Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 01.07.2019, Az.: L 7 AL 66/18
Aufhebung einer Arbeitslosengeldbewilligung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 01.07.2019
- Aktenzeichen
- L 7 AL 66/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 33776
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 21.03.2018 - AZ: S 8 AL 320/16
Rechtsgrundlage
- § 330 Abs. 3 SGB III
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. März 2018 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen. L 7 AL 66/18
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung einer Leistungsbewilligung ab dem 13. Juni 2016 streitig.
Die Beklagte bewilligte dem 1985 geborenen Kläger Arbeitslosengeld ab dem 15. September 2015 in Höhe von 30,53 Euro täglich für 360 Tage (Bescheid vom 2. November 2015). Während des Leistungsbezuges übte der Kläger eine bereits davor begonnene sozialversicherungspflichtige Nebenbeschäftigung mit 13,62 Wochenarbeitsstunden aus.
Der Kläger war vom 2. Mai 2016 bis einschließlich 1. Juli 2016 durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben, ab dem 1. Juni 2016 aufgrund einer weiteren bzw. anderen Krankheit. Die Techniker Krankenkasse verweigerte mit Schreiben vom 29. Juli 2016 die Zahlung von Krankengeld ab dem 13. Juni 2016, weil zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen mit unterschiedlichen Diagnosen vorlägen, eine nahtlose Arbeitsunfähigkeit ab dem 2. Mai 2016 nicht nachgewiesen sei und nach ihrer Auffassung die Beklagte - wie der Arbeitgeber aus der Nebenbeschäftigung - ab 1. Juni 2016 für einen neu beginnenden sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum leisten müsse. Die Leistungsablehnung durch die Krankenkasse wurde vom Kläger nicht angegriffen.
Mit Bescheid vom 16. Juni 2016 und Widerspruchsbescheid vom 8. Juli 2016 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosgengeld mit Wirkung vom 13. Juni 2016 nach Ablauf der sechs- wöchigen Leistungsfortzahlung im Krankheitsfalle (§ 146 Abs. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IIII -) auf. Am 18. August 2016 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben mit der Begründung, dass eine nahtlose Arbeitsunfähigkeit ab dem 2. Mai 2016 nicht vorgelegen habe. Dagegen hat die Beklagte eingewendet, dass es unerheblich sei, dass die Arbeitsunfähigkeit ab 1. Juni 2016 auf einer anderen Krankheit beruhe.
Das SG Hannover hat mit Urteil vom 21. März 2018 der Klage stattgegeben und die angegriffenen Bescheide der Beklagten aufgehoben, weil der Kläger nicht nach § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) angehört worden sei.
Gegen das am 17. April 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16. Mai 2018 Berufung eingelegt und angeregt, die Krankenkasse beizuladen, weil der Kläger ab dem 13. Juni 2016 einen Anspruch auf Krankengeld habe. Eine während der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfalle eingetretene neue Arbeitsunfähigkeit führe nicht zur Verlängerung der sechswöchigen Frist, wenn nicht für wenigstens einen vollen Tag eine Unterbrechung durch Arbeitsfähigkeit vorgelegen habe. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte ab dem 13. Juni 2016 scheitere daran, dass er weiterhin arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei und folglich der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 21. März 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger erwidert, er begehre von der Beklagten die Zahlung von Arbeitslosengeld ab dem 13. Juni 2016, weil ihm die Techniker Krankenkasse diesen Weg aufgezeigt habe. Ggfs. sei die Krankenkasse zur Zahlung von Krankengeld beizuladen.
Nach erneuter Arbeitslosmeldung am 6. Juli 2016 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 28. Juli 2016 Arbeitslosengeld ab diesem Tage weiter. Mit Schreiben vom 16. Mai 2018 hat die Beklagte den Kläger zu der Aufhebung der Leistungsbewilligung ab 13. Juni 2016 gemäß § 24 SGB X wegen Ablaufs des sechswöchigen Leistungsfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfalle angehört.
Wegen des vollständigen Sachverhalts und des umfassenden Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten (Kunden-Nr.: 234D047186) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Streitgegenstand ist der durch die Aufhebungsentscheidung betroffene Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld vom 13. Juni 2016 bis zum 5. Juli 2016 (22 Tage) in Höhe von 35,22 Euro, insgesamt 774,84 Euro. Das erzielte Nebeneinkommen war wegen des erhöhten Freibetrages gemäß § 155 Abs. 2 SGB III für die Monate Juni und Juli 2016 nicht anzurechnen.
Die auch im Übrigen zulässige (§ 151 SGG) Berufung ist begründet und führt zur Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils. Die Klage ist abzuweisen, weil dem Kläger in der Zeit 13. Juni - 5. Juli 2016 kein Arbeitslosengeld zusteht, sondern erst ab dem 6. Juli 2016 wieder.
Gemäß § 330 Abs. 3 SGB III iVm § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die maßgebliche wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse ist darin zu sehen, dass im Fall des Klägers die sechswöchige Leistungsfortzahlung im Krankheitsfalle gemäß § 146 Abs. 1 SGB III mit Ablauf des 12. Juni 2016 beendet war. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten, mit denen sie die Leistungsbewilligung mit Wirkung vom 13. Juni 2016 aufgehoben hat, sind deshalb rechtmäßig. Die Beklagte hat jedenfalls mit Schreiben vom 16. Mai 2018 die nach § 24 SGB X erforderliche Anhörung wirksam nachgeholt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 26. Juli 2016 - B 4 AS 47/15 R -, SozR 4-1500 § 114 Nr. 2 juris Rdn. 19).
Wer während des Bezuges von Arbeitslosengeld infolge Krankheit unverschuldet arbeitsunfähig oder während des Bezuges von Arbeitslosengeld auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt wird, verliert dadurch nicht den Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Zeit der Arbeitslosigkeit oder der stationären Behandlung mit einer Dauer von bis zu sechs Wochen (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III). Der Anspruch auf Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit begann im Falle des Klägers mit dem ersten Tag der attestierten Arbeitsunfähigkeit am 2. Mai 2016 und endete mit Ablauf von sechs Wochen am 12. Juni 2016. Die Sechswochenfrist läuft kalendermäßig ab, soweit die Arbeitsunfähigkeit nicht vor Ablauf des 42. Kalendertages endet (BSG, Urteil vom 12. Juli 1989 - 7 RAr 100/88 -, SozR 4100 § 105b Nr. 7). Eine später hinzugekommene neue oder weitere Krankheit hindert den Fristablauf nicht (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, Stand: Juli 2015, § 146 Rdn. 26 und 65; Brand, SGB III, 8. Aufl. 2018, § 146 Rdn. 7; Aubel in jurisPK-SGB III -, 2. Aufl. 2019, § 146 Rdn. 65; Winkler in Gagel, SGB III, Stand: Dezember 2017, § 146 Rdn. 37). Das ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut in § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III, der den Anspruch auf die Leistungsfortzahlung im Krankheitsfalle auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeit abstellt und nicht auf eine eventuelle Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers. Die Regelung über Wiederholungskrankheiten in § 3 Abs. 1 Satz 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat keinen Eingang in das SGB III gefunden.
Die subjektiven Aufhebungsvoraussetzungen sind ebenfalls gegeben. Der Kläger wusste anhand der Hinweise im Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte - Ihre Pflichten", dessen Erhalt er unterschriftlich bei Antragstellung bestätigt hat, dass im Krankheitsfalle der Fortzahlungsanspruch längstens sechs Wochen dauert und dass danach kein Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld besteht. Es kommt hinzu, dass dieselbe Konstellation bereits während der Arbeitsunfähigkeit vom 29. Februar 2016 bis zum 22. April 2016 eingetreten war.
Soweit der Kläger und seine Krankenkasse darauf verweisen, dass die Beklagte genauso wie die Arbeitgeber aus der Nebenbeschäftigung eine neue Leistungsfortzahlung für sechs Wochen ab Beginn der weiteren Arbeitsunfähigkeit ab dem 1. Juni 2016 trifft, verkennen sie Sinn und Zweck der Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit im Arbeitsförderungsrecht. § 146 Abs. 1 SGB III verfolgt - wie die Vorgängervorschrift § 105b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) - allein Gründe der Verwaltungspraktikabilität und bezweckt weder eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des erkrankten Arbeitslosen noch eine Entlastung der öffentlichen Hand (BSG, Urteil vom 12. Juli 1989 - 7 RAr 100/88 - SozR 4100 § 105b Nr. 7). Die Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit des § 146 Abs. 1 SGB III soll den Leistungsbeziehern bei kurzfristigen Erkrankungen bis zu sechs Wochen die Unannehmlichkeiten ersparen, die sich dadurch ergeben würden, wenn im Krankheitsfalle anstelle der Leistungen der Beklagten in gleicher Höhe Krankengeld von den zuständigen Krankenkassen zu zahlen wäre (BT-Drucks. 8/4200 S 89f). Das ist der wesentliche Unterschied zur Fortzahlung des Arbeitsentgeltes im Krankheitsfalle durch den Arbeitgeber; denn in diesem Falle beruht die Entgeltfortzahlung auf der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und soll zudem die öffentliche Hand entlasten. Durch § 146 Abs. 1 SGB III wird die Agentur für Arbeit aber nicht zu einem "Ersatzarbeitgeber".
Der Senat braucht nicht darüber zu entscheiden, ob der Kläger gegen seine Krankenkasse ab dem 13. Juli 2016 einen Anspruch auf Krankengeld hatte, was im Hinblick auf BSG, Urteil vom 25. November 2015 - B 3 KR 3/15 R - nicht abwegig erscheint. Denn der Kläger hat gegen die Ablehnung der Techniker Krankenkasse vom 29. Juli 2016 nichts unternommen. An der Bestandskraft des Ablehnungsbescheides ist der Senat gebunden (BSG, Urteil vom 24. Januar 2013 - B 3 KR 5/12 R-, SozR 4-3250 § 14 Nr. 19, juris Rdn. 12). Eine Beiladung und Verurteilung der Techniker Krankenkasse gemäß § 75 Abs. 2 und 5 SGG ist in diesen Fällen ausgeschlossen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 Abs. 1 und 4 SGG. Eine Kostenbeteiligung der Beklagten im Hinblick auf die im Berufungsverfahren nachgeholte Anhörung ist nicht geboten, weil die zunächst unterlassene Anhörung nach § 24 SGB X wirksam im Widerspruchsverfahren geheilt wurde (ausführlich zur Problematik: Schütze in: von Wülfen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 41 Rdn. 15). Der Kläger hatte vorliegend im Widerspruchsverfahren Gelegenheit, sich bis zur abschließenden Verwaltungsentscheidung zu den Aufhebungstatsachen zu äußern, wovon er mit Schreiben vom 13. Juli 2016 (Bl. 149 eAkte) auch Gebrauch gemacht hat.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.-