Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 10.05.2006, Az.: 5 A 482/05
Ausübung eines anzeigepflichtigen Gewerbes i.S.v. § 14 Abs. 1 Gewerbeordnung (GewO) durch berufsmäßige Betreuer; Definition des Begriffes "Gewerbe"; Verbindlichkeit der Begriffsbestimmung der freiberuflichen Tätigkeit in der steuerrechtlichen Vorschrift des§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) für die gewerberechtliche Beurteilung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 10.05.2006
- Aktenzeichen
- 5 A 482/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 34779
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2006:0510.5A482.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG Niedersachsen - 29.08.2007 - AZ: OVG 7 LC 125/06
- BVerwG - 11.03.2008 - AZ: BVerwG 6 B 2.08
Rechtsgrundlagen
- § 1 GewO
- § 14 GewO
- § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG
- § 1897 Abs. 1 BGB
- § 1897 Abs. 6 BGB
Fundstellen
- BtMan 2006, 152-154
- FamRZ 2006, 1872-1873 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 2006, 1873-1874
Amtlicher Leitsatz
Berufsmäßige Betreuer üben ein anzeigepflichtiges Gewerbe i.S. von § 14 Abs. 1 GewO aus.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Aufforderung der Beklagten, seine berufliche Tätigkeit als Berufsbetreuer als Gewerbe anzuzeigen.
Der Kläger erwarb am 12. September 1977 den Hochschuldgrad Diplom-Sozialpädagoge und wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1978 als Sozialpädagoge staatlich anerkannt. Er ist als Berufsbetreuer tätig. Die Betreuungen bekommt er vom Landkreis Lüneburg und vom Vormundschaftsgericht zugewiesen. Für das Jahr 2003 setzte das Finanzamt Lüneburg gegenüber dem Kläger einen Gewerbesteuermessbetrag fest.
Mit Schreiben vom 2. August 2005 forderte die Beklagte den Kläger auf, den Beginn seines Gewerbebetriebes unverzüglich anzuzeigen.
Mit Schreiben vom 5. August 2005 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass Berufsbetreuer nicht Gewerbetreibende im Sinne der Gewerbeordnung seien. Er sei deshalb nicht zur Anzeige seiner Tätigkeit verpflichtet. Die Aufsichtüber die gesamte Tätigkeit der Berufsbetreuer werde vom Vormundschaftsgericht ausgeübt, einer Aufsicht oder Überwachung durch die Ordnungsbehörden bedürfe es deshalb nicht.
Mit Bescheid vom 15. November 2005 forderte die Beklagte den Kläger nochmals auf, seiner gewerberechtlichen Anzeigepflicht nachzukommen. Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit stelle keine Dienstleistung höherer Art und damit keine freiberufliche Tätigkeit dar. Diese erfordere objektiv eine höhere Bildung. Eine akademische Ausbildung sei nicht Voraussetzung für die Bestellung zum Berufsbetreuer.
Hiergegen hat der Kläger am 14. Dezember 2005 Klage erhoben. Er trägt vor, er sei freiberuflich tätig. Allgemein anerkannte freiberufliche Tätigkeiten seien dadurch geprägt, dass die Angehörigen dieser Berufsgruppen entweder einer entsprechenden Kammeraufsicht oder aber einer spezifischen gesetzlich geregelten behördlichen oder gerichtlichen Aufsicht unterliegen würden, die es nicht mehr erforderlich mache, sie daneben der allgemeinen Gewerbeaufsicht nach der Gewerbeordnung zu unterstellen. Für Berufsbetreuer gebe es eine spezialgesetzlich geregelte Aufsicht nach dem BGB, wonach die Aufsicht über die gesamte Tätigkeit von Berufsbetreuern vom örtlich zuständigen Vormundschaftsgericht ausgeübt werde. ImÜbrigen lasse § 6 GewO die Frage offen, ob die Tätigkeit eines Berufsbetreuers unter den Begriff des Gewerbes oder unter denjenigen eines freien Berufes zu subsumieren sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt zur Begründung vor, die Tätigkeit eines Berufsbetreuers sei nicht als freiberuflich einzustufen, weil sie keine akademische Ausbildung erfordere. Die Vorschriften des BGB seien keine spezialgesetzlichen Regelungen zur Gewerbeordnung, denn diese gehöre dem öffentlichen Recht an. Zudem werde auf das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 4. November 2004 verwiesen, wonach ein berufsmäßiger Betreuer Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 15. November 2005 ist rechtmäßig (§ vgl. 113 Abs. 1 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Aufforderung der Beklagten gegenüber dem Kläger, seine Tätigkeit gewerberechtlich anzuzeigen, ist § 14 GewO. Nach § 14 Abs. 1 GewO muss, wer den selbstständigen Betrieb eines stehenden Gewerbes anfängt, dies der für den betreffenden Ort zuständigen Behörde gleichzeitig anzeigen. Gewerbe i.S. von § 1 GewO ist jede erlaubte, auf Gewinnerzielungsabsicht gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit, ausgenommen Urproduktion, freie Berufe (freie wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit höherer Art sowie persönliche Dienstleistungen höherer Art, die eine höhere Bildung erfordern) und bloße Verwaltung eigenen Vermögens (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.1976 - I C 56.74 -, GewArch 1976, 293; Urt. v. 1.7.1987 - 1 C 25.85 -GewArch 1987, 331; Beschl. v. 16.2.1995 - 1 B 205.93 -, GewArch 1995, 152).
Nach diesen Grundsätzen betreibt der Kläger selbständig ein stehendes Gewerbe i.S. von § 1 GewO. Ein Berufsbetreuer wird gemäß § 1897 Abs. 1 und 6 BGB vom Vormundschaftsgericht zum Betreuer bestellt. Zu den Pflichten des Berufsbetreuers gehören die Gesundheitsfürsorge, Vermögens- und Personensorge (vgl. § 1901 BGB). Seine Tätigkeit wird nach dem Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz vergütet (vgl. § 1836 Abs. 1 BGB). Die Tätigkeit des Klägers ist mithin auf Dauer angelegt, erlaubt, und dient der Gewinnerzielungsabsicht. Der Kläger ist zudem selbständig tätig, denn er handelt auf eigene Rechnung und eigene Gefahr.
Der Kläger ist entgegen der von ihm vertretenen Auffassung nicht freiberuflich tätig. Eine Definition des Begriffes "freier Beruf" enthält die GewO nicht. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu der freiberuflichen Tätigkeit die selbstständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit sowie die selbständige Berufstätigkeit der in dieser Vorschrift im Einzelnen aufgezählten Berufe. Der Beruf des "Berufsbetreuers" ist in dieser Aufzählung nicht enthalten. Der BFH hat dementsprechend in seinem Urteil vom 4. November 2004 (IV R 26/03, [...]) ausgeführt, dass ein Berufsbetreuer keine Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erzielt. Die Begriffsbestimmung der freiberuflichen Tätigkeit in der steuerrechtlichen Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist jedoch für die gewerberechtliche Beurteilung nicht verbindlich (vgl. Tettinger/Wank, GewO, Kommentar, 7. Aufl. 2004, § 1 Rn. 5). Die Rechtsauffassung des BFH in der zitierten Entscheidung vom 4. November 2004, wonach ein berufsmäßiger Betreuer i.S. der §§ 1896 ff. BGB Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, schließt deshalb grundsätzlich die Bewertung der Tätigkeit des Berufbetreuers als eine gewerberechtlich freiberufliche nicht von vornherein aus, sondern hat nur Indizwirkung.
Gewerberechtlich gilt - wie bereits oben ausgeführt - als freiberuflich eine wissenschaftliche, künstlerische und schriftstellerische Tätigkeit höherer Art sowie eine Dienstleistung höherer Art, die eine höhere Bildung, d.h. grundsätzlich ein abgeschlossenes Hochschul- oder Fachhochschulstudium erfordert (BVerwG, Urt. v. 24.6.1976, a.a.O.; Urt. v. 1.7.1987, a.a.O.; Nds. OVG, Beschl. v. 8.4.2002 - 7 LA 39/02 -, GewArch 2002, 293).
Danach stellt die Tätigkeit des Klägers als Berufsbetreuer keine freiberufliche Tätigkeit dar, denn sie ist keine Dienstleistung höherer Art, die eine "höhere Bildung" erfordert. Dabei ist unerheblich, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten der Kläger aufgrund seines individuellen Bildungsweges verfügt. Es kommt auch nicht darauf an, dass er an der Fachhochschule den Hochschulgrad "Diplom-Sozialpädagoge" erworben hat. Vielmehr ist allein maßgeblich, ob die Ausübung der Tätigkeit als Berufsbetreuer den Besuch einer Hochschule, Fachhochschule oder Akademie objektiv voraussetzt. Dies ist nicht der Fall.
Nach § 1897 Abs. 1 BGB muss der Betreuer geeignet sein, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Eine spezielle berufliche Ausbildung des Betreuers fordert das Gesetz mithin nicht. Vielmehr ist die Betreuungstätigkeit an sich - ähnlich der früheren Vormundschaft - eine höchstpersönliche Tätigkeit, die überwiegend von Verwandten, Familienmitgliedern oder Freunden gegen eventuellen Auslagenersatz übernommen wird (vgl. Schönleiter, Herbstsitzung 2004 des Bund-Länder-Ausschusses "Gewerberecht", GewArch 2005, 236, 239). Für komplizierte Vermögensangelegenheiten kann z.B. ein Kaufmann, für die Führung von Prozessen ein Rechtsanwalt die geeignete Person sein, wohingegen bei der Organisation ambulanter Dienste eher sozialarbeiterische Fähigkeiten gefordert sein können. Häufig handelt es sich aber vorwiegend um Angelegenheiten des täglichen Lebens, für die grundsätzlich jeder geeignet ist (siehe auch Jürgens, Betreuungsrecht, Kommentar, 3. Aufl. 2005, § 1897 BGB Rn. 6). Eine darüber hinausgehende besondere berufliche Qualifikation des Berufsbetreuers ist ebenfalls nicht gesetzlich vorgesehen. Gemäß § 1908i BGB i.V. mit § 1836 Abs. 1 Satz 2 BGB wird die Betreuung ausnahmsweise entgeltlich geführt, wenn das Gericht bei der Bestellung des Betreuers feststellt, dass der Betreuer die Betreuung berufsmäßig führt. Berufsmäßigkeit von Betreuern liegt nach § 1 und § 4 Abs. 3 Satz 2 des Vormünder- und Betreuervergütungsgesetzes - VBVG - im Regelfall vor, wenn der Betreuer mehr als zehn Betreuungen führt. Wesentliches Kriterium ist danach die Anzahl der geführten Betreuungen, nicht jedoch die Schwierigkeit der Betreuungsfälle oder die berufliche Qualifikation des Betreuers. Zwar kommt eine Feststellung der Berufsmäßigkeit auch in Betracht, wenn die gesetzlichen Regelvoraussetzungen nicht vorliegen, eine Berufsmäßigkeit aber aufgrund anderer Umstände angenommen werden kann. Dies kann vor allem dann der Fall sein, wenn der Betreuer zwar nur wenige Betreuungen führt, aber gerade wegen seiner besonderen beruflichen Qualifikation zum Betreuer bestellt wird (vgl. Jürgens, a.a.O.,§ 1 VBVG Rn. 6 m.w.N.). So hat auch der Kläger vorgetragen, dass er vor allem in schwierigen Fällen zum Betreuer bestellt werde. Dass Berufsbetreuer aber grundsätzlich eine besondere fachliche Qualifikation vorzuweisen hätten, ist jedoch nicht vorgeschrieben. Nach dem von den Mitgliederversammlungen des BdB und des VfB im Mai 2003 verabschiedeten "Berufsbild für Berufsbetreuer" muss der Berufsbetreuer personale, fachliche und methodische Kompetenzen zur professionellen Führung von Betreuungen mitbringen, eine zukünftige Qualitätssicherung in der Berufsbetreuung durch eine eigenständige Qualifikation auf dem Niveau eines Hochschulabschlusses werde angestrebt. Eine für die Tätigkeit des Berufsbetreuers gesetzlich vorgeschriebene Qualifikation höherer Art gibt es jedoch derzeit nicht.
Der Kläger kann nicht mit Erfolg einwenden, er übe als Berufsbetreuer einen ähnlichen wie in § 6 GewO genannten Beruf aus mit der Folge, dass für ihn die Gewerbeordnung nicht anwendbar sei; er unterliege bereits einer spezifischen gerichtlichen Aufsicht, einer Aufsicht durch die für das Gewerberecht zuständige Ordnungsbehörde bedürfe es deshalb nicht. Zwar hat das Vormundschaftsgericht gemäß § 1908i BGB i.V.m. § 1837 BGBüber die gesamte Tätigkeit des Betreuers die Aufsicht zu führen und gegen Pflichtwidrigkeiten durch geeignete Gebote und Verbote einzuschreiten. Ferner hat der Betreuer gemäß § 1908i BGB i.V.m. 1840 BGB über die persönlichen Verhältnisse des Betreuten dem Vormundschaftsgericht mindest einmal jährlich zu berichten und über seine Vermögensverwaltung dem Vormundschaftsgericht Rechnung zu legen, das die Rechnung gemäß § 1843 BGB zu prüfen hat. Es kann jedoch dahinstehen, ob diese gerichtliche Aufsicht vergleichbar ist mit einer entsprechenden Kammeraufsicht der in § 6 GewO genannten Berufe. Denn Sinn und Zweck der Gewerbeanzeigepflicht des § 14 Abs. 1 GewO ist demgegenüber dieÜberwachung der Gewerbeausübung durch die staatliche Gewerbeaufsicht (vgl. Tettinger/Wank, GewO, a.a.O., § 14 Rn. 1). Die gewerberechtliche Anzeige nach § 14 GewO dient danach als Grundlage für eine Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Gewerbes vorliegen. Ggf. kann z.B. eine Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO erfolgen. Während die Aufsicht durch das Vormundschaftsgericht die persönlichen Verhältnisse des Betreuten betrifft (vgl. §§ 1839 ff BGB) und in erster Linie dem Interesse des Betreuten sowie der Abrechnungsehrlichkeit ihm gegenüber dient, knüpft die von der Gewerbeaufsicht zu prüfende Zuverlässigkeit an die Person des Gewerbetreibenden selbst an und dient dem Schutz der Allgemeinheit vor unzuverlässigen Gewerbetreibenden. Die Aufsicht durch das Vormundschaftsgericht schließt deshalb nicht die Aufsicht durch die Gewerbeaufsicht aus, sondern betrifft einen anderen Bereich.
Übt der Kläger mithin keine freiberufliche Tätigkeit aus, sondern liegen alle Merkmale über die Ausübung eines selbstständigen Gewerbes vor, ist der Kläger gemäß § 14 Abs. 1 GewO verpflichtet, seine Tätigkeit der Beklagten als Gewerbe anzuzeigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Die Berufung ist gemäß §§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, denn die Frage, ob ein Berufsbetreuer seine Tätigkeit gemäß § 14 Abs. 1 GewO gewerberechtlich anzeigen muss, betrifft die Berufsgruppe der Berufsbetreuer und ist noch nicht höchstrichterlich entschieden worden.