Landgericht Aurich
Urt. v. 20.07.2021, Az.: 11 KLs 420 Js 2992/21 (9/21)

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
20.07.2021
Aktenzeichen
11 KLs 420 Js 2992/21 (9/21)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 71608
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Angeklagte wird wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von

3 Jahren und 6 Monaten

verurteilt.

Seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wird angeordnet.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der eigenen notwendigen Auslagen sowie die notwendigen Auslagen der Nebenkläger werden dem Angeklagten auferlegt.

Angewendete Vorschriften:

§§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 253, 255, 21, 22, 23 52, 63 StGB

Gründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 59jährige Angeklagte ist ledig und hat aus einer früheren Beziehung einen mittlerweile erwachsenen Sohn. Er selbst hat nach Erreichen des Fachabiturs den Studiengang Veterinärbiologie absolviert und war in diesem Bereich auch berufstätig, zuletzt in B. Vor gut drei Jahren hat er Wohnung und Arbeit dort aufgegeben, da er sich verfolgt fühlte und seine Ruhe haben wollte. Es folgte ein Umzug nach L., wo er jedoch keine neue Arbeit finden konnte und bis zuletzt von Sozialleistungen lebte. Nach einem Fahrradunfall im Jahr 2020 war er zeitweise krankgeschrieben und auch aus diesem Grund nicht in der Lage, eine berufliche Tätigkeit auszuführen.

Der Angeklagte leidet nach eigenen Angaben unter Asperger-Autismus und verschiedenen weiteren körperlichen Gebrechen. Er fühlt sich mit der Koordination und Wahrnehmung von Terminen bei Ärzten und Behörden sowie dem damit zusammenhängenden „Papierkram“ belastet und bisweilen überfordert, so dass er die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung beantragt hat.

Der Angeklagte ist bereits mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der ihn betreffende Auszug aus dem Bundeszentralregister enthält 24 Eintragungen. Die älteste datiert aus dem Jahr 1984 und hat eine Verurteilung durch das Amtsgericht K. wegen Beleidigung, versuchter Körperverletzung und Sachbeschädigung zu einer Gesamtgeldstrafe zum Gegenstand. Es folgen Verurteilungen insbesondere durch das Amtsgericht K. unter anderem wegen Sachbeschädigung, Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und Betruges. Ab 2003 folgen Verurteilungen durch das Amtsgericht B., darunter am 23.06.2006 die erstmalige Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Betruges, die in der Folge auch vollstreckt worden ist. Ab 2010 folgen Verurteilungen durch das Amtsgericht B.-T. wegen Körperverletzung, Beleidigung und Verleumdung zu Geldstrafen. Am 02.03.2016 verurteilte ihn das Amtsgericht T. wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, deren Vollstreckung bis zum 15.03.2019 zur Bewährung ausgesetzt war.

II.

Nachdem der Zeuge K. im April 2020 von D. nach L. umgezogen war, beauftragte er den Angeklagten mit der Durchführung von Handwerkertätigkeiten in der neu bezogenen Wohnung. Der Angeklagte sollte dort insbesondere Lampen aufhängen und bei der Montage der Küche behilflich sein. Zustande gekommen war der Kontakt über das Internet-Portal ebay Kleinanzeigen. Nachdem die Tätigkeit des Angeklagten zunächst auf Stundenlohnbasis vergütet werden sollte, vereinbarten die Beteiligten eine Entlohnung zu pauschalen Tagessätzen von 100 Euro pro vollem Arbeitstag, die der Angeklagte für die ersten beiden Tage seiner Tätigkeit in der Wohnung des Zeugen in bar ausgezahlt erhielt. Am dritten Tag endete das Auftragsverhältnis, nachdem es im Laufe des Tages zu einem Streit zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen K. gekommen war. Der Angeklagte hatte es übernommen, den Wäschetrockner des Zeugen, der noch funktionierte, aber merkwürdige Geräusche von sich gab, zu reparieren und musste nach der Demontage des Gerätes feststellen, dass er dieses weder reparieren noch wieder zusammenbauen kann. Als ihm der Zeuge daraufhin vorhielt, dass er den Trockner besser nicht auseinandergebaut hätte, reagierte der Angeklagte überraschend aggressiv, packte seine Sachen und verschwand aus der Wohnung des Zeugen, ohne sich zu verabschieden oder seine Bezahlung für den angefangenen Arbeitstag entgegenzunehmen.

Am 20.07.2020 kam es am O.-Wanderweg in Höhe der Anschrift A. d. K. in L. zu einem zufälligen Zusammentreffen. Der Zeuge K. ging dort mit der Zeugin M. spazieren, seiner Lebensgefährtin, die seinerzeit im fünften Monat schwanger war. Gegen 21:30 Uhr kam ihnen der Angeklagte auf seinem Fahrrad entgegen. Er fuhr zunächst an dem Paar vorbei, hielt dann jedoch an, stellte das Rad ab und ging zu Fuß auf die beiden Zeugen zu. Dabei beschimpfte er den Zeugen K. in aggressivem Tonfall mit ehrverletzenden Bezeichnungen wie „Pussy“, „Spasti“, „fette Sau“ und „fetter Hurensohn“. Zudem forderte er vom Zeugen K. die Zahlung von 1.200 Euro für die von ihm ausgeführten Handwerkerarbeiten sowie weitere 12.000 Euro als Kostenersatz für die Beauftragung der „Hells Angels“, die zur Beitreibung der Forderung bereits zwei Mal an der Wohnanschrift des Zeugen gewesen seien. Die Zusammensetzung der Gesamtforderung aus 1.200 Euro Werklohn und zwei Mal 6.000 Euro für die „Hells Angels“ legte er den Zeugen mehrfach dar und bestand nachdrücklich auf sofortige Bezahlung.

Der Zeuge K., der in dieser Situation Angst vor einem tätlichen Übergriff seitens des Angeklagten hatte, sicherte diesem zu, den geforderten Betrag am Folgetag zu bezahlen. Dies zur Kenntnis nehmend, wandte sich der Angeklagte ab und kehrte zu seinem Fahrrad zurück. Währenddessen äußerte die Zeugin M., die über das Verhalten des Angeklagten erbost war, in dessen Richtung, dass sie ihn bei der Polizei anzeigen werde.

Daraufhin warf der Angeklagte, der bereits bei seinem Fahrrad angelangt war, dieses zur Seite und lief schnellen Schrittes wiederum unter lauten Beschimpfungen auf die Zeugen zu. Der Zeuge K., der nun ernsthaft mit einem tätlichen Angriff rechnete, stellte sich halb vor seine Lebensgefährtin und rief dem Angeklagten zu, er solle diese in Ruhe lassen, da sie schwanger sei. Daraufhin äußerte der Angeklagte „dann ändern wir das jetzt“, lief auf die Zeugin zu und trat ihr aus dem Lauf mit dem beschuhten Fuß in den Unterleib, wobei er primär die Oberschenkel traf, wo die Zeugin – wie vom Angeklagten zumindest billigend in Kauf genommen – Hämatome und Schmerzen erlitt, und lediglich mit der Fußspitze den unteren Bauchbereich. Sodann zog der Angeklagte ein Taschenmesser hervor, fuchtelte mit dem ausgeklappten Messer vor dem Gesicht des Zeugen K. herum und drohte diesem, ihn aufzuschlitzen und ihm die Knie zu brechen, dass er nie wieder laufen könne. Zudem drohte er der Zeugin M. sinngemäß, die Schwangerschaft hier und jetzt zu beenden und das Kind herauszuschneiden. Schließlich forderte er erneut die Zahlung der insgesamt 13.200 Euro und kündigte an den Zeugen K. gewandt an: „Ich komme morgen um 12 Uhr und hole den Betrag ab. Ansonsten schlitze ich dich auf.“ Dabei bezweckte er durch die vom Zeugen erkennbar ernst genommene Drohung, seiner Forderung Nachdruck zu verleihen und den Zeugen zur Zahlung zu veranlassen. Der Zeuge K. sicherte aus Angst vor weitergehenden Übergriffen des Angeklagten die Zahlung zu. Daraufhin entfernte sich dieser.

Tatsächlich kam der Zeuge der Zahlungsaufforderung nicht nach und zeigte den Vorfall bei der Polizei an. Die Zeugin M. begab sich in ein Krankenhaus, wo sie zwei Tage zur Beobachtung stationär aufgenommen wurde. Die Verletzungen der Zeugin wurden dort dokumentiert. Beeinträchtigungen der Schwangerschaft oder des Kindes waren jedoch nicht festzustellen. Das Kind ist mittlerweile geboren. Die Zeugen sind in eine andere Stadt umgezogen, da sie sich im Umfeld der früheren Wohnung in L. nicht mehr sicher fühlten.

Obgleich der Angeklagte aufgrund einer schizophrenen Psychose mit wahnhafter Symptomatik zum Tatzeitpunkt offensichtlich einer wahnhaften Verkennung der Realität unterlag, die sich etwa an der von ihm – wahrheitswidrig – behaupteten Beauftragung der „Hells Angels“ zur Beitreibung der Zahlungsforderung zeigte, erkannte er, dass ihm die geltend gemachte Zahlungsforderung in den von ihm geforderten Höhe nicht zustand und seine Einwirkung auf die Zeugen rechtswidrig war. Seine Fähigkeit, sich gemäß dieser gegebenen Unrechtseinsicht zu verhalten, war jedoch krankheitsbedingt erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB.III.

Der Angeklagte hat sich damit der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung gemäß §§ 249 Abs. 1, 250 Abs. 2 Nr. 1, 253, 255, 22, 23 StGB in Tateinheit mit einer gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht. Der Angeklagte trug zum Tatzeitpunkt festes Schuhwerk, welches beim Tritt in den Unterleib bzw. gegen die Oberschenkel ein gefährliches Werkzeug darstellt.

IV.

Die zu verhängende Strafe war dem Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB zu entnehmen, der die Verhängung von Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren vorsieht. Die Anwendung des Sonderstrafrahmens des § 250 Abs. 3 StGB, der für minder schwere Fälle die Verhängung von Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren vorsieht, kam vorliegend nicht in Betracht. Der vorliegende Fall weicht weder unter Berücksichtigung aller relevanter Umstände, die der Tat innewohnten, ihr vorausgegangen oder nachgefolgt sind, noch in Zusammenschau dieser Aspekte mit den vertypten Strafmilderungsgründen, die sich daraus ergeben, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert war und die Tat nicht vollendet wurde, von Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem solchen Maße ab, dass die Anwendung des Sonderstrafrahmens geboten wäre.

Der Strafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB war jedoch gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und §§ 23, 49 Abs. 1 StGB zweifach zu mildern auf einen solchen von sechs Monaten bis zu acht Jahren und fünf Monaten.

Im Rahmen der konkreten Strafzumessung war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte mit dem von ihm als Drohmittel eingesetzten Messer die Zeugen nicht verletzt hat. Andererseits konnten nicht unberücksichtigt bleiben, dass er gleich zwei Personen dermaßen in Angst und Schrecken versetzt hat, dass sie letztlich ihren Wohnort verlassen haben und in eine andere Stadt umgezogen sind, um sich in den eigenen vier Wänden wieder sicher zu fühlen. Auch waren die nicht unerheblichen Vorstrafen zu berücksichtigen sowie den Umstand, dass der Angeklagte tateinheitlich einen weiteren Straftatbestand erfüllt hat. Angesichts dessen erachtete die Kammer die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten für tat- und schuldangemessen.

V.

Zudem war die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB anzuordnen. Der Angeklagte hat die hier gegenständliche Anlasstat im Zustand - sicher feststellbar – erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen. Eine umfassende Gesamtwürdigung der Person des Angeklagten und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer erheblich seelisch oder körperlich geschädigt oder gefährdet werden, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

Der Sachverständige Dr. R. hat in seinem ausführlichen und nachvollziehbaren Gutachten, dem die Kammer nach eigner Prüfung folgt, eine paranoide Schizophrenie diagnostiziert, bei der eine wahnhafte Symptomatik im Vordergrund steht (ICD-10: F20.0). Aufgrund dieser Erkrankung, die das Eingangskriterium der krankhaften seelischen Störung erfüllt, sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt erheblich vermindert gewesen. Eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit lasse sich indes ausschließen, da der Angeklagte unter anderem in der Lage gewesen sei, auf Situationsveränderungen zu reagieren (z.B. die Ankündigung der Zeugin M., ihn anzuzeigen) und sich von der Beteuerung des Zeugen K., die Zahlungsforderung zu erfüllen, zweimal habe beruhigen lassen.

Generell sei das Risiko, gewalttätig in Erscheinung zu treten, bei einer unbehandelten schizophrenen Psychose deutlich erhöht. Dass dies auch beim Angeklagten der Fall sei, zeige sich in diversen Vorverurteilungen wegen Körperverletzungsdelikten. Hinzu komme die vom Angeklagten in der Exploration ebenso wie in der Hauptverhandlung geschilderten Erfahrungen, sich verfolgt und bedroht zu fühlen, die sich sowohl auf wenig greifbare Institutionen wie die CIA oder die „Bundesanstalt für Wiederaufbau“ beziehen, als auch auf konkrete Personen aus seinem Umfeld, wie Nachbarn oder Vermieter. Insbesondere in Bezug auf letztere stehe es über kurz oder lang zu erwarten, dass eine vom Angeklagten in Verkennung der Realität wahrgenommene Bedrohung zu gewalttätigem Verhalten seinerseits führen werde. Dass dabei auch erhebliche Übergriffe zu erwarten seien, zeige die hier gegenständliche Tat, bei der zumindest verbal gedroht wurde, den Zeugen K. „aufzuschlitzen“ und der Zeugin M. das ungeborene Kind aus dem Leib zu schneiden.

Angesichts dessen ist der Angeklagte aufgrund seiner Erkrankung für die Allgemeinheit gefährlich. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist auch verhältnismäßig. Mildere Maßnahmen, der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr zu begegnen, sind nicht ersichtlich, zumal dieser selbst bekundet hat, die durch den behandelnden Psychiater verordneten Medikamente bereits vor längerer Zeit abgesetzt zu haben und nicht für erforderlich zu halten.

VI.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus §§ 465 Abs. 1, 472b StPO.