubsanspruch und ein vertraglicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung fehlen sollen. Maßgebend ist vielmehr das Gesamtbild der Arbeitsleistung nach den tatsächlichen Verhältnissen. Regelmäßig sind die tatsächlichen Verhältnisse entscheidend, wenn sie von den vertraglichen Vereinbarungen abweichen, letztere müssen jedoch dann beachtet werden, wenn die tatsächlichen Verhältnisse weder in die eine noch in die andere Richtung deuten (vgl. BSG, U.v. 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 5).
Im vorliegenden Fall spricht die gebotene Gesamtschau für das Vorliegen eines abhängigen und, da mehr als nur geringfügig ausgeübten, versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beigeladenen in den Zeiträumen 1. April 2004 bis 15. Januar 2005 und 21. April bis 31. Dezember 2005.
Die Beigeladene hat im Auftrag der Klägerin, die ihrerseits Auftragnehmerin des Jugendamtes der Region M. war, in den genannten Zeiträumen in folgendem zeitlichen Umfang Familien betreut: April bis Juni 2004 wöchentlich acht Stunden, Juli bis September 2004 wöchentlich 16 Stunden, 1. Oktober bis 21. November 2004 wöchentlich acht Stunden, 22. November bis 31. Dezember 2004 wöchentlich 16 Stunden, 1. bis 15. Januar 2005 wöchentlich acht Stunden. Nach einer vorübergehenden Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses vom 16. Januar bis 20. April 2005 belief sich der zeitliche Umfang ihrer Betreuungstätigkeit im Zeitraum 21. bis 30. April 2005 auf wöchentlich sechs Stunden, im Zeitraum 1. Mai bis 17. Juni 2005 auf wöchentlich zehn Stunden und nachfolgend bis Dezember 2005 auf wöchentlich vier Stunden. Bei den genannten Zeitwerten handelte es sich um die reinen Betreuungszeiten, hinzu kam der Zeitaufwand für Dienstfahrten insbesondere zum Aufsuchen der zu betreuenden Familien, Teambesprechungen und Supervisionen.
Das von der Beigeladenen bezogene wöchentliche Entgelt belief sich von April bis Juni 2004 auf 240 EUR (entsprechend monatlich rund 1.030 EUR), von Juli bis September 2004 auf wöchentlich 480 EUR, vom 1. Oktober bis 21. November 2004 auf wöchentlich 240 EUR, vom 22. November bis 31. Dezember 2004 auf wöchentlich 480 EUR, vom 1. bis 15. Januar 2005 auf wöchentlich 240 EUR, vom 21. bis 30. April 2005 auf wöchentlich 180 EUR, vom 1. Mai bis 17. Juni 2005 auf wöchentlich 300 EUR und nachfolgend bis Dezember 2005 auf wöchentlich 120 EUR. Fahrtkosten wurden zusätzlich erstattet.
Im vorliegenden Fall war die Tätigkeit der Beigeladenen zunächst nicht durch Umstände geprägt, die die Übernahme eines echten Unternehmerrisikos zum Ausdruck brachten. Insbesondere hat die Beigeladene nicht in nennenswertem Umfang eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen und persönlichen Mittel war vielmehr ganz überwiegend gewiss.
Die vertraglichen Vereinbarungen zwischen der Klägerin und der Beigeladenen sicherten dieser einen Anspruch auf Bezahlung mit dem vereinbarten Stundensatz von 30 EUR für jede Stunde der tatsächlichen aufgewandten Betreuungszeit (natürlich nur innerhalb der vertraglich im Wochendurchschnitt vorgesehenen Höchstgrenze) zu. Die Beigeladene ging mit den Betreuungsleistungen damit gerade nicht das Risiko ein, den Einsatz ihrer Arbeitskraft nicht honoriert zu bekommen. Das von der Klägerin in diesem Zusammenhang angesprochene Risiko der Beigeladenen, im Falle qualitativ unzureichender Leistungen keine Anschlussaufträge zu erhalten, beinhaltet nicht ein spezifisches unternehmerisches Risiko. Auch Arbeitnehmer gehen jedenfalls typischerweise das Risiko ein, dass ihr Vertragsverhältnis bei qualitativen Leistungsmängel nicht weitergeführt wird, sei es, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis ausläuft, sei es, dass ein unbefristetes von Seiten des Arbeitgebers gekündigt wird.
#Einen nennenswerten Kapitaleinsatz erforderte die Tätigkeit als sozialpädagogische Familienhelferin ohnehin nicht. Für das Abfassen der Berichte und eventuellen Schriftverkehr wurde ein Personalcomputer (ohne besondere Leistungsanforderungen) benötigt, die Emailkorrespondenz mit der Klägerin erforderte einen Internetzugang. Ein internetfähiger Personalcomputer gehört aber heutzutage jedenfalls bei etwas jüngeren Personen mit qualifizierter Schulausbildung zur Grundausstattung; die Beigeladene wird darüber schon aufgrund ihres vorausgegangenen Studiums verfügt haben. Eine Notwendigkeit besonderer Anschaffungen ist in diesem Zusammenhang mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit für die Klägerin nicht verbunden gewesen. Überdies wird heute nicht selten auch Arbeitnehmern erwartet, dass sie auch im häuslichen Bereich per Email erreicht werden können. Dementsprechend ist auch in der Rechtsprechung des BSG anerkannt, dass die Benutzung eigenen Werkzeugs oder eigenen Arbeitsmaterials eine Tätigkeit nicht ohne weiteres als selbständig qualifiziert (vgl. U.v. 30. Januar 2007 - B 2 U 6/06 R - SGb 2007, 748).
Auch eine telefonische Erreichbarkeit über das Festnetz oder ein Handy ist heutzutage insbesondere für jüngere Menschen selbstverständlich und muss überdies auch von vielen Arbeitnehmern, etwa bei Bereitschaftsdiensten, gewährleistet werden. Auf ein Faxgerät war die Beigeladene für ihre Tätigkeit nicht angewiesen.
Die Notwendigkeit eines PKWs für die Ausübung der beruflichen Tätigkeit als Familienhelferin hat der Senat im Ergebnis nicht zu objektivieren vermocht. Die Beigeladene verfügte zwar unabhängig von ihrer Tätigkeit für die Klägerin über einen PKW und hat diesen schon deshalb auch für diese Tätigkeit eingesetzt, weil sie dies als bequemer und zeitsparend empfand. Sie hätte die zu betreuenden Familien, zumal in dem durch den öffentlichen Nahverkehr gut erschlossenen Großraum M., auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln (bei Bedarf unter Zuhilfenahme eines Taxis für den restlichen Weg etwa vom nächstgelegenen Bahnhof zur Wohnung der Familie) erreichen können. Ernsthafte Schwierigkeiten wären damit nicht verbunden gewesen, zumal die Beigeladene im Tagesdurchschnitt nicht mehr als allenfalls einen Hausbesuch vorzunehmen hatte. Eine Krisenbereitschaft in dem Sinne, dass sie die zu betreuenden Familien in akuten Notfällen jederzeit und damit auch unabhängig von den Fahrplänen öffentlicher Verkehrsmittel hätte aufsuchen können, wurde von der Beigeladenen nicht erwartet.
Demgegenüber lagen die entscheidenden Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis der Beigeladenen vor. Diese war namentlich in den Betrieb der Klägerin eingegliedert. Gerade bei Diensten bzw. Arbeiten, die eine besondere Qualifikation des Leistenden - wie etwa im vorliegenden Zusammenhang das sozialpädagogische Studium der Beigeladenen - voraussetzen, ist seit jeher anerkannt, dass die dem Weisungsrecht des Arbeitgebers korrespondierende Weisungsunterworfenheit des Arbeitnehmers zu einer sog funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess verfeinert sein kann (BSG, U.v. 30. Januar 2997, a.a.O.). Eine solche Teilhabe kennzeichnete das Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen.
Die ergänzende Auslegung der zwischen ihnen getroffenen Vereinbarungen macht deutlich, dass die Beigeladene insbesondere die Vorgaben in dem in dem jeweiligen Betreuungsfall mit dem Jugendamt erarbeiteten bzw. von diesem vorgegebenen Hilfeplan sorgfältig zu beachten und bestmöglichst umzusetzen hatte. Dieser Plan war auch in der Praxis Richtschnur für die Arbeit der Beigeladenen. Ohnehin war die Beigeladene nach den getroffenen Vereinbarungen verpflichtet, die Betreuungsleistungen persönlich zu erbringen, sie durfte ihrerseits keine Helferinnen oder sonstige Dritte zur Erbringung dieser Leistungen heranziehen.
Bei vorübergehenden Krankheits- oder Urlaubszeiten vertraten sich die Mitarbeiterinnen der Klägerin wechselseitig. Dies brachte - ebenso wie gemeinsame jedenfalls ab 2005 regelmäßig jedenfalls mehrfach im Jahr durchgeführte Teambesprechungen - eine Eingliederung in den Betrieb der Klägerin zum Ausdruck. Entsprechendes gilt für die von der Klägerin für die Mitarbeiterinnen angebotenen und von ihr auch finanzierten Supervisionstage. Eine Teilnahme der Beigeladenen und der übrigen Mitarbeiterinnen an diesen Supervisionen wurde nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme erwartet, sofern die Betroffene nicht eine konkrete Verhinderung im Einzelfall dartun konnte. Davon ist um so mehr auszugehen, als allen betroffenen Fachkräften die - auch von der Zeugin S. hervorgehobene - Bedeutung der auch den Besprechungen von Fällen dienenden Supervisionen für die Qualitätssicherung bekannt war.
Die Klägerin hat darüber hinaus, wie sie bei ihrer informatorischen Anhörung auch ausdrücklich eingeräumt hat, die Dienst- und Fachaufsicht gegenüber der Beigeladenen ausgeübt. Sie hat insbesondere die von der Beigeladenen zu erstellenden monatlichen Kurzberichte und halbjährlichen Berichte vor ihrer Weiterleitung an das Jugendamt daraufhin geprüft, ob sie ein angemessenes qualitatives Leistungsniveau erkennen ließen. Bei Bedarf hat sie die Beigeladene fachlich beraten, wobei es sich für die Klägerin und die Beigeladene als selbstverständlich verstand, dass sich die Beigeladene ernsthaft und nachhaltig bemühen würde, solche "Ratschläge" auch umzusetzen. Die Beigeladene war damit weisungsgebunden.
Auch die Zeugin S. hat hervorgehoben, dass aus der Sicht des Jugendamtes die Klägerin als Vertragspartnerin des Jugendamtes den erforderlichen fachlichen Standard zu garantieren und die erforderlichen Qualitätssicherungsmaßnahmen zu gewährleisten habe.
Selbstverständlich hatte die Beigeladene als studierte Fachkraft bei der konkreten Ausgestaltung ihrer familienpädagogischen Tätigkeit - wie letztlich bei allen pädagogischen Aufgaben - erhebliche Freiräume. Dies ist aber bei angestellten Pädagogen bzw. Therapeuten nicht anders. Dementsprechend ergibt sich unter diesem Gesichtspunkt kein ausschlaggebender Gesichtspunkt für die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit. Mithin kommt es im Ergebnis auch nicht darauf an, dass ein "verbindliches Checklistenprogramm" im beruflichen Alltag der T. nicht herangezogen worden ist, obwohl dies die Klägerin dem Jugendamt der Region M. in der Rahmenvereinbarung zugesagt hatte.
Entsprechendes gilt für Freiräume bei der Festlegung der Arbeitszeiten. Bei der Verteilung des jeweiligen Stundenkontingents musste die Beigeladene Vorgaben beachten, die sich aus den zu erledigenden Aufgaben und anderen äußeren Umständen ergaben. Hausbesuche mussten mit der Familie abgestimmt werden, eine Begleitung bei Behördengängen bzw. Arztbesuchen musste etwa mit den dortigen Sprechzeiten koordiniert werden. Darüber hinaus musste die Beigeladene für Terminabsprachen und Rückfragen der betreuten Familien auch gewisse telefonische Erreichbarkeit gewährleisten, bezüglich deren Ausmaßes aber keine präzisen Vorgaben bestanden. In dem dadurch gesteckten Rahmen hatte die Beigeladene relativ weite Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Arbeitszeit innerhalb des vereinbarten Betreuungszeitkontingents; sie konnte beispielsweise auch Betreuungsstunden von einer Woche in die nächste verschieben. Letztlich ausschlaggebend für die rechtliche Einordnung der Tätigkeit ist diese Freiheit aber nicht, zumal auch abhängig Beschäftigten vielfach zunehmend größere Freiräume hinsichtlich der Festlegung ihrer Arbeitszeiten eingeräumt werden. Diese Freiheit kann so weit gehen, dass die Arbeit im häuslichen Arbeitszimmer zu verrichten ist und der Arbeitnehmer selbst entscheidet, zu welchen Zeiten er die ihm übertragen betrieblichen Aufgaben dort erledigt.
Der Ort der Tätigkeit ergab sich ohnehin in weiten Teilen aus fachlichen Vorgaben: Die Tätigkeit beinhaltete zu einem erheblichen Teil Hausbesuche in der Wohnung der jeweils zu betreuenden Familie. Die Vor- und Nachbereitung solcher Besuche erfolgte in der Wohnung der Beigeladenen, zu Teambesprechungen und Supervisionen begab sie sich in die Praxisräume der Klägerin. Auch diesbezüglich verblieben pädagogische Freiräume. So konnte es im Einzelfall etwa angezeigt sein, einen Hausbesuch in der Wohnung der zu betreuenden Familie durch einen kleinen gemeinsamen Ausflug zu ersetzen. Dies gilt aber typischerweise in vergleichbarer Weise auch für abhängig beschäftigte Pädagogen. Auch der angestellte Lehrer entscheidet etwa darüber, ob der Biologieunterricht im Klassenzimmer oder im Schulgarten stattfindet.
In der Gesamtbetrachtung überwiegen nach Auffassung des Senates angesichts des Fehlens eines nennenswerten unternehmerischen Risikos auf Seiten der Beigeladenen, der erläuterten Eingliederung der Beigeladenen in den Betrieb der Klägerin und des Verbotes, die geschuldeten Betreuungsleistungen eigenständig an Dritte zu delegieren, die für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sprechenden Umstände.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und trägt dem Umstand Rechnung, dass die Beklagte mit der im Tatbestand erläuterten unterschiedlichen nicht an rechtlich wesentliche Abweichungen in den vertraglichen Vereinbarungen oder deren tatsächliche Ausformung anknüpfenden Einordnung der für die Klägerin tätigen Mitarbeiterinnen eine wesentliche Ursache für die Erhebung der vorliegenden Klage gesetzt hat.
Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.