Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 26.04.2004, Az.: 7 A 6881/03
Bevollmächtigter; Einkommen; Grundsicherung; Kindergeld; Unterhalt; Zurückweisung; Zuwendung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 26.04.2004
- Aktenzeichen
- 7 A 6881/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50568
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 74 Abs 1 EStG
- § 2 Abs 1 GSiG
- § 48 Abs 1 SGB 1
- § 157 Abs 2 S 1 ZPO
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt höherer Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz.
Der Kläger erfüllt unstreitig die Voraussetzungen des § 1 Nr. 2 GSiG.
Am 30.01.2003 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen nach dem GSiG. Als Einkommen gab er durchschnittliche monatliche Einnahmen (Entgelte der Werkstatt für Behinderte) iHv. 171,94 € und Zinseinnahmen iHv. 0,37 € an. In der Spalte „Unterhalt“ des Antragsvordruckes ist ein Strich.
Der Vater des Klägers erhält für den Kläger Kindergeld iHv. 154 € monatlich.
Der Beklagte bewilligte dem Kläger ab 01.01.2003 bis 30.06.2004 Leistungen nach dem GSiG iHv. 257,69 € monatlich mit Bescheid vom 20.05.2003. Dabei berücksichtigte er als Einkommen des Klägers 154 € pro Monat.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch, den er damit begründete, er sei nicht der Kindergeldberechtigte. Das Kindergeld fließe ihm auch nicht zu.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2003, zugestellt am 14.11.2003, half der Beklagten dem Widerspruch insoweit ab, als er nunmehr 261,28 € monatlich gewährte, wies jedoch im Übrigen den Widerspruch zurück. Der Kläger können in Höhe des Kindergeldes seinen Lebensunterhalt teilweise sicherstellen. Denn er könne gemäß § 74 Abs. 1 EStG die Abzweigung des Kindergeldes an sich selbst beantragen.
Der Kläger hat am 12.12.2003 Klage erhoben.
Er trägt vor: Beim Kindergeld handelt es sich grundsätzlich um Einkommen des Kindergeldberechtigten, mithin des Vaters, nicht um sein Einkommen. Ein besonderer Zuwendungsakt liege nicht vor. Der Vater leite das Kindergeld nicht an ihm weiter. § 16 BSHG sei in Verfahren nach dem GSiG nicht anwendbar.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.05.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2003 zu verpflichten, die ab 01.01.2003 bewilligten Grundsicherungsleistungen aufzustocken.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Er bezieht sich auf die Gründe seines Widerspruchsbescheides. Auch wenn der Kläger noch gar keinen Antrag nach § 74 EStG gestellt habe, sei nach dem GSiG dieser Anspruch zu berücksichtigen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 21.04.2004 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Da der Kläger in seinem Klageantrag deutlich macht, dass die bewilligten Grundsicherungsleistungen aufgestockt werden sollen, versteht dass Gericht das Aufhebungsbegehren dahingehend, dass nur der ablehnende Teil der Bescheide aufgehoben werden soll. Eine Anfechtung der die Leistung bewilligenden Teile der Bescheide wäre unzulässig, weil dadurch der Kläger nicht beschwert ist.
Die nach alledem zulässige Klage ist indes unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf weitere Leistungen nach dem GSiG.
Zu Recht hat der Beklagte vom Bedarf des Klägers den hier streitigen Betrag von 154 € abgesetzt. Denn der Kläger hat nach § 2 Abs. 1 GSiG Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nur insoweit, wie er seinen Lebensunterhalt nicht aus seinem Einkommen und Vermögen beschaffen kann.
Zwar ist nach der Rechtsprechung der Kammer im Sozialhilferecht, die in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts in Lüneburg steht (vgl. etwa OVG Lüneburg, Beschluss vom 19.04.1999 - 4 M 5628/96 -, FEVS 51, 335, 336), Kindergeld erst einmal Einkommen des Kindergeldberechtigten und von daher (nur) bei diesem ggf. bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Zum Einkommen des Kindes wird es erst, wenn der Kindergeldberechtigte das Kindergeld dem Kind ausdrücklich zuwendet (ständige Rechtsprechung der Kammer, vgl. zuletzt Beschluss vom 13.11.2003 - 7 B 5922/03 -). Kindergeldberechtigter ist in diesem Fall der Vater des Klägers. Anhaltspunkte für eine Zuwendung des Kindergeldes an den Kläger selbst liegen nicht vor. Von diesem Einkommensbegriff ist auch im Recht der Grundsicherung auszugehen (wie hier: VG Braunschweig, Urt. v. 06.11.2003 - 3 A 292/03 -). Mit dem VG Ansbach (Urt. v. 10.07.2003 - AN 4 K 03.00575 - zit. n. Juris) ist das Gericht weiterhin der Ansicht, dass die Grundsätze des § 16 BSHG nicht - auch nicht analog - im Recht der Grundsicherung zur Anwendung kommen.
Gleichwohl ist ein Betrag in Höhe des an den Vater gezahlten Kindergeldes in der Berechnung der GSiG-Leistungen zu berücksichtigen, denn die Grundsicherung soll bedarfsorientiert und nicht bedarfdeckend wirken.
Denn nach § 74 Abs. 1 EStG, § 48 Abs. 1 SGB I kann das Kindergeld auch an das Kind selbst ausgezahlt werden, wenn der Kindergeldberechtigte ihm gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt.
Der kindergeldberechtigte Vater des Klägers ist dem Kläger zum Unterhalt verpflichtet, § 1601 BGB. Nach den eigenen Abgaben des Klägers bzw. seines Betreuers, seines Vaters, im Antrag auf Grundsicherung leistet der Vater keinen Unterhalt. Die Voraussetzungen des § 74 EStG liegen mithin vor.
Richtig ist zwar weiterhin, dass der Kläger bislang noch nicht bei der zuständigen Stelle beantragt hat, ihm das Kindergeld direkt auszuzahlen. Der Beklagte räumt insoweit ebenfalls ein, dass es sich bei dem Kindergeld, solange ein Abzweigungsantrag nicht gestellt und beschieden ist, nicht um bereite Mittel im Sinne des Sozialhilferechts handelt.
Der Kläger konnte und kann aber seinen Lebensunterhalt teilweise dadurch sicherstellen, indem er die Auszahlung des Kindergeldes an sich begehrt.
Diese Möglichkeit der anderweitigen Bedarfsdeckung reicht im Recht der Grundsicherung aus, um das Kindergeld bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen berücksichtigen zu können. Zutreffend hat schon der Beklagte darauf hingewiesen, das Leistungen nach dem GSiG nicht etwa wie Hilfen nach dem BSHG bedarfsdeckend, sondern nur bedarfsorientiert sind (wie bereits der vollständige Name des Gesetzes besagt). Es ist nicht Aufgabe der Grundsicherung für andere Sozialleistungen oder auch zivilrechtliche Ansprüche in Vorleistung zu treten, solange diese anderen Leistungen nicht zur Verfügung stehen. Ggf. müsste ein Leistungsberechtigter zur Überbrückung Sozialhilfe hinsichtlich des ungedeckten Bedarfs beantragen (vgl. dazu hinsichtl. der ähnlich gelagerten Frage von vorhandenen, jedoch noch nicht durchgesetzten Unterhaltsansprüchen Münder, NJW 2002, 3661, 3663 sowie Mayer; ZEV 2003, 173, 175).
Das Gericht sieht sich nicht in der Lage, der entgegengesetzten Auffassung des Verwaltungsgerichts Braunschweig zu folgen. In den Urteilen vom 06.11.2003 - 3 A 292/03 - und vom 11.03.2004 - 3 A 406/03 - hat die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig ihre Entscheidung zum einen darauf gestützt, dass nicht ersichtlich sei, dass die Eltern der dortigen Klägerin nicht ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht nachkommen. Im vorliegenden Fall des Klägers steht es aufgrund der Angaben im Antrag auf Grundsicherungsleistungen aber gerade fest, dass der Vater keinen Unterhalt zahlt. Denn durch das Streichen wurden entsprechende Einnahmen verneint. Indizien dafür, dass der Kläger seinerzeit falsche Angaben gemacht und Unterhaltszahlungen verschwiegen hat, liegen nicht vor. Im Übrigen wäre tatsächlich geleisteter Unterhalt in Höhe mindestens des Kindergeldanspruches ebenfalls als Einkommen anzusetzen, so dass sich im Ergebnis auch dann kein höherer Anspruch auf GSiG-Leistungen ergäbe (so auch Veldtrupp /Schwabe, ZfF 2003, 265, 267; a.A. Kunkel, ZfSH/SGB 2003, 323, 328, dem jedoch nicht zu folgen ist. Das GSiG wollte die Situation Bedürftiger verbessern und nicht bestimmte Unterhaltszahlungen privilegieren).
Zum anderen stellte das Verwaltungsgericht Braunschweig auf die Frage ab, wer Kindergeldberechtigter ist. Aber auch der Umstand, dass von der gesetzlichen Konzeption her ein Elternteil Kindergeldberechtigter bleibt, selbst wenn das Geld an das Kind ausgezahlt wird, verhindert nach Ansicht des Gerichts nicht, dass, wenn das Kindergeld direkt an das Kind gezahlt wird, das Kindergeld unabhängig von der Frage, wer Kindergeldberechtigter ist, dem Vermögen des Kindes zufließt und nach alledem auch sein Einkommen ist. Im Ergebnis ist kein Unterschied zu dem Fall zu sehen, in dem der kindergeldberechtigte Elternteil das Kindergeld ausdrücklich dem Kind zuwendet. Auch da bleibt ja der Elternteil kindergeldberechtigt, gleichwohl geht die Rechtsprechung soweit ersichtlich einhellig davon aus, dass das Kindergeld nunmehr Einkommen des Kindes ist.
Daneben steht jedenfalls für den Zeitraum ab 14.11.2003 auch § 2 Abs. 3 Satz 2 GSiG entgegen. Zwar kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass dem Kläger bzw. ihm zurechenbar seinen Betreuer die Vorschrift des § 74 EStG schon bekannt war, bevor der Beklagte ihn darauf hingewiesen hat. Spätestens mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides vom 12.11.2003 am 14.11.2003 wusste der Kläger bzw. sein Betreuer jedoch von dieser Regelung. Gleichwohl hat er es unterlassen, die Auszahlung des Kindergeldes an sich selbst zu begehren. Er hat damit seine Bedürftigkeit in Höhe des Kindergeldzahlbetrages nach alledem insoweit vorsätzlich herbeigeführt.
Andere Fehler zu lasten des Klägers im Bewilligungsbescheid sind nicht erkennbar und wurden vom Kläger auch nicht gerügt.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.