Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 20.02.1997, Az.: 22 U 35/96

Anspruch auf Schadensersatz bei verspäteter Auskunft des Begünstigten über Schenkungen der Erblasserin an ihre Schwiegerkinder ; Anspruch auf Ergänzung eines Pflichtteils

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
20.02.1997
Aktenzeichen
22 U 35/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 16130
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1997:0220.22U35.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 06.12.1995 - AZ: 2 O 321/95

Der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Februar 1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ...,
den Richter am Oberlandesgericht ...
und den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6. Dezember 1995 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg teilweise abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 45.000 DM nebst 4 % Zinsen p.a. seit dem 15. November 1995 zu zahlen. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Klägerin:4.350 DM;
Beschwer des Beklagten:45.000 DM.

Tatbestand

1

Die Berufung ist bis auf den Zinsbeginn begründet.

2

A.

Die geänderte Klage ist zulässig, und zwar ohne Rücksicht darauf, daß die Klägerin den neuen Klaggrund (Schadensersatz wegen Verjährung des Anspruchs auf Pflichtteilsergänzung gegen die Schwiegerkinder des Beklagten als Beschenkte) ausweislich Seite 4 des angefochtenen Schluß-Urteils (Bl. 176 d.A.) bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 15. November 1995 geltend gemacht hat. Die Sachdienlichkeit der Klagänderung, auf weiche es im ersten wie im zweiten Rechtszug gleichermaßen ankommt (§ 263 Fall 2, § 523 ZPO), ist gegeben. Der Prozeßstoff bot schon, als die Klägerin ihr Begehren auf den neuen Sachverhalt stützte, eine tragfähige Grundlage, über die geänderte Klage zu entscheiden. Die Fragen, ob und ggfs. zu welchem Bruchteil das der Klägerin zugewandte Grundstück von der am 30. Juli 1991 verstorbenen Mutter der Parteien (Erblasserin) oder deren vorverstorbenem Ehemann stammte und inwieweit die Zuwendung ein Geschenk war - die wegen der Anrechnungspflicht aus § 2327 Abs. 1 Satz 1 BGB einzigen, für den Umfang des Schadens der Klägerin klärungsbedürftigen Punkte - hätte das Landgericht im Rahmen des ursprünglichen Begehrens (Ergänzung des Pflichtteils gegen den Beklagten als Erben) ebenso aufklären müssen.

Entscheidungsgründe

3

B.

Sachlich ist die geänderte Klage von einem Teil der Zinsen abgesehen gerechtfertigt.

4

I.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 45.000 DM, weil dieser ihr die Auskunft über die Schenkungen der Erblasserin an seine Schwiegerkinder zu spät erteilt hat (§ 286 Abs. 1 BGB).

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1.

Der Beklagte war mit der von ihm geschuldeten Auskunft im Verzuge (§ 284 Abs. 1 Satz 1 BGB).

6

a)

Die Klägerin hatte gegen ihn den mit dem Tode der Erblasserin am 30. Juli 1991 fälligen (§ 271 Abs. 1 BGB) Anspruch, daß er ihr Auskunft über alle Schenkungen seitens der Erblasserin während der letzten zehn Jahre vor deren Tode erteilte. Sie war als Tochter der Erblasserin Pflichtteils- und pflichtteilsergänzungsberechtigt (§ 2303 Abs. 1 Satz 1, § 2325 Abs. 1 BGB). Der Beklagte hatte die Erblasserin aufgrund des Erbvertrages vom 13. Juli 1979 allein beerbt.

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b)

Die Klägerin hat den Beklagten gemahnt. Spätestens mit Erhebung der Klage am 11. Juni 1993, welche der Mahnung gleichsteht (§ 284 Abs. 1 Satz 2 Fall 1 BGB), hat sie den Beklagten aufgefordert, Auskunft über alle unentgeltlichen Zuwendungen seitens der Erblasserin während der letzten zehn Jahre vor deren Tode zu erteilen.

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c)

Der Beklagte hat auf diese Mahnung hin nicht geleistet. Erst nach Verurteilung zur Auskunft und unter dem Druck der Zwangsvollstreckung hat er die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 16. Februar 1995 wissen lassen, die Erblasserin habe von dem Erlös aus der Veräußerung ihres Grundstücks in ... von welchem sie am 20. September 1989 180.000 DM von ihrem Girokonto abgehoben hatte, seinem Schwiegersohn ... und seiner Schwiegertochter ... je 90.000 DM geschenkt.

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d)

Hinsichtlich des Verschuldens an dieser Verzögerung hat der Beklagte sich nicht entlastet (§ 285 BGB). Der von ihm behauptete Rechtsirrtum hinsichtlich seiner Pflicht, sich nach Geschenken der Erblasserin an andere zu erkundigen, war nicht mehr entschuldigt, als er am 14. Oktober 1993 (in unverjährter Zeit des Anspruchs der Klägerin gegen die Beschenkten) das Teil-Urteil des Amtsgerichts Dannenberg vom 11. Oktober 1993 zu Händen seiner erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zugestellt erhielt, aus dem die Erkundigungspflicht deutlich hervorging, so daß spätestens zu diesem Zeitpunkt der Verzug eintrat, ohne daß es erneuter Mahnung bedurfte (vgl. MünchKomm.-Thode, BGB, 3. Aufl., § 285 Rdnr. 11). - Abgesehen davon sprechen die näheren Umstände (Rückgängigmachen der Übertragung des Grundstücks in ... an den Beklagten, der spätere Verkauf dieses Grundstücks und das Verschenken eines Teils des Verkaufserlöses an dem Beklagten nahestehenden Personen, wodurch der Verbleib des Vermögenswertes für die Klägerin schwer nachvollziehbar wurde) dafür, daß der Beklagte, als er die Auskunft verzögerte, im Bewußtsein der Rechtswidrigkeit vorsätzlich gehandelt hat.

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2.

Der Schaden, welcher der Klägerin infolge des Verzuges entstanden ist, beruht darauf, daß sie den Anspruch auf Ergänzung ihres Pflichtteils, der ihr in Höhe von 45.000 DM gegen die Schwiegerkinder des Beklagten als Beschenkte zusteht (§ 2329 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 2 Fall 2 BGB), nicht mehr durchsetzen kann, weil die Beschenkten berechtigterweise - der Erbfall lag schon bei Erteilung der Auskunft am 16. Februar 1995 länger als drei Jahre zurück (§ 2332 Abs. 2 BGB) - die Einrede der Verjährung erheben. Als eines von zwei Kindern der verwitweten Erblasserin hätte die Klägerin Wertersatz für ein Viertel der den Schwiegerkindern des Beklagten als Geschenk überlassenen 180.000 DM beanspruchen können, weil der Beklagte als Erbe aufgrund des Nachlaßnullwertes nicht verpflichtet war (§ 1990 Abs. 1 Satz 1 BGB).

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a)

Die Zuwendung des Grundstücks an die Klägerin aufgrund notariellen Vertrages vom 14. Dezember 1964 (Anlage zum Schriftsatz vom 3. September 1996 - Bl. 233 f. d.A.) führt nicht dazu, daß die Klägerin sich auf die Ergänzung ihres Pflichtteils etwas anrechnen lassen muß (§ 2327 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Zuwendung kam nicht aus dem Vermögen der Erblasserin, sondern allein demjenigen deren vorverstorbenen Ehemannes.

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b)

Der Behauptung der Klägerin (Seite 8 der Berufungsbegründung - Bl. 204 d.A.), zu der Zeit, zu welcher sie die Beschenkten bei rechtzeitiger Auskunft in Anspruch genommen hätte, sei der Wert der Geschenke noch in deren Vermögen vorhanden gewesen, hat der Beklagte nicht mit Substanz zu begegnen vermocht. Da es für die von ihm (Seite 4 der Berufungserwiderung - Bl. 240 d.A.) aufgestellte Regel, unverhoffte Geldgeschenke pflegten verpraßt zu werden, keine gesicherte Grundlage gibt, zumal wenn es sich um namhafte Beträge handelt, fehlt es an der Darlegung, welche konkreten Ereignisse zum Verlust der Gelder auf Seiten der Beschenkten geführt haben sollen, ohne daß deren Vermögen zugleich äquivalente Werte zugeflossen sind (§ 818 Abs. 3 BGB). Das abstrakte Aufzeigen von Möglichkeiten im Verhandlungstermin vor dem Senat wie erfolgloses Glücksspiel und verlustträchtige Aktienspekulationen genügen nicht. Wenn auch der Geschädigte die Beweislast für das Fortbestehen der Bereicherung der Beschenkten trägt, weil es ein Element des anspruchsbegründenden Schadens ist, braucht er gleichwohl nicht alle denkbaren Möglichkeiten der Entreicherung auszuräumen, sondern nur - wie für Fälle des Beweises negativer Umstände anerkannt (BGH WPM 1995, 21; OLG Düsseldorf NJW-RR 1988, 1536 betr. "Fehlen des rechtlichen Grundes" in § 812 BGB) - diejenigen Punkte zu widerlegen, welche der Schädiger konkret, d. h. nach Zeit, Ort und Umständen geltend macht, woran es fehlt. Andernfalls wäre der Beweis negativer Merkmale (hier: kein Wegfall der Bereicherung) praktisch von vornherein abgeschnitten.

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II.

Der Nebenanspruch ist erst begründet seit dem 15. November 1995 (§ 288 Abs. 1 Satz 1 BGB). Mit der Leistung des Schadensersatzes kann der Beklagte nicht früher in Verzug geraten sein. Die Klägerin hat den Schadensersatzanspruch erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 15. November 1995 erhoben (§ 284 Abs. 1 Satz 2 BGB, § 261 Abs. 2 Fall 1 ZPO).

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Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 92 Abs. 2 Fall 1, § 708 Nr. 10, §§ 713, 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin an Zinsen, die sich nur bei der Beschwer, nicht beim Streitwert auswirkt (§ 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO, § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG), war verhältnismäßig geringfügig und hat keine besonderen Kosten veranlaßt.

Streitwertbeschluss:

Beschwer der Klägerin:4.350 DM;
Beschwer des Beklagten:45.000 DM.