Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 07.03.1995, Az.: 5 U 156/94

Aufklärungsumfang und möglicher Entscheidungskonflikt bei operativer Revision des Bauchraumes und dadurch bedingter Darmverletzung; Voraussetzungen für das Vorliegen einer wirksamen Einwilligung des Patienten

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
07.03.1995
Aktenzeichen
5 U 156/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 28988
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1995:0307.5U156.94.0A

Amtlicher Leitsatz

Zum Aufklärungsumfang und möglichen Entscheidungskonflikt bei operativer Revision des Bauchraumes und dadurch bedingter Darmverletzung

Tatbestand

1

Der am 2. Juli 1945 geborene Kläger war seit Juli 1982 arbeitsunfähig erkrankt. Er litt u.a. an einer Chylurie. Am 16. November 1982 wurde im Krankenhaus der Beklagten von Dr. A. eine 4 1/2-stündige Operation durchgeführt, in deren Verlauf eine Niere entfernt wurde. Nach dem Operationsbericht ergab sich eine oberflächliche Läsion des Colondescendens, die mit Serosa-Nähten versorgt wurde. Bei dieser Operation wurde ferner ein Drain eingebracht, dass gesondert aus der Wunde herausgeleitet wurde.

2

Nach dem 16. November 1982 wurde bei dem Kläger immer wieder Fieber festgestellt. Da die Ärzte über die Ursache des Fiebers keine Klarheit gewinnen konnten, entschlossen sie sich zu einem erneuten Eingriff, der am 10. Dezember 1982 durchgeführt wurde. Ob der Kläger vor diesem Eingriff über damit verbundene Risiken aufgeklärt wurde, ist streitig. Bei diesem Eingriff kam es im oberen Wundwinkel zur Eröffnung eines Raumes, aus dem etwas gelblich-bröckelige Flüssigkeit ablief. Es wurde wiederum ein Drain gelegt und die Wunde verschlossen.

3

Am folgenden Tag wurde erneut ein Eingriff vorgenommen. Hierbei flossen etwa 500 ml einer bräunlichen Flüssigkeit ab. Es wurden ein Anuspraeter und eine Douglasdrainage angelegt. Der Anuspraeter wurde später wieder entfernt.

4

Der Kläger hat behauptet, vor der Operation am 10. Dezember 1982 sei er nicht ordnungsgemäß über die damit verbundenen Risiken einer Darmverletzung aufgeklärt worden. Tatsächlich sei bei dieser Operation aber der Darm verletzt worden. Außerdem sei es später zu einem so genannten Narbenbruch gekommen, der erneut operativ habe behandelt werden müssen. Es bestehe jetzt auch wieder der Verdacht auf einen neuen Narbenbruch. Auf Grund der Folgen der Operation vom 10. Dezember 1992 leide er auch heute noch unter erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die sich in Verdauungsbeschwer- den, erheblichen Narbenschmerzen und psychovegetativen Erschöpfungszuständen äußerten.

5

Die Beklagte hat vorgetragen, der Kläger sei nicht nur vor der Operation vom 16. November 1982, sondern auch vor der Operation vom 10. Dezember 1982 umfassend informiert worden. Es müsse auch davon ausgegangen werden, dass diese zweite Operation keine Darmverletzung zur Folge gehabt habe. Es spreche mehr dafür, dass es zu einer Läsion bereits am 16. November 1982 bei der infolge der starken Verwachsungen zwischen Darm und Niere schwerer und langwieriger Operation gekommen sei.

Gründe

6

Die Klage ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für die geltend gemachten Ansprüche, die der Kläger auf die Behauptung stützt, er sei vor dem Eingriff vom 10. Dezember 1982 nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden, liegen nicht vor. Grundsätzlich setzt ein ärztlicher Eingriff eine Einwilligung des Patienten voraus, die aber nur wirksam ist, wenn der Patient über Art und Umfang des Eingriffs sowie die damit verbundenen Risiken informiert ist und eine Vorstellung davon hat, worin er einwilligt. Ob der Patient auch über die Risiken einer Revisionsoperation im Einzelnen aufgeklärt werden muss, wenn er sich kurz zuvor einem viel umfassenderen und risikoreicheren Eingriff unterzogen hat, lässt der Senat hier dahingestellt, weil der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung im zweiten Rechtszug bestritten hat, dass er vor dieser ersten Operation vom 16. November 1982 über Risiken aufgeklärt worden ist und der von dem Kläger unterzeichneten Einverständniserklärung vom 15. November 1982, die sich in den Krankenunterlagen befindet, und dem bisherigen Beweisergebnis nicht mit der nötigen Sicherheit eine Aufklärung über ganz bestimmte einzelne Risiken entnommen und mit der nötigen Sicherheit festgestellt werden kann.

7

Vor dem Eingriff vom 10. Dezember 1982, um den es hier geht, ist dem Kläger, wie er bei seiner Anhörung durch den Senat erklärt hat, aber zumindest gesagt worden, die Fieberschübe beruhten möglicherweise auf einer Entzündung, die Ärzte müssten "da noch mal reingucken". Es sollte also, nachdem durch andere Untersuchungsmethoden die Fieberursache nicht geklärt werden konnte, der Bauchraum nochmals eröffnet werden. Das hat der Kläger auch so verstanden. Der Senat setzt bei dem Kläger nach dem Ergebnis der Anhörung und dem persönlichen Eindruck das Wissen voraus, dass mit jeder größeren, unter Narkose vorgenommenen Operation allgemein Risiken verbunden sind, wie z.B. Wundinfektionen, Narbenbrüche und Embolien und dass die Operation im unglücklichen Fall zu schweren Schäden und sogar zum Tod führen kann. Diesen Wissensstand konnten vor der Revisionsoperation auch die Ärzte voraussetzen (vgl. dazu BGH NJW 1974, 1422, 1423; BGH NJW 1980, 633, 634 [BGH 23.10.1979 - VI ZR 197/78]; NJW 1986, 780 [BGH 19.11.1984 - VI ZR 134/84]; Steffen, Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., S. 120). Der Senat geht bei dem Kläger auf Grund des persönlichen Eindrucks davon aus, dass er die Kenntnisse hatte, die zum Allgemeinwissen weiter Bevölkerungsschichten gehören.

8

Der Kläger wusste also vor der Operation vom 10. Dezember 1982 im Großen und Ganzen um die Bedeutung und Tragweise dieses zweiten Eingriffs. Der Senat neigt zu der Auffassung, dass dieses Wissen im vorliegenden Fall, da echte Behandlungsalternativen nicht bestanden, für eine wirksame Einwilligung ausreichend war. Selbst wenn man aber eine nochmalige spezielle weitere Aufklärung für erforderlich halten würde, wäre eine Haftung nicht gegeben. Denn der Kläger hat nicht nachvollziehbar dargetan, dass er bei ordnungsgemäßer Einwilligung in einen echten Entscheidungskonflikt geraten wäre. Mit der zweiten Operation war sicherlich wie mit jeder Eröffnung des Bauchraumes das Risiko von Wundinfektionen und Narbenbrüchen verbunden. Auch eine Darmverletzung wird im Bereich des Möglichen gelegen haben, wie dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. und Dr. ..., Universitätsklinikum zu entnehmen ist. Soweit die Sachverständigen die Beweisfrage des Landgerichts danach, ob eine Darmverletzung bei einer Operation der hier in Rede stehenden Art eine "typische" Folge ist, verneint haben, kann dahingestellt bleiben, ob die Sachverständigen damit nur eine Aussage über den Grad der Wahrscheinlichkeit machen wollten, oder ob eine Darmverletzung nach ihrer Auffassung nicht einmal eine spezifische - wenn auch sich möglicherweise nur selten verwirklichende - Gefahr einer solchen Revisionsoperation darstellt. Denn es handelt sich jedenfalls nicht um ein so bedrohlich hohes Risiko, dass es dem Kläger in Anbetracht der Vorteile des Eingriffs besonders eindringlich hätte vor Augen geführt werden müssen. Die Maßnahme war medizinisch indiziert, wie aus dem Gutachten hervorgeht. Andere erfolgversprechende Untersuchungsmethoden oder Behandlungsmethoden standen nicht mehr zur Verfügung. Sonografien waren bereits zwei Mal durchgeführt worden, wie die Krankenunterlagen belegen, ohne dass hierdurch eine Klärung hätte herbeigeführt werden können. Eine Computertomographie-Untersuchung des Retriperitoneums war 1982 noch nicht Routine, wie der Beklagte zu 1. unter Bezugnahme auf die dem Gericht vorliegenden Privatgutachten unwidersprochen und überzeugend vorgetragen hat. Ein entsprechendes Gerät stand damals im Krankenhaus der Beklagten auch noch nicht zur Verfügung. Eine Behandlung mit Antibiotika war bereits ohne Erfolg versucht worden. Trotz fiebersenkender Mittel hatte der Kläger im Verlauf der gesamten Zeit immer wieder Fieber, das insbesondere am 23., 24., 25. November und 05. Dezember bis 39 Grad und darüber angestiegen war und an den beiden Tagen vor der Operation immerhin mehr als 38 Grad betrug, wie aus den Krankenunterlagen hervorgeht. Da der Verdacht einer Entzündung im Bauchraum, die unter Umständen lebensbedrohlich werden kann, bestand und eine harmlosere Ursache auch nicht ersichtlich war, sprachen erhebliche medizinische Gründe dafür, eine Revision des Bauchraumes vorzunehmen, während nachvollziehbare Gründe, die drei Wochen nach der Erstoperation noch für weiteres Zuwarten hätten sprechen können, nicht ersichtlich sind. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auf Frage des Gerichts zum Entscheidungskonflikt auch nur erklären können, er wisse es nicht. Möglicherweise hätte er sich bei Aufklärung über die Risiken für weiteres Abwarten entschieden. Diese Erklärung mag als eine im Nachhinein abgegebene Vermutung des Klägers auch verständlich erscheinen. Für den Senat ist aber nicht nachvollziehbar, dass der Kläger vor der Operation unter Abwägung der Vorteile und der möglichen Risiken in einen Entscheidungskonflikt gekommen wäre, wenn die Ärzte ihn zu der medizinisch indizierten Operation unter Bekanntgabe der mit längerem Zuwarten möglicherweise auch verbundenen Gefahren geraten hätten, nachdem die Fieberschübe über einen Zeitraum von immerhin drei Wochen nicht unter Kontrolle gebracht werden konnten. Die geltend gemachten Ansprüche sind daher nicht begründet.

9

Auf die weitere Frage, ob ein offensichtlicher Missbrauch der rechtlichen Möglichkeit, Ansprüche gegen die Ärzte und das Krankenhaus aus mangelnder Aufklärung herzuleiten, vorliegt (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH NJW 1980, 633, 634) [BGH 23.10.1979 - VI ZR 197/78], weil die Wundrevision vom 10. Dezember 1982 nach dem Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. ... und Dr. ... lebensrettend war, kommt es danach nicht mehr an.