Landgericht Verden
Urt. v. 06.03.2014, Az.: 5 O 158/12

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
06.03.2014
Aktenzeichen
5 O 158/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 42461
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen behaupteter ärztlicher Fehlbehandlung im Rahmen einer Chemotherapie auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin erkrankte 2009 an Brustkrebs. Sie befand sich in Behandlung der Beklagten, die eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis und eine Belegarztstation im Krankenhaus B. betreiben. Das linksseitige Mammakarzinom wurde am 13. November 2009 brusterhaltend entfernt.

Zur Durchführung der beabsichtigten Chemotherapie wurde am 15. Dezember 2009 in einer anderen Abteilung des Krankenhauses B. ein Port-System an der rechten Thoraxvorderwand implantiert. Die Lage des Ports wurde mittels Röntgen überprüft, der erste Zyklus wurde durchgeführt.

Der zweite Chemotherapie-Zyklus fand am 5. Januar 2010 statt. Nachdem die Klägerin ein Druckgefühl im Bereich des rechten Ports geschildert hatte, wurde die Behandlung abgebrochen. Es war zu einem Auslaufen der Infusion in das die Vene umgebende Gewebe gekommen. Die Klägerin wurde mit der Maßgabe entlassen, dreimal täglich lokal DMSO-Tropfen aufzubringen.

Am 12. Januar 2010 wurde die Klägerin auf Veranlassung der Beklagten bei dem Chirurgen Dr. G. vorgestellt, der aber keinen Handlungsbedarf sah.

Am 19. Januar 2010 wurde die Behandlung mit DSMO eingestellt.

Am 26. Januar und 16. Februar 2010 wurde die Chemotherapie fortgesetzt.

Die Klägerin behauptet, die Lage des Port-Systems sei vor Behandlungsbeginn am 5. Januar 2010 nicht ordnungsgemäß geprüft worden. Sie habe bereits am 16. Dezember 2009 darauf hingewiesen, dass der Port sich verschoben habe, sei aber ohne Reaktion nach Hause geschickt worden. Wegen der Mängel in der Dokumentation müssten die Beklagten beweisen, dass die ordnungsgemäße Lage des Ports vor Beginn der Behandlung am 5. Januar 2010 überprüft worden sei. Insbesondere hätte eine radiologische Untersuchung erfolgen müssen.

Die Behandlung nach Austritt der Infusion in das Gewebe sei zu beanstanden: Die ambulante Behandlung mit DMSO-Tropfen sei nicht indiziert gewesen; vielmehr hätte ein Medikament namens Savene verabreicht werden müssen, um die Eiweißzerstörung zu verhindern. Sie hätte in stationäre Behandlung aufgenommen werden müssen. Es hätte überprüft werden müssen, wie viel Flüssigkeit in das Gewebe gelaufen war. Sie hätte umgehend einem plastischen Chirurgen vorgestellt werden müssen, der das infiltrierte Gewebe umgehend entfernt hätte.

Sie sei über die Risiken der Chemotherapie nicht aufgeklärt worden.

Im weiteren Verlauf sei eine Nekrose in dem Port-Bereich festgestellt worden. Sie sei deshalb erstmals am 1. März 2010 operiert und nach zwei weiteren Operationen am 21. März 2010 in die Chirurgie der MHH verlegt worden. Im Ergebnis habe sie beide Brustdrüsen verloren und sei siebzehnmal operiert worden. Wenn die Beklagten den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechend gehandelt hätten, wären die chirurgischen Maßnahmen „im Wesentlichen“ vermeidbar gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die klagende Partei 22.253,58 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 21. Februar 2011 zu zahlen,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die klagende Partei ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 160.000 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 21. Februar 2011 zu zahlen,

festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle vergangenen und künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der fehlerhaften und rechtswidrigen Behandlung entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten behaupten:

Die Behandlung entspreche in jeder Hinsicht den Regeln ärztlicher Kunst. Bei der Chemotherapie am 5. Januar 2010 sei die Nadel schicksalhaft verrutscht. Auf das Paravasat sei in der gebotenen Art und Weise reagiert worden.

Die Klägerin sei im Rahmen eines persönlichen Gesprächs am 27.11.09 von der Beklagten über das Paravasat-Risiko aufgeklärt worden. Hierzu sei ein Perimed-Aufklärungsbogen verwendet worden, der sich allerdings aus unerfindlichen Gründen nicht mehr bei den Unterlagen befinde. Darüber hinaus sei die Klägerin anlässlich der Porteinlage von Seiten der chirurgischen Ambulanz am 14.12.09 aufgeklärt worden.

Die Beklagten erheben den Einwand der hypothetischen Einwilligung.

Für die geltend gemachten Schäden seien die behaupteten Fehler nicht kausal geworden, möglicherweise seien sie auf die Grunderkrankung zurückzuführen. Sie bestreiten den Schaden der Höhe nach.

Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie eines Obergutachtens, Anhörung des Sachverständigen und des Obergutachters sowie Vernehmung der Zeugen W. und K.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. vom 24. November 2012, das Gutachten des Obergutachters Prof. Dr. H. vom 28. November 2013 sowie die Sitzungsniederschriften vom 11. April 2013 (Bl. 158 ff. Bd. I) und vom 6. Februar 2014 (Bl. 268 ff. Bd. II).

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Weder haften die Beklagten aufgrund eines Behandlungsfehlers für den geltend gemachten Schaden, noch infolge mangelnder Aufklärung.

1. Behandlungsfehler

a) Dass die Lage des Port-Systems schon vor Beginn der am 5. Januar 2010 durchgeführten Chemotherapie zu beanstanden oder die Nadel disloziert war, ist nicht bewiesen.

Auch wenn der Klägerin zuzugeben ist, dass die handschriftlichen Aufzeichnungen in dem Chemotherapie-Plan für den 5. Januar 2010 hinsichtlich des zeitlichen Ablaufs einige Ungereimtheiten aufweisen, so ist dort doch eindeutig vermerkt, dass vor Beginn der Infusion eine Aspiration durchgeführt worden ist, die darauf schließen ließ, dass die Portnagel ordnungsgemäß lag („Bem. VOR CHT: Asp. Pos.“). Dementsprechend hat die Beklagte zu 3 im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung geschildert, die Portnadel mit Kochsalzlösung befüllt, gespült und sodann Blut aspiriert zu haben. Die Klägerin selbst hat dies im Wesentlichen bestätigt, indem sie ausgeführt hat, Schwester M. habe eine Nadel in den Port gelegt und etwas Blut angesaugt. In Übereinstimmung mit den Angaben der Beklagten zu 3 hat die von den Beklagten benannte Zeugin K. im Übrigen geschildert, dass zu Beginn der Therapie zunächst Fluoro-Uracil gespritzt worden sei, ohne dass Anhaltspunkte dafür bestanden hätten, dass die Infusion nicht den richtigen Weg gefunden habe. Erst bei der danach erfolgten Verabreichung von Epirubicin hätten sich Schwierigkeiten ergeben. Ergänzend hat die Zeugin K. glaubhaft bekundet, dass das Lichtbild, auf dem die Rötung des Gewebes erkennbar ist, erst nach Eiskühlung, d. h. nach Abbruch der Therapie und nicht bereits vor deren Beginn gefertigt worden sei. Schließlich hat selbst die vom MDK beauftragte Gutachterin Dr. P. ausgeführt, dass das dokumentierte Aspirieren von Blut prinzipiell für eine korrekte Lage des Schlauchs in der großen Vene spreche.

Die Aussage des von der Klägerin benannten Zeugen E. W. war nicht ergiebig. Dieser hat lediglich bekundet, mit seiner Frau am 16. Dezember 2009 ins Krankenhaus gefahren zu sein, um das Verrutschen des Ports anzuzeigen. Als die Schwester mitgeteilt habe, es sei alles in Ordnung, sei für ihn und die Klägerin „alles erledigt“ gewesen. Diese Schilderung lässt keinen Schluss darauf zu, dass der Port oder auch nur die Nadel bei Beginn der Behandlung am 5. Januar 2010 verrutscht war.

Auch wenn die zeitlichen Angaben in dem Chemotherapieplan nicht stimmig sind, so kann hieraus unter Berücksichtigung des Beklagtenvortrags wie auch der weiteren Eintragungen weder auf das Vorliegen des behaupteten Behandlungsfehlers geschlossen werden, noch führen diese bloßen Ungereimtheiten, wie die Klägerin meint, zu einer Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagten.

b) Behandlung nach Auftreten des Paravasats

Auch die Behandlung nach Auftreten des Paravasats ist nicht zu beanstanden.

aa) Ausweislich der ausführlichen und überzeugenden Ausführungen des Obergutachters Prof. Dr. H., hinsichtlich dessen unbestreitbarer Qualifikation im Bereich der gynäkologischen Onkologie auf das Protokoll vom 6. Februar 2014 (Bl. 268 f. Bd. II) Bezug genommen wird, ist die Behandlung mit DMSO-Tropfen weder dem Grunde nach, noch im Hinblick auf deren Durchführung zu beanstanden. Auch wenn der Empfehlungsgrad für Dexrazoxan (Savene) etwas höher liege, so werde DMSO in jedem Fall als Alternative angesehen. Für den hier vorliegenden Fall eines Paravasats gebe es naturgemäß keine vergleichenden Studien, so dass letztlich nicht festgestellt werden könne, welches Präparat wirksamer sei. Die vorliegenden Daten legten lediglich nahe, dass beide Präparate eine gewisse Wirksamkeit entfalten.

Selbst der zunächst bestellte Sachverständige Dr. B. hat in seinem Gutachten vom 24. November 2012 unter Bezugnahme auf eine Mitteilung des „Arbeitskreises Supportive Maßnahmen in der Onkologie“ aus 2007 ausgeführt, dass DMSO-Lösung als Alternative zu Savene anzusehen sei, und die Behandlung mit DMSO als sachgerecht, wenn auch weniger effektiv bezeichnet (so dass die Fachkompetenz des zunächst bestellten Sachverständigen Dr. B. hier noch dahinstehen kann).

Die abweichende Stellungnahme der MDK-Gutachterin Dr. P., der zufolge mit Savene hätte behandelt werden müssen, überzeugt nicht. Die Gutachterin stellt maßgeblich darauf ab, dass bereits 2010 (auch) Savene zur Behandlung des Paravasats zugelassen gewesen und die Behandlung mit diesem Präparat geboten gewesen sei. Letzteres begründet sie aber nicht, noch finden sich in der Stellungnahme Ausführungen dazu, dass und warum die Behandlung mit DMSO-Tropfen behandlungsfehlerhaft war. Sie setzt sich nicht im Ansatz damit auseinander, dass die Kosten für Savene im fünfstelligen Bereich liegen und deshalb - wie der Sachverständige Prof. H. ausgeführt hat - für gewöhnlich nur in größeren Behandlungszentren vorgehalten werden. Die Gutachterin schwächt schließlich den Vorwurf, es hätte mit Savene behandelt werden müssen, sogar ab, indem sie formuliert: „Versäumt wurde dann die nach aktuell gültigen Möglichkeiten gebotene … Therapie mit … Savene bzw. zumindest eine frühzeitige chirurgische Vorstellung.“

Auch die von der Klägerin erst nach Eingang des Obergutachtens vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. P-S. vom 7. Juli 2011 (!) bestätigt schließlich die Einschätzung des Obergutachters, wonach nicht davon ausgegangen werden kann, dass den Beklagten im Zeitpunkt der Behandlung überhaupt Savene zur Verfügung stand, so dass die lokale Applikation mit DMSO eine „therapeutische Option“ gewesen sei.

Die Art und Weise der Behandlung mit DMSO-Tropfen (3-4mal tägliche Anwendung), insbesondere die ambulante Vorgehensweise und die Beendigung am 19. Januar 2010 - mithin 14 Tage nach Auftreten des Paravasats - ist ausweislich der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. H. ebenfalls nicht zu beanstanden. Dabei ist insbesondere die auch für den medizinischen Laien nachvollziehbare Erkenntnis von Bedeutung, dass die Erfolgsaussichten einer lokalen Behandlung mit DMSO abnehmen, je weiter die Zeit nach Auftreten des Paravasats fortschreitet. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Stellungnahme der MDK-Gutachterin. Allein der Sachverständige Dr. B. hat im Übrigen die Ansicht vertreten, die Klägerin hätte in stationäre Behandlung aufgenommen werden müssen, ohne dies allerdings zu begründen. Es erschließt sich für die Kammer auch nicht, warum die Lokalbehandlung mit DMSO unter stationären Bedingungen hätte durchgeführt werden müssen.

Die Vorgehensweise der Beklagten nach Auftreten des Paravasats ist auch nicht infolge mangelnder Befunderhebung als fehlerhaft anzusehen. Hierzu hat der Obergutachter Prof. H. ausgeführt, die nötige Aspiration der ins Gewebe gelaufenen Flüssigkeit sei ebenso durchgeführt worden wie die Entfernung des Zugangs unter Aspiration, Kälteapplikation und Fotodokumentation. Es sei auch durchaus nachvollziehbar, dass nur 20 ml Paravasat hätten aspiriert werden können, da sich Flüssigkeit aus dem Unterhautgewebe nur eingeschränkt zurückgewinnen lasse. Eine MR-Tomographie sei nicht obligat, denn auch so sei keine sichere Aussage über das exakte Ausmaß extravasaler Flüssigkeit möglich, noch hätte ein exaktes Nekroseareal abgegrenzt werden können, d.h. auch der MRT-Befund hätte keinesfalls eine ausgiebige Chirurgie rechtfertigen können.

Bei Paravasaten wie vorliegend werde zwar eine „frühzeitige“ Konsultation eines plastischen Chirurgen empfohlen, was hier [erst] eine Woche nach dem Vorfall (am 12. Januar 2010) erfolgt ist. Es gebe aber keinen ärztlichen Standard des Inhalts, dass beim Auftreten eines Paravasats unverzüglich ein Chirurg hinzuzuziehen sei, denn eine chirurgische Intervention werde unter Abwägung von Nutzen und Risiko nicht bereits prophylaktisch, sondern für gewöhnlich erst bei fortschreitender Gewebenekrose vorgenommen. Eine umfangreiche Chirurgie könne bei unklarer Ausbreitung des Zytostatikums in einen unnötigen Eingriff münden.

Aufgrund dieser ausführlichen und plausiblen Ausführungen des Obergutachters ist die Kammer davon überzeugt, dass der Umstand, dass die Klägerin nicht umgehend einem Chirurgen vorgestellt worden ist, nicht als Behandlungsfehler angesehen werden kann.

Dies gilt auch in Kenntnis der gegenteiligen Ausführungen des zunächst bestellten Sachverständigen Dr. B., der eine „frühzeitige Exzision von Paravasathöhlen“ im Wege eines plastisch-chirurgischen Eingriffs für erforderlich erachtet hat, um weitere Schäden zu vermeiden. Das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. kann der Urteilsfindung - wie auch die Klägerin mit Schriftsatz vom 9. Januar 2014 noch einmal ausdrücklich festgestellt hat - mangels ausreichender Fachkunde des Sachverständigen nicht zugrunde gelegt werden. Es ist als ungenügend anzusehen mit der Folge, dass gemäß § 412 ZPO ein Obergutachten einzuholen war. Abgesehen davon, dass der Sachverständige die von ihm aufgestellten Anforderungen an eine den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung nicht überzeugend zu begründen vermocht hat, fehlt es dem im Zeitpunkt der Anhörung bereits 71jährigen Sachverständigen an der erforderlichen ärztlichen Praxis, zumal er auf Nachfrage ausdrücklich eingeräumt hat, mit der Durchführung von Chemotherapien nicht selbst befasst gewesen zu sein, sondern diese Aufgabe an einen leitenden Oberarzt delegiert zu haben. Insbesondere hinsichtlich der von Dr. B. geforderten frühzeitigen chirurgischen Intervention erschließt sich der Kammer unter Berücksichtigung der Ausführungen des Obergutachters Prof. H. auch nicht, wie die exakte Ausdehnung des Paravasats hätte festgestellt werden können und dass die gebotene Nutzen-Risiko-Abwägung in Unkenntnis des weiteren schicksalhaften, d. h. nicht vorhersehbaren Verlaufs zweifelsohne bereits kurz nach Entstehung des Paravasats zugunsten einer unverzüglichen chirurgischen Intervention hätte ausfallen müssen.

Die Forderung der Klägerin nach einer exakten Feststellung der Menge ausgelaufener Flüssigkeit ist davon abgesehen auch deshalb unbegründet, weil entgegen ihrer Einschätzung anhand der im Beutel verbliebenen Menge gerade nicht auf die Menge des Paravasats geschlossen werden kann. Denn hierfür ist nicht nur das Ausgangsvolumen maßgeblich, sondern auch diejenige - hier unbekannte - Menge, die gerade nicht „para“ gelaufen, sondern vor Dislokation ordnungsgemäß verabreicht worden ist. Im Übrigen verhält sich die zu erwartende Schadensintensität, wie Prof. H. ausgeführt hat (insoweit nicht protokolliert), nicht proportional zur Menge des Paravasats. Der weitere Verlauf ist vielmehr durch eine Vielzahl weiterer Faktoren bestimmt und somit als weitgehend schicksalshaft und zufällig anzusehen.

In rechtlicher Hinsicht scheitert eine Haftung der Beklagten, selbst wenn ein Fehler in Form der nicht rechtzeitigen Vorstellung bei einem Chirurgen unterstellt wird, jedenfalls am mangelnden Nachweis dieses (unterstellten) Fehlers für den weiteren Verlauf. Denn ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen Prof. H. kann nicht festgestellt werden, ob der Chirurg bei frühzeitiger Konsultation ein Eingreifen für erforderlich erachtet hätte und ob dieser Eingriff den weiteren schweren Verlauf verhindert hätte. Im Gegenteil sei sogar anzunehmen, dass sich bei frühzeitiger Vorstellung kein anderes Prozedere ergeben hätte.

Auch die Durchführung weiterer Therapie-Zyklen nach Entstehung des Paravasats, die der Sachverständige Dr. B. von sich aus beanstandet hatte, hat der Obergutachter Prof. H. schließlich für nicht kontraindiziert erachtet. Die Gefahr des sog. „recall“-Phänomens werde in der Literatur beschrieben, aber nur in einem Fall für Epirubicin. Deshalb sei davon auszugehen, dass es sich um ein sehr seltenes Ereignis handele. Es gebe auch keine Bestimmung, dass im Fall eines Paravasats die Chemotherapie nicht fortgeführt werden dürfe. Die Nutzen-Risiko-Abwägung habe für die Fortführung der Therapie gesprochen. Diese Einschätzung erscheint auch deshalb als einleuchtend, weil die Chemotherapie eine unerlässliche Maßnahme zur Bekämpfung der schweren Grunderkrankung der Klägerin war.

Die Frage nach einer Beweislastumkehr stellt sich auf der Grundlage der überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. H., wonach kein Behandlungsfehler festzustellen ist, nicht. Selbst Dr. B. ist - wie auch die Gutachterin des MDK in ihrem auf Veranlassung der TKK erstatteten Ergänzungsgutachten - aber nur „in der Summe“ - davon ausgegangen, dass ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Von einer „Summe“ von Behandlungsfehlern kann aber keinesfalls die Rede sein.

c) Ob die Einschätzung des Chirurgen Dr. G., dass ein Eingriff nicht indiziert sei, als fehlerhaft einzuschätzen ist, kann schließlich dahinstehen. Denn selbst wenn insoweit ein Behandlungsfehler vorläge, müssten die Beklagten hierfür nicht einstehen. Weder sind die Voraussetzungen für eine Zurechnung fremden Verschuldens gemäß §§ 278, 831 BGB gegeben, noch haften die Beklagten für den weiteren - unterstellt fehlerhaften - Verlauf infolge eigener ärztlicher Fehlbehandlung.

2. Aufklärungsmangel

Die Beklagten haften der Klägerin auch nicht unter dem Gesichtspunkt mangelnder Aufklärung auf Schadensersatz, wobei dahinstehen kann, ob die Aufklärung ordnungsgemäß erfolgt ist (wie es die Nachbehandlerin Prof. P-S. aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 7. Juli 2011 immerhin angenommen hat).

a) Die Haftung infolge (unterstellter) unzureichender Aufklärung scheitert jedenfalls an dem von den Beklagten erhobenen Einwand hypothetischer Einwilligung. Denn die Klägerin hat nicht plausibel dargestellt, dass sie sich trotz ihrer bösartigen, lebensbedrohlichen Erkrankung, derentwegen die Durchführung einer Chemotherapie auch ihrem eigenen Vortrag zufolge “empfehlenswert“ und zur Risikominimierung geeignet war (wie auch die MDK-Gutachterin bestätigt hat), allein aufgrund des objektiv geringen Risikos einer Dislokation mit daraus folgendem Paravasat - zumal als ehemalige Krankenschwester - gegen die Durchführung einer solchen Therapie entschieden hätte. Gegen diese Annahme spricht auch der Umstand, dass die Klägerin selbst nach Entstehung des Paravasats noch in die Durchführung zweier weiterer Therapie-Zyklen eingewilligt hat, obwohl sich das Risiko einer Dislokation bereits zuvor verwirklicht hatte.

b) Davon abgesehen obliegt der Klägerin im Rahmen der Haftung infolge Aufklärungsmangels der uneingeschränkte Beweis der Kausalität des (unterstellt rechtswidrigen) Eingriffs für die weiteren Folgen. Die Chemotherapie vom 5. Januar 2010 und das dabei entstandene Paravasat waren zwar ursächlich für die Entstehung einer Nekrose. Ob sie aber letztlich auch ursächlich für den schwerwiegenden Verlust beider Brustdrüsen waren, kann nicht festgestellt werden. Hierzu hat der Sachverständige Prof. H. ausgeführt, dass dieser Verlust nicht in direktem Zusammenhang mit dem Paravasat und dessen Akutbehandlung stehe, sondern eher als Konsequenz aus dem schicksalhaften Verlauf anzusehen sei.

Die Klage war deshalb abzuweisen. Der tragische Verlauf ist insgesamt als schicksalhaft anzusehen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.