Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 13.01.2006, Az.: 10 T 4/04
Bibliographie
- Gericht
- LG Lüneburg
- Datum
- 13.01.2006
- Aktenzeichen
- 10 T 4/04
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 43490
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGLUENE:2006:0113.10T4.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lüneburg - AZ: 21 A XIV 4/02
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Auflösung im Sinne des § 15 Abs. 2 Versammlungsgesetz ist "die Beendigung einer bereits durchgeführten Versammlung mit dem Ziel, die Personenansammlung zu zerstreuen".
- 2.
Eine formell wirksam ergangene Auflösungsverfügung ist daher materiell unwirksam, wenn den Versammlungsteilnehmern die Gelegenheit, ihrer gesetzlichen Pflicht, sich zu entfernen, verwehrt wird.
- 3.
Die Auflösungsverfügung genügt inhaltlich nicht den gesetzlichen Anforderungen, wenn in ihr zugleich die Anordnung der Ingewahrsamnahme ausgesprochen wird.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 20.01.2004 - Geschäftsnummer 21 A XIV 4/02 - teilweise aufgehoben und wie folgt abgeändert :
Es wird festgestellt, dass die Freiheitsentziehung des Betroffenen am 26.03.2001 dem Grunde nach von Beginn an rechtmäßig war.
Es wird festgestellt, dass die Fortdauer der weiteren Freiheitsentziehung ab 13.25 Uhr rechtswidrig war.
Die weitergehende sofortige Beschwerde des Betroffenen wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Betroffene und die Beteiligte je zur Hälfte; das weitere Beschwerdeverfahren ist gerichtgebührenfrei.
Eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen findet nicht statt.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.
Die sofortige weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Betroffene wurde im Zusammenhang mit dem sog. CastorTransport am 26.03.2001 gegen 12.35 Uhr auf der Verbindungsstraße zwischen Nahrendorf und Eichdorf, ca. 200 m vor dem Bahnübergang durch Angehörige der Landespolizei Sachsen in Gewahrsam genommen. Nach ca. sechsstündiger Einschließung unter freiem Himmel wurde er in die Gefangensammelstelle nach Neu Tramm verbracht, wo er am 26.03.2001 am 22.42 Uhr registriert und um 22.55 Uhr aus dem Gewahrsam entlassen wurde.
Bereits am 25.03.2001 hatte sich gegen 11.00 Uhr am Camp Nahrendorf ein Aufzug von ca. 150-200 Personen formiert, die sich in Richtung der Bahnstrecke Lüneburg - Dannenberg bewegten. Ein Teil der Teilnehmer war vermummt. Vor Erreichen der Bahnstrecke teilte sich diese Gruppe, in kleinen Gruppen gelangten diese Personen zunächst in den Wald und besetzten dann die Bahngleise. Sie setzten sich auf die Gleise und begannen, Steine aus dem Gleisbett zu entfernen. Die eingesetzten Beamten sprachen einen Platzverweis aus, der jedoch nur von wenigen Personen beachtet wurde. Die verbliebenen Personen mussten unter Einsatz von unmittelbaren Zwang von den Gleisanlagen gedrückt werden. Die Identität der Störer konnte nicht festgestellt werden, da hierzu zu wenig Kräfte vor Ort waren und die Störer nach dem Abdrängen von den Gleisanlagen gleich in den Wald rannten.
Am 26.03.2001 versammelte sich gegen 11.30 Uhr erneut eine Gruppe von ca. 150 Personen zunächst vor dem Camp Nahrendorf und bewegte sich dann als Aufzug unter Mitführung von Plakaten auf der Verbindungsstraße zwischen Nahrendorf in Richtung der Bahnstrecke LüneburgDannenberg. Etwa die Hälfte der Teilnehmer war vermummt. Die Personengruppe wurde ca. 200 m vor dem Bahnübergang bei Eichdorf von Polizeikräften gegen ca. 11.30 Uhr gestoppt und nach Anforderung und Zuführung von Unterstützungskräften (zwei Einsatzeinheiten per Hubschrauber) umstellt bzw. eingeschlossen. Die Polizei, deren Einsatzführer PHK von der 32. Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei Chemnitz war, ist davon ausgegangen, dass die Gruppe wie am Vortag wieder zur Bahnstrecke gelangen wollte und damit in einen Bereich, für das die Bezirksregierung im Zusammenhang mit dem sog. CastorTransport zuvor am 10.03.2001 per Allgemeinverfügung ein Versammlungsverbot erlassen hatte. In der weiteren Folge wurde - laut Bericht des PHK vom 26.03.2001 (Bl. 4 d.A.) - die komplette Versammlung umstellt. Um 12.35 Uhr wurde folgender Text von PHK über Lautsprecher durchgegeben (Bl. 5 d.A.):
"Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei! Ihr nicht genehmigter Aufzug wird hiermit für aufgelöst erklärt. Um eine weitere Gefährdung der Schienenstrecke auszuschließen, erklärte ich allen Teilnehmern der Demonstration den Gewahrsam. Verhalten Sie sich ruhig ! Sie werden einzeln herausgeführt. Allen nicht Eingeschlossenen spreche ich hiermit einen Platzverweis in Richtung Nahrendorf aus. Bei Nichtbefolgen werden Sie ebenfalls in Gewahrsam genommen. Sollten Sie die angekündigte Maßnahmen der Polizei nicht befolgen, werden diese mit unmittelbaren Zwang durchgesetzt."
In dem von PHK gefertigten Bericht heißt es dazu: "Der Aufzug wurde von mir 12.35 Uhr als aufgelöst erklärt. Gleichzeitig wurde allen Teilnehmern der Gewahrsam erklärt, da eine unmittelbar bevorstehende Schienenblockade anzunehmen war." Nach Auflösung des Aufzugs bzw. der Versammlung wurden die Teilnehmer in Gewahrsam genommen; hierzu gehörte auch der Betroffene. In der Folgezeit wurde der Betroffene mit den übrigen Mitgliedern der Gruppe in der Umkreisung der Polizei gehalten. Alle betroffenen Personen wurden dann einzeln registriert und zur Gefangenensammelstelle Treu Tramm bei Danneberg gebracht, wo der Betroffene ca. um 23.00 Uhr entlassen wurde, nachdem weitere Ermittlungen negativ verlaufen waren. Eine richterliche Vorführung ist nicht erfolgt.
Mit Schreiben vom 19.04.2001 beantragte der Betroffene, seinen Freiheitsentzug am 26.03.2001 in Nahrendorf auf seine Rechtmäßigkeit zu überprüfen und die Unrechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges festzustellen. Er sei lediglich mit der Gruppe aus dem Camp Nahrendorf auf dem Weg zu einer genehmigten Dauermahnwache in das vom Bahndamm gegenüberliegende Eichdorf gewesen, die außerhalb des "Sperrbezirks" gelegen habe. Von 11.30 Uhr bis 23.10 Uhr sei er auf menschenunwürdige Weise gegen seinen Willen festgehalten worden, davon ca. sechs Stunden unter freiem Himmel im "Kessel". Erst nach drei Stunden sei die Verrichtung der Notdurft gestattet. Die Gründe der Ingewahrsamnahme seien ihm nicht genannt worden. Wegen der weiteren Begründung im Einzelnen wird auf das Schreiben vom 19.04.2001 - Bl. 12 d.A. - Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 11.11.2002, auf den wegen seines Inhalts verwiesen wird (Bl. 25 ff. d.A.), hat das Amtsgericht Lüneburg festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen rechtmäßig war, ohne jedoch vorher dem Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren. Auf die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hat das Landgericht Lüneburg - Geschäftsnummer 1 T 6 / 03 - den Beschluss aufgehoben und die Sache dem Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückgegeben (Bl. 39 ff. d.A.). Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 26.03.2003 angehört (Bl. 5254 d.A.) und verschiedene Stellungnahmen über die damalige Bezirksregierung Lüneburg eingeholt.
Mit Beschluss vom 20.01.2004 stellte dass Amtsgericht Lüneburg fest, dass die Freiheitsbeschränkung des Betroffenen durch Kräfte der Bereitschaftspolizei Sachsen und der Polizei in Niedersachsen vom 26.03.2001 rechtmäßig war; wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die auf die Beschlussgründe - Bl. 138 - 148 d.A. Bd. I - Bezug genommen. Gegen diesen, seiner Verfahrensbevollmächtigten am 24.01.2004 zugestellten Beschluss hat der Betroffene mit dem per Fax beim Amtsgericht Lüneburg am 06.02.2004 eingegangenen Schriftsatz vom 05.03.2004 sofortige Beschwerde eingelegt.
Mit Beschluss vom 01.08.2005 - Bl. 210 - 217 d.A. Bd. II - hat die Kammer auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen den angefochtenen amtsgerichtlichen Beschluss aufgehoben und die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung wegen einer fehlerhaften Auflösungsverfügung festgestellt. Auf die - zugelassene - weitere sofortige Beschwerde der Beteiligten hat das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 29.09.2005 - Geschäftsnummer 22 W 58/05 - den landgerichtlichien Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des weiteren Beschwerdeverfahrens - an das Landgericht zurückverwiesen. Nach den Ausführungen des Oberlandesgerichts war die Ingewahrsamnahme des Betroffenen entgegen der Auffassung der Kammer jedenfalls nicht von Beginn an rechtswidrig; das Rechtsmittel habe - jedenfalls vorläufig - Erfolg. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Gründe Bl. 246 - 254 d.A. Bd. II verwiesen. Das Oberlandesgericht stellt dabei unter anderem im Ergebnis fest:
"Die Ingewahrsamnahme der Aufzugsteilnehmer war unerlässlich, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung von Straftaten nach §§ 303, 316b StGB sowie einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit, nämlich einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz nach § 29 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG, zu vermeiden. (....)" (Bl. 250 d.A. Bd. II).
"Der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme steht das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 GG nicht entgegen. Der Aufzug ist wirksam aufgelöst worden.
Mit der Durchsage des einsatzführenden Polizeibeamten über die Lautsprecherdurchsage an die Aufzugsteilnehmer hat die Polizei die Versammlung nach § 15 Abs. 3 VersammlG a. F. (jetzt § 15 Abs. 4 VersammlG i. F. d. Gesetzes vom 24.03.2005 - BGBL. I S. 969) aufgelöst. (...)" (Bl. 251 d.A. Bd. II)
"Die Einschließung war auch nicht von vornherein unverhältnismäßig. Allerdings führte die Einschließung zu einer zeitlich begrenzten Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die verschärft wurde durch fehlende Sitzmöglichkeiten, mangelnde Verpflegung und fehlende sanitäre Einrichtungen. Derartige Einschränkungen sind jedoch für einen gewissen Zeitraum zu ertragen. Dies gilt um so mehr, wenn - wie hier - die Personen an Versammlungen unter freiem Himmel teilnehmen wollen (dazu OLG Celle, Beschluss vom 2510.2004 - 16 W 145/04 , NdsRpfl 2004, 348 ff.).
Die getroffenen Feststellungen reichen allerdings nicht aus, um dem Senat die Beurteilung zu ermöglichen, ob und bis zu welchem Zeitpunkt auch die Fortdauer des für den Betroffenen bis 22:55 Uhr andauernden Gewahrsams rechtmäßig war.
Wie bereits ausgeführt, ermöglicht es die Einschließung der Polizei, die Teilnehmer zeitweise an einen Ort zu binden, sie dann zu trennen und zeitversetzt sowie unter Beobachtung zu entlassen und zu zerstreuen. Dabei erfordert es das besondere Gewicht der Freiheitsentziehung, den Gewahrsam auf den unabdingbar notwendigen Zeitraum zu beschränken.
Warum es hier erforderlich gewesen sein soll, die Aufzugsteilnehmer - so hat es jedenfalls der Betroffene vorgetragen - mehr als sechs Stunden unter freiem Himmel festzuhalten und sie dann nach Neu Tramm zu transportieren, erschließt sich aus den Feststellungen der Kammer nicht. Unklar bleibt auch, ob, und falls ja, welche Vorkehrungen die Polizei getroffen hatte, um die Auflösung der Menschenmenge im vorbezeichneten Sinn ordnungsgemäß durchzuführen.
Eine weitere Sachaufklärung ist geboten. Der Senat hat daher die Sache an das Landgericht zurückverwiesen." (Bl. 254 d.A. Bd. II)
Mit gerichtlicher Verfügung vom 13.10.2005 ist der Beteiligten unter Bezugnahme auf Ziffer II.3 der Beschlussgründe des Oberlandesgerichts Gelegenheit gegeben worden, zum Erfordernis der Dauer der Gewahrsamnahme und den getroffenen Vorkehrungen zur Durchführung der Auflösung der Menschenmenge abschließend vorzutragen.
In ihrer Stellungnahme vom 15.11.2005, auf die wegen des genauen Inhalts verwiesen wird (Bl. 261 d.A. Bd. II), verweist die Beteiligte im Wesentlichen darauf, die Fragen gleichen Inhalts bereits mit ihren Stellungnahmen vom 01.09.2003 und 01.06.2004 beantwortet zu haben. Vorkehrungen zur Durchführung einer Auflösung der Menschenmenge zu treffen sei "hier aus polizeilicher Sicht aufgrund der Gefährdungslage nicht opportun" gewesen.
Die Kammer hat den Betroffenen am 14.12.2005 persönlich angehört.
II.
Die zulässige, insbesondere form und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 20.01.2004 ist zum Teil begründet und hat dahingehend Erfolg, dass die Rechtswidrigkeit der über eine Stunde hinausgehende Freiheitsentziehung festzustellen war Soweit sie auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung dem Grunde nach gerichtet ist, ist sie indes unbegründet.
Der nach § 19 Abs. 2 NGefAG zulässige Antrag des Betroffenen ist nur teilweise - namentlich hinsichtlich der Dauer der Freiheitsentziehung - begründet.
1.
Die freiheitsbeschränkende Gewahrsamnahme des Betroffenen am 26.03.2001 war dem Grunde nach rechtmäßig und jedenfalls nicht von Beginn an (12.35 Uhr) rechtswidrig. Insoweit kann zur Meidung von Wiederholungen auf die bindenden Rechtausführungen des Oberlandesgerichts Celle als übergeordnetes Beschwerdegericht in seinem Beschluss vom 29.09.2005 verwiesen werden. An diesen ist die Kammer gebunden. An die Beurteilung der Sach und Rechtslage, die einer aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidung des Beschwerdegerichts unmittelbar zugrunde liegt, ist das Erstgericht gebunden (ständige Rechtsprechung, z. B. BGHZ 15, 122; BGH NJW 1994, 2956 [BGH 04.05.1994 - XII ARZ 36/93]; weitere Nachweise bei Sternal, in: Keidel / Kuntze / Winkler, FGG, 15. Aufl., § 25, Rn. 25). Denn jede Beschwerdeentscheidung lässt Bindungswirkungen entstehen, die nach dem Inhalt der Rechtsmittelentscheidung zu bestimmen sind (für das Zivilprozessverfahren vgl. Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 572, Rn. 33). Soweit das Beschwerdegericht in der Sache zurückverweist, ist es nicht nur selbst, sondern auch das Untergericht an die Rechtsauffassung des Beschwerdegerichts gebunden, unabhängig davon, ob die Beurteilung des Rechtsmittelgerichts zutreffend ist oder nicht. Selbst im Falle - hier ohnehin nicht ersichtlicher - greifbarer Gesetzeswidrigkeit könnte sich ein Untergericht dieser Bindung nicht entziehen (vgl. Zöller, a. a. O., Rn. 34). Im Ergebnis steht nach Maßgabe der Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle in dieser Sache fest, dass die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 2a NGefAG i. V. m. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG und nach §§ 18 Abs. 1 Nr. 3, 17 NGefAG vorlagen, die Ingewahrsamnahme unerläßlich und der Aufzug wirksam aufgelöst worden war.
2.
Die Fortdauer der Freiheitsentziehung war indes rechtswidrig, da die Einschließung - die nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht von Anfang an unverhältnismäßig war - jedenfalls wegen der nicht gerechtfertigten mehrstündigen Einkesselung unter freiem Himmel unverhältnismäßig geworden ist. Denn damit ist der Gewahrsam durch eine Einschließung nicht auf den unabdingbar notwendigen Zeitraum beschränkt worden. Nach der von dem Oberlandesgericht in dieser Sache angeführten Entscheidung des Kammergerichts Berlins vom 29.01.1999 (NVwZ 2000, 468 f. [KG Berlin 29.01.1999 - 25 W 1473/96]) muss die Entlassung angesichts des Gewichts der Grundrechtsbeeinträchtigung unverzüglich und mit größtmöglichem Einsatz der Polizeikräfte erfolgen, auch wenn die Eingeschlossenen nach dem Zweck der Einschließung zeitversetzt zu entlassen wären, um eine Zerstreuung zu gewährleisten.
Auch die durch das Oberlandesgericht vorgegebene weitere Sachaufklärung vermochte nicht zur Klärung beitragen, warum es im konkreten Fall erforderlich gewesen sein soll, dass der Betroffene sechs Stunden unter freiem Himmel festgehalten und erst dann zur Gefangenensammelstelle Neu Tramm gebracht wurde. Die Beteiligte vermochte weder nachvollziehbar erklären noch etwaige Beweismittel beizubringen, aus denen sich ergeben könnte, warum die mehrstündige Einkesselung unter freiem Himmel - stehend bei mangelnder Verpflegung und bei fehlenden sanitären Einrichtungen - den gesamten Zeitraum über notwendig gewesen war, bis die Teilnehmer schließlich zur Gefangenensammelstelle nach Neu Tramm gebracht wurden. Der konkrete Einsatz der Polizeikräfte bzw. deren vollständigen Ausschöpfung wurde nicht dargetan. Selbst wenn - worauf die Beteiligte wiederholt abstellt - der Grund für ein Fortbestehen des Gewahrsams durch weitere Ermittlungen begründet gewesen wäre und das Risiko für eine Entlassung von einzelnen Betroffenen oder kleinen Gruppen "wegen der bestehenden Gefahrenlage und der zu großen Vielfalt der unmittelbaren Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gleise" "zu groß" gewesen sei, wäre damit noch nicht die Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu den verschärften Bedingungen unter freiem Himmel unabdingbar notwendig. Derartige Einschränkungen sind nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts (im Hinblick auf mögliche eigene Vorkehrungen der Teilnehmer) zu ertragen, ab nicht unbeschränkt, sondern nur für einen "gewissen Zeitraum", der nicht spezifiziert worden ist. Diesen Zeitraum bemisst die Kammer mit einer Stunde, innerhalb derer zumindest die polizeiliche Entscheidung getroffen werden kann und muss, wie mit dem eingekesselten Aufzugsteilnehmern weiter verfahren werden soll und wie ein ggf. erforderlicher Abtransport in einer zumutbaren Zeitspanne organisiert und gewährleistet werden kann. Ist eine Erfassung und Verbringung zu einer Gefangensammelstelle vorgesehen, muss diese begonnen oder zumindest eingeleitet worden sein, so dass für eine tatsächlich spätere Verbringung eines Betroffenen ein sachlicher Grund für die Fortdauer des Festhaltens unter freiem Himmel bis dahinbestände. Während der Dauer des Gewahrsams bedarf es sodann - neben der weiterbestehenden Prognose (sonst zwingende Entlassung nach § 21 NdsSOG) - zur Verhältnismäßigkeit der konkreten und nachprüfbaren Darlegung, dass mit der (organisierten) Verbringung begonnen wurde und eine vorherige Überführung des Betroffenen aus welchen Gründen nicht möglich war. Daran fehlt es hier mangels Darlegung der Beteiligten, wieso der Betroffene erst nach sechs Stunden zur Gefangenensammelstelle gebracht hat, wobei der Unterschied in den verschärften Bedingungen einer Freiheitsbeschränkung unter freiem Himmel besteht. Diesbezüglich ist die Beteiligte - trotz gerichtlicher Aufforderungen vom 26.03.2003 (Bl. 58 d.A. Bd. I), 17.03.2004 (Bl. 161 d.A. Bd. I) und 13.10.2005 (Bl. 256 d.A. Bd. II) ihrer Beibringungsverpflichtung zu entsprechendem Vortrag nicht nachgekommen. Soweit die Polizeidirektion mit Schriftsatz vom 15.11.2005 auf ihre - vor der Entscheidung des Oberlandesgerichts liegenden - Stellungnahmen vom 01.09.2003 und 01.06.2004, genügt der Vortrag gerade nicht, wie im Rückschluss aus dem Beschluss des Oberlandesgerichts vom 29.09.2005 folgt. Wenn die bis dahin aktenkundigen Ausführungen genügt hätten, hätte es keiner Zurückverweisung zur weiteren Sachaufklärung bedurft. Dafür reicht weder der Hinweis der Beteiligten, dass die Organisation der Umstellung der in Gewahrsam genommenen Personen und deren Abtransport stets eine gewisse Zeit dauert noch die Behauptung weiterer Einsatzsituationen oder die Ansicht, dass das Ziel der Transportgegner, zumindest die polizeilichen Einsatzkosten in die Höhe zu
treiben, sich hier insofern auf die Dauer bis zum tatsächlichen Abtransport ausgewirkt habe (Stellungnahme vom 01.09.2003, S. 7 = Bl. 72 d.A. Bd. I). Ebenso wenig genügen zur Erklärung der nicht bestrittenen sechsständigen Zeitspanne die pauschalen Ausführungen in der Stellungnahme vom 01.06.2004, S. 3 (= Bl. 164 d.A. Bd. II), dass vor dem Transport zur Gefangenensammelstelle Treu Tramm die Personalien der zu fahrenden Personen aufzunehmen und diese zur Sicherung grob zu durchsuchen waren, eine gleichzeitig zu bewältigende Gleisbesetzung bei Wendisch Evern habe weitere Transportmöglichkeiten gebunden und darüber hinaus sei durch die Vielzahl der Verkehrsbewegungen keine so reibungslose Fahrt nach Neu Tramm möglich gewesen. Dies genügt jedenfalls nicht zur Rechtfertigung einer sechsstündigen Verweildauer.
Zudem steht nach der ergänzend eingeholten Stellungnahme der Beteiligten vom 15.11.2005 fest, dass keine Vorkehrungen der Polizei getroffen worden waren, um die Auflösung der Menschenmenge ordnungsgemäß durchzuführen. Ungenügend, nichtssagend und im Ergebnis unerheblich ist die Ansicht der Beteiligten, solche Vorkehrungen seinerzeit nicht für "opportun" gehalten zu haben. Dies reicht nicht. Gerade wegen der Aktion vom Vortrag, auf die gerade die Gefahrenprognose und die Notwendigkeit einer sofortigen Einkesselung gestützt wird, hat sogar konkreter Anlass für Vorkehrungen bestanden.
In der Konsequenz war nach den Vorgaben des Oberlandesgerichts die Rechtswidrigkeit der Fortdauer festzustellen. Lediglich für einen gewissen Zeitraum sind verschärfte Bedingungen eines freiheitsentziehenden Gewahrsams - hier durch Einkesselung - hinzunehmen. Diesen Zeitraum hat die Kammer - mangels Vortrags der Beteiligten zur Begründung der Freiheitsbeschränkung unter verschärften Bedingungen - auf eine Stunde bemessen. Da ab diesem Zeitpunkt für den Betroffenen nicht dargetan werden kann, warum die Freiheitsbeschränkung unter freiem Himmel in Form der Einschließung bis zum tatsächlichen Abtransport des Betroffenen (zur Gefangenensammelstelle) nach sechs Stunden wegen bereits eingeleiteter Maßnahmen notwendig und - was nicht ersichtlich wäre - auch ein vorheriger Abtransport (ggf. aus organisatorischen Gründen) nicht möglich gewesen sein soll, ist die Freiheitsentziehung in Form der Einkesselung unter verschärften Bedingungen ab diesem Zeitpunkt rechtswidrig. Dies war als ein Teilerfolg der sofortigen Beschwerde auf den Antrag des Betroffenen festzustellen.
Über das weitere Begehren des Betroffenen hinsichtlich "menschenunwürdiger" Festhaltung im Polizeikessel und bzgl. der weiteren Art und Weise des Gewahrsam und Transports brauchte die Kammer nicht zu entscheiden, da die diese Maßnahmen ab dem rechtswidrigen Gewahrsam ab 13.25 Uhr mithin ebenfalls rechtswidrig waren. Die vom Betroffenen vorgeworfene Vorenthaltung des Toilettengangs für die Eingeschlossenen in den ersten drei Stunden betraf ihn offensichtlich nicht, da er diesen Umstand nur generell in seinem Antrag vom 19.04.2001 geschildert hat, hingegen die weiteren Umstände der Verpflegung und eines Toilettenganges in der ichForm schilderte. In seiner Anhörung vor dem Amtsgericht ist er auf diesen Punkt auch nicht mehr eingegangen, hat dort aber die im Antrag in der ichForm geschilderten Missstände bzw. Gewahrsamsbedingungen wiederholt. Angesichts des nur eine Stunde lang rechtmäßigen Gewahrsams im Kessel lag daher für ihn noch nicht eine Lage vor, bei der für ihn beim Fehlen von Toiletten von einem menschenunwürdigen Zustand ausgegangen werden kann.
III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 13a Abs. 1 Satz 1 FGG, 131, 30 Abs. 2 Satz 1, 3 Satz 1 KostO.
IV.
Die sofortige weitere Beschwerde war nicht erneut gemäß § 19 Abs. 2 Satz 4 NGefAG) zuzulassen, da die zur Entscheidung stehenden rechtlichen Vorfragen in dieser Sache bereits vom Oberlandesgericht Celle in seinem Beschluss vom 29.09.2005 entscheiden worden sind und es nur noch um die tatsächliche Umsetzung und Anwendung dieser Vorgaben geht.