Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 23.04.2004, Az.: 7 A 4014/03
Begräbnis; Bestattung; Bestattungskosten; Grab; Grabstelle; Jude; Judentum; jüdische Bestattung; jüdisches Begräbnis; Kosten; Mehrkosten; Sozialhilfe; unverhältnismäßige Mehrkosten
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.04.2004
- Aktenzeichen
- 7 A 4014/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 50991
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 15 BSHG
- § 3 Abs 2 BSHG
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Übernahme weiterer Bestattungskosten für ihre verstorbene Mutter.
Sowohl die Klägerin als auch die verstorbene Ana P. sind bzw. waren Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt. Laut der Sterbeurkunde war die Verstorbene jüdischen Glaubens. Sie war jedoch nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde.
Am 12.04.2000 erfuhr der Beklagte vom Tod der Ana P. Die in Rechnung gestellten Bestattungskosten der GBG übernahm der Beklagte ebenso wie die Kosten für ein jüdisches Sterbekleid.
Die Verstorbene wurde auf dem Friedhof der jüdischen Gemeinde H. beerdigt. Das jüdische Gräberfeld auf dem städtischen Friedhof von H. gab es seinerzeit noch nicht. Nach der am 05.03.2000 vom Landesverband der jüdischen Gemeinden beschlossenen Gebührenordnung beträgt die Gebühr für eine Grabstelle auf einen Friedhof der jüdischen Gemeinden für Gemeindemitglieder 4000 DM (entsprechend 2.045,17 EUR), für Nichtmitglieder einer jüdischen Gemeinde jedoch 6000 DM (entsprechend 3.067,75 EUR).
Unstreitig umfasste der Nachlass der Verstorbene nur ein Barvermögen in Höhe von 36,15 DM entsprechend 18,48 EUR.
Anfang März übersandte die Klägerin ein Mahnschreiben des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden sowie die Abschrift einer Rechnung über 6000 DM entsprechend 3.067,75 EUR über die Kosten für eine Grabstelle.
Mit Bescheid vom 05.03.2003 bewilligte der Beklagte der Klägerin eine Beihilfe zu den Kosten einer Grabstelle ihrer Mutter in Höhe von 546,06 EUR. Eine weitergehende Kostenübernahme wurde abgelehnt, weil hierfür ein Bedarf nach § 12 BSHG nicht anerkannt werden könne.
Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Die vom Landesverband in Rechnung gestellten Kosten seien ortsüblich. Jüdische Gräber seien auf Ewigkeit angelegt. Die Bestattung auf einen jüdischen Friedhof sei aus Glaubensgründen auch erforderlich gewesen.
Daraufhin half der Beklagte dem Widerspruch zum Teil ab und bewilligte weitere 476,52 EUR. Da die Klägerin ihren Widerspruch weiterhin aufrecht erhielt, half der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid vom 20.08.2003, zugestellt am 22.08.2003, in Höhe von weiteren 32,65 EUR ab, wies jedoch im Übrigen den Widerspruch der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 19.09.2003 Klage erhoben.
Sie trägt vor: Nach ihrem Glauben und den ihrer Mutter konnte ihre Mutter nur auf einen jüdischen Friedhof beerdigt werden. Die Mutter hätte auch auf keinen anderen jüdischen Friedhof in Niedersachsen kostengünstiger bestattet werden können.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, weitere Bestattungskosten für die verstorbene Mutter der Klägerin in Höhe von 2.012,55 EUR zu übernehmen und die Bescheide vom 05.03.2003 und 13.06.2003 sowie den Widerspruchsbescheid vom 20.08.2003 aufzuheben, soweit diese Bescheide dem Verpflichtungsbegehren entgegenstehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Er tritt der Klage entgegen und bezweifelt weiterhin, dass die Gebührensatzung des Landesverbandes hinsichtlich der Gebühren für Nichtmitglieder überhaupt ordnungsgemäß kalkuliert wurde.
Zur Frage, ob die Gewährleistung ewiger Grabruhe zu den Kernbestandteilen des jüdischen Glaubens gehört, hat das Gericht Auskünfte des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und der Union Progressiver Juden in Deutschland eingeholt, zur Bemessung der Friedhofsgebühren darüber ebenfalls eine Auskunft des Landesverbandes. Auf die Stellungnahme der beiden Verbände wird Bezug genommen.
Die Kammer hat die Sache mit Beschluss vom 23.04.2004 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Alle Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung ergeht durch den Einzelrichter, dem die Kammer den Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen hat.
Im Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung weiterhin ohne mündliche Verhandlung, § 101 Abs. 2 VwGO.
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf weitere Leistungen in Höhe von 971,46 EUR.
Rechtsgrundlage ist § 15 BSHG. Hiernach sind die erforderlichen Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Dass im Grundsatz ein derartiger Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten durch den Sozialhilfeträger besteht, ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
Die Klägerin hat aus § 15 BSHG weiterhin grundsätzlich einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Grabstelle, auch wenn diese über den "normalen" Satz für eine christliche Grabstelle auf einem städtischen Friedhof liegen.
Wünschen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, soll nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG entsprochen werden, soweit sie angemessen sind. Auf die Gestaltung der Hilfe sind auch Wünsche hinsichtlich des Maßes der Sozialhilfe gerichtet (Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG 15. Aufl. 1997, § 3 Rdnr. 14). Das Maß der Hilfe bezieht sich dabei auf deren tatsächlichen Umfang bzw. bei Geldleistungen auf deren Höhe (Roscher/Krahmer, in: LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, § 3 Rdnr. 9).
Der Wunsch nach Übernahme der Kosten einer jüdischen Bestattung - mangels eines fehlenden Angebotes auf dem städtischen Friedhof eben auf den Friedhof der Jüdischen Gemeinde - ist angemessen iSd Vorschrift.
Denn - jedenfalls zum Zeitpunkt der Bestattung der Mutter der Klägerin - wurde in zumutbarer Nähe der Klägerin Grabstellen, die die ewige Grabruhe gewährleisten, lediglich auf den Jüdischen Friedhof der Gemeinde in H. angeboten. Auch wenn zum Teil - jedenfalls im progressiven Judentum - nicht mehr am Glauben an die Auferstehung des Leibes festgehalten wird, ist das Gericht aufgrund der eingeholten Auskünfte davon überzeugt, dass, unabhängig davon, welcher Glaubensrichtung im Judentum die Verstorbene anhing, jedenfalls die Gewährleistung einer ewigen Grabruhe unabdingbarer Bestandteil ihres Glaubens war.
Grundsätzlich ist nach alledem bei Toten, die entsprechend glaubensgebundenen gelebt haben, eine jüdische Bestattung erforderlich im Sinne des § 15 BSHG und auch nach § 3 Abs. 2 Satz 1 BSHG angemessen, selbst dann, wenn diese Bestattung gegenüber einer christlichen Bestattung mit Mehrkosten verbunden ist. Die Kosten einer jüdischen Bestattung sind daher in aller Regel zu übernehmen (vgl. schon VG Hannover, Urteil vom 14.02.2002 - 9 A 4332/00 -).
Dies führt jedoch im vorliegenden Falle nicht dazu, dass der Klage insgesamt stattzugeben ist. Die Klägerin hat vielmehr nur einen Anspruch auf Übernahme der Kosten einer Grabstelle, wie sie auch den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde berechnet werden. Denn der Träger braucht Wünschen nicht zu entsprechend, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden sind, § 3 Abs. 2 Satz 3 BSHG.
Die Kosten, die über den Gebührensatz hinausgehen, den Mitglieder einer jüdischen Gemeinde für eine Grabstelle zu entrichten haben, sind unverhältnismäßig hoch im Sinne dieser Vorschrift und zählen daher nach § 15 BSHG auch nicht mehr zu den erforderlichen Kosten.
Nach der damaligen Gebührensatzung des städtischen Friedhofs kostete ein Reihengrab 1.850 DM, für ein Wahlgrab in einfacher Lage wurden 1.950 DM, in besonderer Lage 2.100 DM berechnet. Unter berücksichtigt des Umstandes, dass jüdische Grabstätten auf ewig angelegt und nicht nach einer Ruhezeit von 25 Jahren eingeebnet und neu belegt werden, ist das Gericht der Ansicht, dass die Kosten einer jüdischen Grabstelle iHv. 4000 DM im Vergleich dazu zwar nahe an die Grenze kommen, wo von unverhältnismäßigen Mehrkosten gesprochen werden kann, diese Grenze aber noch nicht erreichen, wobei insbesondere auch die Grundrechte aus Art. 1 und 4 GG in die Überlegung mit einzubeziehen sind.
Kosten in Höhe von 6000 DM sind jedoch gegenüber einer "normalen" Bestattung derart hoch, dass ein dieser Bestattungswunsch zu unangemessen hohen Mehrkosten führt. Diese Kosten liegen um ein Drittel höher als die Kosten der Bestattung eines jüdischen Gemeindemitgliedes und 2/3 über den Kosten einer einfachen Bestattung auf dem städtischen Friedhof.
Auch die Gewährleistung der Rechte aus Art. 4 GG kann nicht dazu führen, dass die öffentliche Hand jedwede Besonderheit bei den Bestattungsriten einer Religionsgemeinschaft oder Bevölkerungsgruppe zu beachten und zu finanzieren hat, auch wenn diese die Kosten einer einfachen weltlichen oder christlichen Bestattung unverhältnismäßig übersteigt.
Die Mehrkosten gegenüber einer normalen jüdischen Bestattung iHv. 4000 DM lassen sich zudem zumutbar vermeiden, indem ein Hilfeempfänger Mitglied einer jüdischen Gemeinde wird. Wenn er derart glaubensgebunden lebt, dass eine jüdische Bestattung für ihn unverzichtbar ist, ist es ihm auch zuzumuten, Mitglied der Gemeinde zu werden. Er kann sich nicht etwaige Kultussteuern bzw. Kultusgelder ersparen und dann die dadurch entstehenden späteren Mehrkosten bei seiner Bestattung auf die Allgemeinheit abwälzen.
Nach alledem können Kosten einer Grabstelle nur in Höhe von 4000 DM entsprechend 2.045,17 EUR als angemessen und von der Sozialhilfe zu übernehmen angesetzt werden.
Der vorhandene Nachlass iHv. 18,48 EUR ist - da die anderweitigen Bestattungskosten voll vom Beklagten übernommen wurden - einzusetzen, so dass 2026,69 EUR verbleiben.
Hiervon hat der Beklagte mit seinen Bescheiden vom 05.03.2003. 13.06.2003 und 20.08.2003 insgesamt 1055,23 EUR bereits bewilligt, so dass der Klägerin noch 971,46 EUR zuzusprechen und im Übrigen die Klage abzuweisen war.
Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren ist gem. § 162 Abs. 2 S. 2 VwGO für notwendig zu erklären, weil sie vom Standpunkt einer verständigen Partei nicht überflüssig und willkürlich, sondern zweckmäßig erscheint (vgl. BVerwGE 55, 299, 306; Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr. 1,2,13; VBlBW 1986, 257). Angesichts der Gestaltung des Falles in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht konnte die Klägerin nicht darauf verwiesen werden, sie hätte ihre Rechte gegenüber dem Beklagten allein wahrnehmen können.