Landgericht Aurich
Urt. v. 11.01.2021, Az.: 12 Ns 510 Js 9084/19 (76/20)

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
11.01.2021
Aktenzeichen
12 Ns 510 Js 9084/19 (76/20)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71601
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 22.01.2020 - AZ: 606 Cs 571/19

Tenor:

Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Leer vom 22.01.2020 aufgehoben.

Der Angeklagte wird wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt.

Ihm wird gestattet, die Geldstrafe in monatlichen Raten von 200 € bis zum 10. eines Monats, beginnend mit dem auf die Rechtskraft des Urteils folgenden, zu zahlen. Die Bewilligung entfällt, sollte eine Rate ausfallen.

Die sichergestellten 1 g Marihuana und das Einhandmesser werden eingezogen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Angewendete Vorschriften: §§ 1, 3, 29 Abs. 1 Nr. 3, 33 BtmG; §§ 42a Abs. 1 Nr. 3, 53 Abs. 1 Nr. 21a, 54 Abs. 1 und Abs. 2 WaffG, 74 StGB

Gründe

I.

Der Strafrichter in Leer hat den Angeklagten am 22.01.2020 vom Vorwurf des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und einer Ordnungswidrigkeit nach dem Waffengesetz freigesprochen, nachdem er zuvor den durch die Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl am 25.06.2019 erlassen und der Angeklagte dagegen form- und fristgerecht Einspruch eingelegt hatte. Gegen das Urteil des Strafrichters hat die Staatsanwaltschaft form- und fristgerecht Berufung eingelegt mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeklagten. Die Berufung hat Erfolg.

II.

Der zur Tatzeit 21jährige Angeklagte ist ledig und hat keine Kinder. Er ist in B. als Fachkraft für Kurier- Express- und Postdienstleistungen beschäftigt und verdient monatlich zwischen 1.600 und 1.800 €.

Strafrechtlich ist er bisher zweifach in Erscheinung getreten:

1. Am 04.03.2013 sah die Staatsanwaltschaft O. von der Verfolgung eines Fahrens ohne Fahrerlaubnis ab.

2. Am 02.07.2019 erging ein Strafbefehl des Amtsgerichts B. wegen Diebstahls mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10 €. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

„Die Staatsanwaltschaft B. beschuldigt Sie in B. am 26.11.2018 gegen 11.50 Uhr (…). Sie steckten Ware im Gesamtwert von 191,84 € (eine Digitalwochenzeitschaltuhr zum Preis von 4,85 € sowie eine Überwachungskamera Ring Spotlight Cam Battery White zum Preis von 186,99 €) im Geschäft der Firma H. Baumarkt, (…) ein, um sie mitzunehmen, ohne sie bezahlt zu haben.“

Die Geldstrafe hat der Angeklagte bis zum 16. November 2020 vollständig gezahlt.

III.

Die Hauptverhandlung hat in der Sache zu folgenden Feststellungen geführt:

Der Angeklagte fuhr am Vormittag des 14.03.2019 mit dem Zug von B. in Richtung P. Hierzu musste er am Bahnhof in L. umsteigen, weshalb er sich gegen 11.00 Uhr auf dem Bahnsteig 1 des dortigen Bahnhofs aufhielt. In seiner Bauchtasche führte er zu diesem Zeitpunkt ein Klemmverschlusstütchen mit ca. 1 g. Marihuana sowie ein Einhandmesser mit sich. Er wusste, dass er nicht über eine Erlaubnis zum Besitz von Betäubungsmitteln verfügte und es sich bei dem Messer um einen verbotenen Gegenstand handelte. Die Betäubungsmittel und das Messer wurden bei einer Kontrolle durch die Bundespolizei festgestellt und sichergestellt.

IV.

Die Feststellungen zu II. beruhen auf den glaubhaften Angaben des Angeklagten zu seiner Person und dem verlesenen Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 07.12.2020. Der Strafbefehl des Amtsgerichts B. wurde verlesen und die Vollstreckung der Geldstrafe aus dem beigezogenen Vollstreckungsheft bezüglich jenes Verfahrens festgestellt.

Die Feststellungen zu III. beruhen auf der durchgeführten Beweisaufnahme im Übrigen.

Der Angeklagte hat angegeben, er sei von dem Bundespolizeibeamten PHM D. auf dem Bahnsteig 1 zunächst nach seinem Ausweis gefragt worden. Diesen habe er auch gezeigt. Der Beamte habe ihn auch nach verbotenen Gegenständen gefragt und er habe den aktuellen Besitz insoweit verneint. Nach Betäubungsmitteln direkt habe man ihn nicht befragt. Sodann habe der Beamte ihn nach dem auf dem Rücken mitgeführten Turnbeutel gefragt und verlangt, dass ihm dieser zur Durchsicht ausgehändigt werde. Dies habe er verweigert, woraufhin der Beamte sinngemäß geäußert habe, Du gibst ihn oder ich reiße den runter. Er habe ihn dann schließlich unter Protest übergeben. Der Beutel sei durchsucht worden. Anschließend habe man auch die Bauchtasche verlangt. Er habe auch insoweit darauf hingewiesen, dass er mit einer Durchsuchung nicht einverstanden sei. Gleichwohl hätten die Beamten die Bauchtasche durchsucht und die genannten Gegenstände darin gefunden. Anschließend habe man ihn mitgenommen in einen Dienstraum im Bahnhofsgebäude, wo er sich habe entkleiden müssen und alles nochmal durchsucht worden sei, Er habe gegen die Durchsuchung und die Beschlagnahme Widerspruch geführt. Im Zusammenhang mit der Herausgabe des Beutels und der Tasche habe er die Beamten gefragt, warum sie diese meinten durchsuchen zu dürfen, woraufhin man ihn auf den 30-Km-Grenzradius und eine Ermächtigung im Bundespolizeigesetz hingewiesen habe. Als Beschuldigter einer Straftat sei er auf dem Bahnsteig nicht belehrt worden. Dies sei erst später im Dienstraum erfolgt.

Diese Angaben wurden mit Ausnahme der Äußerung, man werde ihm den Rucksack/Turnbeutel gewaltsam entreißen, durch die glaubhaften Angaben des Zeugen POK P. im Wesentlichen bestätigt, der ergänzend ausführte, sie seien zu Dritt auf dem Bahnsteig gewesen, er, der Kollege PHM D. und PKA P., der sich seinerzeit noch in der Ausbildung befand. Sie hätten eine Personenkontrolle als Bundespolizeibeamte im Grenzbereich vorgenommen. Im Rahmen der Kontrolle habe er Marihuanageruch an dem Angeklagten wahrgenommen, der sich dort als einzige Person aufhielt. Zu dem Zeitpunkt habe er ca. 1 ½ bis 2 Meter vom Angeklagten entfernt gestanden. Aufgrund dessen habe man zunächst wie üblich nach dem Besitz verbotener Sachen gefragt und sodann eine Durchsuchung der Person zur Gefahrenabwehr nach dem Bundespolizeigesetz vorgenommen, als dieser verneint wurde. Das Tütchen mit Marihuana und das Einhandmesser habe man in der Bauchtasche gefunden. Er könne sich an die geäußerte Verweigerung der Herausgabe erinnern, nicht aber an eine Frage des Angeklagten auf dem Gleis nach der Rechtsgrundlage, er könne es aber nicht ausschließen. Ebenso wenig könne er sich an ein Einverständnis des Angeklagten mit der Durchsuchung erinnern. Wann der Angeklagte mit dem Verdacht des Betäubungsmittelbesitzes konfrontiert wurde, ob vor oder nach dem Auffinden, wisse er nicht mehr. Bevor man eine Personenkontrolle durchführe, gebe es keine Absprache oder Festlegung, ob diese präventiv aufgrund Polizeirecht oder auf der Grundlage der Strafprozessordnung repressiv erfolgt. Der Zeuge ist glaubwürdig, soweit er Einzelheiten oder Sachverhalte nicht mehr erinnert, wies er auf dies Lücken hin. Auch auf insistierende Nachfragen blieb er ruhig und gab sichtlich um Sachlichkeit bemüht Antwort. So offenbarte er freimütig, nicht mehr zu wissen, ob dem Angeklagten auf dem Bahnsteig bereits eine Straftat vorgeworfen wurde. Seine Angaben stimmen weitgehend mit denen des Angeklagten überein, ohne dass sich wesentlich Widersprüche ergäben, die diese unglaubhaft erscheinen ließen.

Ferner werden die Angaben des Zeugen P. gestützt durch die gem. § 325 StPO verlesene erstinstanzliche Aussage des Zeugen D., der ebenfalls angab, auf dem Bahnsteig den von dem Angeklagten ausgehenden Marihuanageruch festgestellt zu haben, dieser sei von der Person als ihm allgemein anhaftender Duft, nicht speziell von der mitgeführten Tasche ausgegangen. Dort hätten sich auch keine weiteren Personen aufgehalten. An besonderes Wetter erinnere er sich nicht, insbesondere nicht an starken Wind vor Ort. Er habe sich aufgrund des Geruchs mit dem Kollegen durch Blicke verständigt und dann kontrolliert. Die Frage nach verbotenen Gegenständen, die er mitführe, habe der Angeklagte verneint. Er habe ihn die Bauchtasche abnehmen lassen und darin das Einhandmesser und das Klemmtütchen mit Marihuana festgestellt. Daneben habe die Tasche möglicherweise auch Kaugummis enthalten. Rechtsgrundlage sei § 14 BPolG gewesen. Er habe ihn betreffend die Tasche nicht lange überreden müssen, auf Frage habe der Angeklagte diese wenn auch zögerlich ausgehändigt und den Verschluss hinten geöffnet. Ob er auf dem Bahnsteig gegenüber dem Angeklagten bereits auf den Verdacht des unerlaubten Betäubungsmittelbesitzes hingewiesen habe, wisse er nicht sicher. Der Angeklagte sei von Anfang an mit den Maßnahmen nicht einverstanden gewesen. Man habe versucht es ihm zu erklären. Den Straftatvorhalt habe man ihm definitiv nach der Feststellung zusammen mit dem Vorhalt der Ordnungswidrigkeit bzgl. des Messers gemacht. Vorher sei ein so konkreter Vorhalt noch nicht möglich gewesen.

Bei der Durchsuchung sei die Rechtsgrundlage § 102 StPO gewesen, da man einen Anfangsverdacht hatte. Man habe den Angeklagten, der nach P. weiterreisen wollte, nicht zu lange aufhalten wollen und keinen Richter oder Staatsanwalt angerufen. Darüber hinaus habe er schon öfter gehört, dass schnell ein Tütchen weggeworfen wird, dies hätte auch der Angeklagte tun und sich der Betäubungsmittel unbemerkt entledigen können. Er meine schon, dass Gefahr im Verzug vorgelegen habe. Welche Rechtsgrundlage eine Maßnahme habe, lege man nicht vorher durch eine Absprache fest. In der 30-Km-Zone könnten die Beamten jede Person aufgrund ihrer Ermächtigung kontrollieren. An dem Angeklagten sei ihm ein Cappy mit Marihuana-Zeichen bzw. einer Palme aufgefallen, die umgedreht Marihuana darstelle.

V.

Der Angeklagte hat sich durch den Besitz von 1 g Marihuana, ohne über eine Erlaubnis zum Besitz zu verfügen gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtmG strafbar gemacht. Er wusste auch um die Tatsache, dass er die Betäubungsmittel mit sich führte und dass er über keine Erlaubnis verfügt. Daneben hat er mit dem Einhandmesser einen verbotenen Gegenstand geführt und dadurch den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gem. § 53 Abs. 1 Nr. 21a iVm. § 42a Abs. 1 Nr. 3 WaffG verwirklicht. Da sich beide Gegenstände zugleich in derselben vom Angeklagten mitgeführten Bauchtasche befanden, handelt es sich um untrennbare Handlungen im Sinne einer Tateinheit nach § 52 StGB (vgl. OLG Hamm, 13.2.2018, III 1 RVs 100/17 zit. nach juris) mit der Folge, dass eine gesonderte Ahndung der mitverwirklichten Ordnungswidrigkeit gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 OWiG zu unterbleiben hat. Der Angeklagte ist daher ausschließlich aus dem Strafgesetz zu bestrafen.

Die Angaben der Zeugen unterliegen keinem Beweisverwertungsverbot. Die Beamten haben die Kontrolle auf dem Bahnsteig auf der Grundlage des Bundespolizeigesetzes durchgeführt und sind in diesem Zusammenhang präventivpolizeilich tätig geworden. Dies berechtigte sie auch, zur Abwehr von Gefahren in Form der Verhinderung künftigen Verbreitens von Betäubungsmitteln, zur Durchsuchung nach der Ursache des vom Angeklagten ausgehenden von beiden Zeugen wahrgenommenen deutlichen Marihuanageruchs. Die Sicherstellung der Betäubungsmittel unabhängig davon, ob sie zuvor aus dem Ausland – hier den Niederlanden eingeführt oder zur Ausfuhr bestimmt waren, war auch aufgrund des Aufenthalts im Bahnhofsbereich und damit einer bekannten Drogenszene unabwendbar geboten. Unabhängig davon, dass die Beamten zur Durchsuchung aufgrund §§ 43, 44 BPolG keiner vorherigen richterlichen Entscheidung bedurften, wäre diese auf der Grundlage des Sachverhalts jedoch auch sicherlich erlassen worden, da der Anfangsverdacht einer Straftat aufgrund der Situation einer einzelnen Person auf dem Bahnsteig, der deutlich wahrnehmbarer und von ihr ausgehender Geruch nach Marihuana anhaftet und die den aktuellen Besitz verbotener Gegenstände verneint, zweifellos vorlag.

VI.

1)

§ 29 Abs. 1 BtmG sieht Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vor. Ein Absehen von Strafe gem. § 29 Abs. 5 BtmG angesichts der geringen Menge an Betäubungsmitteln ist angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, nicht veranlasst.

Bei der Strafzumessung war strafmildernd die geringe Menge, dass die Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten, sowie die Tatsache zu berücksichtigen, dass es sich um Marihuana und nicht um sogenannte harte Drogen handelte. Dagegen musste sich die in dem griffbereiten Mitführen des Einhandmessers liegende Bereitschaft, einen solchen Gegenstand auch zum Drohen oder anders einzusetzen strafschärfend auswirken, so dass insgesamt eine Geldstrafe von 25 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen nach Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Gesichtspunkte festgesetzt worden ist.

Es ist ein Härteausgleich in Höhe von 5 Tagessätzen vorzunehmen, da eine nachträgliche Gesamtstrafe mit der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts B. vom 02.07.2019 gem. § 55 StGB nicht mehr gebildet werden konnte, nachdem dieser vor der Hauptverhandlung bereits vollständig vollstreckt war.

Folglich ist der Angeklagte zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu verurteilen.

Die Tagessatzhöhe bemisst sich nach dem Einkommen des Angeklagten.

2)

Die Ratenzahlungsbewilligung beruht auf § 42 StGB.

3)

Die Einziehungsentscheidung findet ihre Grundlage in §§ 33 BtmG, 74 StGB betreffend das Marihuana im Klemmtütchen. Das Einhandmesser war infolge der Ordnungswidrigkeit gem. § 53 Abs. 1 Nr. 21a i.V.m. § 54 Abs. 1 und 2 WaffG einzuziehen, da gem. § 21 Abs. 1 Satz 2 OWiG neben der Strafe auf die Verhängung von Nebenfolgen der tateinheitlich verwirkten Ordnungswidrigkeiten ausdrücklich erkannt werden kann und die Einziehung eines solchen Messers als gefährlichem und verbotenem Gegenstand auch gem. § 74 StGB geboten ist.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 und 473 StPO