Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 29.03.2021, Az.: 2 O 63/20

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
29.03.2021
Aktenzeichen
2 O 63/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 70724
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BGH - 13.07.2021 - AZ: X ARZ 147/21

Keine Bindung hinsichtlich der Zuständigkeit durch Versäumnisurteil; Bindungswirkung der Verweisung

Tenor:

Das Verfahren wird dem Bundesgerichtshof mit der Bitte um Zuständigkeitsbestimmung analog § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO vorgelegt.

Gründe

I.

Die Klägerin erhob unter dem 5. Mai 2020 Klage vor dem Landgericht Lüneburg. Sie begehrt von dem beklagten Land Unterlassung der Durchführung einer Umsatz-Steuer-Sonderprüfung für den Zeitraum Januar 2017 bis März 2020.

Die Klägerin ist im Speditionsgewerbe tätig. Ihren Firmensitz hat sie zwischenzeitlich von Deutschland nach Italien verlegt. In den Jahren 2017 bis 2020 unterhielt die Klägerin Geschäftsbeziehungen zu der D. in R.. Gegen den ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer dieser GmbH – Herrn A. - leitete das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen L. ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung ein. In diesem Zusammenhang wendete sich das betreffende Finanzamt zunächst mit Schreiben vom 4. März 2020 mit einem Auskunftsersuchen an die Klägerin. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens Bezug genommen (Bl. 8 d.A.).

Nachfolgend ordnete das Finanzamt S. unter dem 20. Mai 2020 zunächst eine Umsatzsteuer-Nachschau sowie anschließend unter dem 7. Juli 2020 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung bei der Klägerin in den Räumen des Finanzamts an. Auf die Anlagen K 5 bzw. K 6 und K 7 wird wegen der Einzelheiten verwiesen (Bl. 46f., 82ff. d.A.).

Die Klägerin hält die angeordnete Umsatzsteuer-Sonderprüfung für rechtswidrig. Das Finanzamt habe amtspflichtwidrig gehandelt. Die Anordnung beruhe auf sachfremden Erwägungen. Die Geschäftsbeziehungen der Klägerin zur D. seien nichtig. Die Klägerin hat zunächst beantragt, dem Beklagten zu verbieten, in einem Ermittlungsverfahren gegen Herrn A. wegen Steuerhinterziehung gegen die Klägerin einen Durchsuchungsbeschluss nach § 103 StPO zu erwirken.

Mit Schriftsatz vom 27. Juli 2020 (Bl. 44 ff. d.A.), auf dessen Inhalt wegen des weiteren Vorbringens verwiesen wird, hat die Klägerin den Antrag angekündigt, dem Beklagten, handelnd durch das Finanzamt S. zu verbieten, bezüglich der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung für den Zeitraum Januar 2017 bis März 2020 durchzuführen.

Das beklagte Land vertritt die Auffassung, dass der Zivilrechtsweg nicht eröffnet sei. Die Klägerin müsse die nach der AO einschlägigen Rechtsmittel einlegen. Im Übrigen hält das beklagte Land die Klage für unschlüssig. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den Inhalt der Klageerwiderung vom 24. Juni 2020 (Bl. 31 ff. d.A.) und des Schriftsatzes vom 29. Juli 2020 (Bl. 51 d.A.) verwiesen.

Mit Beschluss vom 29.Juli 2020 (Bl. 54 d.A.) hat die Kammer die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Klage unzulässig sein dürfte.

Im Termin vom 21. September 2020 hat das Landgericht nach Erörterung der Unzuständigkeit des Landgerichts auf Antrag der Beklagten ein Versäumnisurteil erlassen und die Klage abgewiesen. Auf den Inhalt des Protokolls vom 21. September 2020 (Bl. 94 d.A.) wird zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 24. September 2020 zugestellte Versäumnisurteil hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 6. Oktober 2020 (Bl. 107 d.A.) Einspruch eingelegt. Mit Verfügung vom 19. Oktober 2020 hat das Gericht den Parteien mitgeteilt, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit gem. § 17a GVG von Amts wegen an das Niedersächsische Finanzgericht Hannover zu verweisen (Bl. 112 d.A.).

Mit Beschluss vom 4. November 2020 – auf dessen Inhalt wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 118 ff. d.A.) hat das Landgericht den Rechtsstreit gem. § 17 a GVG an das Niedersächsische Finanzgericht verwiesen, weil es sich um eine abgabenrechtliche Angelegenheit im Sinne des § 33 FGO handelt, so dass der Finanzrechtsweg gegeben ist. Die hiergegen seitens der Klägerin zunächst eingelegte sofortige Beschwerde (Bl. 127 d.A.) wurde mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2020 zurückgenommen (Bl. 134 d.A.).

Mit Verfügung vom 8. Dezember 2020 (Bl. 135 d.A.) hat das Landgericht die Akte dem Niedersächsischen Finanzgericht mit der Bitte um Übernahme vorgelegt.

Mit Verfügung vom 12. Januar 2021 (Bl. 136 d.A.) – auf deren Inhalt verwiesen wird - hat das Niedersächsische Finanzgericht die Akte zunächst zurückgesandt mit der Bitte, das Versäumnisurteil aufzuheben, da der Finanzgerichtsordnung das Säumnisverfahren der §§ 330 ff. ZPO fremd sei.

Nach Anhörung der Parteivertreter (Bl. 139 ff. d.A.) wurde von einer Aufhebung des Versäumnisurteils abgesehen und die Akte mit Verfügung vom 10. Februar 2021 unter Hinweis auf den rechtskräftigen Verweisungsbeschluss erneut dem Niedersächsischen Finanzgericht mit der Bitte um Übernahme vorgelegt (Bl. 150 d.A,.).

Mit Beschluss vom 2. März 2021 hat das Niedersächsische Finanzgericht den Rechtsstreit an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen. Das Niedersächsische Finanzgericht hält den Verweisungsbeschluss des Landgerichts vom 4. November 2020 für nicht bindend und vertritt die Auffassung, dass die Verweisung extrem gegen materielle und verfahrensrechtliche Bestimmungen verstoße. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen (Bl. 153 ff. d.A.).

II.

Das Verfahren war in analoger Anwendung des § 36 ZPO dem Bundesgerichtshof mit der Bitte um Zuständigkeitsbestimmung vorzulegen.

Die Anwendung des § 36 ZPO kommt zwar im Rahmen des § 17 a GVG im Grundsatz nicht in Betracht. Die Frage des Rechtsweges kann regelmäßig im Rahmen des Rechtsmittelzuges überprüft werden (vgl. auch BGH, Beschluss vom 9. April 2002, X ARZ 24/02).

Eine Vorlage an den Bundesgerichtshof mit der Bitte um Zuständigkeitsbestimmung ist nach Auffassung des Landgerichts vorliegend aber im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege ausnahmsweise zulässig, weil Zweifel über die Bindungswirkung des rechtskräftigen Verweisungsbeschlusses des Landgerichts bestehen. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige § 36 Abs. 1 Ziff. 6 ZPO analog anwendbar ist. Auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. Oktober 2017 (X ARZ 326/17, zitiert nach juris) wird in diesem Zusammenhang verwiesen.

Aus dem Beschluss des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 2. März 2021 (6 K 218/20) ergibt sich deutlich, dass das Finanzgericht nicht bereit ist, die Sache zu bearbeiten.

Nach hiesiger Auffassung ist der Verweisungsbeschluss vom 4. November 2020 (Bl. 118 d.A.) indes bindend, so dass eine Zurückverweisung durch das Niedersächsische Finanzgericht nicht zulässig war. Ein Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt hat und an ein Gericht eines anderen Rechtsweges verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Dies ergibt sich aus § 17 a Abs. 5 GVG.

Es mag prozessual fehlerhaft gewesen sein, das Versäumnisurteil zu erlassen. Dies ändert aber nichts an der Bindungswirkung des nachfolgenden Verweisungsbeschlusses. Die Bindungswirkung nach § 17 a Abs. 2 Satz 3 GVG besteht selbst bei gesetzwidrigen Verweisungen. Die Bindungswirkung ist nach hiesiger Ansicht nicht ausnahmsweise durchbrochen. Eine objektiv willkürliche Entscheidung bzw. „extreme Verstöße“ liegen hier nicht vor. Es handelt sich um eine abgabenrechtliche Angelegenheit im Sinne des § 33 FGO, so dass die Zuständigkeit des Finanzgerichts gegeben ist. Dass das Landgericht – entgegen der Einschätzung des Niedersächsischen Finanzgerichts – nicht seine eigene Zuständigkeit bejaht hat ergibt sich im Übrigen bereits deutlich aus dem Protokoll der Verhandlung vom 21. September 2020. Das Gericht hat lediglich übersehen, dass im Falle der Unzulässigkeit des Rechtsweges kein klageabweisendes Versäumnisurteil erlassen werden kann, sondern ausschließlich nach § 17 a GVG zu verfahren ist.