Landgericht Aurich
Urt. v. 28.05.2021, Az.: 11 Ks 210 Js 29697/17 (2/19)
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 28.05.2021
- Aktenzeichen
- 11 Ks 210 Js 29697/17 (2/19)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2021, 71609
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BGH - 02.11.2021 - AZ: 3 StR 379/21
Tenor:
Die Angeklagte ist der Körperverletzung mit Todesfolge schuldig.
Sie wird zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten verurteilt, von welcher 2 Monate als vollstreckt gelten.
Die Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
Die Angeklagte wurde 1986 geboren und ist in der Nähe von L. aufgewachsen. Sie hat 2 ältere Vollgeschwister (eine Schwester und einen Bruder) und eine Halbschwester. Der Vater der Angeklagten ist bereits verstorben.
Die Angeklagte wurde im Alter von 6 Jahren eingeschult. Aufgrund erhöhter Krankheitstage musste sie die 4. und 5. Klasse wiederholen. In den Folgejahren kam es vermehrt zu Streitigkeiten mit der Halbschwester. Auch das Verhältnis der Angeklagten zu ihren Eltern verschlechterte sich. Im Laufe der 8. Klasse brach die Angeklagte ihre Schulausbildung ab und begann eine Ausbildung in einem Hotel. Nach etwa 1 Jahr beendete sie die Ausbildung ohne Abschluss, verließ ihr Elternhaus und zog nach M.. Dort arbeitete die Angeklagte als Servicekraft. Ein ¾ Jahr später zog die Angeklagte nach A., besuchte für etwa 2 Jahre eine Abendschule und erlangte so ihren Hauptschulabschluss. Mit etwa 20 Jahren lebte die Angeklagte für 1 Jahr lang bei ihrer Schwester und deren Familie in der Nähe von C.. Sodann bezog sie eine eigene Wohnung und lernte den Vater ihrer ersten Tochter – A., geb. 2009 – kennen, mit dem sie jedoch keine feste Beziehung einging. In den Folgejahren lebte die Angeklagte mit ihrer Tochter in Gegenden in und um C. herum und übte verschiedene Tätigkeiten aus. Zwischenzeitlich lebte die Angeklagte auch für ein ¾ Jahr in H. und arbeitete auf einem Rastplatz im Imbiss. In dieser Zeit lebte A. bei ihrem Vater. Zunehmend kam es zu Streitigkeiten um das Sorgerecht, die in diversen Gerichtsverhandlungen mündeten und dazu führten, dass A. aufgrund eines erheblichen Loyalitätskonfliktes psychisch stark belastet war. Schließlich wurde A. zunächst in einer Kindereinrichtung in C. und dann in S. untergebracht. In dieser Einrichtung lebt A. – bei gemeinsamem Sorgerecht der Eltern - noch heute. Im Jahr 2015 lernte die Angeklagte ihren jetzigen Lebensgefährten – den Zeugen B. – kennen. Zu dieser Zeit lebte sie in G. und war als Nageldesignerin tätig. Der Zeuge B. war Fernfahrer und lebte in F. in O.. Bereits nach kurzer Zeit zog die Angeklagte zu ihm und verlobte sich. 2017 wurde die gemeinsame Tochter P., verstorben 2017, geboren. Im Jahr 2018 absolvierte die Angeklagte eine Umschulung zur Pflegeassistentin und war zunächst in der ambulanten Pflege tätig. Anfang 2019 wechselte sie in eine Pflegeeinrichtung. Dort wurde ihr im März 2019 gekündigt. Während der hier laufenden Hauptverhandlung hat die Angeklagte einen „Minijob“ als Pflegehilfe für einen älteren Herrn in dessen Haushalt angenommen.
Die Angeklagte leidet unter der Autoimmunerkrankung Lupus erythematodes, welche sich durch schwere rheumatische Schübe auszeichnet, die bei der Angeklagten seit der Kindheit immer wieder auftreten. Die Diagnose dieser Erkrankung wurde jedoch erst im Zuge eines Krankenhausaufenthaltes anlässlich einer deutlichen Verschlechterung ihres Allgemeinzustandes im Jahr 2016 gestellt. Seither wird die Angeklagte medikamentös mit Targin – einer Wirkstoffkombination von Oxycodon (ein stark schmerzlinderndes Opiat) und Naloxon – als Retardmedikation behandelt. Den letzten schweren rheumatischen Schub erlitt die Angeklagte im März 2019. Sie hat Erwerbsunfähigkeitsrente beantragt und befindet sich in der Privatinsolvenz.
Ein Alkohol- oder Drogenproblem besteht nicht. Die Angeklagte ist nicht vorbestraft.
II.
1. Tatvorgeschehen
Wie bereits unter Ziff. I. dargestellt, lernte die Angeklagte ihren jetzigen Lebensgefährten und Verlobten, den Zeugen B., im Jahr 2015 kennen und zog schon bald zu ihm nach O.. Das Paar verlobte sich im August 2015 und hegte einen Kinderwunsch.
Wegen ihrer Autoimmunerkrankung und der damit verbundenen medikamentösen Behandlung informierte sich die Angeklagte bei verschiedenen Ärzten, insbesondere auch ihrem Hausarzt, dem sachverständigen Zeugen L., ob es überhaupt möglich sei, schwanger zu werden und ob Bedenken gegenüber einer Schwangerschaft bestünden. Nachdem eine Schwangerschaft nicht per se ausgeschlossen worden war, wurde die Angeklagte auch relativ schnell schwanger.
Während der Schwangerschaft traten die Symptome der bestehenden Autoimmunerkrankung bei der Angeklagten verstärkt hervor. Der Angeklagten taten die Gelenke weh, sie war müde und erschöpft, konnte gleichwohl nachts nicht schlafen und litt unter Appetitlosigkeit. Dies führte dazu, dass die Angeklagte das ihr verschriebene Medikament Targin auch in der Schwangerschaft durchgehend einnahm.
2017 wurde P. schließlich als hypotrophes Neugeborenes mit einem Geburtsgewicht von 2.680g im Klinikum L. geboren. Aufgrund der Oxycodoneinnahme der Angeklagten während der Schwangerschaft zeigte P. Entzugserscheinungen und musste knapp 2 Monate stationär behandelt werden. Da die Angeklagte sich selbst keine Hebamme gesucht hatte, sprachen die behandelnden Ärzte - die sachverständigen Zeugen d. V. und W. - der jungen Familie gegenüber die Empfehlung aus, eine Familienhebamme zu etablieren. Vor dem Hintergrund der Autoimmunerkrankung der Angeklagten und dem Umstand, dass P. einen mehrwöchigen Entzug in der Klinik hinter sich hatte und an die häusliche Umgebung gewöhnt werden musste, sahen sie ein erhöhtes Risiko für das Kindeswohl, sollte die Familie – insbesondere die Angeklagte – die neue Situation ohne professionelle Unterstützung bewältigen müssen. 2017 wurde P. im zufriedenstellenden Allgemeinzustand entlassen.
Die Angeklagte und der Zeuge B. lebten eine klassische Rollenverteilung. Während die Angeklagte sich um Haushalt, Kind und Hund kümmerte, ging der Zeuge B. zur Arbeit. Meist verließ er früh morgens das Haus und kehrte gegen späten Nachmittag /Abend zurück. Unterstützung bei Fragen hinsichtlich Pflege und Betreuung von P. erhielt die Angeklagte durch die Familienhebamme, die Zeugin B., die zunächst täglich kam und dann ab September 2017 einmal in der Woche. Andere Personen waren nicht in die Pflege und Betreuung von P. eingebunden oder unterstützend im Haushalt tätig.
P. war ein vergleichsweise unruhiges Kind. Sie bedurfte besonderer Zuwendung und Pflege, wenngleich sie nicht als Schreikind zu bezeichnen war. Zeitweise machte sie „die Nächte zum Tag“. Die Angeklagte war müde und erschöpft und durch ihre Erkrankung geprägt. Gleichwohl hatte sie den Anspruch, neben der Betreuung von Kind und Hund auch den Haushalt ordentlich zu führen und das Haus sauber zu halten. So gönnte sie sich kaum Pausen und nutzte Zeiten, in denen P. schlief, um zu putzen oder andere Dinge im Haushalt zu erledigen. Unterstützung nahm sie nicht in Anspruch und forderte diese auch nicht – etwa bei ihrem Lebensgefährten – ein. Sie wollte es – wie auch bislang in ihrem Leben - alleine schaffen.
Die Situation um den Erschöpfungszustand spitzte sich zu, als P. dann ab dem 05.11.2017 mehrere Nächte hintereinander schlecht schlief. Die Angeklagte kam an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Einen Termin mit der Familienhebamme am 07.11.2017 sagte die Angeklagte mit der Begründung ab, dass es ihr und P. nicht gut gehe.
Als P. sich am Morgen des 08.11.2017 wiederum nach einer kurzen Nacht meldete und schrie, begab sich die Angeklagte in das Kinderzimmer, nahm P. auf den Arm, klemmte sich ihr Handy unter das Kinn und griff noch nach weiteren Gegenständen, die sie auf dem Weg vom Obergeschoss in die Küche im Untergeschoss mitnehmen wollte – Flasche, Thermoskanne und Babyphone -. Auf der Treppe kam die Angeklagte, die nur Socken trug, ins Stolpern. Um nicht mit P. auf die Fliesen zu stürzen, ließ die Angeklagte P. noch im Zuge des Strauchelns in die mit Stoff überzogene Wiegewippe fallen, die auf einem Rattanstuhl in der Küche, gleich am Ende des Treppenganges, befestigt war. Dabei rutschte das Handy ab und fiel auf P. Gesicht. Möglicherweise wurde P. auch noch von einem weiteren Gegenstand – Thermoskanne, Babyphone oder Flasche – im Gesicht getroffen. Die Angeklagte schaute nach P.. Diese zeigte sich unauffällig. Auf ihrer linken Wange bildete sich jedoch ziemlich schnell ein Hämatom. Kurz nach 07:30 Uhr schrieb die Angeklagte ihrem Verlobten per Whatsapp. Sie teilte ihm mit, dass P. einen blauen Fleck habe und ihr Handy wahrscheinlich „Schrott“ sei. Auf Nachfrage des Zeugen B., was geschehen sei, antwortete die Angeklagte um 09:17 Uhr mit einer Sprachnachricht, schilderte das Geschehen und gab an, dass sie noch einmal mit dem Hund rausgehen, dann das Kind hinlegen und nichts mehr machen werde. Es sei „nun schon die dritte Nacht gewesen“, sie sei „fix und fertig“ und könne „die ganze Zeit einfach nur anfangen, zu heulen“.
Die Angeklagte machte sich wegen des Sturzereignisses und des daraus resultierenden Hämatoms Vorwürfe, war übermüdet und erschöpft.
Im Verlauf des weiteren Tages kontaktierte die Angeklagte ihre Freundin, die Zeugin U.. Um 15:49 Uhr versandte sie eine Sprachnachricht folgenden Inhalts:
„Hallo, ich hab dir gerade…ne Sprachnachricht aufgenommen…von knapp sechs Minuten…aber ich hab so geheult (schluchzen)…und hab sie wieder gelöscht… (längere Pause mit schluchzen)… ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll…ich möchte einfach mal raus und mit jemandem reden…na was heißt jemand….jemanden, der mich auch kennt….so wie du halt… (längere Pause)… ich fühle mich im Moment einfach nur im Stich gelassen, nicht verstanden… wie denn auch, mir hört ja keiner zu… ach ich weiß auch nicht, ich weiß, ich bin echt unzuverlässig geworden mit meiner Melderei und so…aber ich hoffe auch, dass du das verstehst… ich hab die letzten drei Nächte nicht geschlafen, weil P. mir die Nächte zum Tag macht… morgen fahr ich zum Arzt ….morgen werde ich mich auch impfen lassen… ich glaube, ich werde zwei Tage später sehen, ob das ne gute Idee war oder nicht … ah (stöhnen)… ich bin fix und fertig mit den Nerven …ah (stöhnen)… ich will dir aber auch nicht die Ohren voll heulen…ich hab dich lieb.“
Auf deren Antwort entgegnete die Angeklagte:
„Da muss ich gleich noch mehr heulen, siehste…R., wenn ich dir… wenn es für dich okay ist… ich weiß nur nicht, ob du arbeiten bist oder nicht… aber ich würde gern für´n paar Tage zu dir kommen wollen… ich würde das mit C. absprechen… ich komme natürlich mit Kind und Kegel nä… weiß nicht, du hast ja noch kleine Sachen, dann würde ich nicht so viele mitnehmen…dann würde ich von eurer Kleinen was anziehen, was P. auch passt… ich muss hier raus, ich flipp aus nä… meine Schwiegermutter in spe geht mir auf´n Sack…wir haben uns gestern wieder in Anführungszeichen gestritten…boah… ich weiß nicht, ich muss hier mal raus für´n paar Tage… so dass C. auch mal sieht, dass das nicht alles selbstverständlich ist, was ich für ihn mache weißste?... ich schlaf die ganze Nacht nicht, steh früh morgens mit auf, mach ihm seine Brote, seine Wäsche, sein alles… ich mach alles für ihn…ich will dir auch nicht auf die Nerven gehen, aber … du weißt ja wie das ist … wenn man Kinder hat… wenn du nix dagegen hast und dein Mann nichts dagegen hat, würde ich euch ganz gerne für´n paar Tage auf die Nerven gehen… ich muss einfach nur mal raus…raus und weg hier und … jaaa… ich hab dich total lieb und ich denke glaube jeden Tag sehr oft an euch, ziemlich oft… das sind halt so die Sachen, die fehlen… jau“
Am Abend ging die Angeklagte früher ins Bett als sonst. Sie wollte einfach nur noch schlafen. Bereits nach einiger Zeit hörte sie P. über das Babyphone schreien und schaute nach, ob diese eine Windel benötigte und machte ihr ein Fläschchen. P. war nur schwer zu beruhigen. Die Angeklagte legte sich schließlich wieder in ihr Bett.
2. Tatgeschehen
In der Nacht oder bereits in den Morgenstunden des 09.11.2017 meldete sich P. erneut. Die Angeklagte gab ihr die Flasche und wickelte sie. P. schrie jedoch weiter, ohne dass die Angeklagte einen Grund zu erkennen vermochte. Sodann entschied sich die Angeklagte, P. zu pucken, d.h. eng in ein Tuch einzubinden. Die Hebamme hatte ihr dieses Vorgehen empfohlen, um P. zu beruhigen. Aber auch das half nicht. P. schrie weiter. Die Angeklagte – übermüdet, erschöpft und mit der Situation überfordert - wollte einfach nur noch, dass P. endlich aufhört zu schreien und weiterschläft. Sie nahm P. schließlich aus dem Bett, umfasste P. - welche weiterhin in das Pucktuch gewickelt war - mit beiden Händen und schüttelte sie mehrere Male über einen Zeitraum von 5 bis 10 Sekunden mindestens 10 Mal mit ganz erheblichem Krafteinsatz so heftig vor und zurück, dass ihr Kopf ungebremst nach vorne und hinten schlug sowie rotierte, um sie auf diese Weise zum Schweigen zu bringen, was ihr so auch gelang. Die Angeklagte wusste, dass der im Verhältnis relativ schwere Kopf eines Säuglings im Alter von 4 Monaten immer noch mit einer Hand gestützt werden muss, da die Nackenmuskulatur nicht ausreicht, den Kopf zu halten. Auch war ihr bekannt, dass Säuglinge und Kleinkinder in keinem Fall geschüttelt werden dürfen, da das Schütteln zu schwersten Verletzungen, insbesondere Schädigungen des Gehirns mit lebensgefährlichen Folgen bis hin zum Tod führen kann. Die Gefährlichkeit ihres Handelns war ihr auch in dieser Situation bewusst. Sie hielt es für möglich und sie nahm es um des Zieles willen, P. zum Schweigen zu bringen, billigend in Kauf, ihre Tochter durch ihr Handeln körperlich zu misshandeln und an der Gesundheit zu schädigen. Dabei war es für sie vorhersehbar, dass ihr Handeln auch zum Tode P. führen kann.
Durch das unkontrollierte Vor- und Zurückschlagen und durch die Rotationsbewegungen des Kopfes kam es bei P. zu einem schweren Schütteltrauma mit subduralen Einblutungen, Netzhautblutungen, Einblutungen ins Rückenmark und insbesondere einer diffusen Hirnschädigung mit einhergehender massiver Hirnschwellung, welche akut lebensgefährlich war und an deren Folgen – dem Versagen lebenswichtiger Funktionen des Gehirns - P. letztlich 2017 verstarb.
Die Angeklagte war zur Tatzeit voll schuldfähig. Die Einsichts – oder Steuerungsfähigkeit war weder aufgehoben noch erheblich eingeschränkt.
3. Tatnachgeschehen
Im Anschluss an das Geschehen legte die Angeklagte sich wieder schlafen. Wann genau sie und P. am nächsten Morgen aufgestanden sind, konnte nicht näher festgestellt werden. Jedenfalls waren beide spätestens um 06:18 Uhr wach. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Zeuge B. das Haus bereits verlassen und P. lag in der Wiegewippe. Auf die Angeklagte machte sie einen schläfrigen und apathischen Eindruck. Weitere Gedanken machte sie sich darüber aber zunächst nicht. Die Angeklagte schickte dem Zeugen B. per Whatsapp ein Bild von P. in der Wiegewippe – darauf deutlich sichtbar ein Hämatom auf der linken Wange -. In weiteren Nachrichten tauschten sich der Zeuge B. und die Angeklagte darüber aus, ob der Zeuge B. am Vortag gelieferte Arbeitsschuhe behalten wolle und ob man am Sonntag an die Küste fahren oder einen Freund besuchen wolle, damit die Angeklagte mal rauskomme. Im Verlauf des weiteren Vormittags bereitete die Angeklagte sich und P. für einen Besuch beim Hausarzt, dem sachverständigen Zeugen L., vor. Um 10:00 Uhr hatte die Angeklagte dort einen Termin zur Grippeimpfung. Da sie zur Tatzeit über keinen Führerschein verfügte, hatte sie sich den Anrufbus für 09:30 Uhr bestellt. Die Angeklagte zog sich und P. an, packte die Wickeltasche, nahm P. in eine Bauchtrage und ging noch eine Runde mit dem Hund spazieren. Zwischenzeitlich schrieb sie sich immer wieder mit dem Zeugen B. per Whatsapp. In den Nachrichten ging es darum, dass sowohl die Angeklagte als auch der Zeuge B. erschöpft seien und dass die Angeklagte gerne ihre Freundin, die Zeugin U., besuchen würde, was der Zeuge B. befürwortete. Gegen 09:22 Uhr teilte die Angeklagte dem Zeugen B. dann mit, dass sie nunmehr zum Arzt fahren werde. Sowohl auf der Busfahrt als auch in der Praxis des Zeugen L. verblieb P. die ganze Zeit in der Bauchtrage.
Zu Hause wieder angekommen, ließ die Angeklagte den Hund raus und ging mit ihm und P. – immer noch in der Bauchtrage – eine Runde spazieren. Dabei bemerkte die Angeklagte, dass P. ihre Gliedmaßen streckt und versteift. Die Angeklagte begab sich zurück nach Hause, nahm P. aus der Tragetasche und legte sie auf den Küchentisch. P. holte schwer Luft, verdrehte die Augen, streckte sich und ballte die Hände zu Fäusten. Der Angeklagten war nun bewusst, dass P. dringend ärztlicher Hilfe bedurfte und sie wählte um 11:41 Uhr den Notruf. Im Zuge dieses Notrufs teilte die Angeklagte mit, dass P. seit drei Nächten schon unruhig sei und nicht schlafe. Sie selbst sei gerade beim Arzt gewesen, habe P. in der Tragetasche gehabt und gedacht, dass diese schlafe. Zu Hause sei sie mit dem Hund spazieren gewesen und dann habe sie P. aus dem Anzug geholt und bemerkt, dass sie die Augen verdrehe, schwer Luft hole und auf nichts reagiere. Ihr sei gestern ein kleines Malheur passiert. Sie sei in der Küche mit P. ausgerutscht. Diese habe sie vorher nicht in ihre Wippe ablegen können und dann sei das Handy und das Babyphone auf das Gesicht gefallen. P. habe ein blaues Auge und einen ziemlich großen Fleck auf der Wange. Die Frage, ob P. auf die Fliesen gefallen sei, verneinte die Angeklagte und gab an, dass sie P. noch in die Wiege im Rattanstuhl aus Hüfthöhe habe fallen lassen.
P. wurde vom Rettungsdienst in Notarztbegleitung in das Klinikum L. verbracht. Sie zeigte keinerlei adäquate Reaktion und befand sich in einem Zustand tiefer Bewusstlosigkeit. Das Rettungsteam stufte das Maß für das Bewusstsein mit 3 Punkten – der Mindestpunktzahl bei einer Skala von 3 bis 15 Punkten - ein. Im Klinikum L. trat eine minimale Besserung des Zustandes ein. P. wurde von der Babyschale auf die Reanimationseinheit umgelagert. Sie zeigte leichte Reaktionen auf Schmerzreiz und das Maß für das Bewusstsein wurde nunmehr mit 4 Punkten bewertet. P. wurde schutzintubiert und erhielt sedierende Medikamente. Im Rahmen der äußeren Untersuchung wurden diverse Hämatome unterschiedlicher Färbung festgestellt, unter anderem das bereits benannte Hämatom linksseitig an der Wange sowie weitere Hämatome an der linken und rechten Schläfe, am rechten Oberlid, links neben dem Kinn, rechts – und linksseitig am Hals sowie an der linken Flanke. Die Fontanelle war stark gespannt und deutete so auf erhöhten Hirndruck hin. Im Rahmen der weiteren Untersuchungen des Schädels mittels Ultraschall und CT wurden Hygrome und subdurale Blutungen sowie ein Hirnödem festgestellt. Knöcherne Verletzungen am Schädel lagen nicht vor. Da der Zustand P. als akut lebensbedrohlich eingeschätzt wurde, wurde zeitnah die Verlegung auf die Kinderintensivstation im Klinikum O. organisiert. Ferner wurden das Jugendamt und die Polizei verständigt, da seitens der behandelnden Ärzte des Klinikums L., der sachverständigen Zeugen W. und d. V., der Verdacht einer oder mehrzeitiger Kindesmisshandlung/ -en bestand. Zum Einen ergab sich dieser Verdacht aufgrund der zahlreichen Hämatome unterschiedlicher Färbungen und zum Anderen insbesondere aufgrund der schwerwiegenden Schädigungen des Gehirns, bezüglich derer die Angaben der Angeklagten zur möglichen Ursache – insoweit wiederholte die Angeklagte im Wesentlichen die Schilderungen bezüglich des Vorfalls vom 08.11.2017, wie sie ihn bereits zuvor im Notruf beschrieben hatte – nicht in Einklang zu bringen waren und den Verdacht eines Schütteltrauma – Syndroms begründeten.
Im Klinikum O. wurde P. am frühen Nachmittag des 09.11.2017 aufgenommen. Dort wurde die pädiatrische Intensivtherapie eingeleitet und es wurden weitere Untersuchungen durchgeführt. Diese belegten ein Fortschreiten der Befunde des Klinikums L., insbesondere subdurale Blutungen des Gehirns und ein diffuses Hirnödem. Auch seitens der behandelnden Ärzte im Klinikum O., insbesondere des sachverständigen Zeugen M., wurde der Zustand P. als äußerst lebensbedrohlich eingestuft und auch aus seiner Sicht korrespondierten die Angaben der Angeklagten zur Verletzungsursache in keinster Weise mit dem festgestellten Verletzungsbild, insbesondere der schweren Hirnschädigung. Aufgrund des Verdachts eines Schütteltrauma-Syndroms wurde ein augenärztliches Konsil in Auftrag gegeben. Im Rahmen der Untersuchung konnten Einblutungen in den Augenhintergrund beider Augen festgestellt werden.
Am 10.11.2017 wurde P. durch den Sachverständigen Dr. V. rechtsmedizinisch untersucht. Im Zuge dieser Untersuchung wurden die verschiedenen Hämatome P.s in ihren unterschiedlichen Färbungen dokumentiert. Es zeigten sich größtenteils bräunliche und teils gelbliche Hämatome linksseitig an der Stirn, linksseitig im Wangenbereich sowie rechtsseitig an der Stirn. Blassere gelbliche Hämatome fanden sich im Bereich des Kinnes linksseitig sowie im Bereich beider Kieferwinkel, rechtsseitig bis zum Ohr hin auslaufend. Teilweise waren Hämatome vom Vortag nicht mehr zu sehen. Weitere rötliche Hautverfärbungen fanden sich im Bereich des Rückens über dem linken Schulterblatt sowie im Bereich der hinteren Axillarlinie. Als vorläufiges Ergebnis wurde festgehalten, dass P. zahlreiche Spuren von äußerer stumpfer Gewalteinwirkung aufweise. Zudem ergebe sich aus den Untersuchungsbefunden des Schädels – subdurales Hämatom und Hirnödem als Ausdruck einer diffusen Hirnschädigung – in Verbindung mit den Untersuchungsergebnissen des augenärztlichen Konsils – retinale Blutungen - der hochverdächtige Befund auf ein Schütteltraumasyndrom.
Weitere Untersuchungen, die in den Folgetagen im Klinikum O. durchgeführt wurden, verdeutlichten, dass die Hirnschädigungen so schwer waren, dass letztlich die lebenswichtigen Funktionen des Gehirns, unter anderem die Steuerung der Hirndurchblutung selbst, versagen würden. Am Vormittag des 14.11.2017 führte der sachverständige Zeuge M. ein langes Gespräch mit der Angeklagten und ihrem Verlobten. Er verdeutlichte, dass die Überlebenschance P.s sehr gering sei, erläuterte den Begriff „Hirntod“ und das weitere Vorgehen. Ferner sprach er die Möglichkeit an, dass im Falle des Versterbens P.s Organe gespendet werden könnten. Die Kindeseltern erklärten diesbezüglich ihre Bereitschaft. Am 15.11.2017 wurde die Hirntoddiagnostik entsprechend der Vorgaben bei Organspendebereitschaft eingeleitet, am 16.11.2017 beendet und P.s Tod um 16:40 Uhr festgestellt. Zum Zwecke der Organspende wurden P. das Herz, die Leber, beide Nieren sowie die Milz (zur Gewinnung von Crossmatchmaterial) entnommen. Dabei wurde festgestellt, dass Verletzungen der Brust- oder Bauchorgane nicht vorlagen.
P. wurde am 17.11.2017 durch den Sachverständigen Dr. H. obduziert. Im Rahmen der Obduktion wurden über die bisherigen Befunde zusätzlich Einblutungen im Rückenmark nahe der Schädelbasis festgestellt. Knöcherne Verletzungen, insbesondere im Bereich des Schädels, waren nicht vorhanden. Als Todesursache wurde eine zentrale Lähmung bei maximal ausgebildetem Hirnödem mit subduralen und flächigen subarachnoidalen Einblutungen bei Verdacht auf ein Schütteltraumasyndrom festgehalten.
Im Zuge einer sodann in Auftrag gegebenen neuropathologischen Untersuchung des Großhirns, Kleinhirns, Hirnstamms, Halsmarks, der harten Hirnhaut sowie der Augen bei dem Sachverständigen Prof. Dr. med. H. wurden die bisherigen Befunde – subdurale und subarachnoidale Einblutungen, retinale Einblutungen, Hirnödem als Ausdruck einer diffusen Hirnschädigung und Einblutungen im Rückenmark – bestätigt. Darüber hinaus wurden insbesondere Einklemmungen des Gehirns, zentrale Einblutungen im Rückenmark mit Blut in der Mittellinie sowie Folgen von Zerreißungsprozessen im Rückenmark festgestellt.
4. Verfahrensgang
Die Strafanzeige datiert auf den 09.11.2017. Der polizeiliche Abschlussbericht wurde am 05.03.2018 verfasst. Er ist am 07.03.2018 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen. Mit Verfügung vom 26.04.2018 erkundigte sich die Staatsanwaltschaft bei der Rechtsmedizin nach einem voraussichtlichen Eingangsdatum des in Auftrag gegebenen neuropathologischen Zusatzgutachtens. Das entsprechende Gutachten ging am 04.07.2018 bei der Staatsanwaltschaft ein. Die Anklageschrift datiert auf den 12.07.2019. Die Akten sind am 19.07.2019 bei dem Landgericht Aurich eingegangen. Mit Verfügung vom 24.07.2019 erfolgte die Anordnung der Anklagezustellung. Am 07.08.2019 wurde die Verteidigerin der Angeklagten zur Pflichtverteidigerin bestellt. Am 09.09.2019 erteilte die Kammer Herrn Prof. Dr. T. den Gutachtenauftrag zur Beurteilung der Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB. Am 26.09.2019 teilte der Sachverständige der Angeklagten mit, dass eine Exploration am 11.10.2019 stattfinden solle. Das Sachverständigengutachten ging am 07.02.2020 bei dem Landgericht ein. Am 26.02.2020 entschied die Kammer über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Mit Schreiben vom 16.07.2020 erkundigte sich die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht über den Sachstand. Hierauf teilte die Kammer am 18.08.2020 mit, dass aufgrund vorrangig zu bearbeitender Haftsachen derzeit nicht terminiert werden könne. Die Terminverfügung für den 20.04., 22.04., 30.04. und 04.05.2021 erfolgte am 01.10.2020.
III.
1. Zur Person
Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen hat die Kammer auf der Grundlage der glaubhaften Schilderungen der psychiatrischen Sachverständigen D. getroffen, die die von der Angeklagten im Rahmen der Exploration getätigten Angaben in der Hauptverhandlung vorgetragen und die die Angeklagte als zutreffend bestätigt hat.
2. Zur Sache
Die unter II. getroffenen Feststellungen zur Vorgeschichte der Tat, der psychischen und körperlichen Verfassung der Angeklagten vor und nach der Tat, der Tatausführung selbst sowie zum Tatnachgeschehen beruhen maßgeblich auf der geständigen Einlassung der Angeklagten, ergänzend auf den weiteren ausweislich des Sitzungsprotokolls in der Hauptverhandlung erhobenen Beweisen.
a. Einlassung
Die Angeklagte hat zur Sache zunächst von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht, sich dann aber im Laufe der Hauptverhandlung geständig eingelassen. Sie hat ihre Wahrnehmungen und Vorstellungen im Zusammenhang mit der Tat und ihrer Vorgeschichte umfassend wiedergegeben. Zum Tatvorgeschehen – insbesondere dem mit dem Zeugen B. gehegten Kinderwunsch und der angesichts ihrer Erkrankung mit verschiedenen Ärzten erfolgten Beratung, den Umständen in der Schwangerschaft, nach der Entbindung und nach Entlassung P.s aus der Klinik, der zwischen ihr und dem Zeugen B. bestehenden Aufgabenteilung, dem Vorfall vom 08.11.2017 und ihrer psychischen Verfassung - hat sie den Urteilsfeststellungen vollumfassend entsprechenden Angaben gemacht. Auch das objektive Tatgeschehen hat die Angeklagte so, wie es inhaltlich oben festgestellt wurde, eingeräumt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die Urteilsausführungen Bezug genommen. Zur Intensität des Schüttelns hat sie eingeräumt, P. kräftig geschüttelt zu haben. Abweichend von den Feststellungen hat sie jedoch angegeben, zur Dauer und Anzahl des Schüttelns keine genauen Angaben mehr machen zu können. Vielleicht habe sie P. 2 bis 3 Mal kräftig geschüttelt. Weiterhin hat die Angeklagte erklärt, dass sie nicht die Absicht gehabt habe, P. derart schwer zu verletzen. Sie habe einfach nur gewollt, dass P. ruhig sei und sie wieder schlafen könne. Zum Tatnachgeschehen hat die Angeklagte ausgeführt, dass sie sich im Anschluss an das Geschehen wieder schlafen gelegt habe und den Ablauf des Vormittages des 09.11.2017 – Aufstehen, Vorbereitung auf den Arztbesuch zur Grippeimpfung, Spaziergang mit dem Hund, P. in der Tragetasche, Busfahrt, Arztbesuch, Rückkehr und ihre Wahrnehmungen im Zuge des Spazierganges sowie das Absetzen des Notrufs – ebenfalls so, wie festgestellt, geschildert.
Die Kammer ist von der Glaubhaftigkeit der Angaben der Angeklagten überzeugt. Dies gilt mit der Einschränkung, dass die Kammer aufgrund der noch darzustellenden überzeugenden Ausführungen des sachverständigen Rechtsmediziniers Dr. V. der Angabe, P. sei zwei bis drei Mal geschüttelt worden, nicht zu folgen vermag.
Die Angeklagte hat – mit der vorgenannten Einschränkung im Hinblick auf die Intensität des Schüttels – gleichermaßen detailreich wie schlüssig und lebensnah sowohl die Tatvorgeschichte, das Tatgeschehen an sich als auch das Tatnachgeschehen geschildert. Ihre Schilderungen sowohl hinsichtlich der objektiven Umstände als auch ihrer psychischen Verfassung – Erschöpfung und Übermüdung – waren authentisch und lebensnah. Die Einlassung wird darüber hinaus durch das Ergebnis der Beweisaufnahme gestützt.
aa. Tatvorgeschichte
Im Hinblick auf die Tatvorgeschichte werden die Angaben der Angeklagten insbesondere durch die glaubhaften Aussagen der Zeugen L., B. und . sowie dem verlesenen Whatsapp – Chatverkehr gestützt.
So hat der sachverständige Zeuge L. bestätigt, die Angeklagte und ihr Verlobter hätten einen Kinderwunsch gehabt und sich bei ihm im Hinblick auf eine mögliche Schwangerschaft beraten lassen. Er sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Erkrankung der Angeklagten einer Schwangerschaft nicht per se entgegenstünde. Auch die Zeugin B. hat ausgeführt, dass P. ein Wunschkind gewesen sei. Der Wunsch der Angeklagten sei es immer gewesen, dass auch die ältere Tochter A. wieder bei ihr leben könne und sie dann eine große Familie seien. Die Zeugin B. hat auch das Bild einer klassischen Rollenverteilung im Hause B./B. bestätigt. Die Angeklagte habe sich um P. und den Haushalt gekümmert. Der Verlobte sei zur Arbeit gegangen. Eine Kindeswohlgefährdung habe sie anlässlich ihrer Besuche bei der Angeklagten nicht gesehen. Die Angeklagte sei gut mit P. umgegangen und die Wohnung habe einen sehr ordentlichen und gepflegten Eindruck gemacht. Darüber hinaus hat sie angegeben, dass P. besonderer Pflege und Nähe bedurft hätte, wenngleich sie nicht als Schreikind hätte bezeichnet werden können. Dass die Angeklagte insbesondere ab dem 05.11.2017 zunehmend belastet, übermüdet und erschöpft war, wird insbesondere durch die Aussage der Zeugin U., einer Freundin der Angeklagten aus ihrer Zeit in G., bestätigt. Diese nahm Bezug auf die ihr von der Angeklagten übersandten Sprachnachrichten vom 08.11.2017. Die Angeklagte habe ihr erzählt, dass sie nun 3 Nächte nicht mehr geschlafen habe, fix und fertig sei, einfach mal raus möchte und jemanden zum Reden brauche. Sie habe einen sehr niedergeschlagenen Eindruck gemacht, geweint und geschluchzt. Das sei für die Angeklagte, die sie als starke Person kennengelernt habe, untypisch gewesen. Den konkreten Inhalt dieser Sprachnachrichten hat die Kammer ergänzend auf der Grundlage der Verlesung des Auswerteberichts über den Whatsapp – Verkehr der Angeklagten vom 29.01.2018 festgestellt. Der Zeuge PK K., der diesen Bericht verfasst hat, hat insoweit ausgeführt, dass der Chatverkehr der Angeklagten im Hinblick auf einige Anwendungen von Seiten der DV- Gruppe nicht habe ausgelesen bzw. gespiegelt werden können. Daher habe er eine manuelle Einsichtnahme vorgenommen, dabei die Sprachnachrichten angehört, parallel verschriftet und auch die Emotionen, die zum Ausdruck gekommen seien, vermerkt. Die zunehmende Erschöpfung der Angeklagten wird zudem durch die Sprachnachricht belegt, die die Angeklagte ebenfalls am 08.11.2017 um 09:17 Uhr ihrem Lebensgefährten, dem Zeugen B., übersandte, und deren Inhalt die Kammer ebenfalls auf der Grundlage der Verlesung des Auswerteberichts des Zeugen PK K. vom 29.01.2018 festgestellt hat. Schließlich hat es zur Überzeugung der Kammer auch das von der Angeklagten beschriebene Sturzgeschehen vom 08.11.2017 gegeben. Insoweit hat die Angeklagte das Geschehen so, wie auch vor der Kammer, bereits im Zuge der an den Zeugen B. am 08.11.2017 übersandten Sprachnachricht geschildert. Dafür, dass die Angeklagte insoweit ihrem Lebensgefährten gegenüber falsche Angaben gemacht haben könnte, hatte die Kammer keine Anhaltspunkte. In der Gesamtschau ergeben die Angaben der Angeklagten zum Tatvorgeschehen in Verbindung mit den Zeugenaussagen und dem Chatverkehr ein schlüssiges Gesamtbild.
Die weiteren Feststellungen zum Tatvorgeschehen, insbesondere im Hinblick auf die Entbindung und anschließende Behandlung P.s im Klinikum L., der Empfehlung zur Etablierung einer Familienhebamme und der Entlassung P.s beruhen auf den glaubhaften Angaben der sachverständigen Zeugen W. und d. V. in Ergänzung mit dem verlesenen abschließenden Arztbrief vom 21.08.2017.
bb. Objektives Tatgeschehen
aaa. Schütteltraumasyndrom
Im Hinblick auf das eigentliche Tatgeschehen werden die Angaben der Angeklagten, P. in der Nacht vom 08. auf den 09.11.2018 „kräftig geschüttelt“ zu haben, durch die Ausführungen des medizinischen Sachverständigen Dr. V. gestützt (1). Soweit die Angeklagte angegeben hat, P. etwa 2 bis 3 Mal geschüttelt zu haben, ist die Kammer auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen Dr. V. hingegen davon überzeugt, dass die Angeklagte P. deutlich öfter, nämlich mindestens 10 Mal in einer Dauer von 5 bis 10 Sekunden geschüttelt hat (2).
(1)
Der Sachverständige Dr. V. hat sein Gutachten insbesondere auf der Grundlage der von ihm eingesehenen Behandlungsunterlagen aus dem Klinikum L. und dem Klinikum O., den Angaben der in der Hauptverhandlung als sachverständige Zeugen gehörten behandelnden Ärzte - den Zeugen d. V., W. und M. -, der eigenen Untersuchungsergebnisse im Rahmen der rechtsmedizinischen Untersuchung vom 10.11.2017, den Ergebnissen der Obduktion vom 16.11.2017 in Verbindung mit dem in der Hauptverhandlung als Sachverständigen gehörten Obduzenten Dr. H. sowie den Ergebnissen der neuropathologischen Untersuchung in Verbindung mit den diesbezüglich in der Hauptverhandlung getätigten Ausführungen des Sachverständigen Hartmann erstattet.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. V. steht außer Zweifel, dass P. mit erheblichem Krafteinsatz und größter Intensität über 5 bis 10 Sekunden mindestens 10 Mal geschüttelt wurde und dass ihr hierdurch massive und letztlich tödliche Hirnverletzungen zugeführt wurden.
Der Sachverständige hat zunächst allgemeine Ausführungen zum Begriff, dem Verletzungsbild und den Folgen eines Schütteltraumasyndroms getätigt. Das Schütteltraumasyndrom sei ein durch Misshandlung verursachtes Kopftrauma. Es handele sich dabei um eine medizinisch gesicherte und gesichert zu stellende Diagnose, wenngleich der Begriff „Syndrom“ zum Ausdruck bringe, dass das Schütteltrauma an sich nicht diagnostizierbar sei, vielmehr das Zusammenspiel verschiedener diagnostizierbarer Kriterien das Bild eines Schütteltraumas ergebe. Die allgemein in der Wissenschaft anerkannten drei Kardinalsymptome seien subdurale Blutungen, retinale Blutungen sowie ein diffuser Hirnschaden im Sinne einer Enzephalopathie, der in einem Hirnödem münde. Dabei kämen für jedes einzelne dieser drei Kriterien zwar auch jeweils Differenzialdiagnosen in Betracht. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Schütteltraumasyndrom handele, steige jedoch, je mehr dieser drei Kriterien erfüllt seien. So seien subdurale Blutungen im Säuglingsalter beim Fehlen adäquater gravierender äußerlicher Verletzungen und einer plausiblen Anamnese - etwa Hochgeschwindigkeitsunfälle oder schwere Stürze aus der Höhe – schon für sich genommen mit der Assoziation einer Misshandlung durch ein Schütteln verbunden. Subdurale Hämatome entstünden in den meisten Fällen durch ein Einreißen der Brückenvenen, welche durch die harte Hirnhaut durchtreten. Beim Schütteln von Säuglingen und Kleinkindern komme es dadurch, dass der Kopf im Verhältnis zum Rest des Körpers groß sei und von einer schwachen und unausgereiften Nacken- und Halsmuskulatur nur unzureichend gehalten und kontrolliert werden könne, zu einem unkontrollierten Hin- und Herschlagen des Kopfes. Aufgrund des Trägheitsmoments des Gehirns komme es in diesem Zusammenhang zu Scherbewegungen zwischen dem Gehirn und der am Schädelknochen fixierten harten Hirnhaut und damit zum Einreißen oder sogar Zerreißen der Brückenvenen und zu Blutungen unter der harten Hirnhaut. Seien dann auch noch retinale Blutungen festzustellen, erhöhe dies die diagnostische Sicherheit. Diese seien bei nicht misshandlungsbedingten Kopfverletzungen sehr selten, würden sich für gewöhnlich nur gering an der Zahl und selten bis in die Peripherie reichend zeigen. Letztlich entscheidend für das Schütteltraumasyndrom spreche die diffuse Schädigung des Gehirns durch das Zerreißen von Nervenfasern, welche ebenfalls durch die im Rahmen des Schüttelvorgangs entstehenden Scherkräfte verursacht werde und mit der Entwicklung eines Hirnödems einhergehe. Durch die Schwellung des Gehirns komme es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff. Die Größenzunahme des Gehirns könne bis zur Einklemmung des Hirnstamms und letztlich dazu führen, dass das Gehirn nicht mehr ausreichend durchblutet werde bzw. kein Blutdurchfluss mehr stattfinde. Es komme dann zu einem zerebralen Perfusionsstillstand, d.h. einem Hirnfunktionsausfall und somit zum Hirntod.
In Fällen, in denen sämtliche Kardinalsymptome zu bejahen seien, lasse das Zusammenspiel dieser Symptome nur den Schluss zu, dass ein Schütteltrauma vorliege. Zeigten sich zusätzlich Verletzungen in der Halswirbelsäule, spreche dies für ein besonders intensives Schütteln. Kennzeichnend für ein Schütteltraumasyndrom sei darüber hinaus, dass gravierende äußere Verletzungen fehlten.
Die äußerlich erkennbare neurologische Symptomatik eines Schütteltraumasyndroms reiche je nach Ausmaß der Gewalteinwirkung von leichter Befindlichkeitsstörung, Trinkschwäche oder Erbrechen bei leichteren Schütteltraumata bis hin zu Krampfanfällen, Bewusstseinsstörungen oder Kreislauf- und Atemstörungen bei schwerwiegendem Schütteltrauma. Im letzteren Fall würde die Symptomatik in der Regel auch ohne längere zeitliche Latenz auftreten, wobei einschränkend zu berücksichtigen sei, dass der Bewusstseinszustand eines Babys oder Kleinkindes schwerer zu beurteilen sei als bei Erwachsenen. So sei es ihnen schließlich nicht möglich, sich hinreichend mitzuteilen und eindeutige Reaktionen auf Schmerzreize zu zeigen bzw. kundzutun. Insbesondere für medizinische Laien könnte der durch ein heftiges Schütteltrauma ausgelöste kritische Bewusstseinszustand bei einem Baby durchaus nicht sofort erkennbar sein und mit dem Zustand eines schlafenden Babys verwechselt werden.
Im Hinblick auf die Lebensgefährlichkeit des Schüttelns von Säuglingen und Kleinkindern hat der Sachverständige ausgeführt, dass dieses naturgemäß von der Intensität des Schüttelns abhängig sei. Ein mehrfaches, mehrsekündiges und kräftiges Schütteln sei jedoch unabhängig vom tatsächlichen Ausgang, abstrakt lebensgefährlich. Denn für den Täter sei es überhaupt nicht vorhersehbar und steuerbar, welche Verletzungsfolgen mit welchem Verletzungsbild sich letztlich manifestierten.
Übertragen auf den vorliegenden Fall komme als einzige plausible Erklärung für das Verletzungsbild P.s nur ein schweres Schütteltrauma in Betracht. P. sei im Zustand tiefer Bewusstlosigkeit in der Klinik in L. eingeliefert worden. Der Grad des Bewusstseins (Glasgow – Coma – Scale) sei durch das Rettungsteam mit 3 Punkten – der Mindestpunktzahl bei einer Skala von 3 bis 15 Punkten – eingestuft worden. Die Fontanelle sei deutlich angespannt gewesen, so dass ein Hinweis auf erhöhten Hirndruck bestanden habe. Äußere schwere Verletzungen oder Frakturen im Bereich des Schädels seien nicht feststellbar gewesen. Ferner habe es an einer adäquaten Anamnese, die den lebensbedrohlichen Zustand P.s hätte erklären können, oder entsprechenden äußeren Verletzungen gefehlt. Letztlich hätten die dann folgenden Untersuchungen im Klinikum L., im Klinikum O., die rechtsmedizinische Untersuchung vom 10.11.2017, die Obduktion und die neuropathologische Untersuchung P.s das Vorliegen der 3 Kardinalsymptome eines Schütteltraumasyndroms sicher belegt. Bereits im Klinikum L. und im Klinikum O. seien subdurale Blutungen feststellbar gewesen. Diese Befunde seien schließlich durch die Obduktion und die neuropathologische Untersuchung bestätigt worden. Im augenärztlichen Konsil seien zudem Einblutungen in den Augenhintergrund beider Augen beschrieben worden. Die neuropathologische Untersuchung habe diese Einblutungen in den Augen bestätigt. Darüber hinaus seien im Zuge dieser Untersuchungen auch Folgen von Zerreißungsprozessen als ein deutlicher Hinweis für eine mechanische Verletzungsursache feststellbar gewesen. Auch ein Hirnödem als Ausdruck einer diffusen Hirnschädigung habe sich bereits im Klinikum L. in Ansätzen gezeigt und sei dann im Klinikum O. deutlich feststellbar gewesen. Weitere Untersuchungen, die im Klinikum O. bis zum Tode P.s durchgeführt worden seien, hätten ein Fortschreiten der diffusen Hirnschädigung und letztlich die Aufhebung der Blutzirkulation belegt. Diese Befunde seien ebenfalls durch die Obduktion und insbesondere die neuropathologische Untersuchung bestätigt worden. Im Rahmen der Obduktion habe sich die Erweichung und Aufhebung der Binnenstruktur des Gehirns sowie das Aufplatzen der Schädelnähte durch die maximale Hirnschwellung und den Hirndruck besonders eindrücklich gezeigt. Im Zuge der neuropathologischen Untersuchung habe sich der Befund des Hirnödems als Ausdruck einer hochgradig ausgeprägten Enzephalopathie und des Sauerstoffmangels bestätigt. Ferner seien Einklemmungen des Gehirns feststellbar gewesen. Darüber hinaus seien bereits im Rahmen der Obduktion auch Einblutungen im Rückenmark nahe der Schädelbasis festgestellt worden. Die neuropathologische Untersuchung habe diese Einblutungen im Rückenmark bestätigt. Zusätzlich seien wiederum Folgen von Zerreißungsprozessen als deutlicher Hinweis für eine mechanische Verletzungsursache - feststellbar gewesen. Schließlich sei im Rahmen der Obduktion nochmals bestätigt worden, dass keine knöchernen Verletzungen vorgelegen hätten, insbesondere auch nicht im Bereich des Schädels.
Durch das Zusammentreffen der 3 Kardinalsymptome sei das Schütteltraumasyndrom sicher zu diagnostizieren. Ein anderes Verletzungsgeschehen, welches mit dem Verletzungsbild P.s in Einklang zu bringen sei, sei nicht denkbar. Insbesondere das seitens der Angeklagten im Rahmen des Notrufs und den behandelnden Ärzten gegenüber geschilderte Geschehen vom frühen Morgen des 08.11.2017, im Zuge dessen P. ein Handy und ggfs. ein weiterer Gegenstand auf das Gesicht gefallen und P. in die mit Stoff überzogene Wiegewippe abgelegt oder ggfs. auch gefallen sein könnte, käme als Ursache nicht in Betracht. So seien möglicherweise ein oder mehrere im Rahmen der Aufnahmeuntersuchung im Klinikum L. und der rechtsmedizinischen Untersuchung vom 10.11.2017 festgestellten Hämatome auf dieses Geschehen zurückzuführen. Die schwere diffuse Hirnschädigung lasse sich mit einem solchen Ereignis nicht in Einklang bringen. Auch andere Verletzungsgeschehen – etwa schwere Stürze aus der Höhe oder Hochgeschwindigkeitsunfälle – würden bei Fehlen äußerer Anzeichen und Begleitverletzungen für ein schwerwiegendes Kopftrauma nicht in Betracht kommen. Durch Begleituntersuchungen seien auch innere Ursachen oder Krankheiten, insbesondere Stoffwechselerkrankungen und Gerinnungsstörungen, ausgeschlossen worden. Sowohl schwere Stürze aus der Höhe oder Hochgeschwindigkeitsunfälle als auch Stoffwechselerkrankungen und Gerinnungsstörungen wären jedoch lediglich mögliche Differenzialdiagnosen für einen Teilkomplex der Symptomtrias und könnten jeweils nicht das Vorliegen sämtlicher Kardinalsymptome nachvollziehbar erklären.
(2)
Zur Intensität und Dauer des Schüttelns hat der Sachverständige Dr. V. ausgeführt, dass zur Verursachung eines Schütteltraumas mit Symptomen der vorliegenden Art ein Schütteln mit größter Intensität über mehrere Sekunden und mit mehreren Schüttelvorgängen erforderlich sei. Anders sei die Schwere des Schütteltraumas nicht zu erklären. Nach dem Stand der Wissenschaft seien zur Verursachung eines solch schwerwiegenden Schütteltraumas erhebliche physikalische Kräfte erforderlich. Das Schütteln müsse von solcher Intensität sein, dass selbst ein medizinischer Laie als Beobachter sofort realisieren würde, dass er einschreiten müsse, da die Situation sich als akut lebensbedrohlich darstelle. Nach Schilderungen geständiger Täter, Untersuchungen und theoretischer Berechnungen sei ein Schütteln für 5-10 Sekunden mit einer Frequenz von mindestens 10 Mal erforderlich. Bezogen auf den vorliegenden Sachverhalt sei insbesondere zu bemerken, dass über die schweren Hirnverletzungen hinaus auch die Befunde in der Halswirbelsäule – zentrale Einblutungen mit Blut in der Mittellinie und Folgen von Zerreißungsprozessen - für ein besonders schweres Schütteltrauma sprächen. Die Läsionen im Rückenmark seien ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Rückenmark übermäßiger mechanischer Belastung bzw. Überdehnung ausgesetzt gewesen sei. Der Kopf P.s müsse maximal und über das Maß in alle Richtungen hin- und hergependelt sein, um diese Läsionen zu verursachen.
(3)
Den insgesamt überzeugenden, in sich widerspruchsfreien, mit dem Stand der Wissenschaft belegten und von großer Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer nach eigener kritischer Überprüfung vollumfänglich an. Das Gutachten wird gestützt durch die Ausführungen der weiteren im vorliegenden Verfahren gehörten Sachverständigen – Dr. H. und Prof. Dr. med. H. -. Auch diese sind in ihren ebenso schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen zu dem Ergebnis gekommen, dass das diagnostizierte schwere Verletzungsbild P.s nur mit einer Gewaltanwendung im Sinne eines massiven Schüttelns – über eine gewisse Dauer und mit mehreren Schüttelvorgängen - erklärbar sei. Auch nach Einschätzung der behandelnden Ärzte im Klinikum L. als auch im Klinikum O. – W. und M. -, die die Kammer als sachverständige Zeugen gehört hat, bestand bereits frühzeitig der Verdacht eines Schütteltraumasyndroms, da das Verletzungsbild P.s mit den Angaben der Angeklagten zur Verletzungsursache nicht zu erklären gewesen sei.
bbb. Ausschluss Dritter /Lebensgefährter
Die Kammer kann auch ausschließen, dass die Angeklagte wahrheitswidrig die Tat auf sich genommen hat, um ihren Lebensgefährten oder Dritte zu schützen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war die Angeklagte für die Pflege und Betreuung P.s zuständig. Andere Personen waren nicht eingebunden. Dies hat die Kammer zum Einen auf der Grundlage der insoweit glaubhaften Angaben des sachbearbeitenden Polizeibeamten, dem Zeugen PK K., festgestellt, wonach die Ermittlungen im Umfeld – insbesondere der Nachbarschaft und Verwandtschaft – keinen Hinweis darauf ergeben hätten, dass die Angeklagte Unterstützung im Bereich der Pflege und Betreuung P.s gehabt hätte. Zum Anderen wurde die klassische Rollenverteilung innerhalb der Familie B./B. durch die Zeugin B. und auch durch den Inhalt der an die Zeugin U. übersandten Sprachnachrichten der Angeklagten – „so dass C. auch mal sieht, dass das nicht alles selbstverständlich ist, was ich für ihn mache weißste?... ich schlaf die ganze Nacht nicht, steh früh morgens mit auf, mach ihm seine Brote, seine Wäsche, sein alles… ich mach alles für ihn“ - bestätigt. Dafür, dass von dieser klassischen Rollenverteilung in der Nacht vom 08. auf den 09.11.2017 abgewichen worden sein könnte, gibt es keine Anhaltspunkte. Schließlich war das Geständnis der Angeklagten deutlich von Emotionen der Scham und Trauer geprägt. Es wurde besonders deutlich, dass die Angeklagte, die ihre Einlassung unter Tränen abgab, mehrfach stockte und Pausen benötigte, um fortzufahren, noch heute deutlich unter dem Eindruck des Geschehens steht. Es bestanden daher keinerlei Zweifel an der Richtigkeit ihrer Angaben zu ihrer Täterschaft.
cc. Tatnachgeschehen
Auch im Hinblick auf das Tatnachgeschehen ergeben die Angaben der Angeklagten im Zusammenspiel mit den weiteren erhobenen Beweisen ein schlüssiges Gesamtbild. So wird aus dem insoweit fotografisch gesichert und in Augenschein genommenen Chatverkehr der Angeklagten mit dem Zeugen B. vom 09.11.2017 deutlich, dass die Angeklagte spätestens um 06:18 Uhr aufgestanden ist und der Zeuge B. zu diesem Zeitpunkt bereits außer Haus war, denn die Angeklagte schickte ihm ein Bild von P. in der Wiegewippe. Auch teilte die Angeklagte dem Zeugen B. um 09:22 Uhr mit, dass sie nunmehr zum Arzt fahren werde. Im Übrigen hat auch der sachverständige Zeuge L. bestätigt, dass die Angeklagte am 09.11.2017 zur Grippeimpfung in die Praxis gekommen sei. Er habe die Angeklagte nur aus seinem Arztzimmer heraus flüchtig gegrüßt. P. sei in der Tragetasche vor der Brust der Angeklagten gewesen.
Den Inhalt des Notrufs der Angeklagten hat die Kammer auf der Grundlage der Verlesung und Inaugenscheinnahme des Notrufsprotokolls festgestellt. Die weiteren Feststellungen zu den Untersuchungen, Untersuchungsbefunden und Behandlungen P.s im Klinikum L. und O. sowie den Angaben der Angeklagten zur möglichen Verletzungsursache beruhen auf den insoweit glaubhaften Angaben der sachverständigen Zeugen W., d. V. und M. und den ergänzend verlesenen Arztbriefen vom 09.11.2017. Die Ergebnisse der rechtsmedizinischen Untersuchung vom 10.11.2017 hat die Kammer auf der Grundlage der glaubhaften Angaben des Sachverständigen Dr. V., die Ergebnisse der Obduktion auf der Grundlage der glaubhaften Angaben des Sachverständigen Dr. H. und die Ergebnisse der neuropathologischen Untersuchung auf der Grundlage der glaubhaften -Angaben des Sachverständigen Prof. Dr. H. festgestellt.
dd. Subjektiver Tatbestand
In subjektiver Hinsicht ist die Kammer auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung sämtlicher Umstände des Tatgeschehens und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und psychischen Verfassung der Angeklagten zum Tatzeitpunkt davon überzeugt, dass die Angeklagte mit bedingtem Körperverletzungsvorsatz handelte (aaa.) und dabei die Todesfolge im Zusammenhang mit dem Schüttelvorgang für sie voraussehbar war (bbb.).
aaa.
Ein bedingter Vorsatz ist dann gegeben, wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Körperverletzungserfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch unerwünscht sein (BGHSt 36, 1).
Im Hinblick auf das kognitive Vorsatzelement hat die Kammer diese Überzeugung insbesondere mit Blick auf die objektive Gefährlichkeit der Tatbegehung der Angeklagten, nämlich einem kräftigen Schütteln über eine Dauer von 5-10 Sekunden mit einer Frequenz von mindestens 10 Mal gewonnen. Die Tatsache, dass der Kopf eines Säuglings gestützt werden muss und dass das Schütteln eines Säuglings zu äußerst gefährlichen Verletzungen bis hin zum Tode führen kann, ist allgemein bekannt. Den glaubhaften Angaben des sachverständigen Zeugen W. zufolge wird zudem nach jeder Entbindung im Klinikum L. im Rahmen des Entlassungsgespräches über diese Umstände explizit aufgeklärt und es werden Verhaltensempfehlungen ausgesprochen. Dies werde, bezogen auf die Handhabung zur Zeit der Geburt von P., definitiv auch mit der Angeklagten besprochen worden sein. Darüber hinaus hat auch die Zeugin B. glaubhaft bekundet, mit der Angeklagten besprochen zu haben, wie diese sich verhalten könne, wenn P. zu viel schreie und insbesondere darauf hingewiesen zu haben, dass P. keinesfalls geschüttelt werden dürfe. Zur Überzeugung der Kammer hat die Angeklagte es auch in der konkreten Situation als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt, dass P. durch die Gewaltanwendung körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt werden könnte. Insofern hat die Kammer sich nochmals die Ausführungen des Sachverständigen Dr. V. vor Augen geführt, nach denen die schwerwiegenden Verletzungen P.s nur mit einem derart intensiven Schütteln in Einklang zu bringen seien, bei welchem selbst ein medizinischer Laie als Beobachter sofort realisieren würde, dass er einschreiten müsse, da die Situation sich als akut lebensbedrohlich darstelle.
Auch hinsichtlich des voluntativen Vorsatzelementes hat die Kammer ihre Überzeugung insbesondere auf der Grundlage der festgestellten Intensität des Schüttelns als auch dessen Zielrichtung gewonnen. Die Angeklagte hat P. über eine Dauer von 5 bis 10 Sekunden mit einer Frequenz von mindestens 10 Mal so lange geschüttelt, bis diese ruhig war. Dies lässt nur den Schluss zu, dass sie gerade durch die physische Einwirkung auf den Körper P.s das Schweigen herbeiführen wollte, so dass sie um des Zieles willen, P.s Schreien zu beenden und eigene Ruhe zu finden, sowohl eine körperliche Misshandlung als auch Gesundheitsschädigung zumindest billigend in Kauf genommen hat.
bbb.
Im Hinblick auf die Todesfolge ist die Kammer angesichts der Heftigkeit des Schüttelns und dem Wissen der Angeklagten, dass das Schütteln eines Säuglings zu lebensgefährlichen Verletzungen führen kann, davon überzeugt, dass die Angeklagte in der konkreten Situation nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten vorhersehen konnte und musste, dass P. durch die ihr zugefügte Behandlung zu Tode kommen könnte. Die Vorhersehbarkeit der Todesfolge muss sich insoweit nicht auf die einzelnen physischen Vorgänge erstrecken, die als Folge der Körperverletzung im konkreten Fall den Tod herbeiführen (BGH, Urteil vom 26.06.2008, 3 StR 159/08).
ccc.
Die Kammer hat sowohl im Hinblick auf den Körperverletzungsvorsatz als auch die Vorhersehbarkeit der Todesfolge bedacht, dass es sich um eine spontane, unüberlegte und – wenngleich unterhalb der Schwelle der §§ 20, 21 StGB – affektiv beeinflusste Tat handelte, die Angeklagte übermüdet, erschöpft und in der Situation überfordert war. Dies hat zur Überzeugung der Kammer angesichts der vorliegenden Intensität und Dauer des Schüttelns jedoch weder dazu geführt, dass der Angeklagten die Gefährlichkeit der Handlung für das Leben P.s nicht in das Bewusstsein gedrungen ist, noch sind diese Umstände geeignet, das voluntative Vorsatzelement in Frage zu stellen.
ee. Schuldfähigkeit
Zur Überzeugung der Kammer war die Angeklagte bei Begehung der Tat voll schuldfähig. Bezüglich des Vorliegens der Voraussetzungen der §§ 20,21 StGB hat sich die Kammer durch die psychiatrische Sachverständige D. beraten lassen und ist nach eigenständiger Überprüfung des durchweg nachvollziehbaren und von großer Sachkunde getragenen Gutachtens auf Grund eigener Würdigung zu dem Ergebnis gelangt, dass zum Zeitpunkt des Tatgeschehens die Fähigkeit der Angeklagten, das Unrecht der begangenen Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, weder aufgehoben noch erheblich vermindert gewesen ist.
Die Sachverständige führte insofern aus, dass sie auf der Grundlage der Exploration der Angeklagten und den Erkenntnissen aus der Hauptverhandlung zu dem Ergebnis gekommen sei, dass kein Eingangskriterium im Sinne der §§ 20/21 StGB erfüllt sei.
Das Eingangskriterium der „Intelligenzminderung“ scheide aus. Bei der Angeklagten habe es keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen einer forensisch relevanten Minderbegabung gegeben. Auch das Eingangskriterium einer „krankhaften seelischen Störung“ liege nicht vor. Insbesondere habe es keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Tat in einem Rauschzustand – etwa bedingt durch die Einnahme des opiathaltigen Medikaments Targin - begangen worden sei. Unter der ärztlich verordneten Dosierung – 3 mal täglich – sei eine schuldrelevante Intoxikation nicht anzunehmen. Dabei sei auch zu beachten, dass es sich bei dem der Angeklagten verschriebenen Medikament um eine Retardmedikation handele, mithin einem langwirksamen Präparat, bei welchem nur ein gewisser Prozentsatz des Wirkstoffs sofort und der restliche Wirkstoff nur nach und nach wirke. Einen Push – Effekt gebe es nicht. Eine schuldrelevante Intoxikation käme daher nur bei einer deutlichen Überdosierung des Medikamentes in Betracht. Diese müsste mit Ausfallerscheinungen in Motorik, Koordination, Bewegungs – und Denkablauf einhergehen, wie sie auch bei einer Alkoholintoxikation festzustellen seien. Anhaltspunkte für eine Überdosierung zur Tatzeit gebe es nicht.
Das Eingangskriterium einer „schweren anderen seelischen Störung“ sei ebenfalls zu verneinen. Eine Betäubungsmittelabhängigkeit – insbesondere eine Opiatabhängigkeit aufgrund des Medikaments Targin - bestünde nicht. Es gäbe keine Anzeichen auf eine Suchtmittelerkrankung im psychiatrischen Sinne. Eine solche begründe auch nicht bereits für sich allein die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit, sondern nur bei Vorliegen besonderer Umstände, wenn auf Grund langjährigen Konsums schwere Persönlichkeitsveränderungen eingetreten seien oder die Tat unter dem Eindruck starker Entzugserscheinungen oder der Angst vor solchen begangen worden sei. Diese besonderen Umstände lägen hier nicht vor.
Eine Persönlichkeitsstörung, die in ihren Auswirkungen einen solchen Schweregrad erreiche, dass sie unter das Merkmal einer „schweren anderen seelischen Störung“ zu subsumieren sei, sei ebenfalls nicht gegeben. Die Sachverständige führte aus, dass bei der Angeklagten zwar emotional instabile Anteile zu verzeichnen seien, diese jedoch noch nicht den Schweregrad einer Borderline – Störung erreichten. Die Angeklagte neige zu einem „Schwarz – Weiß – Denken“, reagiere in konfliktreichen Lebensabschnitten mit Beziehungsabbrüchen und zeige reduzierte Kompetenzen im Umgang mit Gefühlen. Es zeigten sich Ansätze von Zynismus und Abgebrühtheit und immer wieder Einschränkungen durch Misstrauen und Skepsis, jedoch alles in einem Rahmen, der nicht als hochpathologisch und ebenso nicht als tief verwurzelt in der Persönlichkeitsstruktur anzusehen sei.
Auch eine „tiefgreifende Bewusstseinsstörung“ im Sinne eines Affektdeliktes scheide aus. Der Begriff Affekt stehe zunächst für eine Vielzahl emotionaler Regungen, ohne dass eine Aussage über deren Intensität getroffen werde. Eine „Affekttat“ im Sinne der §§ 20, 21 StGB könne jedoch nur für solche Taten angenommen werden, bei denen die Affekte des Täters derart intensiv seien, dass sie erhebliche Auswirkungen auf seine Impulssteuerung zeigten. Allein das Vorliegen von Affekten führe nicht zu einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“. Dieser Begriff verlange eine Intensität dergestalt, dass das seelische Gefüge des Täters zeitweise zerstört oder gar erschüttert sei, indem die Ordnungsstrukturen des Denkablaufs und des Willensbildungsprozesses aufgehoben würden. In der forensisch-psychiatrischen Praxis seien eine Reihe von Kriterien entwickelt worden, die Anhaltspunkte für bzw. gegen das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung aufgrund affektiver Erregung lieferten. Dabei sei zu bemerken, dass es für die Klärung des Gewichts eines Affekts weniger auf die Zahl der zu bejahenden oder verneinenden Kriterien ankomme, sondern vielmehr auf den Ausprägungsgrad der einzelnen Kriterien. Eine vorzunehmende Gesamtschau unter Heranziehung dieser Kriterien – insbesondere denen nach Venzlaff und Förster – und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit der Angeklagten, ihrer psychischen Verfassung vor und nach der Tat sowie dem Tatgeschehen selbst, ergebe hier, dass das Eingangskriterium einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ sicher zu verneinen sei.
Mit Blick auf die Persönlichkeit der Angeklagten sei festzustellen, dass der Lebenslauf der Angeklagten zeige, dass diese grundsätzlich eine eher starke Persönlichkeit sei. Auch in schwierigen Lebensphasen habe sie es immer wieder geschafft, Lösungen zu finden und sich aus der Situation herauszuholen. Die Täterpersönlichkeit eines Affekttäters sei demgegenüber durch Hilflosigkeit gegenüber kritischen Lebenssituationen und Unterlegenheitsgefühlen gekennzeichnet. Eine längerfristige schwierige Beziehung zwischen Täter und Opfer mit einem voranschreitenden Konflikt habe nicht vorgelegen. P. sei ein Wunschkind gewesen. Die Angeklagte habe sie betreut und versorgt. Die schlaflosen Nächte unmittelbar vor dem Tatgeschehen und die zunehmende Übermüdung und Erschöpfung der Angeklagte sei insoweit zwar durchaus als emotionale Belastungssituation mit kontinuierlicher Steigerung einzuordnen. Diese reiche jedoch für sich genommen noch nicht aus, um von einer für Affekttaten typischen konflikthaften Täter-Opfer-Beziehung und einer typischen prädeliktischen Situation mit fortschreitender Einengung und Isolierung zu sprechen. Die Übermüdung und Erschöpfung der Angeklagten seien jedoch als konstellative Faktoren zu bewerten. Mit Blick auf das Tatgeschehen an sich spreche sowohl der äußere als auch der innere Tatablauf gegen eine Affekttat. Bis zum eigentlichen Schüttelvorgang habe die Angeklagte zunächst versucht, das schreiende Kind zu beruhigen, indem sie die Flasche gegeben, das Kind gewickelt und gepuckt habe. Ein konfliktspezifischer Auslösereiz, der die Emotionen der Angeklagten nahezu sprunghaft auf ein höchstes Niveau habe ansteigen lassen, eine Einengung des Blickfeldes im Sinne eines „Tunnelblicks“ und einem „Abspalten vom eigenen Ich“ seien nicht zu erkennen. Schließlich sei auch dem Nachtatverhalten kein für Affekttaten typisches planloses, irrationales Verhalten oder eine erhebliche seelische Erschütterung zu entnehmen. In der Gesamtschau sei die Tat sicherlich von Affekten bestimmt gewesen. Diese hätten jedoch sicher nicht eine solche Intensität erreicht, dass von einer „tiefgreifenden Bewusstseinsstörung“ im Sinne einer Affekttat gesprochen werden könne.
Diesen schlüssigen, von großer Sachkunde getragenen und verständlich aufbereiteten Ausführungen des Sachverständigen schließt sich die Kammer aufgrund eigener Prüfung vollumfänglich an. Insbesondere ist zwar davon auszugehen, dass die Tat von Affekten bestimmt war und dass die Angeklagte sich bei der Tatbegehung in einem Zustand befunden hat, der von einer normalen, ausgeglichenen Gemütslage abweicht. In Fällen der Verursachung eines Schütteltraumas bei Säuglingen oder Kleinkindern ist ein affektiver Erregungszustand geradezu typisch (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020, 2 StR 209/20). Die Angeklagte war müde, erschöpft und überfordert. Eine Abweichung von einer normalen, ausgeglichenen Gemütslage ist aber nur dann tiefgreifend, wenn das seelische Gefüge des Betroffenen erschüttert oder zerstört ist oder der Ausnahmezustand eine Intensität erreicht hat, die in ihrer Auswirkung auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der krankhaften seelischen Störung gleichkommt (vgl. BGH, Urt. vom 13.12.1989, 3 StR 370/89). Dies ist hier aufgrund der vorgenommenen Gesamtwürdigung unter Heranziehung der von dem Sachverständigen schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen zu den einzelnen Kriterien und unter Berücksichtigung der Persönlichkeit der Angeklagten, ihrer psychischen Verfassung in der Zeit vor und nach der Tat und dem Tatverhalten selbst zu verneinen. Auch wenn die Angeklagte übermüdet, erschöpft und überfordert gewesen war und sicherlich an ihre Belastungsgrenzen gestoßen ist, zeigt insbesondere der äußere Tatablauf mit einem Vorlauf bis zum eigentlichen Schüttelvorgang – dem schreienden Kind wurde zunächst die Flasche gegeben, es wurde gewickelt und gepuckt – und auch das Nachtatverhalten – die Angeklagte legte sich wieder schlafen und gestaltete am darauffolgenden Morgen planmäßig ihren Tagesablauf, zog sich und P. an, packte die Tasche für den Arztbesuch, ging mit dem Hund spazieren und fuhr dann zum Arzt -, dass der Ausnahmezustand der Angeklagten nicht eine derartige Intensität erreicht hat, die in ihrer Auswirkung auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit der krankhaften seelischen Störung gleichkommt.
Ebenso folgt die Kammer der Einschätzung der Sachverständigen im Hinblick auf eine Intoxikation oder Opiatabhängigkeit. Der die Angeklagte behandelnde Zeuge L. hat glaubhaft angegeben, gerade im Anschluss an die Schwangerschaft deutlich darauf geachtet zu haben, dass die Angeklagte nur Rezepte für die ärztlich verordnete Dosierung -3 mal täglich- ausgestellt bekomme, so dass sich keine Anhaltspunkte für eine Überdosierung der Medikation für die Zeit der Tat ergaben. Unter der üblichen Dosierung waren den glaubhaften Angaben insbesondere des sachverständigen Zeugen L. als auch der Zeugin B. zufolge bei der Angeklagten keinerlei Beeinträchtigungen oder Ausfallerscheinungen zu beobachten.
ff.
Weitere Feststellungen zur Herkunft der bei P. festgestellten Hämathome und ob diese durch Handlungen der Angeklagten verursacht worden sein könnten, konnte die Kammer nicht treffen.
gg.
Die Feststellungen zum Verfahrensgang beruhen auf der Verlesung des Vermerks des Kammervorsitzenden vom 14.04.2021.
IV.
Nach den unter Ziff. II. getroffenen Feststellungen ist die Angeklagte der Körperverletzung mit Todesfolge gem. §§ 223, 227 StGB schuldig.
Die Angeklagte hat eine vorsätzliche Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB begangen.
Der vorsätzlich verursachte Körperverletzungserfolg, nämlich die unmittelbar durch das Schütteln eingetretene diffuse Hirnverletzung, war auch ursächlich für den Tod P.s. Für die Zurechnung ist ausreichend, dass die konkrete Verletzung auf einem generellen Verletzungsvorsatz beruht. Darüber hinaus ist der spezifische Gefahrzusammenhang zwischen der vorsätzlichen Körperverletzung - dem Schütteln P.s – und der Todesfolge gegeben. Im tödlichen Ausgang hat sich gerade die spezifische Gefahr niedergeschlagen, die mit schweren Hirnschäden einhergeht. Dass ein intensives Schütteln zu schweren Hirnschäden mit tödlichem Ausgang führen kann, liegt nicht außerhalb jeder Lebenserfahrung und stellt sich gerade nicht als Verkettung außergewöhnlicher unglücklicher Umstände dar. Die Angeklagte hat die Todesfolge auch fahrlässig verursacht (§ 18 StGB). Die Todesfolge war für sie vorhersehbar.
V.
1.
Die Kammer hat den Strafrahmen des § 227 Abs. 2 StGB für minder schwere Fälle der Körperverletzung mit Todesfolge mit einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr bis zu 10 Jahren zu Grunde gelegt.
Die Kammer ist insofern zunächst zu dem Ergebnis gelangt, dass ein Fall des § 213 StGB nicht vorliegt. Die Kammer hat jedoch einen minder schweren Fall nach allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkten angenommen.
Ein minder schwerer Fall liegt vor, wenn das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit bei Gesamtbetrachtung aller wesentlichen belastenden und entlastenden Umstände vom Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle in so erheblichem Maße abweicht, dass die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten erscheint (BGH, Urteil vom 14.06.2002, 3 StR 132/02; BGH, Urteil vom 16.08.2006, 2 StR 236/06; BGH Urteil vom 26.04.2007 4 StR 7/07). Bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung sind nicht nur diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die der Tat vorausgehen oder sie begleiten, sondern auch diejenigen, die ihr nachfolgen (vgl. BGH, NJW 1988, 2749). Entscheidend ist, dass der Fall, nicht die Tat insgesamt minderschwer wiegt (Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl. 2017, Rn. 1108).
Die Kammer hat berücksichtigt, dass die Angeklagte sich umfassend geständig eingelassen hat. Das Geständnis der Angeklagten war von Reue und Schuldeinsicht getragen. Ferner war zu beachten, dass die Tat spontan und unüberlegt begangen wurde, die Angeklagte lediglich mit bedingtem Verletzungsvorsatz handelte und sich überdies in einer Belastungs – und Überforderungssituation befand. Sie war müde, erschöpft und unterhalb der Schwelle der §§ 20/21 StGB affektiv erregt. Auch fand Beachtung, dass aufgrund der Bereitschaft zur Spende der Organe P.s anderen Kindern geholfen werden konnte. Diesen Umstand betonte der Rechtsmediziner Dr. V. im Rahmen seiner Gutachtenerstattung als besonders erachtenswert, was auch die Kammer im Rahmen der Bewertung des Nachtatverhaltens so sieht. Zudem musste Berücksichtigung finden, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist, die Tat bereits lange zurückliegt und zwischen der Tat und dem Erlass des Urteils 3 ½ Jahre verstrichen sind, wobei die Dauer des Verfahrens aufgrund der Ungewissheit über das weitere Schicksal für die Angeklagte belastend war.
2.
Eine Strafrahmenverschiebung gem. § 49 StGB kam nicht in Betracht. Vertypte Milderungsgründe sind bereits tatbestandlich nicht gegeben. Insbesondere liegen die Voraussetzungen der §§ 20/21 StGB nicht vor.
3.
Nach Abwägung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände, insbesondere der bereits genannten Strafzumessungskriterien, hat die Kammer eine
Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 2 Monaten
für tat- und schuldangemessen erachtet und hierauf erkannt.
4.
Aufgrund des festgestellten Verfahrensganges, insbesondere der nicht von der Angeklagten zu verantwortenden rechtsstaatswidrigen Verzögerung des Verfahrens um 1 Jahr zwischen dem 04.07.2018 bis zur Anklageerhebung am 12.07.2019 und dem Verstreichen eines weiteren erheblichen Zeitraumes zwischen Gutachteneingang und Terminierung beim Landgericht, war in der Urteilsformel auszusprechen, dass ein Teil der gegen die Angeklagte verhängten Freiheitsstrafe als vollstreckt gilt. Aufgrund der mit dem Verfahren verbundenen Belastungen für die Angeklagte hat die Kammer die ausdrückliche Feststellung der Verfahrensverzögerung zur Kompensation als nicht ausreichend erachtet, so dass sie den Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK im Wege der vom Bundesgerichtshof entwickelten Vollstreckungslösung kompensiert hat. Die Kammer hat es für ausreichend, aber auch erforderlich erachtet, auszusprechen, dass 2 Monate als vollstreckt gelten. Dabei haben der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstandes, die Art und Weise der Ermittlungen sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für die Angeklagte verbundenen besonderen Belastungen Berücksichtigung gefunden.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 StPO.