Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.07.2019, Az.: L 13/15 SF 12/17 EK (AS)

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.07.2019
Aktenzeichen
L 13/15 SF 12/17 EK (AS)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 70202
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 S. 1 GVG bedarf, soweit sie nicht mündlich in einem Verhandlungs- oder Erörterungstermin oder in der Rechtsantragstelle zu Protokoll gegeben wird, der Schriftform.

Tenor:

Der Beklagte zu 2) wird verurteilt, dem Kläger 1.500 € wegen unangemessener Dauer des Klageverfahrens S 24 AS 445/04 bei dem Sozialgericht Stade zu zahlen.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger 1.000 € wegen unangemessener Dauer des Berufungsverfahrens L 7/12 AL 12/09 bei dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen zu zahlen.

Die Gerichtskosten werden dem Kläger zu 72 %, den Beklagten als Gesamtschuldner zu 11 % und dem Beklagten zu 2) allein zu 17 % auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers haben die Beklagten zu 11 % als Gesamtschuldner und der Beklagte zu 2) zu 17 % allein zu erstatten. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) zu 72 % und diejenigen der Beklagten zu 1) zu 89 % zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert wird auf 8.850 € festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist ein Entschädigungsanspruch des Klägers wegen überlanger Dauer eines gerichtlichen Verfahrens.

Der K. geborene Kläger erhob am 17. Dezember 2004 bei dem Sozialgericht (SG) Stade eine Klage gegen die Bundesagentur für Arbeit, mit der er einen Anspruch auf Insolvenzgeld in Höhe 2.000.000 € geltend machte. In dem zunächst unter Aktenzeichen S 6 AL 445/04 und später unter dem Aktenzeichen S 24 AL 445/04 geführten Klageverfahren ging am 19. Januar 2005 die Klageerwiderung ein, welche dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Kenntnisnahme übersandt wurde. Anschließend wurde die Akte ohne Bestimmung einer Wiedervorlage in ein Fach verfügt. Eine prozessleitende Verfügung erging sodann erstmals im Januar 2007, in dem davorliegenden Zeitraum blieb die Akte bis auf die Beantwortung einer Anfrage der L. und einer Sachstandsanfrage des Klägers unbearbeitet. Nach Erinnerung ging am 16. April 2007 die Stellungnahme des Klägers zu der prozessleitenden Verfügung ein, woran sich weiterer Schriftwechsel der Beteiligten anschloss. Nachdem am 16. Juli 2007 eine Anfrage an die L. beantwortet worden war, erfolgte im September 2007 eine weitere prozessleitende Verfügung, welche u. a. die Einholung einer Auskunft des Insolvenzverwalters beinhaltete. Diese ging nach zwischenzeitlicher Rückfrage am 15. November 2007 bei dem SG ein. Die hierzu angeforderte Stellungnahme des Klägers ging nach Erinnerung am 1. April 2008 bei dem SG ein. Im selben Monat nahm auch die Bundes-agentur für Arbeit nochmals abschließend Stellung, woraufhin der Kammervorsitzende die Akte in das Sitzungsfach verfügte. Mit Ladungsverfügung vom 22. Juli 2008 wurde der Rechtsstreit für den 23. September 2008 terminiert. An diesem Tag erfolgte eine umfangreiche Anhörung des Klägers, welche die Kammer zur Vertagung des Rechtsstreits zwecks Vernehmung des früheren Arbeitgebers als Zeugen veranlasste. Mit Verfügung vom 14. Oktober 2008 erfolgte die Terminladung für den 9. Dezember 2008. In diesem Termin wurde nach durchgeführter Beweisaufnahme ein klageabweisendes Urteil verkündet.

Der Kläger legte am 26. Januar 2009 Berufung ein (Az. L 12 AL 12/09). Zu der Berufungserwiderung der Bundesagentur für Arbeit vom 11. März 2009 nahm er nach Erinnerung mit einem am 7. Oktober 2009 eingegangenen Schriftsatz Stellung. Mit Verfügung vom 12. Oktober 2009 forderte der Berichterstatter eine Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit an und erinnerte hieran mit Verfügungen vom 11. Februar 2010 und 15. März 2010. Zwischenzeitlich beantwortete er mit Schreiben vom 8. März 2010 eine Sachstandsanfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Nach Eingang der angeforderten Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit am 23. März 2010 und einer Erwiderung des Klägers vom 23. April 2010 blieb die Akte zunächst unbearbeitet. Zum 1. August 2010 erfolgte ein Wechsel des Berichterstatters, welcher auf eine telefonische Sachstandsanfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 20. Oktober 2010 mit Schreiben vom 18. November 2010 mitteilte, dass ein Entscheidungstermin noch nicht absehbar sei. Am 12. Januar 2012 und 9. Februar 2012 rief der Kläger persönlich bei der Geschäftsstelle des 12. Senats an. Nach den gefertigten Gesprächsvermerken bat der Kläger um Sachstandsmitteilung. Eine Verzögerungsrüge wurde aufgrund dieser Telefonanrufe nicht erfasst. Die seit dem 1. März 2012 für das Verfahren zuständige Berichterstatterin teilte dem Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 5. März 2012 mit, dass sie bemüht sei, das Verfahren noch im laufenden Jahr abzuschließen, ohne allerdings bereits einen konkreten Termin benennen zu können. Die eingetretene Verzögerung bitte sie zu entschuldigen. Mit Verfügung vom 15. Mai 2012 wurde der Rechtsstreit für den 12. Juni 2012 geladen. Im Anschluss an den Termin, welcher zu einer Vertagung des Rechtsstreits führte, erfolgten umfangreiche Ermittlungen, insbesondere die schriftliche Befragung zahlreicher Zeugen. Ein Verfahrensstillstand trat erst wieder im Oktober 2014 ein, nachdem zuletzt die Bundesagentur für Arbeit mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2014 zu dem bisherigen Beweisergebnis Stellung genommen hatte. Eine telefonische Sachstandsanfrage des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 15. August 2014 beantwortete die Berichterstatterin mit Schreiben vom 20. August 2014 dahingehend, dass noch die Stellungnahme des Beklagten abgewartet werde.

Mit Schriftsatz vom 26. November 2014, eingegangen am 27. November 2014, erhob der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausdrücklich Verzögerungsrüge. Mit weiterem Schriftsatz vom 3. Juni 2015 bat der Prozessbevollmächtigte erneut um Fortgang des Verfahrens. Nach zwei Zwischenmitteilungen vom 5. Juni 2015 und 12. Juni 2015 erfolgte mit Verfügung vom 20. August 2015 eine Ladung für den 24. September 2015. Dieser Termin führte nach Zeugenvernehmung zu einer erneuten Vertagung des Rechtsstreits zwecks Durchführung weiterer Ermittlungen, welche mit Verfügung vom 14. Oktober 2015 eingeleitet wurden und mit Eingang eines Schreibens eines Zeugen am 3. November 2015 abgeschlossen waren. Mit gerichtlichem Schreiben vom 7. Dezember 2015 wurden dem Prozessbevollmächtigten des Klägers von diesem Zeugen übersandte Unterlagen zwecks Einsichtnahme übersandt. Nachdem die Akte zunächst wiederum unbearbeitet geblieben war, veranlasste der Senatsvorsitzende im Juni 2016 eine ergänzende (schriftliche) Befragung des im Termin am 24. September 2015 gehörten Zeugen, zu der im Folgemonat eine Antwort einging. Mit Schriftsatz vom 11. Juli 2016 nahm der Prozessbevollmächtigte des Klägers nochmals umfassend in der Sache Stellung.

Nachdem in den Folgemonaten eine weitere Bearbeitung nicht erfolgt war, ging die Zuständigkeit für das Verfahren zum 1. Januar 2017 auf den 7. Senat über, welcher den Rechtsstreit mit Verfügung vom 2. Januar 2017 auf den 31. Januar 2017 terminierte und in diesem Termin ein Urteil verkündete, mit dem Berufung zurückgewiesen wurde. Die vom Kläger gegen das ihm am 6. März 2017 zugestellte Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg (Beschluss des Bundessozialgerichts [BSG] vom 25. Juli 2017 – B 11 AL 23/17 B).

Der Kläger hat am 29. August 2017 gegen das Land M. Klage auf Entschädigung für eine überlange Dauer des Verfahrens vor dem SG Stade (S 24 AL 445/04) und vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen (L 12 AL 12/09) erhoben, welche er auf gerichtlichen Hinweis am 14. September 2017 dahingehend erweitert hat, dass sie sich auch gegen das Land Niedersachsen richtet und die beiden Länder für die unangemessene Dauer des Berufungsverfahrens als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Zur Begründung seiner Entschädigungsklage hat der Kläger geltend gemacht, dass das erstinstanzliche Verfahren eine Verfahrensverzögerung von 34 Monaten, das zweitinstanzliche Verfahren eine solche von 54,5 Monaten aufweise und sich damit bei einer unangemessenen Verfahrensdauer von 88,5 Monaten und einer Entschädigung von 100 € pro Monat ein Zahlungsanspruch von 8.850 € errechne, welcher indes in Anbetracht der im Ausgangsverfahren streitigen Forderung von 2.000.000 € nicht ausreichend erscheine, so dass die Höhe der Entschädigung letztlich in das Ermessen des Gerichts gestellt werde. Das Verfahren sei für den Kläger wegen des außergewöhnlich hohen Streitwerts von besonderer Bedeutung gewesen, zumal er nicht in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden habe, sondern selbstständig gewesen sei und über gesicherte Einkünfte nicht verfügt habe. Die für das Berufungsverfahren erforderliche Verzögerungsrüge sei erhoben worden, indem erstmals mit Schriftsatz vom 26. Februar 2010 die Verfahrensdauer beanstandet worden sei. Nach weiterer telefonischer Sachstandsanfrage des Bevollmächtigten vom 20. Oktober 2010 habe der Kläger persönlich in zwei Telefonaten mit der Geschäftsstelle am 12. Januar und 9. Februar 2012 seinen Unmut über die Verfahrensdauer deutlich gemacht. In der Antwort der Berichterstatterin vom 5. März 2012 sei die eingetretene Verzögerung bestätigt worden. Nachfolgend sei die Verfahrensdauer in weiteren Telefonaten beanstandet worden, so dass die Verzögerungsrüge nicht erstmals mit Schriftsatz vom 26. November 2014 erhoben worden sei. Bei der Feststellung der überlangen Verfahrensdauer sei zu berücksichtigen, dass sich die im Berufungsverfahren durchgeführte Beweisaufnahme im Hinblick auf die Begründung des Urteils vom 31. Januar 2017 als überflüssig darstelle, da das LSG seine Überzeugung ausweislich der Urteilsgründe vor allem auf den Vortrag des Klägers gestützt habe. Damit sei der Rechtsstreit bereits im Verhandlungstermin am 12. Juni 2012 entscheidungsreif gewesen.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten zu 2) zu verurteilen, ihm für die unangemessene Dauer des Klageverfahrens S 24 AL 445/04 bei dem SG Stade eine Entschädigung in Höhe von mindestens 3.400 € zu zahlen,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihm für die unangemessene Dauer des Berufungsverfahrens L 12 AL 12/09 bei dem LSG Niedersachsen-Bremen eine Entschädigung in Höhe von 5.450 € zu zahlen.

Der Beklagte zu 2. hat hinsichtlich der Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 700 € anerkannt.

Die Beklagten beantragen,

die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abzuweisen.

Nach ihrer Auffassung liegt hinsichtlich des erstinstanzlichen Verfahrens eine entschädigungspflichtige Verzögerung von sieben Monaten vor. Für das zweitinstanzliche Verfahren ergebe sich kein Entschädigungsanspruch, da eine wirksame Verzögerungsrüge erstmals mit Schriftsatz vom 26. November 2014 erhoben worden sei und in dem anschließenden Zeitraum unter Berücksichtigung der regelmäßigen zwölfmonatigen Bedenkzeit des Gerichts eine entschädigungspflichtige Verzögerung nicht eingetreten sei. Die vorgetragenen Telefonanrufe stellten keine wirksamen Verzögerungsrügen dar, da prozesserhebliche Erklärungen in mündlicher Form nur im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bzw. eines Erörterungstermins oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden könnten, nicht aber durch einen schlichten Telefonanruf, welcher die Gefahr von Missverständnissen über die Person des Anrufers und den Inhalt der Erklärung berge. Ferner seien individuelle Umstände weder ersichtlich noch vorgetragen, aus denen sich für den Kläger eine subjektive psychische Belastung ergebe, die das mit der Entschädigungspauschale abgedeckte übliche Maß übersteige. Hierfür genüge nicht die Geltendmachung einer – im Ergebnis zudem unbegründeten – ungewöhnlich hohen Klageforderung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie die beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens S 24 AL 445/04 / L 7/12 AL 12/09 verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die als allgemeine Leistungsklage (§ 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz - SGG) statthafte und innerhalb der Klagefrist des § 198 Abs. 5 S. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) erhobene Entschädigungsklage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch sind § 202 S. 2 SGG i. V. m. § 198 Abs. 1 S. 1 GVG. Danach wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erledigt. Eine entschädigungspflichtige Verzögerung ist im Ausgangsverfahren sowohl in erster Instanz vor dem SG Stade (1) als auch in der Berufungsinstanz vor dem LSG Niedersachsen-Bremen (2) eingetreten. Für den dadurch erlittenen Nachteil ist dem Kläger eine Entschädigung in Höhe des Regelbetrags von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung zuzusprechen (3).

1. Die Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) vom 24. November 2011 (BGBl. I 2302) finden aufgrund der Übergangsregelung des § 23 S. 1 ÜGG auch auf Verfahren Anwendung, die – wie das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren – bei Inkrafttreten des ÜGG am 3. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 ÜGG) anhängig waren. Da das erstinstanzliche Verfahren zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen war und in dieser Instanz auch schon unstreitig eine Verzögerung eingetreten war, bedurfte es insoweit keiner Verzögerungsrüge (Art. 23 S. 4 ÜGG).

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 S. 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Nach den vom BSG hierzu entwickelten Kriterien bildet Ausgangspunkt und erster Schritt der Angemessenheitsprüfung die in § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definierte Gesamtdauer des Gerichtsverfahrens von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Kleinste im Geltungsbereich des ÜGG relevante Zeiteinheit ist hierbei der Kalendermonat (vgl. BSG, Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 24). Das Ausgangsverfahren begann am 17. Dezember 2004, endete durch Versendung des zweitinstanzlichen Urteils am 1. März 2017 und erreichte damit eine Gesamtdauer von 147 Monaten. In einem zweiten Schritt ist der Ablauf des Verfahrens an den von § 198 Abs. 1 S. 2 GVG genannten Kriterien zu messen, die auch unter Heranziehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auszulegen und zu vervollständigen sind. Auf dieser Grundlage ergibt erst die wertende Gesamtbetrachtung und Abwägung aller Einzelfallumstände in einem dritten Schritt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat. Dabei ist vorbehaltlich besonderer Gesichtspunkte des Einzelfalls die Verfahrensdauer jeweils insgesamt noch als angemessen anzusehen, wenn eine Gesamtverfahrensdauer, die zwölf Monate je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R – juris Rn. 24 ff. m. w. N.). Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Aber auch eine längere Verfahrensdauer ist in der Regel noch angemessen, wenn sie auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z. B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) beruht oder maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verursacht wird. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird, oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris Rn. 45 ff.).

Davon ausgehend ist das vorliegende Ausgangsverfahren sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht als überdurchschnittlich schwierig zu bewerten. Es war für den Kläger im Hinblick auf die Höhe des geltend gemachten Anspruchs auch von hoher Bedeutung. Bei der Betrachtung des Ablaufs des erstinstanzlichen Verfahrens ist festzustellen, dass es vom SG Stade nach Eingang der Klageerwiderung der Bundesagentur für Arbeit im Januar 2005 in der Zeit von Februar 2005 bis Dezember 2006, mithin in einen Zeitraum von 23 Monaten, ohne sachlichen Grund inhaltlich nicht betrieben wurde. Die Klageerwiderung, welche lediglich eine Bezugnahme auf den Widerspruchsbescheid beinhaltete, wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers lediglich zur Kenntnisnahme übersandt. Eine Stellungnahme hierzu war nicht zu erwarten und wurde vom SG tatsächlich auch nicht abgewartet, vielmehr wurde die Akte ohne Anordnung einer Wiedervorlage in ein Fach verfügt. An die sodann erst im Januar 2017 ergangene prozessleitende Verfügung schloss sich ein Schriftwechsel der Beteiligten an, welcher mit einer im Mai 2007 eingegangenen Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit endete. Das SG wartete anschließend noch die Beantwortung einer Anfrage bei der L. ab, welche im Juli 2007 erfolgte. Im August 2007 blieb die Akte unbearbeitet, sodass ein weiterer Monat gerichtlicher Inaktivität zu verzeichnen ist. Im September 2007 erging erneut eine prozessleitende Verfügung, welcher zu einem Schriftwechsel in den Folgemonaten führte. Zuletzt ging im April 2008 ein Schriftsatz der Bundesagentur ein, in dem die Schlüssigkeit der Klageforderung in Frage gestellt wurde, so dass es gerechtfertigt war, im Folgemonat Mai 2008 noch eine etwaige Stellungnahme der Klägerseite abzuwarten. Im Juli 2008 erfolgte die Terminladung für den 23. September 2008, sodass dieser Monat nicht zum Zeitraum der entschädigungspflichtigen Überlänge zu zählen ist (vgl. BSG, Urteil vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 7/14 R - juris Rn. 37). Demgegenüber sind die Monate Juni und August 2007 der Zeitspanne gerichtlicher Inaktivität zuzurechnen. Dies gilt auch für den Monat November 2008, welcher zwischen der Vertagung des Rechtsstreits im Verhandlungstermin am 23. September 2008, der Terminladung im Oktober 2008 und dem erneuten (instanzbeendenden) Verhandlungstermin im Dezember 2008 liegt. Insgesamt sind damit erstinstanzlich 27 Monate gerichtlicher Inaktivität festzustellen, wovon nach Abzug der regelmäßigen und auch für das vorliegende Verfahren angemessenen Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten 15 Monate entschädigungspflichtig sind.

2. Entschädigungsansprüche für die im Berufungsverfahren eingetretene Verzögerung sind bis zum Eingang der schriftsätzlich erhobenen Verzögerungsrüge im November 2014 präkludiert. Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs. 3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 GVG). Für anhängige Verfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ÜGG am 3. Dezember 2011 schon verzögert waren, gilt dies mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss (Art. 23 S. 2 ÜGG). Die Verzögerungsrüge ist unverzüglich erhoben, wenn sie spätestens drei Monate nach Inkrafttreten des ÜGG am 3. Dezember 2011 eingeht (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R – juris 27 m. w. N.). Zu diesem Zeitpunkt war in dem seit nahezu sieben Jahren anhängigen Ausgangsrechtsstreit unstreitig bereits eine rügepflichtige Situation eingetreten, nachdem das Berufungsverfahren seit Eingang des letzten Schriftsatzes des Klägers vom 23. April 2010 vom Gericht nicht betrieben worden war. Mit seiner erst am 27. November 2014 erhobenen Verzögerungsrüge hat der Kläger die Drei-Monats-Frist verfehlt. Entgegen seiner Auffassung kann eine Verzögerungsrüge nicht telefonisch bei dem erkennenden Gericht erhoben werden, so dass der Senat den genauen Inhalt der Telefongespräche, die der Kläger am 12. Januar und 9. Februar 2012 mit der Geschäftsstelle des zuständigen 12. Senats geführt hat, nicht feststellen muss. Allerdings wird die diesbezügliche Darstellung des Klägers, er habe seinen Unmut über die Verfahrensdauer deutlich gemacht, durch die Gesprächsvermerke der Geschäftsstelle, welche lediglich Sachstandsanfragen dokumentieren, nicht gestützt. Aufgrund dieser Vermerke hat die Berichterstatterin dem Kläger in ihrer Antwort (Schreiben vom 5. März 2012) auch nicht den Eingang einer Verzögerungsrüge bestätigt, sondern lediglich um Entschuldigung für die eingetretene Verzögerung gebeten, ohne dass der Kläger hierauf mit einer Klarstellung reagiert hätte. Selbst wenn aber der Kläger in den beiden Telefongesprächen seine Unzufriedenheit über die lange Verfahrensdauer deutlich gemacht hätte, hätte er die Verzögerungsrüge nicht wirksam erhoben.

Ob eine Verzögerungsrüge – jedenfalls außerhalb der mündlichen Verhandlung oder eines Erörterungstermins – schriftlich erhoben werden muss, hat das BSG bislang nicht entscheiden (diese Frage offenlassend: Urteile vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris Rn. 28 und vom 12. Februar 2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris Rn. 20; bejahend: Loytved, jurisPR-SozR 3/2014 Anm. 5; Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 198 GVG Rn. 91; Marx/Roderfeld, Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, § 198 GVG Rn. 111; Schenke, NVwZ 2012, 257, 260; Zimmermann, FamRZ 2011, 1905, 1908; ders. in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2017, § 198 GVG Rn. 57; Mayer in: Kissel/Mayer, GVG, § 198 Rn. 23; verneinend: Guckelberger, DÖV 2012, 289, 293; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, 2013, A § 198 GVG Rn. 213; Wehrhahn, SGb 2013, 61, 63; Krauß in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2014, § 198 GVG Rn. 40). Der Gesetzgeber hat die Form der Verzögerungsrüge nicht näher bestimmt. Den Gesetzesmaterialien kann lediglich entnommen werden, dass die Verzögerungsrüge schriftlich oder mündlich und im Anwaltsprozess nur durch den bevollmächtigten Anwalt erhoben werden kann (BT-Drucks. 17/3802, S. 20, 22). Die Verzögerungsrüge stellt als prozessuale Obliegenheit mit materiell-rechtlichen Folgen keinen eigenständigen Rechtsbehelf dar und es handelt sich auch nicht um eine Prozesshandlung im engeren Sinne, weil sie auf das im Ausgangsverfahren bestehende Prozessrechtsverhältnis nicht unmittelbar rechtsgestaltend einwirkt (vgl. Röhl a. a. O.). Die Formulierung in § 198 Abs. 3 S. 1 GVG, wonach die Dauer des Verfahrens „bei dem mit der Sache befassten Gericht“ gerügt werden muss, deutet allerdings bereits darauf hin, dass die Verzögerungsrüge Erfordernisse eines gerichtsförmigen Verfahrens einhalten muss, und nach Auffassung des Senats ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu fordern, dass die Verzögerungsrüge, soweit sie nicht mündlich in einem Verhandlungs- oder Erörterungstermin oder in der Rechtsantragstelle zu Protokoll gegeben wird, in Schriftform erhoben wird. Die Verzögerungsrüge ist materiell-rechtliche Anspruchsvoraussetzung für die Entschädigung (§ 198 Abs. 3 S. 1 GVG), sie kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird (§ 198 Abs. 3 S. 2 Halbs. 1 GVG), eine Wiederholung ist frühestens nach sechs Monaten möglich (§ 198 Abs. 3 S. 2 Halbs. 2 GVG), mit der Verzögerungsrüge muss auf Umstände, auf die es für die Verfahrensförderung ankommt, hingewiesen werden (§ 198 Abs. 3 S. 3 GVG) und die Entschädigungsklage kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden (§ 198 Abs. 5 S. 1 GVG). Im Hinblick auf diese Regelungen kann eine wirksame Verzögerungsrüge nicht dadurch erhoben werden, dass der Beteiligte die Verfahrensdauer in einem Telefongespräch mit dem Richter, der Geschäftsstelle oder womöglich der Wachtmeisterei rügt oder eine derartige Äußerung gar außerhalb des Gerichts bei anderer Gelegenheit gegenüber einer Gerichtsperson tätigt. Anderenfalls würde das Entschädigungsverfahren mit Feststellungsschwierigkeiten dazu belastet, ob, von wem und mit welchem Inhalt eine derartige Erklärung abgegeben worden ist (so zutreffend Marx/Rodenfeld a. a. O.), und es müsste ggf. bereits für die Klärung, ob die Wartefrist des § 198 Abs. 5 S. 1 SGG eingehalten und die Entschädigungsklage damit zulässig ist, Beweis erhoben werden.

Aus den vorstehenden Gründen stellen auch die späteren telefonischen Sachstandsanfragen des Prozessbevollmächtigten des Klägers keine wirksamen Verzögerungsrügen dar. Ist eine solche erst am 27. November 2014 erhoben werden, hat dies die Präklusion der Entschädigungsansprüche bis zu diesem Rügezeitpunkt zur Folge (Umkehrschluss aus Art. 23 S. 3 ÜGG, vgl. hierzu BSG, Urteil vom 15. Dezember 2015 - B 10 ÜG 1/15 R - juris Rn. 17; Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/15 R - juris Rn. 23 ff.).

Entschädigungsrelevant ist bei dieser Sachlage lediglich der Zeitraum von Dezember 2014 bis zum Abschluss des Verfahrens im März 2017. Soweit der Kläger die Berechtigung der im Berufungsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme und damit die Verfahrensdauer insgesamt in Frage stellt, eröffnet das Entschädigungsverfahren keine weitere Instanz, um das Handeln des Ausgangsgerichts einer rechtlichen Vollkontrolle zu unterziehen. Daher hat das Entschädigungsgericht die materiell-rechtlichen Annahmen, die das Ausgangsgericht seiner Verfahrensleitung und -gestaltung zugrunde legt, nicht infrage zu stellen, soweit sie nicht geradezu willkürlich erscheinen (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 9/13 R - juris Rn. 39 m. w. N.). Für eine Willkürlichkeit der Verfahrensleitung des 12. Senats ist nichts ersichtlich, zumal der zuletzt zuständige 7. Senat seine Entscheidung durchaus auch auf das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme gestützt hat (S. 12 des Urteils unter Ziffer 2 d, S. 15 unter Ziffer 4 b).

Bei der Analyse des Verfahrensablaufs seit Erhebung der Verzögerungsrüge im November 2014 ist zunächst eine Verzögerung in den Monaten Dezember 2014 bis Juli 2015 festzustellen (acht Monate), weil in dieser Zeitspanne keine gerichtliche Aktivität entfaltet wurde. Im August 2015 erfolgte die Terminladung für den 24. September 2015. Der Rechtsstreit wurde in diesem Termin erneut vertagt zwecks Durchführung weiterer Ermittlungen, welche indes erst drei Wochen später mit Verfügung vom 14. Oktober 2015 eingeleitet wurden. Es wurden zwei Zeugen (ergänzend) befragt, wobei ihnen eine Antwortfrist von einem Monat eingeräumt wurde. Bei der Würdigung dieser Vorgehensweise ist zu berücksichtigen, dass die Gerichte bei ihrer Verfahrensleitung stets die Gesamtdauer des Verfahrens im Blick behalten müssen. Mit zunehmender Dauer des Verfahrens verdichtet sich die aus dem Justizgewährleistungsanspruch resultierende Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 14. Dezember 2010 - 1 BvR 404/10 -juris Rn. 11 und vom 8. Dezember 2015 - 1 BvR 99/11 – Vz 1/15 - juris Rn. 27). Jedenfalls für Verfahren von hinreichender Bedeutung verbietet sich ab einem gewissen Zeitpunkt (weitere) Untätigkeit oder eine zögerliche Verfahrensleitung. Richterliche Verhaltensweisen, die zu Beginn eines Verfahrens grundrechtlich gesehen noch unbedenklich, wenn auch möglicherweise verfahrensökonomisch nicht optimal erscheinen mögen, können bei zunehmender Verfahrensdauer in Konflikt mit dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit geraten. Das gilt etwa für die Setzung großzügiger Fristen zur Stellungnahme, den mehrfachen Austausch von Schriftsätzen ohne richtungweisende Einflussnahme des Gerichts und ohnehin für sog. Schiebeverfügungen (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 2/13 R - juris Rn. 37 m. w. N.). Dies bedeutet für das hier zum Zeitpunkt der erneuten Vertagung bereits seit zehn Jahren und neun Monaten anhängige Verfahren, dass das Gericht gehalten war, die aus seiner Sicht noch erforderlichen Ermittlungen so zügig wie möglich durchzuführen, d. h. umgehend nach dem Termin tätig zu werden und den Zeugen nur eine kurze Antwortfrist einzuräumen, um den Rechtsstreit sodann umgehend neu terminieren zu können. Da die Äußerung des zweiten Zeugen Anfang November 2015 einging, ist davon auszugehen, dass bei stringenter Prozessleitung die Ermittlungen auch schon im Oktober 2015 hätten abgeschlossen werden können. Ab November 2015 hat damit eine Verzögerung des Rechtsstreits vorgelegen, welche bis Dezember 2016 angedauert hat. In dieser Zeitspanne von 14 Monaten hat das Ausgangsgericht das Verfahren überhaupt nicht mehr gefördert, abgesehen von der Rücksendung im Termin vorgelegter Unterlagen, der Beantwortung von Sachstandsanfragen und der (erneuten) ergänzenden schriftlichen Befragung eines Zeugen. Das Anschreiben an den Zeugen betraf indes lediglich die (im Termin am 24. September 2015 versehentlich nicht gestellte) Frage nach einer Verwandtschaft bzw. Schwägerschaft mit dem Kläger, welche bereits in der prozessleitenden Verfügung vom 14. Oktober 2014 hätte nachgeholt werden können. Der zwischenzeitlich eingereichte umfangreiche Schriftsatz des Klägers vom 11. Juli 2016 rechtfertigte angesichts der Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahre keine weitere Überlegungs- und Bedenkzeit. Zwar bewirken nach der Rechtsprechung des BSG eingereichte Schriftsätze, die - wie hier - einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, grundsätzlich eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris Rn. 57). Dies kann indes nicht für das hier in Rede stehende Verfahrensstadium in einem seit elf Jahren anhängigen Rechtsstreit gelten, in dem bereits umfangreich und erschöpfend vorgetragen worden war, eine mehrfache Vertagung erforderlich geworden worden war und die noch erforderlichen Ermittlungen nunmehr abgeschlossen waren. Das Ausgangsgericht war in dieser Lage des Verfahrens gehalten, den entscheidungsreifen Rechtsstreit unabhängig von einem etwa noch eingegangenen Schriftsatz umgehend zu terminieren – wie dies der am 1. Januar 2017 zuständig gewordene 7. Senat mit der Ladungsverfügung vom 2. Januar 2017 vorgenommen hat – bzw. eine andere, auf Verfahrensabschluss zielende gerichtliche Aktivität zu entfalten.

Die im Berufungsverfahren nach Erhebung der Verzögerungsrüge eingetretene Verzögerung summiert sich nach alledem auf 22 Monate. Im Hinblick auf die eingetretene Präklusionswirkung ist für die Zeit ab Erhebung der Verzögerungsrüge eine erneute Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten zu berücksichtigen (Urteil vom 5. Mai 2015 - B 10 ÜG 8/14 R - juris Rn. 36), so dass zehn entschädigungspflichtige Monate verbleiben.

3. Auf der Grundlage des gesetzlichen Regelbetrags von 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 S. 3 GKG) errechnet sich für das erstinstanzliche Verfahren vor dem SG Stade, für dessen Verzögerung der Beklagte zu 2) haftet (§ 200 S. 1 GKG), eine Entschädigung von 1.500 € und für das Berufungsverfahren, für dessen Verzögerung die Beklagten nach der genannten Vorschrift als Gesamtschuldner haften, eine Entschädigung von 1.000 €. Soweit das Entschädigungsgericht nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG ermächtigt ist, einen höheren Betrag festzusetzen, wenn der Regelbetrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist, besteht hierfür im vorliegenden Fall kein Anlass. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pauschalierung der Entschädigung soll eine Belastung der Gerichte bei der Bemessung der Entschädigung vermeiden und nur in Ausnahmefällen eine Abweichung ermöglichen. Von der Konzeption der Entschädigungspauschale in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG als Rechtsfolge einer festgestellten unangemessenen Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens nach § 198 Abs. 1 S. 2 GVG darf danach – wie das BSG wiederholt entschieden hat (vgl. Urteil vom 7. September 2017 - B 10 ÜG 3/16 R - juris Rn. 33 m. w. N.) – nur bei Vorliegen besonderer Umstände oder in atypischen Sonderfällen abgewichen werden. Ein atypischer Sonderfall folgt entgegen der Auffassung des Klägers nicht daraus, dass die Höhe der Klageforderung des Ausgangsverfahrens untypisch ist für ein sozialgerichtliches Verfahren. Denn der in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgesehene Regelbetrag gilt nicht nur für sozialgerichtliche Verfahren, sondern für alle gerichtlichen Verfahren, wobei etwa in der Zivilgerichtsbarkeit Klageforderungen in der vorliegenden Größenordnung keine derartige Seltenheit aufweisen. Dass die Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens für ihn mit einer über den Normalfall hinausgehenden besonderen Belastung verbunden gewesen ist, hat der Kläger nicht schlüssig dargelegt. Allein der Hinweis auf ein „ungesichertes Einkommen“, welches grundsätzlich jede selbständige Tätigkeit kennzeichnet, reicht insoweit nicht aus.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Eine (teilweise) Kostenfreistellung des Beklagten zu 2) unter dem Gesichtspunkt des § 156 VwGO (sofortiges Anerkenntnis) kommt nicht in Betracht, da der Entschädigungsanspruch nach der gesetzlichen Konzeption durch Klageerhebung geltend zu machen ist (§ 198 Abs. 5 GVG). Ein Verwaltungsverfahren ist insoweit gesetzlich nicht vorgesehen, sodass die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs eine Möglichkeit, nicht aber eine Verpflichtung darstellt (so zutreffend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom
20. August 2014 - L 37 SF 300/13 EK SO - juris Rn. 23).

Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 52 Abs. 3 S. 1 GKG.

Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtsfrage, ob die Verzögerungsrüge der Schriftform bedarf, grundsätzliche Bedeutung hat.